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POLITIK/517: Verzögerungstaktik? Behindertenpolitik im Reformstau (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 4/2011

KLARTEXT VON DR. MARTIN DANNER

Verzögerungstaktik?
Behindertenpolitik im Reformstau


Nachdem die Konferenz der Arbeits- und Sozialminister von Bund und Ländern über Jahre an der Reform der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen gearbeitet hatte, erteilte sie im vergangenen Jahr dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales den Auftrag, einen Gesetzentwurf auszuarbeiten. Auch wenn ein Gesetz nicht die Köpfe der Menschen verändert, so ermöglicht es doch veränderte Rahmenbedingungen, durch die sich Verständnis für Menschen mit Behinderungen entwickeln kann. Monat um Monat sind seit dem Arbeitsauftrag der Konferenz verstrichen. Ein Gesetzentwurf lässt nach wie vor auf sich warten.



In der Warteschleife

Auch eine Reform des SGB IX ist angesichts der nicht zu leugnenden Umsetzungsdefizite dieses Gesetzes seit langem in der Diskussion. Immerhin hat die Bundesregierung eine Überprüfung des Weiterentwicklungsbedarfs dieses Gesetzes als Maßnahme zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland in ihren Nationalen Aktionsplan aufgenommen. Allerdings belegt der Zeitplan dieses Aktionsplanes, dass auch diese Reformdiskussion eher gemächlich angegangen werden soll.


Auf der Ersatzbank

Ebenfalls einen langen Atem braucht, wer sich durch die Weiterentwicklung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs eine Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderungen erhofft. Hier wurde zwar längst ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff erarbeitet. Die damit verbundene Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten wirft aber bislang ungelöste Finanzierungsfragen auf.
Der jüngste Vorschlag der CSU, die Reform der Pflegeversicherung, die Problematik der Versorgung und Förderung von Demenzerkrankten und Reform der Eingliederungshilfe mit einem Leistungsgesetz zu erledigen, klingt zwar verheißungsvoll. Ein derart komplexes Vorhaben verschiebt konkretes gesetzgebendes Vorgehen tendenziell jedoch eher in die ferne Zukunft.


Verzögerungen müssen ein Ende haben

Scheinbar hat die Politik sich darauf eingerichtet, jede konkrete Reformbestrebung damit abzublocken, dass auf andere ungelöste Reformvorhaben verwiesen wird, die noch nicht abgeschlossen seien, die aber mit dem vorliegenden Reformprojekt eng verknüpft seien. Auch bei den Vertreterinnen und Vertretern der Verbände von Menschen mit Behinderungen ist man sich zuweilen uneins, ob es nun darauf ankomme, den Prozess der Reform der Eingliederungshilfe voranzutreiben, das SGB IX zu reformieren oder ein grundlegendes Leistungsgesetz zu fordern.


Wie aber lässt sich der bestehende Reformstau lösen?

Bekanntlich ist der erste Schritt das Wichtigste auf dem Weg zum Ziel. Daher ist es sehr zu begrüßen, dass das Forum behinderter Juristinnen und Juristen in Kooperation mit einigen Mitgliedsverbänden der BAG SELBSTHILFE damit begonnen hat, selbst ein Gesetz zur sozialen Teilhabe (GST) zu schreiben und diesen Entwurf gemeinsam mit den Verbänden behinderter Menschen weiterzuentwickeln.

Die aktuelle Fassung des Entwurfs ist im Internet zu finden unter
http://www.isl-ev.de/de/aktuelles/projekte/654-teilhabesicherungsgesetz-jetzt.html.

Gleich wie man zu den Inhalten des Entwurfs in seiner aktuellen Fassung steht. Schon allein die Konfrontation der Politik damit, nicht allein das Heft des Handelns in der Hand zu haben, ist ein wichtiges Signal: Der Reformstau in der Behindertenpolitik ist zu beenden und konkrete Beratungen zur Veränderung der Gesetzeslage sind nun erforderlich.


DER AUTOR
Dr. Martin Danner ist Bundesgeschäftsführer der BAG SELBSTHILFE.


*


Quelle:
Selbsthilfe 4/2011, S. 11
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2012