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INTERVIEW/005: Kernfusion und Plasmaforschung - dem Fortschritt vertrauen ...    Jean Pütz im Gespräch (SB)


Pressereise zur Startvorbereitung für den Wendelstein 7-X & Plasmaphysik im All und auf der Haut

Interview mit Jean Pütz, Wissenschaftsjournalist im Unruhestand, am 18. August 2015 im Europa-Hotel in Greifswald


Mit Bemerkungen wie, "aber es müssen doch mehrere Magnetfelder überlagert werden", und, "wenn Sie etwas in das Plasma einschießen, dann wirkt das doch zurück, das müssen Sie doch berücksichtigen", anläßlich des Vortrags von Prof. Thomas Klinger über den Forschungsreaktor Wendelstein 7-X stellte Jean Pütz klar, wie sehr er auch 45 Jahre nach seiner Sendung über Fusionsforschung an dem Thema interessiert ist. Gemeinsam mit mehr als einem Dutzend Fachkolleginnen und -kollegen hatte der Wissenschaftsjournalist "im Unruhestand", wie sich der 78-jährige selber nennt, an einer Pressereise vom 17./18. August 2015 unter anderem zum Forschungsreaktor Wendelstein 7-X am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) teilgenommen. [1]

Bedauerlicherweise mußte Jean Pütz am zweiten Tag der Pressereise frühzeitig abreisen, woraufhin der Schattenblick nicht säumig werden wollte, zwischen Kaffee und Croissant den langjährigen TV-Moderator (u.a. "Hobbythek" [2]) nach seiner Meinung über den Forschungsreaktor Wendelstein 7-X zu befragen.


Nebeneinander am Frühstückstisch des Hotels - Foto: © 2015 by Schattenblick

Jean Pütz im Gespräch mit SB-Redakteur
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Pütz, wie lautet Ihre Einschätzung zum Forschungsreaktor Wendelstein 7-X und was halten Sie von der Idee, Fusionsenergie zu erzeugen?

Jean Pütz (JP): Zunächst mal bin ich wirklich überrascht. Das ist Hightech par excellence, made in Germany. Ich habe 1969 eine Serie gemacht, die hieß "Energie, die treibende Kraft", und eine von dreizehn Folgen war über Fusion. Damals hat man mir gesagt, in vierzig Jahren wird es garantiert so weit sein, dann haben wir die Fusionenergie und können in energetischen Welten schwelgen. Das ist aber leider nicht so gekommen. Von heute aus gerechnet dauert es wohl nochmals vierzig Jahre.

Aber wir haben eindrucksvoll gesehen, welche unglaublichen Probleme da zu lösen sind und daß die gesamte Technologie von solchen Forschungen profitiert. Ich will hoffen, daß es ihnen gelingt - das ist ja noch nicht, sozusagen, heiß geworden. Man hat zwar die theoretischen Grundlagen, wie man diese extremen Temperaturen von 100 bis 200 Millionen Grad ohne Berührung mit der Gefäßwand einfangen kann, damit überhaupt die Fusionsvoraussetzungen geschaffen werden, aber wie gesagt, der Zeithorizont ist immer noch der gleiche wie vor 45 Jahren.

SB: Und inzwischen gibt es andere Technologien.

JP: Es gibt heute regenerative Energien und viele setzen da auch drauf. Ich halte das alles für viel zu emotional und glaube nicht, daß man damit das Energieproblem lösen kann. Wenn ich heute schon sehe, welche Ackerflächen für Energiepflanzen benutzt werden, was eigentlich der Nahrungsmittelproduktion vorbehalten bleiben sollte, inklusive übrigens auch weite Felder für Photovoltaik. Also, da tut es mir weh. Deshalb sage ich, daß die Fusionsenergie zumindest als eine Energie, die dann regelmäßig als Basisenergie zur Verfügung steht, immer noch notwendig ist. Denn man weiß ja noch nicht, was geschieht, wenn uns die Sonne oder der Wind mal einen Strich durch die Rechnung machen.

Sie ist auch wesentlich unproblematischer als die Kernenergie, vor der ich immer gewarnt habe, damals mit dem Spruch: Man hat ein Flugzeug auf einer Startbahn in die Luft geschickt und dann hat man plötzlich festgestellt, wir brauchen auch eine Landebahn. Aber die existiert immer noch nicht. Darüber konnten wir ja gestern auch reden, daß die Risiken, auch die radioaktiven, der Fusionsenergie bei weitem nicht so groß sind wie bei der Kernenergie.

Hier in Greifswald geschieht echt ganz tolle Forschung, das ist Grundlagenforschung. Dafür ist das Max-Planck-Institut sozusagen prädestiniert und ich kann nur wünschen, daß das zum Erfolg führt. Wenn man es sich überhaupt vorstellt, so war es ganz klar: das Sonnenfeuer auf die Erde zu holen, das war nicht einfach so zu machen, die Kernspaltung war da ein bißchen einfacher.


Reaktor W7-X von zahlreichen Gerüsten und Plattformen umgeben - Foto: © 2015 by Schattenblick

Symbolträchtig - sich Zugang zu allen Aggregaten und Funktionen zu bewahren, ist das A und O des Forschungsreaktors Wendelstein 7-X
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Halten Sie die Fusionsenergie, auch wenn durch sie lange nicht die gleiche Menge und Intensität an Radioaktivität produziert wird wie bei der Atomkraft, für gesellschaftlich durchsetzungsfähig?

JP: Es gibt mittlerweile so viele irrationale Entscheidungen, was die Energie anbelangt, das müßte sehr vorsichtig vorbereitet werden. Vor allen Dingen hat man es, wie überall in unserer heutigen Gesellschaft, wieder mit einem sehr komplexen Tatbestand zu tun. Sind die Bürger überhaupt bereit, da hinzuhören? Sind sie bereit, sich damit zu beschäftigen? Sie wollen zwar alle Basisdemokratie, aber wenn es wirklich um die Information geht, die dahinter steht, dann muß Vernunft eine Rolle spielen, und das kann ich nur mit aufgeklärten Mitmenschen machen, die auch zumindestens zeitweise die Emotionen abschalten. Wenn das wie heute in vielen technischen Bereichen so emotional begleitet wird von bestimmten Interessenten, die dann auch ihre ganz persönlichen politischen Interessen verfolgen, sehe ich schwarz.

Ich habe das einmal so formuliert: Demnächst wird die Linke eine Volksbefragung durchführen mit dem Motto: "Wollt ihr heute überhaupt noch die Schwerkraft? Schwerkraft ist sehr unsozial, die dicken Menschen, die sind immer benachteiligt. Wir schaffen die Schwerkraft einfach ab." Wenn sie dann in Deutschland politisch verbindlich die Frage stellen würden, würden vielleicht 60, 70 Prozent der Menschen sagen: "Gut, wir schaffen die Schwerkraft ab!" Das zum Thema Irrationalität und emotionale Informationen.

Ich habe letztens in Luxemburg einen Vortrag gehalten über Demokratie und Wissenschaft und denke, das ganze Gutachterwesen ist noch ein riesiges Problem. Die Forscher hier behaupten zwar, sie hätten dann genügend Gutachter, aber woher kommen diese? Die kommen natürlich wieder aus der Fusionsforschung. Also werden die Menschen behaupten, daß wieder einmal alle unter einer Decke stecken. Wie man das dem Volk darstellen will ...


Gruppe von Journalisten und Wissenschaftlern im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Beim organisierten "Überfall" einer Schar Medienvertreter im Kontrollraum des Forschungsreaktors Wendelstein 7-X stellt sich der Leiter des Bereichs Stellarator-Rand- und -Divertorphysik, Prof. Dr. Thomas Sunn Pedersen (sitzend, Mitte), Jean Pütz' Fragen
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Werden Sie sich denn medial für die Fusionsenergie starkmachen?

JP: Energie ist mein Lebensthema gewesen. Die allererste Sendereihe habe ich ja "Energie, die treibende Kraft" genannt. Natürlich werde ich mich starkmachen für alles, das irgendwo mit Vernunft begleitet unser Leben erleichtert. Denn ohne Energie können wir nicht leben, vor allen Dingen nicht die Industrie, und wir wissen: uns geht es in Deutschland gut. Solch eine nach dem heutigen Wissensstand saubere Energie ist mindestens so gut wie die neuen regenerativen Energien. Wenn dadurch diese ganze Klimaproblematik zumindest abgeschwächt wird, dann bin ich dafür.

Wir haben schwer erstritten, übrigens auch mit Hilfe der WPK, der Wissenschaftspressekonferenz, daß Wissenschaft im Fernsehen, aber auch in den Medien präsent ist. Dem Kollegen Norbert Lossau ist es ja gelungen, bei der "Welt" eine ganze naturwissenschaftliche Seite zu bekommen. Die wird mehr gelesen als beispielsweise manche Sportseite. Meiner Meinung nach können wir die Demokratie nur retten, wenn wir Menschen auch über diese komplexen Bereiche nicht populistisch, sondern populär informieren. Man kann jedem alles erklären, wenn er bereit ist, hinzuhören.

SB: Ihr Name steht für eine ganz bestimmte Art der Präsentation von Wissenschaft, man könnte sie "Pützologie" nennen.

JP: (lacht) Wenn Sie das Pützologie nennen, okay. Ich war einer der engagierten Gründer der WPK und denke, wir müssen dafür sorgen, daß Wissen niemals nur Herrschaftswissen werden darf, wenn Demokratie eine Chance haben soll. Das muß so aufbereitet werden, erstens daß die Leute gewisse Einsichten bekommen, zweitens daß sie aber auch wissen, worum es geht, und drittens daß Technik nie unser Leben beherrscht; sie darf es nur erleichtern. Das ist ein bißchen der Hintergrund.

Ich mache auch eine sogenannte Pützmuntershow. [3] Da kann man mich gemeinsam mit einem wirklich hervorragenden Physiker buchen. Wir haben ungefähr 50 bis 100 Experimente drauf und präsentieren ein physikalisch-chemisches Kabarett, mit sehr vielen Anwandlungen auch an politische und gesellschaftskritische Elemente. Das macht mir sehr viel Spaß. Wir waren beispielsweise bei der Einweihung der Nano-Halle beim Deutschen Museum in München, aber auch schon in Stockholm, Luxemburg, also eigentlich überall. Da will ich jungen Leuten zeigen, daß es sich lohnt, sich mit Technik zu beschäftigen und sie nicht einfach abzulehnen, weil man Aversionen gegen Mathematik hat. Dabei will ich auch zeigen, daß man gegen die stärksten Männer oder politisch wichtigsten Leute in einen Wettbewerb treten und gewinnen kann. Weil ich die Technik im Sinne des Wissens nutze.

SB: Herr Pütz, vielen Dank für das Gespräch.


Bunte Hausreihe auf dem zentralen Marktplatz unter strahlend blauem Himmel - Foto: © 2015 by Schattenblick

Greifswald, die nordöstlichste Universitätsstadt Deutschlands, ist Standort des Forschungsreaktors Wendelstein 7-X
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Zum Forschungsreaktor Wendelstein 7-X und der Pressereise nach Greifswald sind bisher, mit dem kategorischen Titel "Kernfusion und Plasmaforschung" versehen, im Pool
NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT erschienen:

BERICHT/001: Kernfusion und Plasmaforschung - Im Spannungsfeld der Vielversprechen ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrbe0001.html

BERICHT/002: Kernfusion und Plasmaforschung - Fortschritts- und Entwicklungsfragen ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrbe0002.html

INTERVIEW/001: Kernfusion und Plasmaforschung - hoffen, forschen, wünschen ... Prof. Dr. Thomas Klinger im Gespräch (1) (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrin0001.html

INTERVIEW/002: Kernfusion und Plasmaforschung - hoffen, forschen, wünschen ... Prof. Dr. Thomas Klinger im Gespräch (2) (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrin0002.html

INTERVIEW/003: Kernfusion und Plasmaforschung - Heiße Luft und ihre Ströme ... Prof. Dr. Klaus-Dieter Weltmann im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrin0003.html

INTERVIEW/004: Kernfusion und Plasmaforschung - alte Gefahren im neuen Gewand ... Prof. Dr. Robert Wolf im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrin0004.html

[2] Die 13teilige Serie "Energie, die unbekannte Kraft" wurden 1970 ausgestrahlt. Von 1974 bis 2004 produzierte Pütz für den WDR 345 Sendungen "Hobbythek", in der er auf unterhaltsame Weise und immer mit einem Augenzwinkern Themen zu Verbraucherfragen, Gartenarbeit, Heimwerker-Tätigkeiten und vielem mehr aufgegriffen und dabei praktische Tips gegeben hat. Darüber hinaus hat Pütz zahlreiche weitere Sendungen moderiert und Bücher geschrieben. Ranga Yogeshwar, der Moderator der bis heute beliebten Wissenschaftssendung "Quarks & Co", ist gewissermaßen bei Jean Pütz in die Lehre gegangen. Anfangs haben sie gemeinsam die "Wissenschaftsshow" moderiert.

[3] http://www.jean-puetz.net/

31. August 2015


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