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BUNDESTAG/6434: Heute im Bundestag Nr. 186 - 23.03.2017


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 186
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 23. März 2017, Redaktionsschluss: 09.11 Uhr

1. Disput um Schutzgesetz für Einsatzkräfte
2. Fahrverbot als Nebenstrafe
3. Experten begrüßen Carsharinggesetz
4. Menschenrechtsbericht im Fokus


1. Disput um Schutzgesetz für Einsatzkräfte

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/PST) Zustimmung aus der Polizei, aber teils heftige Kritik aus Justiz und Rechtswissenschaft hat es in einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses an dem Vorhaben gegeben, Einsatzkräfte strafrechtlich besser vor Übergriffen zu schützen. Dies ist Ziel eines von den Koalitionsfraktionen (18/11161) und wortgleich von der Bundesregierung (18/11547) eingebrachten Gesetzentwurfs zur "Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften". Dieser definiert Attacken auf Polizisten und andere Vollstreckungsbeamte als "Angriff auf einen Repräsentanten der staatlichen Gewalt" und Übergriffe auf Beschäftigte der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder der Rettungsdienste als "Angriff auf die öffentliche Sicherheit".

Dem entsprechend sollen die Strafvorschriften verschärft werden. Während der bisherige Tatbestand des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte nur im Rahmen einer Vollstreckungshandlung, etwa einer Festnahme, greift, soll dieser Bezug künftig wegfallen. Polizisten sollen dann während jeder Diensthandlung unter besonderem Schutz stehen. Gleichermaßen sollen die Strafbestimmungen zum Schutz von Rettungskräften geändert werden. Der Strafrahmen sieht wie bisher Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren vor, aber teilweise höhere Mindeststrafen.

In der Anhörung gingen die Meinungen darüber auseinander, ob der vorliegende Gesetzentwurf der richtige Weg ist, diesen besseren Schutz zu erreichen. Für Sascha Braun von der Gewerkschaft der Polizei ist dies der Fall. Seit Jahren stelle seine Organisation, auch wissenschaftlich belegt, eine Zunahme der Übergriffe auf Polizeikräfte fest. Was jetzt auf dem Tisch liege, habe seine Organisation lange gefordert. Die "Kollegen auf der Straße" nähmen sehr intensiv wahr, dass sich die Politik ihnen jetzt zuwendet. Bisher bestehe der Eindruck, dass Anzeigen von Polizisten "im Flaschenhals der Justiz stecken bleiben". Nun hätten sie die Hoffnung, dass es durch die vorgesehene Mindeststrafe von drei Monaten "künftig zur Verhandlung kommt".

Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, stieß ins selbe Horn. Polizisten fühlten sich gedemütigt, wenn sie Opfer von Gewalt geworden sind und es dann kein oder ein mildes Urteil gibt. Oft verzichteten sie auf eine Anzeige, "weil es sich doch nicht lohnt". Seine Organisation begrüße den Gesetzentwurf, "nicht um mehr und härtere Strafen zu bekommen, sondern weniger Angriffe". Wendt schlug vor, als neues Tatbestandsmerkmal für Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte die "Drohung mit einem empfindlichen Übel" aufzunehmen. Denn immer öfter würden massive Drohungen gegen Polizeibeamte ausgesprochen.

Die Wuppertaler Polizeipräsidentin Birgitta Radermacher machte auf ein weiteres, neues Phänomen aufmerksam. Zunehmend würden Polizisten während Amtshandlungen ständig gefilmt, verbunden mit der Drohung, die Aufnahmen ins Netz zu stellen. Deshalb solle auch das Filmen als Widerstandshandlung ins Gesetz aufgenommen werden. Aus ihrem Verantwortungsbereich berichtete Radermacher, dass nur etwa ein Drittel der Anzeigen wegen Beleidigung zu einer Verurteilung führe. Selbst Bespucken würde nicht sanktioniert, sofern der oder die Bespuckte nicht getroffen wurde. Den vorliegenden Gesetzentwurf bezeichnete Radermacher als "Ausdruck von Respekt und Wertschätzung" gegenüber der Polizei.

Wesentlich negativer beurteilte der Strafrichter Ruben Franzen als Vertreter der Neuen Richter Vereinigung e. V. die geplante Reform. Er warnte vor einer "Gefahr für den Rechtsstaat" durch die geplante Sonderstellung von Polizisten. Wenn sich die politische Konstellation in Deutschland ändern sollte, könne "mit den Mitteln, die wir jetzt bereitstellen, etwas Gefährliches herauskommen". Gleichzeitig bezweifelte Franzen die Wirksamkeit der Neuregelung. Übergriffe gegen die Polizei würden meist von alkoholisierten oder hoch emotionalisierten Menschen verübt. Sie seien durch eine höhere Strafandrohung nicht aufzuhalten. Eher trage das Gesetz zu einer Eskalation bei. Seit der letzten Gesetzesverschärfung 2011 habe die Zahl der Übergriffe auf Polizisten nicht etwa ab-, sondern zugenommen.

Weniger grundsätzlich war die Kritik der drei Rechtswissenschaftler in der Anhörung. Der Kölner Strafrechtsprofessor Michael Kubiciel begrüßte den dahinterstehenden Grundgedanken. Wenn Polizeibeamte angegriffen würden, dann nicht als Person, sondern "als Repräsentant der Staatsgewalt". Allerdings sei die konkrete Ausgestaltung des neuen Strafrechtsparagrafen 114 (Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte) bedenklich. Er müsse wesentlich präziser gefasst werden, um zu einer einheitlichen Rechtsprechung zu kommen.

Auch die Hamburger Strafrechtlerin Dorothea Magnus äußerte Bedenken gegen den vorgesehenen Paragrafen 114. So wie er gefasst sei, müsse man damit rechnen, dass er von den Richtern kaum angewandt werde. An der abschreckenden Wirkung der Strafverschärfung äußerte sie Zweifel. Der "Autoritätsverlust staatlicher Organe" sei dadurch "nicht aufzuhalten".

Ähnlich skeptisch äußerte sich der Regensburger Professor für Strafrecht und Kriminologie Henning Ernst Müller. Abschreckung erfolge "dadurch, dass man geschnappt und verurteilt wird", nicht durch die Strafhöhe. Die Überlastung der Justiz führe aber dazu, dass zwei Drittel der Fälle "auf die eine oder andere Art eingestellt" würden. Hier müsse man ansetzen.

Einig waren sich Polizeipräsidentin Radermacher, Richter Franzen und die Rechtsprofessoren in einem Punkt. Der Gesetzentwurf will den Tatbestand des schweren Landfriedensbruch schon erfüllt sehen, wenn jemand eine Waffe "oder ein anderes gefährliches Werkzeug" bei sich führt. Der jetzige Zusatz "um diese oder dieses bei der Tat zu verwenden" soll gestrichen werden. Die Sachverständigen waren sich einig, dass dieser Zusatz zwar für Waffen wegfallen könne, nicht aber für jedes potentiell gefährliche Werkzeug.

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2. Fahrverbot als Nebenstrafe

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/PST) Die Möglichkeit, Fahrverbote auch wegen Straftaten zu verhängen, die nichts mit dem Führen eines Fahrzeugs zu tun haben, ist bei einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses überwiegend auf Zustimmung gestoßen. Gegenstand des Hearings war ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze (18/11272), der diese neue Nebenstrafe vorsieht. Richter sollen sie zusätzlich zu der für das Delikt vorgesehenen Geld- oder Haftstrafe verhängen können, wenn ihnen das sinnvoll erscheint. Daneben enthält der Gesetzentwurf eine Reihe weiterer Änderungsvorschläge, von denen sich die Regierung eine "Steigerung der Effizienz der Strafverfolgung" verspricht, wie sie in der Begründung schreibt. Zudem sollten "Defizite im geltenden Straf- und Strafprozessrecht" beseitigt werden. Mit eingeflossen sind Vorschläge einer vom Bundesjustizminister eingesetzten Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens.

Mehrere Sachverständige begrüßten die Möglichkeit, bei einer Vielzahl von Delikten kurze Haftstrafen zu vermeiden, indem die Richter stattdessen eine Bewährungsstrafe verbunden mit einem Fahrverbot verhängen. Allerdings empfahl der Straf- und Strafprozessrechtler Thomas A. Bode von der Europa-Universität Frankfurt (Oder), den Gesetzentwurf aus Verfassungsgründen zu ergänzen. Wegen des Bestimmtheitsgrundsatzes solle der Gesetzgeber ausdrücklich das Ziel angeben, kurze Freiheitsstrafen zu vermeiden beziehungsweise Geldstrafen zu reduzieren.

Für Erik Ohlenschlager, Leitender Oberstaatsanwalt in Bamberg, ermöglicht es die Zulassung von Fahrverboten, "Sanktionsmittel passgenauer zu verhängen". Gerade im Jugendstrafrecht seien sie zudem ein "sehr wirksames erzieherisches Mittel". Allerdings sollten objektive Kriterien, wann das Fahrverbot in Frage kommt, ins Gesetz geschrieben werden. Sonst könne es Probleme bei der Anwendung des Gesetzes geben.

Dagegen bezeichnete der Bremer Strafverteidiger Reinhold Schlothauer als Vertreter der Bundesrechtsanwaltskammer das Fahrverbot als "untaugliches Mittel". Da es kaum zu kontrollieren sei, werde der Grundsatz der Gleichmäßigkeit des Strafens verletzt, wenn ein Straftäter diese Sanktion bekomme und eine anderer für dasselbe Delikt eine andere. Auch seien einzelne Menschen unterschiedlich auf ihre Fahrerlaubnis angewiesen. Eine Ungleichbehandlung erführen auch Angeklagte ohne Fahrerlaubnis.

Dem widersprach der Münchener Rechtswissenschaftler Heinz Schöch. Bei Tätern ohne Fahrerlaubnis kämen andere Ersatzmaßnahmen wie gemeinnützige Arbeit in Betracht. Da bei der Strafzumessung ohnehin immer differenziert werden müsse, verstoße dies nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Auch das Bestimmtheitsgebot bleibe gewahrt, da Mindest- und Höchststrafe klar bestimmt seien.

Der Bonner Kriminologe Torsten Verrell gab zu bedenken, dass die gegen das allgemeine Fahrverbot geltend gemachten Einwände auch für die vorhandenen Fahrverbote bei Straftaten im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges gelten würden. Mit der Neuregelung würden "unstreitige Lücken des bestehenden Strafenkatalogs geschlossen". Die Neuregelung werde "erhebliche individualabschreckende und generalpräventive Wirkung" entfalten.

Zwei Sachverständige konzentrierten sich auf einen anderen Aspekt des Gesetzentwurfs. Danach sollen Blutproben statt von einem Richter vom Staatsanwalt angeordnet werden können. Für den Münchener Oberstaatsanwalt Wolfgang Beckstein erschließt sich der Sinn dieser Änderung nicht. Die Argumente, die gegen den Richtervorbehalt sprächen, sprächen auch gegen die staatsanwaltschaftliche Anordnung. In der Regel gebe es zwischen 22 und sechs Uhr keinen richterlichen Bereitschaftsdienst. Dann könne die Polizei ohnehin alleine eine Blutprobe anordnen. Auch sei ihm kein Fall bekannt, in dem ein Richter eine von der Polizei gewollte Blutprobe abgelehnt habe. Beckstein plädierte deshalb dafür, die Polizei generell zur Anordnung von Blutproben zu ermächtigen.

Dem widersprach Rechtsanwalt Martin Rubbert vom Deutscher Anwaltverein. Eine Blutentnahme sei ein Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Durch eine nachträgliche richterliche Überprüfung, auf die der Gesetzentwurf verweist, könne er nicht rückgängig gemacht werden. Deshalb müsse es beim Richtervorbehalt bleiben. Allerdings müsse dann auch ein richterlicher Bereitschaftsdienst rund um die Uhr gewährleistet sein.

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3. Experten begrüßen Carsharinggesetz

Verkehr und digitale Infrastruktur/Anhörung

Berlin: (hib/HAU) Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf für ein Carsharinggesetz (18/11285) trifft bei Experten auf grundsätzliche Zustimmung. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur am Mittwochabend deutlich. Sowohl Willi Loose vom Bundesverband CarSharing als auch Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) zeigten sich jedoch enttäuscht darüber, dass die für die Umsetzung des Gesetzes benötigten Rechtsverordnungen noch nicht vorlägen. So könne man nicht mit vollem Herzen zustimmen, sagte Loose. Lottsiepen sagte, es bestehe die Gefahr, "dass in den Verordnungen Sachen stehen, die die Umsetzung des Gesetzes erschweren".

Kritik übten Loose und Lottsiepen auch daran, dass es zu keiner straßenverkehrsrechtlichen und damit bundesweit geltenden Lösung gekommen sei. Dennoch gelte das Motto: Augen zu und durch, sagte Lottsiepen. "Wir brauchen das Gesetz so schnell wie möglich", betonte er.

Mit dem Gesetz soll laut Bundesregierung eine Verordnungsermächtigung geschaffen werden, auf deren Grundlage Carsharingfahrzeuge besonders gekennzeichnet und im Straßenverkehr bevorrechtigt werden können. Damit solle wiederum den zuständigen Behörden der Länder die Möglichkeit eröffnet werden, Bevorrechtigungen für Carsharingfahrzeuge und Carsharinganbieter einzuführen, heißt es in der Vorlage.

Ob das Gesetz ein Erfolgsmodell wird, liege damit an den Entscheidungen der Kommunen, sagte Willi Loose. Er sei gleichwohl überzeugt davon, dass die Kommunen weitreichenden Gebrauch von den Möglichkeiten des Gesetzes machen werden, "wenn ihnen die Umsetzung möglichst leicht gemacht wird". Das Ziel müsse sein, insbesondere das stationsgebundene Carsharing "raus aus den Garagen und Hinterhöfen" in den öffentlichen Raum zu bringen und damit auf das Angebot aufmerksam zu machen, sagte Loose.

Der VCD begrüße es, dass sowohl das stationsgebundene Carsharing als auch stationsungebundenes Carsharing (free floating) bevorrechtigt werden soll, sagte Verbandsvertreter Lottsiepen. Richtig sei auch die Abgrenzung zum Geschäftsmodel Autovermietung sowie die Begrenzung auf "echte Carsharer", damit sich nicht Carsharing-Initiativen gründen, mit dem ausschließlichen Zweck, Parkplätze zu sichern.

Professor Michael Brenner von der Friedrich-Schiller-Universität Jena sagte, aus verfassungsrechtlicher Sicht sei die Entscheidung der Bundesregierung, eine straßenrechtliche statt einer straßenverkehrsrechtlichen Lösung vorzulegen, richtig. Auch die im Gesetzentwurf enthaltende Definition, was Carsharing ist, erscheine sinnvoll und schließe den Missbrauch aus, sagte er. Auf die Kritik der beiden Verbandsvertreter an der fehlenden Verordnung eingehend, sagte der Verfassungsrechtler, erst müsse das Gesetz verabschiedet werden, ehe eine Rechtsverordnung folgen könne. Die mit dem Gesetz geschaffene Verordnungsermächtigung bezeichnete er als ausreichend. Sie gewähre der Exekutive einen ausreichenden Spielraum.

Michael Glotz-Richter als Vertreter des Senats der Freien Hansestadt Bremen betonte die positiven Erfahrungen, die Bremen mit Carsharing gemacht habe. Bis zum Jahr 2020 verfolge der Senat das Ziel, die Zahl von 20.000 Carsharing-Nutzer zu erreichen. Im Vordergrund stehe die damit zu erwartende Entlastung des Straßenraums um mindestens 6.000 Pkw.

Glotz-Richter sprach sich für ein möglichst einfaches Vergabeverfahren der Flächen zur Sondernutzung durch Carsharinganbieter aus. Die Befristung des Zeitraums, in dem die Flächen zur Verfügung gestellt werden, sollte von "längstens fünf Jahren" wie im Gesetzentwurf enthalten auf bis zu acht Jahre erweitert werden, forderte er. Statt zwingend nach Ablauf der Geltungsdauer der Sondernutzungserlaubnis ein neues Auswahlverfahren vorzuschreiben, wie es der Gesetzentwurf vorsieht, sollte nach Ansicht Glotz-Richters eine Verlängerung dann im Vordergrund stehen, "wenn der ausgewählte Carsharing-Anbieter seine Pflichten erfüllt hat und auf gute Akzeptanz bei der Bevölkerung stößt". Betreiberwechsel hätten in der Vergangenheit oft zu gesunkenen Nutzerzahlen geführt, fügte er hinzu.

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4. Menschenrechtsbericht im Fokus

Menschenrechte/Anhörung

Berlin: (hib/AHE) Der zwölfte Bericht über die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung (18/10800) stößt bei Experten auf ein geteiltes Echo. In einer Anhörung des Menschenrechtsausschusses am Mittwoch diskutierten sie zum einen über den Schwerpunkt des Berichtes, die zunehmende Einschränkung des Handlungsspielraums für die Zivilgesellschaft in einer ganzen Reihe von Ländern. In den Vordergrund rückten zum anderen auch menschenrechtspolitische Implikationen der Flüchtlingskrise, die Auswirkungen des britischen "Brexit"-Votums und der US-Präsidentschaftswahl auf die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung und schließlich die Frage, inwieweit die Religionsfreiheit als Indikator für die Achtung und Durchsetzung der Menschenrechte in einem Land dienen kann.

In dem als Unterrichtung vorliegendem Bericht informiert die Bundesregierung über nationale und internationalen Maßnahmen im Bereich der Menschenrechte in der Zeit zwischen März 2014 bis zum September 2016. Darin heißt es unter anderem, dass sich derzeit beobachten lasse, wie Regierungen versuchen, die Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen einzuschränken. Diese Entwicklung - oftmals bezeichnet als "shrinking space" - sei mittlerweile zu einem globalen Trend geworden, der nicht nur in autoritären Regimen zu beobachten sei.

Michael Krennerich vom Nürnberger Menschenrechtszentrum mahnte im Sinne der Glaubwürdigkeit des deutschen Engagements eine kritischere Bestandsaufnahme menschenrechtspolitischer Entwicklungen in Deutschland und der EU an. Bei Fragen des Grenzschutzes, der Terrorbekämpfung, der Asyl- und Flüchtlingspolitik aber auch mit Blick auf die Waffenexportpolitik oder etwa die innenpolitischen Entwicklungen in Polen und Ungarn bleibe der Bericht hinter seinen Möglichkeiten. "Wir brauchen eine entschiedenere Menschenrechtspolitik", sagte Krennerich. In Zeiten, in denen die Menschenrechte immer stärker unter Beschuss gerieten, müsse die Bundesregierung mit gleichgesinnten Regierungen "die Flagge der Menschenrechte so hoch und so fest wie möglich halten".

Martin Lessenthin von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) kritisierte, dass außenpolitische Rücksichtsnahmen womöglich dazu führten, dass der Bericht nicht die Finger in die Wunde lege. Das sei aus diplomatischer Sicht nachvollziehbar, für die Menschenrechtspraxis aber wenig hilfreich. So fielen etwa Entwicklungen in Saudi-Arabien, der Türkei, Ägypten und im Iran - einem "Breitband-Menschenrechtsverletzer" - deutlich unter den Tisch. Lessenthin regte an, dass der Bericht viel stärker die Schicksale von Menschenrechtsverteidigern oder Verfolgten in den Vordergrund rücken und auch Zeugnis über die Bemühungen um diese von deutscher Seite ablegen solle.

Anja Mihr (Willy Brandt-School Erfurt) lenkte den Blick auf die Verschiebungen in der Folge der US-Präsidentschaftswahl, des britischen Brexit-Votums und der innenpolitischen Entwicklungen in Polen und Ungarn - und deren Bedeutung für die Menschenrechtspolitik: "Zunehmend haben auch westliche Demokratien populistische Anfälle", sagte Mihr. Das bedeute zwar noch nicht, dass sie Menschenrechtsabkommen aufkündigen würden. Aber es bestehe die Gefahr, dass internationale Organisationen und multilaterale Zusammenarbeit geschwächt werden.

Otmar Oehring (Konrad-Adenauer-Stiftung) warb dafür, den im vergangenen Jahr einmalig vorgelegten "Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit" (18/8740) regelmäßig zu erstellen. Dort, wo Religionsfreiheit herrschen würde, würden in aller Regel andere Grund- und Menschenrechte geachtet und gewahrt. Oehring monierte zudem eine Reihe Ungenauigkeiten im aktuellen Menschenrechtsbericht: So bedeute Kultfreiheit noch lange nicht Religionsfreiheit und so sage die Tatsache, dass in einem Land Glaubensfreiheit herrsche, noch nichts darüber aus, wie es etwa Konfessionslosen oder Agnostikern ergehe.

Christian Woltering vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband mahnte eine insbesondere auf die Innenpolitik gerichtete kritischere Bestandsaufnahme der Menschenrechtssituation an. So greife der Bericht dort zu kurz, wo es um menschenrechtliche Aspekte von Armut und soziale Teilhabe in Deutschland gehe. Woltering kritisierte zudem, dass minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland der Familiennachzug erschwert werde. Das sei nicht nur aus menschenrechtlicher Sicht bedenklich, sondern auch ein "echtes Integrationshindernis".

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 186 - 23. März 2017 - 09.11 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2017

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