Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → PHYSIK

FORSCHUNG/546: Was die Welt im Innersten zusammenhält (Freiburger Uni-Magazin)


Freiburger Uni-Magazin - 5/Oktober 2008

Was die Welt im Innersten zusammenhält
Freiburger Physiker auf der Suche nach den kleinsten Teilchen der Materie

Von Wibke Hartleb


Es ist der größte und stärkste Teilchenbeschleuniger, der je gebaut wurde: Der Large Hadron Collider (LHC) am "Europäischen Zentrum für Elementarteilchenphysik" (CERN) in Genf. 8000 Wissenschaftler aus 85 Ländern wollen in verschiedenen Experimenten am LHC die kleinsten Teilchen finden, aus denen Materie besteht. Mit führend beim größten Experiment, ATLAS, sind die Freiburger Arbeitsgruppen der Teilchenphysiker Professor Gregor Herten und Professor Karl Jakobs.


Am 10. September fiel der Startschuss des Teilchenbeschleunigers LHC am CERN in Genf. In insgesamt sechs Experimenten wollen die Wissenschaftler Bedingungen herstellen, wie sie kurz nach dem Urknall geherrscht haben, um die Teilchen zu finden, aus denen sich das Universum gebildet hat. "Manche der nach dem Urknall entstandenen Teilchen müssen noch vorhanden sein. Mit dem LHC haben wir die Chance, diese Teilchen im Labor herzustellen", so Professor Karl Jakobs, Physik-Koordinator des ATLAS-Experiments. Seine Arbeitsgruppe sucht nach dem Higgs-Teilchen, benannt nach dem englischen Physiker Peter Higgs, der es 1964 postulierte. "Dieses würde erklären, warum Teilchen Masse besitzen", so Jakobs. Die Arbeitsgruppe von Professor Gregor Herten, Vizepräsident des CERN-Aufsichtsrates, sucht nach den Teilchen der Dunklen Materie: "Nur vier Prozent des Universums bestehen aus Materie, die wir kennen, circa 22 Prozent sind Dunkle Materie."


"Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen"

Der LHC befindet sich in einem 27 Kilometer langen, ringförmigen Tunnel 100 Meter unter der Erde, zwischen Genfer See und Jura-Gebirge. In zwei parallelen Röhren innerhalb des Tunnels werden Kerne von Wasserstoff-Atomen in entgegengesetzter Richtung auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Dies entspricht der Geschwindigkeit, mit der man in einer Sekunde den Mond erreichen würde. An vier Stellen kreuzen sich die Röhren, so dass die Teilchen kollidieren. An diesen vier Kollisionspunkten stehen Detektoren, die die bei den Kollisionen entstehenden Teilchen "beobachten" sollen. Die Energiedichte, die durch die Kollisionen erreicht wird, ist vergleichbar mit der kurz nach dem Urknall. "Die vorhandene Energie entspricht eigentlich der Bewegungsenergie einer Mücke, aber diese geringe Energie wird in einem so kleinen Punkt konzentriert, dass sie ausreicht, um neue Masse zu schaffen", erläutert Herten. Die Freiburger Wissenschaftler sind mit führend beim ATLAS-Experiment, an dem 2000 Wissenschaftler aus 37 Nationen beteiligt sind. "Wir haben hier in Freiburg sowohl verschiedene Detektorkomponenten, als auch Strategien zur Datenauswertung und -analyse entwickelt", erklärt Jakobs. Die Dimensionen des ATLAS-Detektors sind vergleichbar mit einem 10stöckigen Hochhaus, aber zylinderförmig. Der Durchmesser beträgt circa 25 Meter, die Länge 40 Meter. "Aus der Bahnkrümmung der Teilchen nach der Kollision kann man auf ihren Impuls schließen." Die Suche nach den Teilchen gleicht, laut Herten, "der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Man muss aus Milliarden von Kollisionen die interessanten herausfinden."

Für die exakte Kollision der Teilchen sorgen 1200 supraleitende Dipolmagnete, die auf -271,3 Grad Celsius gekühlt werden. Nachdem die Supraleitung zwischen zwei Magneten vermutlich durch eine fehlerhafte Verbindung zerstört wurde und Kühlflüssigkeit austrat, musste der LHC vorerst abgeschaltet werden. "Die Reparatur an sich würde schnell gehen, aber das Aufheizen bis auf Raumtemperatur dauert circa einen Monat", erklärt Herten. Im Winter wird der LHC wegen der hohen Energiekosten nicht wieder gestartet. "Der LHC verbraucht etwas weniger als zehn Prozent des Stroms des gesamten Kantons Genf", so Dr. Christian Weiser, Mitarbeiter im Arbeitskreis Jakobs.


Trotz Problemen geht die Arbeit weiter

Die Probleme und der abgeschaltete LHC behindern dennoch nicht die Arbeit der Freiburger Teilchenphysiker. "Natürlich wäre es schön gewesen, wenn wir ein bis zwei Tage mit dem richtigen Strahl hätten unseren Detektor testen können. Aber da wir im Moment mit Cosmics (Strahlen, die aus dem Weltall kommen) testen, können wir trotz des Ausfalls arbeiten", so Herten. Alle Wissenschaftler am LHC teilen sich die Arbeit wie im Schichtdienst. "Man sitzt vier Tage hintereinander acht Stunden pro Tag am Monitor und überprüft, ob der Detektor die zu erwartenden Ergebnisse liefert. Wenn nicht, muss man schauen, woran es liegt und es dann reparieren", ergänzt Herten. Die Reiserei sei manchmal schon anstrengend, "aber unsere Geräte stehen eben nicht im Keller, sondern in Genf", so Jakobs. Dass der LHC große Schwarze Löcher bilden könnte, halten die Freiburger Wissenschaftler für ausgeschlossen. "In der Natur tritt eine viel höhere Energie der Strahlung auf und es müssten sich Mini-Schwarze Löcher bilden. Dennoch ist es wichtig, sich Gedanken über alternative Ideen zu machen und es gibt auch eine AG, die sich damit befasst", beruhigt Dr. Sascha Caron, Mitarbeiter im Arbeitskreis Herten.


Ein Traum wird wahr

Jakobs und Herten sind seit Tag eins des Projekts dabei, von der Planung bis zur Entwicklung und Durchführung. Jakobs kam 1985 ans CERN, Herten 1984. Die Freiburger Wissenschaftler sind begeistert, bei diesem Projekt dabei zu sein. "Es ist toll, wenn man neue Arten von Teilchen finden und damit die grundlegenden Fragen der Physik beantworten kann", schwärmt Herten. Wichtig ist für alle Wissenschaftler die internationale Zusammenarbeit. "Alleine könnte man so ein Großprojekt nicht machen, man muss sich auch auf andere verlassen können", ergänzt Jakobs. Beide betonen auch die Arbeit aller Mitarbeiter in den Arbeitsgruppen und im Graduiertenkolleg "Physik an Hadron-Beschleunigern". Für Weiser ist es interessant, an einem Projekt teilzunehmen, das es so noch nie gegeben hat. "Durch die internationale Kollaboration lernt man interessante Leute verschiedener Disziplinen und auch verschiedener Kulturen kennen." Für Caron wird ein Jugendtraum wahr: "Ich wollte schon immer verstehen, warum es so ist, wie es ist und jetzt bin ich dabei. Ich würde gerne etwas Neues entdecken."


*


Quelle:
Freiburger Uni-Magazin Nr. 5/Oktober 2008, Seite 6-7
Herausgeber: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg,
der Rektor, Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer
Redaktion: Eva Opitz (verantwortlich)
Kommunikation und Presse
Fahnenbergplatz, 79098 Freiburg,
Tel.: 0761/203-4301, Fax: 0761/203-4278
E-Mail: info@pr.uni-freiburg.de

Freiburger Uni-Magazin erscheint sechsmal jährlich.
Jahresabonnement 13,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2008