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POLITIK/508: Anspruch und Wirklichkeit der Politik für Menschen mit Behinderungen (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 4/2010

Visionen und Paradigmenwechsel
Anspruch und Wirklichkeit der Politik für Menschen mit Behinderungen

Von Dr. Martin Danner


Verfolgt man das politische Geschehen in Berlin, dann erhält man schnell einen Eindruck davon, dass offenbar die unterschiedlichen Politikbereiche nach spezifischen Mustern verlaufen und spezifische Charakteristika aufweisen. Die Finanzpolitik ist kleinteilig und spröde, bei der Gesundheitspolitik toben sich machtvolle Interessengruppen aus und prägen so die Gesetzgebungsverfahren.


Geht es um die Politik für Menschen mit Behinderungen, dann fällt auffallend häufig das Wort vom "Paradigmenwechsel", nicht selten werden Visionen der künftigen Rolle von Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft gezeichnet. Die Verabschiedung des SGB IX war beispielsweise ein solches Gesetz, dem die Eigenschaft des "großen Wertes" zugeschrieben wurde. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wurde als Meilenstein der Behindertenpolitik diskutiert.

Fragt man hingegen die Beraterinnen und Berater in den Selbsthilfeorganisationen behinderter Menschen, ob die genannten Gesetze tatsächlich die rechtliche und reale Situation der Menschen draußen im Land tiefgreifend verbessert haben, dann fällt die Beurteilung des Ganzen deutlich zurückhaltender aus. Aktuell ist wieder ein neuer Meilenstein der Behindertenpolitik in der Diskussion: Die UN-Behindertenrechtskonvention.

Erneut macht das Wort vom Paradigmenwechsel die Runde. Zahllose Veranstaltungen, Positionspapiere, Artikel in Zeitschriften und Foren beschäftigen sich mit der Konvention. Dies völlig zurecht, da die Konvention wegweisende Aussagen zur inklusiven Bildung, zur Barrierefreiheit und zu zahlreichen weiteren Themenfeldern trifft, die für Menschen mit Behinderungen von elementarer Bedeutung sind.

Allerdings ist eine wichtige Einschränkung zu machen: Die UN-Konvention ist als völkerrechtlicher Vertrag nur sehr eingeschränkt in der Lage, die Rechtsstellung des einzelnen behinderten Menschen tatsächlich zu verbessern. Es sind vielmehr nationale Gesetze erforderlich, um für den Einzelnen etwas zu bewirken.

Die Bundesregierung hat angekündigt, im März 2011 einen "Nationalen Aktionsplan" zu verabschieden, in dem festgelegt werden soll, um welche Gesetze es sich handelt. Da haben wir ihn wieder - einen Begriff, der typisch ist für die Politik für Menschen mit Behinderungen: Der "Nationale Aktionsplan" ist in aller Munde. Nicht etwa ein konkretes Maßnahmengesetz oder strikte Regeln, Gebote und Verbote, sondern ein Plan mit zehnjähriger Laufzeit ist im Visier.

Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE kann dies allein nicht ausreichen. Wir benötigen jetzt konkrete gesetzliche Verbesserungen und wir benötigen jetzt eine starke Interessenvertretung im politischen Bereich. Insofern kann die Behindertenpolitik sicherlich einen Schuss Finanzpolitik oder die Energie der Gesundheitspolitik vertragen. Andernfalls wird auch diesmal der Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Politik für Menschen mit Behinderungen nicht überwunden werden.

DER AUTOR
Dr. Martin Danner ist Bundesgeschäftsführer der BAG SELBSTHILFE.


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Quelle:
Selbsthilfe 4/2010, S. 10-11
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
Herausgeber: BAG Selbsthilfe
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2011