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BUNDESTAG/3421: Heute im Bundestag Nr. 426 - 27.09.2012


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 426
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 27. September 2012 Redaktionsschluss: 17:00 Uhr

1. Merkel: "Weil ich damals noch nicht so perfekt war wie heute"
2. Verfassungsschützer kritisiert unzureichenden Informationsaustauch der Behörden



1. Merkel: "Weil ich damals noch nicht so perfekt war wie heute"

1. Untersuchungsausschuss (Gorleben)

Berlin: (hib/JR) Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich am Donnerstagnachmittag vor dem Gorleben-Untersuchungsausschuss Vorwürfen entgegen gestellt, die Bundesregierung sei bei der Erkundung des Standorts Gorleben in den neunziger Jahren nicht nach Recht und Gesetz vorgegangen. "Alle Mutmaßungen, Verdächtigungen und Unterstellungen weise ich zurück", sagte sie. Merkel agierte zwischen 1994 und 1998 als Bundesumweltministerin. In ihrer Amtszeit kam es zu Änderungen am Erkundungskonzept für den Gorlebener Salzstock.

"Der Gedanke einer Billig-Lösung stand für mich nie im Raum", sagte Merkel. "Ich wollte Fortschritte bei der Erkundung." Für diese standen aber nicht alle Salzrechte zur Verfügung. Daher entschied man sich, vorerst eine Nordostpassage in Gorleben zu erkunden. Es sei immer klar erkennbar gewesen, sagte Merkel, dass eine Erkundung bei Vorhandensein aller Salzrechte optimal wäre. Die Entscheidung für eine eingeschränkte Erkundung beschrieb die Kanzlerin als "einen langen, wohl durchdachten Prozess, bei dem die Interessen der Energieversorgungsunternehmen eine untergeordnete Rolle gespielt haben".

Der Erste Untersuchungsausschuss geht der Frage nach, ob es bei der Entscheidung der Bundesregierung, sich im Jahr 1983 bei der Suche nach einem Endlager für Atommüll auf den Standort Gorleben zu beschränken, zu politischen Einflussnahmen oder Manipulationen gekommen ist.

Merkel sagte, die Energieversorgungsunternehmen hätten damals für ein Erkundungsmoratorium plädiert. Dies sei von ihr als "Verschiebebahnhof" klassifiziert worden. "Wir waren der Meinung, dass eine zügige Erkundung notwendig ist." Die Behörden seien damals zur Überzeugung gelangt, die Sicherheit könne auch bei einer Nordost-Erkundung gewährleistet werden. Als einen Grund für die eingeschränkte Erkundung führte Merkel erheblich reduzierte Abfallmengen an. Dabei sei darauf hingewiesen worden, dass sich bei einer schrumpfenden Erkundung die Risiken erhöhen würden. "Die Aussicht auf Eignungshöffigkeit schrumpft mit der Fläche." Dennoch sei man sich einig gewesen, eine Erkundung sei sinnvoll.

Ferner erörterten die Abgeordneten eine Pressekonferenz und Interviews der damaligen Bundesumweltministerin, mit denen sie im Jahr 1995 eine Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) vorgestellt hatte. Darin waren Ersatzstandorte untersucht worden - für den Fall, dass sich Gorleben als nicht geeignet herausstellen sollte. Dennoch hatte Merkel damals zum Beispiel in einem Radiointerview gesagt: "Ergebnis des Gutachtens ist, es gibt keinen besseren Standort als Gorleben". Gorleben indes war in dieser Studie gar nicht berücksichtigt worden. Heute nun sagte Merkel, sie habe lediglich darauf hingewiesen, dass Gorleben "nicht als ungeeignet dastand".

Auf die Frage von Abgeordneten, warum sie damals die Ergebnisse der Studie nicht so differenziert dargestellt habe wie heute, sagte Merkel: "Weil ich damals noch nicht so perfekt war wie heute." Auf die Frage, ob sie keinen Widerspruch zwischen einer schriftlichen Pressemitteilung aus dem Bundesumweltministerium und ihrem Radiointerview sehe, antwortete die Kanzlerin: "Von der Intention her: nein." Ihre damalige Aussage, Gorleben bleibe erste Wahl, sei eine Schlussfolgerung des Gesamtbefundes gewesen: "Hier die Erkundung von Gorleben und dort lediglich Literatur-Studien."

Die BGR-Studie aus den neunziger Jahren erklärte Merkel für sinnvoll - auch für die Zukunft: "Die Nicht-Eignung von Gorleben würde der der Zeitpunkt sein, an dem man auf die BGR-Studie zurückgreift."

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2. Verfassungsschützer kritisiert unzureichenden Informationsaustauch der Behörden

2. Untersuchungsausschuss (Rechtsterrorismus)

Berlin: (hib/KOS) "Die Täter hätten wohl entdeckt werden können, wenn es zwischen den Behörden über Zuständigkeitsgrenzen hinweg einen besseren Informationsaustausch gegeben hätte": Diese selbstkritische Bilanz zog am Donnerstag Hartwig Möller vor dem Untersuchungsausschuss, der Pannen und Fehlgriffe bei den Ermittlungen zu der dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angelasteten Mordserie an neun türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern sowie einer Polizistin durchleuchten soll. Angesichts von "Fehleinschätzungen" sei man bei der Aufklärungsarbeit "falsche Wege gegangen", so der ehemalige Leiter der Abteilung Verfassungsschutz im Düsseldorfer Innenministerium. Im Blick auf die Erschießung eines türkischen Kioskbesitzers in Dortmund 2006, auf das Attentat in einem Kölner Lebensmittelgeschäft mit einer verletzten Iranerin 2001 und besonders auf den Nagelbombenanschlag mit über 20 Verletzten in einem von vielen Türken bewohnten Kölner Viertel 2004 sagte der Zeuge, im Rückblick habe man die Überprüfung eines rechtsterroristischen Hintergrunds offenbar zu früh beendet "und nach anderen Erklärungen gesucht". Allerdings hätten damals keine Hinweise auf einen fremdenfeindlichen Hintergrund der drei Attentate existiert, auch die "Quellen" des Geheimdiensts hätten solche Informationen nicht geliefert.

Auf kritische Nachfragen mehrerer Abgeordneter räumte Möller ein, u.a. von einer nach dem Attentat von 2004 erstellten Analyse des Bundesamts für Verfassungsschutz keine Kenntnis erlangt zu haben, wonach in Jena drei Bombenbauer aus dem rechtsextremen Milieu untergetaucht seien. Die Namen der NSU-Mitglieder habe er erstmals nach dem Auffliegen des Trios Ende 2011 gesehen. Vielleicht hätte er sich seinerzeit anders verhalten, meinte der Zeuge, wenn er generell mehr erfahren hätte über das Wissen ostdeutscher Behörden zum rechtsextremen Spektrum. Möller kannte nach seinem Bekunden auch ein Flugblatt mit der Parole "Deutsche wehrt euch" nicht, das 2004 in öffentlichen Verkehrsmitteln nach dem Anschlag gefunden worden war. Ohne weitere Hinweise reiche das Auftauchen eines solchen Flugblatts für weitergehende Ermittlungen aber nicht aus, so der Zeuge. Er verteidigte die für das Kölner Attentat weitgehend zuständige Polizei, die trotz Prüfung der in diverse Richtungen führenden Hinweise aufgrund der seinerzeitigen Kenntnisse von einem kriminellen Motiv hinter dem Anschlag ausgegangen sei.

Der FDP-Abgeordnete Serkan Tören vermutete, dass die unmittelbar nach dem Nagelbombenattentat von Innenminister Otto Schily geäußerte Einschätzung, das habe nichts mit Rechtsextremismus zu tun, offenbar die Ermittlungen beeinflusst habe. Dieser These widersprach Möller energisch. Mehrfach hinterfragten Parlamentarier den Nutzen von V-Leuten, die etwa zur Aufklärung des Kölner Falles von 2004 nichts beigetragen hätten. Linken-Obfrau Petra Pau forderte, auch die V-Mann-Führer besser zu kontrollieren. Möller sagte, bei V-Leuten handele sich oft um "schillernde Figuren", über diese "Quellen" erhalte man jedoch "viele wichtige Informationen".

Unions-Sprecher Clemens Binninger betonte, geheimdienstliche und polizeiliche Fallanalysen hätten nach dem Anschlag von 2004 eigentlich Ermittlungen Richtung Rechtsterrorismus nahegelegt, doch seien diese Expertisen bei der Polizei entweder nicht angekommen oder dort falsch bewertet worden. SPD-Obfrau Eva Högl erklärte, zur Verbesserung der Kooperation zwischen den Sicherheitsinstanzen bedürfe es nicht nur neuer Vorschriften, sondern eines "Mentalitätswechsels" in den Behörden. Aus Sicht des Grünen-Abgeordneten Wolfgang Wieland leistete man sich eine "strukturelle Blindheit", Polizei und Verfassungsschutz hätten "vor lauter Bäumen den Wald nicht gesehen".

Nach der Vernehmung Möllers setzte sich der Ausschuss mit der "Waffenspur" auseinander, bei der die Polizei bis auf wenige Exemplare den Weg aller Ceska-83-Spezialpistolen, unter denen sich die bei neun der zehn Morde eingesetzte Tatwaffe befand, recherchiert hat. Binninger monierte, es habe schon 2004 eine "heiße Spur" zu einem Schweizer Waffenhändler gegeben, der letztlich auch die Tatwaffe an einen Schweizer verkauft hat, von dem sie dann zum NSU gelangt ist. Aber erst nach der Entdeckung des NSU sei alles ermittelt worden. Der CDU-Politiker bemängelte, dass man sich lange Zeit mit der unglaubwürdigen Auskunft des betreffenden Schweizer Käufers zufrieden gegeben habe, die später als Tatwaffe identifizierte Pistole nicht erworben zu haben. Wie Binninger kritisierte Högl, dass das Bundeskriminalamt (BKA) in der Schweiz vorrangig nach türkischen Käufern einer bestimmten Munition und einer Ceska 83 gefahndet hat. Dazu entgegnete Werner Jung von der BKA-Ermittlungsgruppe "Ceska" als erster von drei zur "Waffenspur" geladenen Zeugen, dies habe dem damaligen Erkenntnisstand entsprochen.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 426 - 27. September 2012 - 17:00 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. September 2012