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PRESSEKONFERENZ/392: Regierungspressekonferenz vom 16. März 2012 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Mitschrift der Pressekonferenz - Freitag, 16. März 2012
Regierungspressekonferenz vom 16. März 2012

Themen: Todesurteile in Belarus, Termine der Bundeskanzlerin in der kommenden Woche (Wahl des elften Bundespräsidenten, Jahresempfang des Bundes der Vertriebenen, Bundeskabinett, Kongress der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Arbeitsplatzstandort Deutschland, 7. Integrationsministerkonferenz im Saarland, Plenarsitzung des Deutschen Bundestages, Gespräch mit Gewerkschaftsvertretern, gemeinsame Sitzung von Bundestag und Bundesrat zur Vereidigung des Bundespräsidenten)
weitere Themen: Hygieneauflagen für Tagesmütter, Abzug der Nato aus Afghanistan, Medienberichte über mögliche Nachfolge im Amt des Vorsitzendenden Eurogruppe, Überschüsse der gesetzlichen Krankenkassen, Insolvenz der Drogeriemarktkette Schlecker, Minijobs

Sprecher: StS Seibert, Schäfer (AA), zu Erbach-Fürstenau (BMELV), Dienst (BMVg), Kothé (BMF), Ewald (BMG), Westhoff (BMAS), Kraus (BMWi)


Vorsitzender Freitag eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

StS Seibert: Guten Tag, ich habe zunächst eine Mitteilung zu Weißrussland:

Dort hat Staatspräsident Lukaschenko - Sie wissen das möglicherweise - beschlossen, die angeblichen Metro-Attentäter von Minsk nicht zu begnadigen. Diese Entscheidung des Präsidenten erfüllt die Bundesregierung mit großer Sorge, da nunmehr die Vollstreckung dieser beiden sehr fragwürdigen Urteile bevorstehen könnte. Das Verbrechen - um da gar keinen Zweifel aufkommen zu lassen -, das den beiden vorgeworfen wird, war zutiefst menschenverachtend. Dennoch ist nach unserer festen Überzeugung eine Todesstrafe unter keinen Umständen zu rechtfertigen. Die Verhängung und die Vollstreckung der Todesstrafe sind dann aber besonders besorgniserregend, wenn es, wie in diesem Fall, ganz erhebliche Zweifel und Fragen an die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens gibt. Die Bundesregierung appelliert daher dringend an Weißrussland, die Todesurteile nicht zu vollstrecken und ein Moratorium mit dem Ziel zu verkünden, die Todesstrafe abzuschaffen.

Sie wissen, dass Weißrussland das letzte europäische Land ist, das die Todesstrafe noch vollstreckt. Eine Vollstreckung der Todesstrafe in diesen beiden Fällen würde die Beziehungen Deutschlands zu Weißrussland weiter belasten. Es gilt unser Aufruf, den wir schon mehrfach gemacht haben: Weißrussland muss endlich den Weg zu Rechtsstaatlichkeit und zu europäischen Werten finden, damit das weißrussische Volk endlich die Freiheit leben kann, die ihm zusteht.

Schäfer: Ich möchte nur ergänzen, dass gestern im Auftrag des Außenministers Westerwelle genau zu diesem Thema der weißrussische Botschafter ins Auswärtige Amt einbestellt worden ist. Ihm ist dort in klaren Worten die Position vermittelt worden, die Staatssekretär Seibert Ihnen gerade kundgetan hat.

StS Seibert: Wir kommen zu den Terminen der Bundeskanzlerin in der nächsten Woche.

Wir beginnen mit dem Sonntag. Der Tag steht ganz im Zeichen der Wahl des elften Bundespräsidenten. Die Bundeskanzlerin wird zunächst um 9 Uhr in der französischen Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt zusammen mit anderen Verfassungsorganen am ökumenischen Gottesdienst teilnehmen. Der Rest ist dann die Wahl des elften Bundespräsidenten, die sich dann ab 12 Uhr im Reichstagsgebäude durch die Bundesversammlung vollziehen wird.

Am Dienstag, 20. März, besucht die Bundeskanzlerin von 19 bis 20 Uhr den Jahresempfang des Bundes der Vertriebenen im Kronprinzenpalais hier in Berlin. Zeitgleich erfolgt auch die Eröffnung einer Ausstellung unter dem Titel "Heimatweh - eine Trilogie" des Zentrums gegen Vertreibungen, die dann drei Monate lang im Kronprinzenpalais gezeigt wird. Die Bundeskanzlerin wird nach einem kurzen Rundgang durch diese Ausstellung auf Bitten des BdV eine kurze Ansprache an die Gäste des Jahresempfangs richten.

Am Mittwoch, den 21. März, findet wie immer um 9.30 Uhr die Sitzung des Bundeskabinetts unter Leitung der Bundeskanzlerin statt.

Am Mittag, ab 13.20 Uhr, besucht die Bundeskanzlerin dann einen Kongress der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Arbeitsplatzstandort Deutschland. Der Kongress steht unter dem Titel "Stabile Rahmenbedingungen für Industrie und Arbeitsplätze in Deutschland". Sie hält dort eine Rede.

Am selben Abend - wir sind also immer noch am Mittwoch - nimmt die Bundeskanzlerin ab 18 Uhr an der 7. Integrationsministerkonferenz teil, die in Überherrn im Saarland stattfindet. Mit ihr werden daran auch Bundesinnenminister Friedrich, Staatsministerin Böhmer und die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer teilnehmen.

Die Bundeskanzlerin wurde vom Saarland als dem amtierenden Vorsitzland zu dieser Konferenz eingeladen. Sie setzt damit die Reihe von Besuchen bei Fachministerkonferenzen der Länder unter der Überschrift Integration fort. Also es gab einen Besuch der Innenministerkonferenz im Juni des vergangenen Jahres und gerade erst, am 8. März, den Besuch der Bundeskanzlerin bei der Kultusministerkonferenz.

Schwerpunkt des Gedankenaustausches mit den Integrationsministern werden vor allem der nationale Aktionsplan Integration sein und das Gesetz zur Verbesserung der Feststellung von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen, kurz auch das Anerkennungsgesetz. Die Bundeskanzlerin setzt mit diesem Besuch bei den Integrationsministern ein weiteres Zeichen ihrer Überzeugung, dass für das nationale Anliegen einer möglichst gelungenen Integration eine konstruktive Zusammenarbeit von Bund und Ländern ganz entscheidend ist.

Am Donnerstag, 22. März, ab 9 Uhr nimmt die Bundeskanzlerin an der Plenarsitzung des Bundestages teil.

Am Nachmittag, gegen 14 Uhr, trifft sie sich dann mit dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, und anderen hochrangigen Gewerkschaftsvertretern aus mehreren europäischen Ländern im Bundeskanzleramt. Es ist ein Gespräch ohne eine feste Tagesordnung - eine Chance zum Austausch mit Gewerkschaftlern. Einige von ihnen kommen auch aus Ländern, die ganz stark von der Schuldenkrise betroffen sind. Die Bundeskanzlerin wird mit den Gewerkschaftsvertretern gerade über die Ursachen der Schuldenkrise und die Lösungsansätze diskutieren.

Am Freitag nimmt die Bundeskanzlerin an der gemeinsamen Sitzung des Bundestages und des Bundesrates im Reichstagsgebäude teil, in der der neue Bundespräsident vereidigt wird.

Damit endet die Woche oder die öffentlichen Termine der Woche.

Zu Erbach-Fürstenau: Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt - ausgelöst durch Äußerungen in einzelnen Länderbehörden und durch Medienberichte - einige Irritationen über die möglichen Hygieneauflagen für Tagesmütter in Deutschland.

Lassen Sie mich hierzu für das BMELV klarstellen: Wir sehen keinerlei Notwendigkeit für neue oder höhere Auflagen. Das Bundesverbraucherministerium hat die zuständigen Behörden der Bundesländer aufgefordert, die Auflagen für Tagesmütter auf das absolut notwendige Mindestmaß zu beschränken und Tagesmütter nicht mit überzogenen und unnötigen Hygienekontrollen zu belasten. Was einzelne Behörden in den Ländern an Maßnahmen vorsehen oder vorhaben, ist aus unserer Sicht völlig überzogen und in keiner Hinsicht begründbar. Auch wenn Tagesmütter rein juristisch unter die Definition von Lebensmittelunternehmern fallen, ist in der Praxis die Beachtung weniger verständlicher Regeln völlig ausreichend. Wer Tagesmüttern dieselben hohen Standards abverlangt wie Lebensmittelherstellern oder Gastronomen, der schüttet das Kind mit dem Bade aus. Es ist aus Sicht des Bundes unverantwortlich, im Rahmen der amtlichen Lebensmittelüberwachung Tagesmütter und die Eltern der betreuten Kinder mit unnötigen und völlig überzogenen Hygieneanforderungen zu verunsichern.

Im Klartext bedeutet das für die Praxis: Tagesmütter sind nur gefordert, ganz allgemeine und selbstverständliche Grundregeln der Lebensmittelhygiene und Lebensmittelsicherheit einzuhalten. Diese Hygienestandards sind jedoch keinesfalls mit denen in Großküchen oder anderen großen Lebensmittelunternehmen zu vergleichen, sondern sie entsprechen dem Niveau, das im Grunde in jedem gut geführten Haushalt eingehalten wird. Nichts anderes ist hier erforderlich.

Dabei will ich es belassen. Wir haben heute Vormittag dazu eine Pressemitteilung herausgegeben. Dieser können Sie die Details entnehmen.

Frage: Herr Seibert, der afghanische Präsident Karsai hat sich für ein früheres Ende des Abzuges, nämlich schon 2013, ausgesprochen. Bisher ist als Abzugsdatum aus Afghanistan Ende 2014 geplant. Wie steht denn die Bundesregierung zum Vorschlag von Karsai?

StS Seibert: Für die Bundesregierung gilt jetzt das, was international auf dem Nato-Gipfel in Lissabon im November 2011 verabredet worden ist. In Bonn ist der vereinbarte Zeitpunkt auch noch einmal bestätigt worden, bis zu dem die Übergabe der Verantwortung in Afghanistan abgeschlossen sein soll. Das ist unsere Verpflichtung.

Die Kanzlerin hat erst gerade bei ihrem jüngsten Truppenbesuch in Afghanistan wieder darauf hingewiesen, dass schon vieles in puncto Sicherheit und in puncto Entwicklung in Afghanistan erreicht worden ist, aber noch einiges zu leisten ist. Auf alle Fälle kann dieses Thema nur gemeinsam international besprochen werden, nicht auf Pressekonferenzen und in Interviews. Die nächste Gelegenheit dafür ergibt sich beim Nato-Gipfel in Chicago im Mai dieses Jahres.

Zusatzfrage: Es ist ja eine frei gewählte Regierung, ein frei gewählter Regierungsvorstand. Das heißt, kann man diesen Wunsch, wenn er das so möchte, überhaupt ablehnen?

StS Seibert: Es geht jetzt gar nicht darum. Es geht darum, dass es internationale Verabredungen gibt, die für uns gelten.

Vielleicht sollte man aus dem Anlass noch einmal daran erinnern: Die deutschen Soldaten und die vielen Soldaten aus anderen Ländern sind in Afghanistan, um dem afghanischen Volk zu Sicherheit und Stabilität zu verhelfen und vor allem um zu verhindern, dass aus diesem Land jemals wieder eine Terrorgefahr für die Welt hervorgehen kann. Dieser Auftrag beruht auf internationalen Beschlüssen und dem Wunsch der afghanischen Regierung. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten dort einen sehr schwierigen Einsatz, für den ihnen Hochachtung und Dank gebührt, und zwar nicht nur aus der Heimat. Für alles Weitere ist der Nato-Gipfel in Chicago eine gute Gelegenheit, sich international zu besprechen.

Frage: Wenn aber der afghanische Präsident bei seiner Forderung - aus welchen Gründen auch immer er sie jetzt so gestellt hat - bleibt, ist dann nicht doch die Situation da, dass der Präsident des Landes nicht mit der Anwesenheit der Truppen einverstanden ist? Ist das nicht eine höchst unangenehme Situation?

Eine zweite Frage richtet sich eher an das Verteidigungsministerium: Was bedeutet das für die Rückzugspläne? Die Logistik ist ja ohnehin eine gewaltige Aufgabe, die nach Auskunft der Militärs kaum zu schaffen sein wird. Was bedeutet diese Forderung beziehungsweise Einstellung von Herrn Karsai für die logistischen Probleme des Rückzugs?

StS Seibert: Ich bleibe dabei: Für die Bundesregierung gilt das, was international und auch mit Afghanistan vereinbart ist. Es gibt eine Übergabe der Verantwortung, die bereits in vielen Bereichen eingeleitet worden ist und die bis Ende 2014 abgeschlossen sein soll. Der Nato-Gipfel ist eine Gelegenheit für alle Beteiligten, ihre Meinungen einzubringen und noch einmal die Fortschritte Revue passieren zu lassen.

Dienst: Alles, was Staatssekretär Seibert sagt, ist das Fundament, auf dem die Bundesregierung in Afghanistan operiert, wenn man das so ausdrücken will. Es ist völlig klar, dass die Lissabon-Strategie das Enddatum 2014 hat, zu dem alles komplett funktionsfähig und ohne weitere massive Unterstützung an die Afghanen übergeben werden soll. Wenn von einer Übergabe in 2013 geredet wird, dann muss man immer im Auge behalten, dass der Transitionsprozess immer eine Übergangsphase oder Begleitphase von 12 bis 18 Monaten für die übergebenen Provinzen vorsieht. Das hieße also, dass die letzten Provinzen formal im Jahr 2013 an die Afghanen übergeben sein müssen, um dann mit einem anschließenden 12 bis 18 Monate dauernden Prozess 2014 aus dieser Verantwortung der Begleitung der Übergabe entlassen zu sein. Das ist auch immer der Zeitablauf, warum manchmal mit der Zahl 2013 und im anderen Zusammenhang mit der Zahl 2014 argumentiert wird. - Das erst einmal zur Klarstellung, was den Transitionsprozess anbelangt.

Es ist völlig klar, dass man ein Unternehmen wie Abbau, Rückzug und ähnliches nicht in drei Tagen erledigen kann, sondern man kann es nur in einem gut abgestimmten Konzert erledigen. Das ist ein hoch komplexer Vorgang mit verschiedenartigsten Abhängigkeiten. Das ist, wie Staatssekretär Seibert sagt, natürlich nur in entsprechenden Formaten von internationaler Güte gerade zu ziehen und zu beschließen. Also das Prinzip, den Stecker zu ziehen, funktioniert nicht in dieser Hinsicht.

StS Seibert: Ich will nur ganz kurz hinzufügen, um das vielleicht auch allen klar zu machen, wo wir schon stehen. Schon jetzt ist es so, dass etwa die Hälfte der afghanischen Bevölkerung in Gebieten lebt, für die die afghanischen Behörden bereits die Sicherheitsverantwortung übernommen haben. Ab Mitte 2013, wenn die letzte Tranche dieser Transition eingeleitet ist, sollen wirklich alle afghanischen Gebiete im Prozess der Übergabe der Verantwortung sein. Die Sache ist ja bereits längstens im Gange und zum Teil schon weit gediehen.

Zusatzfrage: Dazu steht aber im Widerspruch, dass man auch von militärischer Seite des Öfteren lesen und hören kann, dass die afghanischen Sicherheitskräfte keineswegs schon imstande seien - schon jetzt gar nicht und auch nicht 2013 oder 2014 -, wirklich zuverlässig für die Sicherheit im Lande zu sorgen.

Dienst: Dazu kann ich nur sagen, das ist immer die Frage, wem Sie zuhören. Sie hören jetzt denen zu, die dieses sagen; Sie können genauso viele finden, die anderes sagen. Vor allem der afghanische Präsident muss beurteilen, wie es um seine Sicherheitskräfte bestellt ist. Wenn er sagt, sie sind potent, dann werden wir nicht anfangen, dagegen zu argumentieren.

Zusatzfrage: Dann müssten Sie ja auch sagen, dann sind wir 2013 weg, wenn er der Meinung ist, er kann das schaffen.

Dienst: Nein, ich sage noch einmal: Es gibt ein Konzept und das sieht vor, dass 2013 die letzte Provinz - wie Staatssekretär Seibert es eben ausgeführt hat - übergeben sein soll. Ab Mitte 2013 begleiten wir die übergebenen Provinzen an die afghanischen Sicherheitskräfte weiter, solange es erforderlich ist, bis maximal Ende 2014. Das ist die Strategie, wie sie in Lissabon vereinbart worden ist. Man kann nun nicht hergehen und sich aus dieser Strategie einzelne Teilaspekte heraussuchen, diese schwerpunktmäßig beleuchten und den Rest dabei ignorieren. Das funktioniert nicht.

Frage: Herr Seibert, nun steht aber doch die Forderung von Karsai nach einem vorgezogenen Abzug im Raum. Wie sind vor diesem Hintergrund Äußerungen von Minister Westerwelle zu werten, dass Deutschland nicht länger in Afghanistan bleiben werde als die Verbündeten und als von afghanischer Seite gewünscht?

Schäfer: Ich bin nicht ganz sicher, ob das, was Sie da als Zitat des afghanischen Präsidenten wiedergegeben haben, auch das ist, was mir bekannt ist. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, hat nicht der Präsident Afghanistans, sondern sein Sprecher laut Medienangaben gestern gesagt, dass die Übergabe der Sicherheitsverantwortung von den internationalen Truppen an die afghanischen Sicherheitskräfte 2013 statt 2014 abgeschlossen sein soll. Es war nach dem, was mir bekannt ist, nicht die Rede von einem Abzug. Das war Teil Ihrer Frage. Es ist, glaube ich, wichtig, dass wir das zunächst klarstellen.

Da Sie die Position des Außenministers Westerwelle angesprochen haben, erlaube ich mir, da sich der Außenminister zurzeit auf einer Kaukasus-Reise befindet, kurz zusammenzufassen, was er gestern und auch heute zu diesem Thema gesagt hat:

Erstens. Für Außenminister Westerwelle ist klar, dass sich Deutschland bezüglich der Übergabe der Sicherheitsverantwortung synchron mit den internationalen und afghanischen Partnern verhält. Das steht, wie es steht. Das ist auch eine Selbstverständlichkeit. Deutschland ist ein guter und ein verlässlicher Bündnispartner, und zwar sowohl im Konzert derjenigen, die mit Deutschland gemeinsam bei ISAF im Einsatz sind, als auch gegenüber dem Partnerstaat Afghanistan.

Zweitens: Es bleibt dabei, "together in, together out". Das ist eine klare internationale Vereinbarung, die auf den Konferenzen in London und Lissabon und auch auf der Bonner Afghanistan-Konferenz einhellig getroffen worden ist.

Drittens. Der Minister hat heute in Armenien erklärt, dass wir - gemeint ist Deutschland - gewiss nicht länger in Afghanistan bleiben werden als unsere Verbünden und als das von der afghanischen Seite gewünscht ist. Von "Reuters" gibt es zum Beispiel eine Ticker-Meldung mit der Überschrift: "Westerwelle zieht früheren Abzug aus Afghanistan in Betracht." Das sind journalistische Interpretationen, die ganz sicher durch Artikel 5 des Grundgesetzes gedeckt sind. Aber ich habe Ihnen gerade erläutert, was Außenminister Westerwelle zu diesem Thema gesagt hat.

Ich kann nur das bekräftigen, was Staatssekretär Seibert eben ausgeführt hat und was von Herrn Dienst für das Verteidigungsministerium bekräftigt worden ist, nämlich (im Hinblick auf) das, was jetzt ansteht, die Entscheidungen, die zu treffen sind, die Art und Weise, wie der graduelle Übergang einer Übergabe der vollständigen Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Behörden (vonstattengeht), der ja auf der Zeitschiene erfolgen muss. Wie das jetzt konkretisiert wird, das werden wir in den nächsten Wochen und Monaten besprechen. Da gibt es ganz wichtige Wegmarken - nicht zuletzt der Nato-Gipfel im Mai in Chicago, auf dem Afghanistan eine ganz entscheidende Rolle spielen wird.

Dann steht natürlich auch die Frage der Beziehungen der internationalen Gemeinschaft zu Afghanistan post 2014 im Raum. Auch zu diesem Punkt gibt es schon im Hinblick auf den Gipfel in Chicago, aber auch darüber hinaus auf einer Konferenz in Tokio im Juli, Besprechungen im Rahmen der internationalen Gemeinschaft über die notwendigen Hilfsmaßnahmen, damit auch nach Abzug der Kampftruppen die afghanische Seite in der Lage ist, das Land weiter friedlich zu entwickeln. Auf diesem Weg werden wir uns, wie gesagt, als guter und verlässlicher Bündnispartner im Geleitzug mit unseren internationalen Partnern bewegen.

Frage: Herr Dienst, da die Bundeswehr ja eng mit der afghanischen Armee zusammenarbeitet, (interessiert mich eine Einschätzung) aus Ihrer Sicht: Sind sie in der Lage, 2013 theoretisch die komplette Sicherheitsverantwortung zu übernehmen, wenn es denn dazu kommt?

Dienst: Ob sie das können, das werde ich Ihnen dann 2013 beantworten. Es ist ja nicht so, dass die afghanischen Sicherheitskräfte mit einem Urknall entstanden sind und dann entsprechend linear ihren Erfahrungszuwachs machen, sondern die afghanischen Sicherheitskräfte sind Stück für Stück aufgebaut worden, also auch auf der Zeitachse. Es gab die ersten Verbände - sie sind ausgebildet -, und irgendwann sind dann die letzten Verbände aufgestellt worden. So haben wir jetzt Verbände, die bereits eigenständig operationsfähig sind, und es gibt andere Verbände, die nur mit Begleitung operationsfähig sind. Es gibt weitere Verbände, die nach Aufstellung überhaupt erst ausgebildet werden müssen.

Das sind ungefähr die drei Stufen, um das einigermaßen verständlich zusammenzufassen, auf denen wir uns bewegen. Erst wenn diese drei Stufen zu Ende gekommen sind und erreicht worden ist, dass alle Verbände einsatzfähig sind, dann kann man davon reden, dass die afghanischen Sicherheitskräfte vollständig aufgestellt und entsprechend potent sind, um das Wort weiter zu verwenden. Danach kann man beurteilen, ob sie in der Lage sind, in Gesamtafghanistan (die Sicherheit) zu erhalten. Es macht auch keinen Sinn, sich nur darüber zu unterhalten, ob in einer Ecke Afghanistans die Sicherheit gegeben ist, sondern die Strategie 2014 Ende zielt darauf ab, dass Gesamtafghanistan sicherheitstechnisch einigermaßen homogen in Griff gehalten werden kann.

Zusatzfrage: Herr Dienst, gerade weil die afghanischen Sicherheitskräfte nicht im Urknall entstanden sind und es seit langem einen Plan gab, an dem die internationalen Partner alle mitwirken, habe ich Sie ja gefragt: Wenn der Plan bis 2014 geht und die Afghanen dann theoretisch in der Lage sein sollten, (für die Sicherheit in ihrem Land zu sorgen), wäre ein Vorziehen 2013 nach diesem Plan überhaupt möglich? Wären sie dann schon in der Lage, vorgezogen (die Sicherheitsverantwortung) zu übernehmen?

Dienst: Das sind immer Beurteilungen, die vor Ort in den entsprechenden Gremien vorgenommen werden. Ich habe keine Tabelle vorliegen, welcher afghanische Verband der Sicherheitskräfte (wie weit vorangeschritten ist). Sie sind ja auch wieder zu unterteilen in Polizei, Armee, lokale Polizei, Grenzpolizei und was nicht alles dazu gehört. Diese Übersicht wird sicher irgendwo im Nato-Hauptquartier geführt, aber nicht bei mir auf dem Schreibtisch.

Schäfer: Ich würde gern noch ergänzen und etwas in Erinnerung rufen, was Staatssekretär Seibert gerade schon in einem anderen Kontext gesagt hat:

Bereits jetzt ist ein großer Teil des afghanischen Staatsgebietes und der afghanischen Bevölkerung unter dem Schutz der afghanischen Sicherheitskräfte. Jetzt abgesehen von den jüngsten Ereignissen im Zuge von zwei tragischen und sehr bedauernswerten Ereignissen, nämlich der Koran-Verbrennung und diesem schrecklichen Fall des amerikanischen Soldaten, der offenbar 16 Afghanen erschossen hat, ist die Einschätzung der Bundesregierung so, dass sich - auch im Zuge der Übergabe der Sicherheitsverantwortung in weiten Teilen Afghanistans - die Sicherheitslage in Afghanistan nicht etwa verschlechtert, sondern teilweise sogar verbessert hat. Das ist aus unserer Sicht ein gutes Zeichen, und das ermutigt uns, auf dem eingeschlagenen Weg weiterzugehen, die afghanischen Sicherheitsbehörden nach Kräften weiter auszubilden und ihnen die Gelegenheit zu geben, auch in weiteren Regionen des Landes - so wie das jetzt geplant ist - in einem graduellen Übergang die Sicherheitsverantwortung zu übernehmen.

Ich kann Herrn Dienst nur beipflichten: Jetzt bereits vorherzusehen, was in zwei Jahren oder im nächsten Jahr sein mag, ist ein Blick in die Kristallkugel, den diese Bundesregierung nicht zu tun vermag.

Frage: Tom Koenigs hat heute Morgen gesagt, die amerikanische Seite hätte quasi Karsai provoziert, so zu reden, wie er jetzt geredet habe. Tut sich da ein Unterschied auf zwischen der deutschen Einschätzung der Situation und vor allen Dingen dem, was Sie gesagt haben und was Minister de Maizière immer sagt - "zusammen rein, zusammen raus" -, und der neuerdings amerikanischen erkennbaren Haltung?

Schäfer: Auf welche Haltung der amerikanischen Regierung zielen Sie ab?

Zusatz: Darauf, dass Präsident Obama offenkundig sagt: Wir wollen so früh wie möglich und eventuell sogar früher Truppen abziehen, nämlich 2013 stärker und in größerer Zahl als bisher geplant.

Schäfer: Woher entnehmen Sie diese Einschätzung der amerikanischen Regierung?

Zusatz: Aus den amerikanischen Medien.

StS Seibert: Wir sind nicht die Sprecher der amerikanischen Regierung. Aber der Sprecher des Weißen Hauses immerhin hat gerade erst - so lief es in den deutschen Medien - gesagt: Die USA wollen die Verantwortung für die Sicherheit in Afghanistan wie geplant erst 2014 vollständig in die Hände der afghanischen Sicherheitskräfte legen. Das sei der Plan von US-Präsident Obama. Daran wird sich gehalten. Auch Verteidigungsminister Panetta hat nach deutschen Medienberichten, die ich hier gelesen habe, nach dem Treffen mit Präsident Karsai gesagt, die afghanische Seite habe keine Änderung im bisher vereinbarten Abzugsplan vereinbart.

Das sind in deutschen Medien zu lesende Äußerungen amerikanischer Sprecher und Minister, die zumindest dem entgegenstehen, was Sie jetzt gerade sagen. Ich glaube, wir haben keinen Grund, auf Spekulationen, die in amerikanischen Medien umhergehen mögen, einzugehen. Es gilt das, was die amerikanische Regierung sagt. Die Gelegenheiten, um international über den Fortschritt der Übergabe der Verantwortung zu konsultieren, sind genannt worden: Nato-Gipfel und andere.

Schäfer: Ich würde noch zu dem, was Staatssekretär Seibert gesagt hat, ergänzen wollen, wenn ich darf, nämlich dass es bis zum vereinbarten Ende sowohl bei den Amerikanern als auch bei uns - und sicherlich auch bei allen anderen Partnern- graduelle Übergänge gibt.

Wenn Sie sich das Mandat des Deutschen Bundestages für den Einsatz in Afghanistan im Detail anschauen, werden Sie sehen, dass Sie dort auch keine konkreten Zahlen über die Art und Weise der langsamen Rückführung bis zum Ende des Kampftruppeneinsatzes vorfinden werden. Sondern das ist alles natürlich lageabhängig und völlig selbstverständlich im Vorfeld nicht im Detail und auf eine Manngröße hinaus zu planen. Deshalb kann ich, ebenso wie Staatssekretär Seibert es eben gesagt hat, auch da keinen Unterschied zwischen Einlassungen der amerikanischen Regierung und der deutschen Regierung erkennen.

Frage: Herr Seibert, ist schon bekannt, welche europäischen Gewerkschaftsvertreter an dem Treffen mit der Bundeskanzlerin am Donnerstag im Kanzleramt teilnehmen werden?

StS Seibert: Die Frage hatte ich befürchtet, weil ich es Ihnen nicht genau sagen kann. Ich kann mir auch vorstellen, dass die Liste noch nicht feststeht und wir so etwas üblicherweise vorher auch nicht herausgeben. Ich denke mal, sofern sie feststeht, würden wir sie herausgeben. Im Anschluss werden Sie auf jeden Fall unterrichtet.

Frage: Herr Seibert, es gibt Berichte, wonach die Bundeskanzlerin Wolfgang Schäuble zum künftigen Chef der Eurogruppe vorgeschlagen habe. Dazu zwei Fragen: Können Sie uns sagen, was die Hintergründe für diesen Vorschlag sind? Wie will sie den französischen Präsidenten von diesem Vorschlag überzeugen?

An Frau Kothé die schlichte Frage: Ist Ihr Chef eigentlich dazu bereit, die Nachfolge von Jean-Claude Juncker zu übernehmen?

StS Seibert: Wenn feststeht, dass Jean-Claude Juncker dafür nicht mehr zur Verfügung steht - so hat es, glaube ich, Finanzminister Schäuble heute selber gesagt -, wird man sich zum gebotenen Zeitpunkt mit dieser Frage befassen. Es gibt in dieser wichtigen europäischen Personalfrage noch keine Festlegung der Bundesregierung. An Spekulationen beteiligen wir uns nicht.

Kothé: Genauso ist es. Wir beteiligen uns an diesen Spekulationen auch nicht.

Zusatzfrage: Keine Spekulation, sondern nur eine Überlegung, die damit zusammenhängt: Würde die Tatsache, dass Herr Schäuble dann Chef der Eurogruppe würde, nicht die Chancen für Herrn Regling verschlechtern, an die Spitze des ESM zu kommen?

StS Seibert: Jetzt sind wir aber schon sehr tief in der Spekulation. Es gilt, was wir gesagt haben: Die Bundesregierung wird sich nicht an Spekulationen und hypothetischen Weiterentwicklungen dieser Fragestellung beteiligen. In Europa wird man, wenn es denn so weit ist, dass man weiß, man braucht jemand Neues, zu dieser Frage konsultieren. Das wird man am besten in Vertraulichkeit machen. Ich fühle mich als Regierungssprecher jedenfalls an diese Vertraulichkeit gebunden.

Frage: Ich mag das Spekulieren auch nicht. Deswegen nur die Frage: Hat sie ihn denn vorgeschlagen oder nicht?

StS Seibert: Ich glaube, ich habe dazu jetzt wirklich alles gesagt.

Zusatzfrage: Man kann das ja mit einem Wort sagen. Ja oder nein?

StS Seibert: Ich habe gesagt: Es gibt in dieser Frage noch keine Festlegung.

Frage: Eine Frage an Gesundheits- und Finanzministerium: Ist denn nun geklärt, ob es angesichts der Situation bei den gesetzlichen Krankenkassen in diesem Jahr Rückführungen oder geringfügigere Zahlungen - und damit eben Rückführungen - an den Bundeshaushalt aus den Geldern, die ursprünglich für den Gesundheitsfonds vorgesehen waren, gibt?

Kothé: Nur so viel dazu: Sie wissen, dass das Kabinett nächste Woche über die Eckwerte zum Bundeshaushalt beschließen wird. Die Gespräche dazu sind abgeschlossen. Über Einzelheiten werden wir nach dem Kabinettsbeschluss ausführlich berichten, nämlich unser Minister genau hier an dieser Stelle am nächsten Mittwoch. Aus unserer Sicht gibt es zu allen Punkten eine Einigung.

EWALD: Dem habe ich insoweit nichts mehr hinzuzufügen.

Zusatzfrage: Einzelheiten über diese Einigung wollen Sie erst am Mittwoch verkünden?

Kothé: Ja.

Frage: Es gibt schon eine Meldung mit Bezug auf Regierungskreise, wonach die Einigung so aussieht, dass Herr Schäuble in diesem Jahr 2 Milliarden Euro von den Überschüssen der Krankenkassen bekommen soll, dass aber im Gegenzug der Bundeszuschuss als solcher nicht angetastet wird. Könnte es in diese Richtung laufen?

Kothé: Tut mir leid, auch auf diesem Wege kann ich mich nur wiederholen: Nächste Woche findet die Kabinettssitzung statt. Im Anschluss daran werden wir informieren. Keine Einzelheiten. Wir beteiligen uns auch an diesem Punkt nicht an irgendwelchen Spekulationen.

Zusatzfrage: Aber die Einigung ist da? Habe ich das richtig verstanden?

Kothé: Ja. Ich habe gesagt: Die Gespräche zu den Eckwerten sind abgeschlossen. Das schließt mit ein, dass wir uns zu allen Punkten geeinigt haben.

Frage: Kann das Gesundheitsministerium noch einmal etwas dazu sagen, ob es im Zuge dieser Gespräche auch eine Verständigung gegeben hat, was zum Beispiel die Krankenkassenbeiträge oder auch die Praxisgebühr angeht?

EWALD: Wir haben keine andere Gemengelage als zu Beginn dieser Woche. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch und werden innerhalb der Koalition beraten.

Zusatzfrage: Das heißt, es gibt anders als beim Thema Haushalt noch keine Entscheidung, was mit den Beiträgen und auch mit der Praxisgebühr passieren soll?

EWALD: Zum Thema Praxisgebühr hat Minister Bahr immer wieder gesagt, dass wir auf der einen Seite darauf achten müssen, dass die Finanzen der Krankenkassen solide sind. Er hat aber auch den Hinweis etabliert, dass Krankenkassen keine Sparkassen sind und insofern auch nicht Geld horten sollten.

Wir haben jetzt die Situation, dass Gesundheitsfonds und Krankenkassen gemeinsam einen Überschuss von 19,5 Milliarden Euro haben. Die gesetzlich vorgeschriebene Rücklage im Fonds beträgt rund 3 Milliarden Euro. Bei den Krankenkassen beträgt die gesetzlich vorgeschriebene Rücklage ca. 4 Milliarden Euro. Es gibt auch Krankenkassen, die deutlich mehr Geld über diese Mindestreserve zur Verfügung haben. Da steht nach wie vor die Aufforderung des Ministers an diese Krankenkassen, die Überschüsse in Form von Prämien an ihre Mitglieder weiter zu geben.

Zum Thema Praxisgebühr: Die Position des Ministers ist so, dass er schon wahrnimmt, dass die Praxisgebühr die Patienten und Ärzte seit einigen Jahren ärgert, weil sie sehr bürokratisch ausgestaltet ist und auch nur eine sehr geringe Steuerungswirkung entfaltet hat. Er vertritt die Position, dass eine Erwägung in Richtung Abschaffung eine spürbare Entlastung auch für die Versicherten bringen würde.

Wir haben auch in dieser Woche kommuniziert, dass auf Fachebene mehrere Vorschläge und Varianten im Kontext mit der Praxisgebühr gerechnet und geprüft werden. Das ist dann sozusagen die Grundlage dafür, das innerhalb der Koalition zu diskutieren. Dazu finden Gespräche und Beratungen statt. Diese sind aber noch nicht abgeschlossen.

Zusatzfrage: Können Sie zum Zeitplan etwas Neues sagen, und zwar vor dem Hintergrund, dass der Haushalt am Mittwoch vorgestellt wird?

EWALD: Ich kann Ihnen dazu keine konkreten Gesprächstermine nennen.

Frage: Zum Zeitplan: Aber Sie halten das schon für eine Frage, die nicht endlos hinausgeschoben wird, sondern noch zum Beispiel in diesem Monat entschieden wird? Bis wann sollen die Fragen Praxisgebühr und Senkung der Beiträge entschieden werden?

EWALD: Ich kann Ihnen, wie gesagt, kein Datum nennen. Insgesamt läuft die Debatte. Es sind auch noch andere Vorschläge im Raum. Man wird dann zu gegebener Zeit - das wird relativ bald sein - zu einer Lösung kommen.

Frage: Eine Frage zum Komplex Schlecker und den Transfergesellschaften: Hat sich eine Veränderung ergeben? Es ist klar, dass das eigentlich Ländersache ist. Aber wird der Bund in irgendeiner Form koordinierend eingreifen, dass vielleicht nicht jedes Land seine Transfergesellschaft hat? Oder gibt es eine andere Beteiligung?

Westhoff: Es gibt inhaltlich und prozedural auch keinen wirklich neuen Stand. Es laufen weiterhin Gespräche, an denen auch der Bund beteiligt ist, und zwar mit dem Ziel, möglichst schnell eine Transfergesellschaft auf die Beine zu stellen. Der Bund ist an diesen Gesprächen beteiligt, allerdings nicht in erster Linie in der Form, dass es bundesseitig um Finanzierung geht, sondern der Bund tut seinen Teil, um die Bundesländer auf dem Weg hin zur Schaffung von Voraussetzungen für die Transfergesellschaft zu begleiten.

Kraus: Ich kann für das BMWi ergänzen: Bundesminister Rösler nimmt die Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Schlecker sehr ernst. Das BMWi hat auf verschiedenen Ebenen entsprechende Gespräche mit den Beteiligten geführt und tut dies auch weiterhin im Interesse der Beschäftigten. Schlecker hat jedoch seinen Hauptsitz in Baden-Württemberg. Daher ist es nach gängiger Praxis so, dass dieses Bundesland Ansprechpartner und auch Koordinator zwischen den Bundesländern ist. Das gilt für alle anstehenden Finanzierungsfragen. Landesminister Schmid hat bereits angeboten, die koordinierende Rolle auszuüben. Jetzt ist es also Aufgabe Baden-Württembergs, die notwendige Finanzierung zu realisieren und die übrigen Bundesländer mit ins Boot zu holen. Dazu hat Baden-Württemberg meines Wissens für Montag auch bereits eingeladen. Der Bund stand und steht natürlich weiterhin mit Unterstützung zur technischen Abwicklung bereit.

Frage: Eine Frage an das Arbeitsministerium: Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat gestern ein Konzept zur Reform der Minijobs vorgelegt, die im Kern darauf hinausläuft, dass die Sozialversicherungs- und Steuerfreiheit für Minijobs abgeschafft wird. Ist das ein Konzept, dem das Arbeitsministerium etwas abgewinnen kann?

Westhoff: Das Konzept ist noch nicht endgültig durch uns in allen Einzelheiten geprüft oder bewertet worden. Eine Stellungnahme dazu, was es bedeuten würde, diesen nicht ganz unkomplizierten Weg zu gehen, den der DGB mit anwachsenden und auf der anderen Seite abschmelzenden Beiträgen und Steuerabgaben vorschlägt, müsste ich auf nächste Woche vertagen. Das bezieht sich auch darauf, was dieser Weg für die Gefahr vermehrter Schwarzarbeit und der Abwanderung von Arbeit bedeuten würde. Das müsste man sich also noch einmal genau anschauen.

Sie wissen ja, dass maßgeblich durch die Koalitionsfraktionen Änderungen bei der geringfügigen Beschäftigung vorgesehen sind. Das betrifft zum einen die Ausweitung der Grenze, bis zu der verdient werden von darf, von 400 auf 450 Euro, zum anderen aber auch zunächst einmal eine Hereinnahme aller Minijobber in die Rentenversicherungspflicht, was zu mehr sozialer Absicherung führen würde. Das wird im Moment maßgeblich auf Ebene der Koalitionsfraktionen diskutiert, entwickelt. Jeglicher Gesetzentwurf dazu wird aus den Reihen des Parlaments kommen. Die Initiative liegt also im Moment nicht beim Arbeitsministerium.

Noch zwei ganz kurze Anmerkungen zu Minijobs insgesamt: Es wird manchmal der Eindruck erweckt, als seien Minijobs rasant auf dem Vormarsch und würden massiv bestehende Arbeitsplätze ersetzen. Dem ist nicht so. Auch bei den Minijobs ist es so, dass sie eher zusätzlich entstehen. Es gibt mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als anteilig Minijobs. Die Zahl der geringfügig Beschäftigten, die sich sozusagen nur mit einem Minijob an Beschäftigung beteiligen, ist seit Jahren konstant und wächst nicht weiter. Dagegen wächst die Zahl derer, die einen Minijob neben einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung - Vollzeit oder Teilzeit - ausüben.

Das heißt, man muss bei der Bewertung und der Bedeutung von Minijobs immer in Rechnung stellen, dass sie nicht von vornherein und per se schlecht oder gegen die Interessen von Beschäftigten sind. Sehr viele Beschäftigte, die einen Minijob ausüben, wollen dies so, bekennen sich dazu und sagen: Das ist okay so. Es gibt auch welche, die sagen: Ich hätte lieber eine Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung. Aber wir bleiben dabei, dass Minijobs für ganz viele Menschen der Einstieg und eine Chance darstellen, überhaupt in Beschäftigung zu kommen. Von daher muss man das berücksichtigen, wenn man Minijobs abschaffen will. Das ist ja, glaube ich, das Ziel des DGB. Mit Minijobs soll Schluss sein. Sie sollen schrittweise in Teilzeitstellen umgewandelt werden. Was das für die Beschäftigten, aber auch für die Arbeit, die geleistet wird, sowie für die Arbeitgeber bedeutet, müsste man, wie gesagt, noch einmal im Einzelnen beleuchten.

Zusatzfrage: Das heißt, die Kritik, die ja nicht nur von den Gewerkschaften, sondern auch von vielen Arbeitsmarktexperten kommt, dass einerseits Minijobs kein Weg für Arbeitslose zurück in eine reguläre Beschäftigung und zum anderen ein Instrument des Lohndumpings sind - so hat es zumindest der DGB gestern bezeichnet -, teilen Sie nicht?

Westhoff: Nein, die Kritik teilen wir in dieser pauschalen Formulierung so nicht. Man muss immer genau hinschauen und auch unterscheiden: Wie sind die gesetzlichen Vorgaben? Werden sie bei dem Angebot und der Ausübung von Minijobs eingehalten? Natürlich ist völlig klar, dass es da gesetzliche Grenzen gibt. Wenn Missbrauch stattfindet, gibt es geeignete Instrumente und auch den Überwachungsdruck, um dem ein Ende zu machen. Das Kind mit dem Bade auszuschütten würde bedeuten, dass man die Minijobs gleich von vornherein für alle Zeiten und für alle verbietet. Das ist ein bisschen zu viel. Das wäre ein Eingriff, der nicht hilfreich wäre.

Insofern nehmen wir eine differenzierte Sichtweise vor und schauen, ob es Fehlentwicklungen gibt oder ob sich tatsächlich herausstellt - das ist aber nicht erwiesen -, dass Minijobs überhaupt keine Brücke in reguläre Beschäftigung sind. Es gibt durchaus auch die ominösen anderen Arbeitsmarktexperten und Wissenschaftler, die Gegenteiliges herausgefunden haben. Ich erinnere mich an eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, die durchaus festgestellt hat, dass Minijobs für viele sehr wohl eine Chance sind, überhaupt wieder am Arbeitsmarkt teilzuhaben. Das betrifft natürlich auch Empfänger von SGB-II-Leistungen, von Hartz IV. Man muss natürlich immer darauf achten, dass es nicht dabei bleibt, sondern dass es weiter geht und dass die Brücke in Beschäftigung tatsächlich beschritten werden kann. Wir teilen, wie gesagt, in dieser Pauschalität die Kritik nicht.


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Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz - Freitag, 16. März 2012
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2012/03/2012-03-16-regpk.html?nn=391778
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2012