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BUNDESTAG/5115: Heute im Bundestag Nr. 316 - 17.06.2015


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 316
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mittwoch, 17. Juni 2015, Redaktionsschluss: 14.00 Uhr

1. Jessel für nationales Genpflanzen-Verbot
2. Britische AKW-Förderung strittig


1. Jessel für nationales Genpflanzen-Verbot

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit

Berlin: (hib/JOH) Die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN), Professor Beate Jessel, hat sich am Mittwoch im Umweltausschuss für ein bundesweites Anbauverbot von gentechnisch veränderten Pflanzen (GVO) ausgesprochen. Die im April in Kraft getretene EU-Richtlinie, die es den Mitgliedstaaten ermögliche, den Anbau von GVO in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen ("Opt-out-Mechanismus"), wertete sie als geeignete Rechtsgrundlage, um in ganz Deutschland eine gentechnikfreie Natur und Landwirtschaft sicherzustellen.

Ziel müsse "ein einheitliches Schutzniveau" in Deutschland sein, forderte Jessel, da sich Pollen von GVO-Pflanzen auch über Ländergrenzen hinweg verbreiten und diese sich dort dauerhaft ansiedeln könnten. Individuelle Regelungen in den 16 Bundesländern würden den Regelungs- und Kontrollaufwand auch deutlich erhöhen. Vor allem aber sei eine "bundesweit einheitliche und konsistente Begründung" für ein GVO-Anbauverbot wichtig. "Einzelne Länderbegründungen könnten in der Praxis vor Gericht sehr leicht gegeneinander ausgespielt werden", warnte die BfN-Präsidentin und spielte damit auf einen möglichen Klageweg antragstellender Unternehmen an.

Zur Rechtfertigung derartiger Opt-Out-Maßnahmen müssten die Mitgliedstaaten "zwingende Gründe" anführen, betonte Jessel. In Deutschland kämen dafür insbesondere umweltpolitische Ziele in Betracht, wie der Schutz der Biodiversität und die Pestizidreduktion. Außerdem eigneten sich als Verbotsgründe sozioökonomische Auswirkungen, etwa auf die kleinbäuerliche Landwirtschaft, und agrarpolitische Ziele, zum Beispiel die Förderung des ökologischen Landbaus. Die Mitgliedstaaten der EU hätten das Recht, Anbauverbote auf eine eigenständige Risikomanagemententscheidung zu stützen, erklärte die BfN-Präsidentin. Es müsse eine politische Entscheidung darüber getroffen werden, "welches Schutzniveau gewollt ist und welche Risiken in Kauf genommen werden sollen".

Jessel verwies darauf, dass die Auswirkungen des Anbaus von gentechnisch verändertem Pflanzen heute noch nicht sicher prognostiziert werden könnten, diese aber möglicherweise unumkehrbar seien. "Wir haben noch erhebliche Wissensdefizite", räumte sie ein. So sei es wahrscheinlich, dass GVO-Pflanzen, die selbst Insektizide produzierten ("Bt-Pflanzen"), zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Mengen an toxischen Stoffen produzieren. "Es besteht eine große Unsicherheit darüber, in welchen Konzentrationen diese Bt-Toxine in die Umwelt gelangen." Außerdem könnten GVO-Pollen verwandte Wildpflanzen oder Pflanzen in ökologischen Anbaukulturen bestäuben. Eine weitere Gefahr sei die Kontamination von Saatgut.

Die Abgeordneten beschäftigte unter anderem die Frage, ob die EU-Richtlinie zum Opt-Out, eventuell dem Unionsrecht zuwiderläuft. Dazu erklärte Jessel: "Nationale Anbauverbote stehen weder dem Unionsrecht noch völkerrechtlichen Bestimmungen entgegen." Die Richtlinie gebe den Mitgliedstaaten im Bereich der GVO-Zulassung ausdrücklich Gestaltungsfreiheit zurück. Nationale Rechtsakte zu ihrer Umsetzung müssten daher nicht mehr gesondert auf die Vereinbarkeit mit dem EU-Primärrecht, insbesondere mit der Warenverkehrsfreiheit, hin geprüft werden.

Nach Aussage der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD), will die Bundesregierung sich für eine bundesweite, einheitliche Lösung einsetzen. Die Ressortabstimmungen über einen entsprechenden Gesetzentwurf von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hätten gerade begonnen.

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2. Britische AKW-Förderung strittig

Ausschuss für Wirtschaft und Energie (Anhörung)

Berlin: (hib/pst) Während Deutschland aus der Kernenergie aussteigt, sehen andere EU-Staaten darin ein wichtiges Element im Kampf gegen den Klimawandel. Die britische Regierung hat deshalb umfangreiche Subventionen für den Bau eines neuen Kernkraftwerks am Standort Hinkley Point beschlossen und dafür die Genehmigung der EU-Kommission erhalten. In Anträgen fordern die Fraktionen Die Linke (18/4215) und Bündnis 90/Die Grünen (18/4316) nun die Bundesregierung auf, gegen diese Genehmigung vorzugehen und sich angekündigten Klagen Österreichs und Luxemburgs vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) anzuschließen. Dazu nahmen nun in einer öffentlichen Anhörung vor dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie sieben Sachverständige Stellung und kamen zu recht unterschiedlichen Ergebnissen.

Mark Higson, dessen Beratungsfirma für Energiefragen unter anderem für die britische Regierung tätig ist, erläuterte deren Ansatz zur Minimierung der Kohlendioxid-Emissionen. Neben dem Ausbau erneuerbarer Energien spiele dabei die Kernkraft eine wesentliche Rolle, um die fossile Stromerzeugung weitgehend zu ersetzen. Denn erneuerbare Energien allein können nach Ansicht der Regierung in London die Versorgungssicherheit nicht garantieren. Da hohen Anfangsinvestitionen für den politisch gewollten Bau des neuen Kernkraftwerks von den Marktteilnehmern nicht ohne langfristige politische Garantien für die Wirtschaftlichkeit erbracht würden, müsse die Regierung hier intervenieren. Dies habe die EU-Kommission bestätigt und die Beihilfen genehmigt.

Thomas Müller von der Stiftung Umweltenergierecht zeigte sich skeptisch, ob eine Klage dagegen Erfolg haben könnte. Denn die EU-Kommission habe bei derartigen Entscheidungen einen breiten Ermessensspielraum, der nur begrenzt vom EuGH kontrolliert werden könne. Kritisch bewertete Müller, dass ein garantierter Abnahmepreis für den erzeugten Strom über einen Zeitraum von 35 Jahren als Investitionsbeihilfe gewertet werde. Gegen den ungewissen Erfolg vor Gericht müsse man aber die politischen Folgen abwägen, gab Müller zu bedenken und wies darauf hin, dass auch die deutschen Subventionen für den Ausbau der Erneuerbaren Energien von der EU-Kommission genehmigt worden seien.

Auch Christoph Moench, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, wies auf den Ermessensspielraum hin. Nach den europäischen Verträgen sei es allein Sache der Mitgliedsstaaten, wie sie ihren Energiemix gestalten. Darüberhinaus sei im nach wie vor gültigen Vertrag der Europäischen Atomgemeinschaft von 1957 die Förderung der Atomenergie sogar ausdrücklich festgeschrieben. Während Müller bezweifelt hatte, ob die fehlende Bereitschaft der Privatwirtschaft, auf eigenes Risiko ein Kernkraftwerk zu bauen, als Marktversagen zu werten sei, sagte Moench: "Marktversagen heißt, dass etwas am Markt nicht eingekauft werden kann." Wegen der politischen Unsicherheit der Kernkraft sei dies der Fall. Kein Unternehmen sei in der Lage, eine solche Investition ohne staatliche Garantien durchzuführen.

Dagegen argumentierte die Berliner Rechtsanwältin Cornelia Ziehm, man könne schwerlich von Marktversagen sprechen, wenn nach 60 Jahren noch immer kein Kernkraftwerk wirtschaftlich betrieben werden könne. Sie bezweifelte im Übrigen, ob es sich bei der britischen Förderung tatsächlich um eine Investitionsbeihilfe handelt und nicht um eine nach europäischem Recht unzulässige Betriebsbeihilfe. Neben einer Kreditgarantie über 22 Milliarden Euro garantiere die Regierung einen festen Abnahmepreis einschließlich Inflationsausgleich sowie einen Ausgleich für den Fall einer Veränderung politischer Rahmenbedingungen, die zu einer Drosselung oder Einstellung des Betriebs führten. Dies sei ein "Rundum-Sorglos-Paket", bei dem kein Investitionsrisiko bleibe. Ziehm bezweifelte, dass dies mit dem europäischen Beihilferecht sowie dem liberalisierten Strom-Binnenmarkt vereinbar ist, weil die Atomenergie damit nicht so wie jede andere am Binnenmarkt teilnehme.

Dagegen wies Severin Fischer von der Stiftung Wissenschaft und Politik darauf hin, dass seit 2009, seit die Energiekompetenz mit dem Vertrag von Lissabon geregelt sei, kein Mitgliedsland in die Entscheidung eines anderen eingegriffen habe. Franz Jürgen Säcker vom Institut für Energie- und Regulierungsrecht Berlin e.V. ergänzte, Großbritannien und Frankreich hätten auch nicht interveniert, als Deutschland mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien den europäischen Strommarkt beeinflusst habe. Großbritannien nehme eine Stromlücke von 60 Gigawatt durch den Ausstieg aus der fossilen Erzeugung an, wovon gerade einmal 5 Gigawatt durch das neue Kernkraftwerk geschlossen würden. Die Auswirkung auf den Strommarkt auf dem Kontinent sei daher gering und damit die Entscheidung der EU-Kommission nicht zu beanstanden.

Marcel Keiffenheim von der Energiegenossenschaft Greenpeace Energy machte dagegen eine andere Rechnung auf. Demnach würde die Subvention für das neue britische Kernkraftwerk zu einer Minderung des Strompreises in Deutschland um zehn bis 40 Cent pro Kilowattstunde führen, bei einem derzeitigen Preis von rund 30 Euro pro Kilowattstunde. Da die länderübergreifenden Stromtrassen in der EU ausgebaut werden sollen, werde sich der Effekt noch vergrößern. Dazu komme, dass es sich bei der Subvention um einen Präzedenzfall handele. Sechs Länder in der EU überlegten derzeit, nach einem ähnlichen Mechanismus vorzugehen. Das würde tendenziell die deutsche Energiewende gefährden.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 316 - 17. Juni 2015 - 14.00 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2015

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