Schattenblick → INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT


INTERVIEW/037: Experimentierhalle SHELL - Koordination und Bau experimenteller Meßtechnik ...    Michael Matysek im Gespräch (SB)


Dunkle Materie heißt ja nicht Dunkle Materie, weil sie schwarz angemalt ist, sondern weil man eigentlich keine Ahnung hat, was das ist. Das ist das Dunkle daran. Man weiß nicht, welche Form, welche Energie, welche Größe sie hat, was für ein Zustand das ist. Man hat eigentlich keinen Schimmer davon.
(Michael Matysek, Technischer Leiter von MADMAX am 8. Juli 2019 bei der Eröffnung der Experimentierhalle SHELL)


Porträt - Foto: © 2019 by Schattenblick

Michael Matysek, technischer Leiter von MADMAX
Foto: © 2019 by Schattenblick

Der Ingenieur und Techniker Michael Matysek bezeichnet sich selbst als Dinosaurier "in diesem Laden". Gegenwärtig arbeitet er als technischer Leiter an der Seite der Teilchenphysikerin Prof. Dr. Erika Garutti vom Institut für Experimentalphysik der Universität Hamburg in der Experimentierhalle SHELL am Experiment MADMAX (das Akronym steht für Magnetized Disc and Mirror Axion Experiment). Dort, auf dem Gelände des DESY, des Deutschen Elektronen-Synchrotrons, in Hamburg-Bahrenfeld werden im Rahmen des mit vergleichsweise üppigen Fördergeldern der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgestatteten Exzellenzclusters Quantum Universe der Universität Hamburg zwei neuartige Experimente aufgebaut, MADMAX und BRASS. Mit beiden Experimenten sollen Axionen hervorgelockt werden, jene von der Teilchenphysik postulierten Grundbausteine der Dunklen Materie. Dem gängigen physikalischen Weltbild zufolge macht sie rund 25 Prozent des Universums aus und übertrifft damit die sichtbare Materie - Planeten, Sterne, Gas- und Staubwolken, etc. - um den Faktor 5.

Der Aufbau von MADMAX ist so knifflig, daß zunächst einmal ein kleinerer Prototyp gebaut wird, um daran die verschiedenen Materialien und Verfahren zu erproben. Beim Endprodukt sollen parallel zueinander 80 je einen Meter durchmessende Scheiben aus an ihren Kanten miteinander verklebten Einkristall-Sechsecken aufgestellt werden. Zusätzlich wird jede dieser Scheiben mit eigenen Motoren versehen, die sie mit einer Genauigkeit von 10 Mikrometern bewegen sollen.

Die Experimentierhalle SHELL, die auch als Bunker bezeichnet wird, weil dort ursprünglich ein Zyklotron untergebracht war, der mit dicken Betonwänden nach außen abgeschirmt werden mußte, wurde am 8. Juli 2019 feierlich eröffnet. Bei dieser Gelegenheit hat der technische Leiter von MADMAX dem Schattenblick einige Fragen zu den technischen Herausforderungen beantwortet, die noch zu bewältigen sind, bevor überhaupt das physikalische Experiment starten kann.

Schattenblick (SB): Die Experimentierhalle SHELL ist so gebaut, daß die Experimente gegenüber der elektromagnetischen Strahlung, die von außen kommt, abgeschirmt werden. Produzieren Sie selbst über Computer und andere Aggregate nicht auch elektromagnetische Strahlung, die abgeschirmt werden muß?

Michael Matysek (MM): Die Meßsignale, nach denen wir suchen, sind sehr klein. Wir haben hier elektronische Geräte zur Steuerung, und die dürften schon ein Problem werden. Insofern werden wir wohl noch zusätzliche Abschirmungen brauchen. Die theoretisch vorhergesagten Axione machen sehr niederenergetische Signale. Wir sprechen hier von Mikroampere. Damit wir das überhaupt messen können, müssen wir einen riesigen Aufwand betreiben. Man muß allerdings dazu sagen, daß wir heute erst die Einweihung feiern. Vor uns liegt noch soviel unbekanntes Terrain, daß wir hier und da sicherlich verzweifeln werden. Das ist jedoch spannend. Wir sind hier mit der Forschung ziemlich vorne an. Ich meine, es reden viele Leute über Dunkle Materie - und wir weisen sie nach. Die Chancen dafür stehen relativ gut.

SB: Abgesehen von der Abschirmung gegen Außeneinflüsse - welche anderen Probleme haben Sie zu bewältigen?

MM: Es gibt noch keine Technologien, die beweisen, daß man Dunkle Materie nachweisen kann. Die Herausforderungen kommen natürlich zunächst einmal von der Physik. Sie sagt uns, daß wir unsere Platten aus Lanthanaluminat mit einer Genauigkeit im Mikrometerbereich positionieren müssen. Das leisten unsere Piezomotoren zwar, aber das müssen sie auch dann schaffen, wenn wir sie ins Vakuum packen und die Scheiben bei vier Kelvin, also nahe dem absoluten Gefrierpunkt bewegen wollen. Das ist schon eine besondere Herausforderung. Denn Materialien dehnen sich aus oder ziehen sich zusammen, je nachdem ob es kalt oder warm wird. Wenn wir etwas hier an der Atmosphäre in dem warmen Raum mit seinen rund 21 Grad Celsius einjustieren, dann bedeutet das nicht, daß es bei vier Kelvin noch genauso einjustiert ist. Wir brauchen hier spezielle Materialien, nicht nur das Lanthanaluminat für die Messungen der Physik, sondern wir brauchen auch besondere Materialien, einfach nur um das Gestell zu bauen.


Matysek hält eine geklebte Lanthanaluminatplatte vor das röhrenartige Gestell, in dem eine Glasplatte an Schienen befestigt ist - Foto: © 2019 by Schattenblick

Michael Matysek und Prof. Dr. Erika Garutti stellen den MADMAX-Prototyp vor
Foto: © 2019 by Schattenblick

SB: Müssen jene Plättchen aus Lanthanaluminat aufwendig verklebt werden, weil es sich um Einkristalle handelt, die nicht größer hergestellt werden können?

MM: Richtig, diese Sechsecke aus Lanthanaluminat müssen miteinander verklebt werden, was wir computertechnisch organisieren wollen. Noch haben wir an den Ecken immer eine Menge Kleber zuviel. Außerdem ist er zwischen den Platten nicht hundertprozentig gleichmäßig verlaufen. Das mußten wir erst alles lernen - die Kleberei ist nicht so einfach. Wir müssen natürlich mit Blick darauf, daß wir nachher bei Tiefsttemperaturen arbeiten, einen Kleber haben, der das auch kann. Zur Zeit verwenden wir eine Sorte, die Aluminiumoxid als Füllmaterial enthält. Angefangen sind wir mit Glas, das wir verklebt haben.

SB: Sie erwähnten spezielle "Piezomotoren". Wo befinden sich diese?

MM: Die Motoren sind sehr klein. Wie Sie sehen, läuft die Führungsstange durch den winzigen Motor hindurch. Zur Zeit wird die Glasplatte bewegt, später ersetzen wir sie durch Lanthanaluminatplatten. Eine Platte wird immer mit drei Motoren justiert. Diese Piezomotoren arbeiten auf einen Nanometer genau. Wir wollen ja nur in den Mikrometerbereich hinein, insofern ist das für uns eine gute Ausgangslage.

Für die Justierung der Platte baue ich mir ein Lasersystem auf. Dazu verwende ich zunächst einmal einen Industrielaser, der das radial abfahren und ausmessen kann. Später brauchen wir ein Meßgerät, das bei vier Kelvin funktioniert, denn ein Industrielaser schafft das nicht. Dann nehmen wir ein sogenanntes Interferometer. Das heißt, hier wird noch gar keine Physik betrieben, sondern erstmal die Technologie gelernt. Wenn das alles funktioniert, ist das hier die Mutter zum Bau des eigentlichen Experiments.

Der Aufwand ist ziemlich groß, bis wir da hinkommen, wo wir hinwollen. Da ist sehr viel Neuland, weil, wie gesagt, wir immer im Blick haben müssen: Vakuum, Kälte und später, wenn wir mit den Platten von 0,30 auf 1,20 Meter Durchmesser gehen, kommt noch das starke Magnetfeld von zehn Tesla hinzu. Da dürfen wir natürlich nur antimagnetische Materialien einsetzen. Aber das ist das geringste Problem - das Hauptproblem ist die Kälte.

SB: Was Sie hier beschreiben, macht deutlich, welche großen technischen Voraussetzungen zu erfüllen sind, um das Experiment vorzubereiten. Werden Sie als technischer Leiter nachher in den wissenschaftlichen Publikationen, die von MADMAX-Forschungen sicherlich abfallen werden, erwähnt?

MM: Ich kann das alles nicht allein machen, wir haben natürlich einen technischen Stab um uns herum. Und der besteht aus Technikern selber und Studenten, die hier ihre Bachelor- oder Masterarbeit machen. Von ihnen werden dann Teilprojekte übernommen. Zum Beispiel haben wir jemanden, der kümmert sich nur um die Motoren. Der schaut nach, wie die Motoren reagieren, beispielsweise im Anfahren. Es wird aber schon darauf geguckt, daß es immer noch eine physikalische Arbeit und keine technische Arbeit ist.

Aber das sind so Teilbereiche, die dann immer abfallen. Oder es wird die Qualität der Materialien gemessen. Auch unser Lanthanaluminat müssen wir testen. Das hat in verschiedenen Dicken verschiedene Eigenschaften, das heißt, die kristalline Ausrichtung ist etwas unterschiedlich. Dann müssen wir auch den Kleber testen, weil der ja mit eingefroren wird. Eigentlich ist Materialanalyse nicht unser Kerngebiet, aber sie gehört zu diesem Experiment dazu und wird auch mit eingebunden. Daran sitzt im Moment ebenfalls eine Bachelor- oder Master-Arbeit. Das reine Engineering werden wir natürlich selber machen, das können diese jungen Menschen noch nicht. Aber die erhalten einen tollen Einblick in diese Ebene der Forschung, und hoffentlich motivieren wir sie auch, daß sie später an dieser Stelle weitermachen. Auch das ist ein bißchen das Ziel. Und das Ganze natürlich nebenbei, neben dem, daß wir das Axion finden.


Zwei miteinander verbundene Räume in einer langen Halle - Foto: © 2019 by Schattenblick

Der "Bunker" im Bunker - im vorderen Raum ist MADMAX untergebracht
Foto: © 2019 by Schattenblick

SB: Wann sind Sie zu dieser Forschung dazugestoßen?

MM: Ich bin hier ein Dinosaurier. Ich bin seit 1974 in diesem "Laden". Der Bunker ist sozusagen mein Zuhause. Hier stand früher ein Zyklotron, das ist ein kernphysikalischer Beschleuniger. Der hat 20 Jahre seinen Dienst getan. Der Bunker ist eigens deswegen gebaut worden, zur radioaktiven Abschirmung. Nachdem das durch war, lag das Gebäude erstmal brach. Irgendwann stellte jemand fest, daß zwei Meter dicke Betonwände hochfrequenztechnisch gesehen schon riesige Abschirmungen sind. Dann haben wir hier noch gemauerte Räume mit jeweils zwei Doppellagen Gewebe hineingebaut. Und diese Tür ist keine Schlachthaustür, sondern tatsächlich eine spezielle Tür, um die Abschirmung zu sichern.

Jedes Loch und jede Durchführung von diesem Raum nach außen ist ein Problem. Wir haben alles, was hier als Strom gebraucht wird, über sogenannte Hochfrequenzfilter reingeführt. Eigentlich haben wir keinen Durchgang zu der Außenhaut. Alles, was hier reingeht, ist gefiltert. Selbst das Licht unter der Decke ist eine Gleichspannungsquelle, es gibt dazu also keinen Frequenzgenerator. Alle Quellen, die man normalerweise heute hat, enthalten diese kleinen Netzgeräte. Das sind Schaltnetzteile, die in einem Frequenzbereich zwischen 100 und 400 Kilohertz arbeiten. Das stört uns. Deshalb wird es so etwas hier im Raum nicht geben. Noch messen wir diese Sachen nicht, deshalb können wir uns das zur Zeit leisten, hier einen Computer stehen zu haben. Aber auch Handys wird später niemand mit hineinnehmen dürfen, denn die funken von sich aus.

SB: Wir sehen hier auf dem Gelände viel Baustellenverkehr. Haben die Erschütterungen Einfluß auf das Experiment?

MM: Erschütterungen sind für uns nicht so glücklich, sage ich mal. Der Baustellenverkehr ist natürlich da, den können wir auch nicht abstellen. Hier baut die Max-Planck-Gesellschaft ein neues Institut, das ist nun mal so. Allerdings sind wir im Moment noch in einer Phase, wo uns das nicht stört. Aber wenn Sie den optischen Tisch aufmerksam betrachtet haben, werden Sie festgestellt haben, daß er eine Luftfederung hat. Erschütterungen fängt der Tisch selber ab. Der ist extra für solche Zwecke gebaut. Ich fremdnutze ihn eigentlich, denn er war für optische Geräte gedacht. Auch wegen der Erschütterungen habe ich diesen Tisch als Fundament für das, was ich aufbaue, genommen.

SB: Herr Matysek, vielen Dank, daß Sie sich die Zeit für uns genommen haben.


Tisch mit Stoßdämpfern, darauf der MADMAX-Prototyp, dahinter Garutti und Matysek - Foto: © 2019 by Schattenblick

"Fremdgenutzter", erschütterungsarmer Experimentiertisch für MADMAX
Foto: © 2019 by Schattenblick

Bisher sind zur Einweihung der Experimentierhalle SHELL auf dem Campus Bahrenfeld in Hamburg am 8. Juli 2019 im Schattenblick unter
INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT erschienen:

BERICHT/011: Experimentierhalle SHELL - Axione und Begründungen ... (SB)

INTERVIEW/035: Experimentierhalle SHELL - am kleinsten Teil hängt der Rest ...    Prof. Dr. Erika Garutti und Prof. Dr. Peter Schleper im Gespräch (SB)
INTERVIEW/036: Experimentierhalle SHELL - zur Jagd auf die Axionen ...    Prof. Dr. Dieter Horns im Gespräch, Teil 1 (SB)
INTERVIEW/037: Experimentierhalle SHELL - Koordination und Bau experimenteller Meßtechnik ...    Michael Matysek im Gespräch (SB)


16. Juli 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang