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PRESSEKONFERENZ/403: Regierungspressekonferenz vom 16. April 2012 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 16. April 2012
Regierungspressekonferenz vom 16. April 2012

Themen: 85. Geburtstag von Papst Benedikt XVI., Angriffe der Taliban in Kabul, Lage im Sudan, europäische Ratingagentur, Betreuungsgeld, Verbleib und Ladung des Frachters "Atlantic Cruiser", deutsche Exportkreditgarantien für den Ausbau des brasilianischen Kernkraftwerks Angra, Unabhängigkeit der EZB, Vorratsdatenspeicherung, Regelungen der Arbeitslosenversicherung für kurzfristig Beschäftigte, Äußerungen des BND-Präsidenten, Atomprogramm des Iran, Währungspolitik Chinas, mögliche ärztliche Behandlung von Frau Tymoschenko in Deutschland, Suche nach Atommüll-Endlager

Sprecher: StS Seibert, Peschke (AA), Dienst (BMVg), Kotthaus (BMF), Wiegemann (BMWi), Steegmans (BMFSFJ), Peschke (AA), Maaß (BMU), Lörges (BMI), Wendt (BMAS)



Vorsitzender Leifert eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert und die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

StS Seibert: Guten Tag! Ich hoffe, Sie hatten alle auch ein bisschen Erholung. Jetzt geht es von diesem Platz aus wieder los.

Ich wollte Ihnen zunächst berichten, dass die Bundeskanzlerin Papst Benedikt XVI. zu seinem heutigen 85. Geburtstag gratuliert hat. Sie schreibt in ihrem Glückwunschschreiben davon, wie unvergesslich und bereichernd der Besuch des Papstes in seiner deutschen Heimat im vergangenen Jahr auch für Sie persönlich gewesen sei. Wörtlich wünscht sie ihm für sein weiteres Wirken zum Wohle aller Menschen in der Welt gute Gesundheit sowie Gottes reichen Segen.

Ich komme zu einem wesentlich unerfreulicheren Thema, zu Afghanistan und den gestrigen Angriffen der Taliban in Kabul. Die Bundesregierung verurteilt diese Angriffe auf das Schärfste. Sie drückt der afghanischen Regierung sowie den Familien der Opfer ihr tief empfundenes Mitgefühl aus. Das ist natürlich ein erneuter Rückschlag für die Friedensbemühungen. Dennoch hält die Bundesregierung an dem international abgestimmten Transitionsplan fest. Die gestrige gute Reaktion der afghanischen Sicherheitskräfte beweist, dass dieser Plan funktionieren kann. Die Bundesregierung wird weiterhin alles dafür tun, die afghanische Regierung bei der Übernahme der Sicherheitsverantwortung zu unterstützen. Dazu gehört auch die weitere Ausbildung der Sicherheitskräfte. Im Übrigen betone ich noch einmal: Nur eine politische Lösung, nicht Gewalt, kann Frieden in Afghanistan bringen.

Peschke: Als Ergänzung dessen, was der Regierungssprecher zu Afghanistan ausgeführt hat, wollte ich noch einmal eine kurze Stellungnahme zur ebenfalls Besorgnis erregenden Lage im Sudan abgeben: Außenminister Westerwelle ist sehr besorgt über die militärische Zuspitzung im Grenzgebiet zwischen dem Nordsudan und dem Südsudan. Der Bundesaußenminister fordert beide Konfliktparteien auf, alle militärischen Feindseligkeiten umgehend einzustellen. Vom Südsudan erwartet die Bundesregierung die sofortige Räumung der Stadt Heglig. An die Adresse beider Parteien richtet sich unsere Forderung, alle offenen Fragen und auch offene Grenzfragen im Dialog zu lösen. Die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung eigener Interessen ist nicht hinnehmbar und wird von der Bundesregierung auf das Schärfste verurteilt.

Frage: Herr Dienst, wie sind die Erwartungen an die Frühjahrsoffensive der Taliban in diesem Jahr? Bereitet sich die Bundeswehr in besonderem Maße auf Attentate und Angriffe vor?

Dienst: "In besonderem Maße" sicherlich nicht, aber routinemäßig auf jeden Fall. Es ist klar, dass die Aktivitäten der Gegenseite zunehmen, und darauf ist man eingestellt.

Zusatzfrage: Rechnen Sie in diesem Jahr mit einer eher stärkeren oder eher schwächeren Frühjahrsoffensive der Taliban?

Dienst: Es ist gestern in den Medien auch schon mehrfach gesagt worden, dass das Wort "Frühjahrsoffensive" zuerst einmal eine Propagandahülse ist und die Nachhaltigkeit dieser Offensiven in der letzten Zeit immer relativ klein gewesen ist. Es handelt sich hierbei erfahrungsgemäß immer um Aktionen, mit denen punktuell für Aufmerksamkeit gesorgt werden soll, mit denen aber über diesen Einzelfall hinaus - soweit man dieses Ereignis als Einzelfall bezeichnen möchte - keine nachhaltige, über Wochen andauernde Wirkung zu erzielen war.

Peschke: Wenn ich mir vielleicht in diesem Zusammenhang auch noch einige Bemerkungen zu diesen Vorfällen erlauben dürfte: Zunächst einmal ist es so, dass diese terroristischen Angriffe von gestern und heute Nacht natürlich zeigen, wie schwierig das Sicherheitsumfeld in Afghanistan zumindest punktuell immer noch ist, in dem sowohl unsere Soldaten als auch unsere Polizisten, aber auch unsere zivilen Helfer und unsere Diplomaten operieren. Zweitens sollte man aus den Vorfällen aber eben auch keine falschen Schlüsse ziehen, insbesondere nicht, was die Sicherheitslage betrifft. Nach unserer Analyse kann man allein auf Grundlage der gestrigen nächtlichen Anschläge keine flächendeckende Verschlechterung der Sicherheitslage ableiten. Es hat sich um begrenzte terroristische Akte gegen möglichst sichtbare Ziele in Kabul und anderen Städten des Landes gehandelt. Allein auf dieser Grundlage hat sich die Sicherheitslage in der Fläche Afghanistans nicht verändert. Es ist auch etwas voreilig, allein auf Grundlage dieser Angriffe zu der Einschätzung zu kommen, da sei eine Offensive eingeleitet worden. Noch einmal: Es handelt sich hierbei um begrenzte terroristische Aktionen, die es leider auch vorher gegeben hat - ich erinnere an den Angriff auf ein Kabuler Hotel im letzten Herbst -, mit denen wir - das hat die Bundesregierung auch immer wieder gesagt - rechnen müssen und vermutlich auch in Zukunft rechnen müssen.

Gerade weil die Übergabe der Sicherheitsverantwortung in der Fläche vorankommt und weil die afghanischen Sicherheitskräfte in der Fläche zunehmend in der Lage sind, Sicherheitsprobleme selbst zu lösen, verlagern die Extremisten ihren Schwerpunkt auf terroristische Anschläge. Ziel der Anschläge ist es, die Fortschritte bei der Übergabe der Sicherheitsverantwortung und auch die Fortschritte hinsichtlich des politischen Prozesses der inneren Aussöhnung Afghanistans zu unterminieren. Gerade das darf ihnen nicht gelingen.

Deswegen werden wir unser Engagement hinsichtlich der Schwerpunkte auch gerade im Lichte dieser tragischen Ereignisse von gestern fortsetzen. Das ist zum einen die weitere Ertüchtigung der afghanischen Sicherheitskräfte, die ja - ich darf das hinzufügen - die Lage heute Nacht zum Teil sehr professionell und weitgehend selbstständig gelöst haben. Zweitens kommt es darauf an, den politischen Prozess sehr energisch voranzutreiben; denn am Ende werden die Aussöhnung und die Stabilität in Afghanistan nur über diesen Weg herzustellen sein.

Zusatzfrage: Herr Peschke, Sie liefern das Stichwort "der politische Prozess". Das beinhaltet auch Gespräche mit den Taliban. Inwieweit sind diese Gespräche durch die jüngsten Vorfälle belastet worden? Im Moment gibt es, soweit ich weiß, keine Verhandlungen, aber die müssten ja auch weitergehen.

Peschke: Wir haben immer nur gesagt, dass Gespräche zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in Afghanistan natürlich erfolgen müssen und dass es nicht ausreicht, Gespräche zwischen Freunden zu führen, sondern dass man natürlich auch mit der jeweils gegnerischen Seite sprechen muss. Wir haben zu den Details angebahnter und möglicherweise bereits stattfindender Gespräche nie öffentlich Stellung genommen. Ich werde das auch hier nicht tun. Nur so viel: Das war ein sehr schwieriger Prozess, ein sehr heikler Prozess, und das bleibt ein sehr heikler Prozess. Da spielen die gestrigen Ereignisse hinein, aber sie verändern nicht die Schwierigkeiten, denen wir uns gegenübersehen und denen sich auch die afghanische Seite gegenübersieht, wenn es darum geht, diese notwendigen Schritte zu ergreifen. Das Entscheidende ist, dass man bei all den Schwierigkeiten, die es gibt, an der Sache dran bleibt und weiter an der inneren Aussöhnung arbeitet - dabei hat es Fortschritte gegeben, auch was die Reintegration von früheren Kämpfern anbetrifft -, dass man sich aber von Kräften, die eben versuchen, die politische Aussöhnung durch Terror zu unterminieren, nicht entmutigen lässt.

Frage: Ich würde die letzte Frage gerne noch ein bisschen zuspitzen. Sie, Herr Seibert, und Sie, Herr Peschke, haben gesagt, nur eine politische Lösung könne die endgültige Lösung sein. Das ist sicherlich richtig. Ich teile auch Ihre Ansicht, was die Substanz dieser Angriffe in Kabul angeht. Aber eines ist vielleicht doch sehr deutlich, nämlich dass man das zumindest als politische Botschaft verstehen kann, und zwar als Absage an politische Gespräche und Absage an eine politische Lösung. Wie sehen Sie das? Ist die überhaupt noch möglich?

Peschke: Zur letzten Frage: Ja, wir glauben, sie ist möglich, und sie muss auch möglich sein.

Zum Zweiten, zum Begriff "Absage": Ich wäre mit solchen Pauschalierungen sehr vorsichtig. Es geht doch immer darum, dass man die politischen Gruppen und auch die extremen Gruppen in Afghanistan sehr differenziert betrachtet. Über die Hintergründe dieser Anschläge und darüber, wer die Drahtzieher sind und wer dafür verantwortlich ist, wird noch zu reden sein. Ich glaube, man hat es mit Blick auf die politischen Gruppen in Afghanistan und auch mit Blick auf diejenigen, die sich bisher in Opposition zur Regierung in Kabul gestellt haben, mit keinem geschlossenen Ganzen zu tun, sondern mit vielen verschiedenen Gruppen. Es wird sicherlich immer Leute geben, mit denen man leichter reden kann, und Leute, mit denen man schwieriger reden kann. Man muss eben dort ansetzen, wo das Gespräch möglich ist, um sozusagen auch diejenigen Gruppen, die der Gewalt weiterhin nicht abschwören wollen, Schritt für Schritt zu isolieren und zu schwächen. Das ist also ein sehr differenzierter Prozess, und allein mit der pauschalierten Aussage, das sei eine Absage, wird man, glaube ich, der Komplexität des Umfelds auch nicht gerecht.

StS Seibert: Ich glaube, alles, was Herr Peschke gesagt hat, ist richtig. Es war immer klar, dass es Kräfte in Afghanistan gibt, die nichts als die nackte Gewalt und den nackten Terrorismus zur Verfügung haben, weil sie der Bevölkerung nichts zu bieten haben, mit dem sie die Bevölkerung auf friedlichem Wege überzeugen könnten. Diese Kräfte existieren. Nichtsdestotrotz darf man das nicht monolithisch sehen, sondern man muss sehen, dass man mit einer möglichst großen Zahl von Partnern in diese versöhnenden Gespräche eintreten kann.

Frage: Ich habe eine Frage an das Finanzministerium zur europäischen Ratingagentur. Es gibt darüber jetzt Berichte. Wie geht es jetzt weiter, nachdem dieses Projekt offenbar in Schwierigkeiten steckt?

Kotthaus: Sie wissen, dass wir immer gesagt haben und auch dabei bleiben, dass es zu begrüßen wäre, wenn neben den großen, bekannten Ratingagenturen, die global agieren, zusätzliche Konkurrenz auf den Markt käme. Wir haben aber gleichzeitig auch gesagt, dass wir das immer im Bereich der privatwirtschaftlichen Lösung sehen, also einer Lösung, die über die Privatwirtschaft vorgenommen wird, da wir befürchten, dass, wenn der Staat dabei involviert werden würde, es von vornherein mit der Akzeptanz am Markt schwieriger werden würde. Wir haben heute also die Berichte zur Kenntnis genommen, die Sie auch gelesen haben und auf die Sie sich wahrscheinlich beziehen, dass es dort scheinbar Schwierigkeiten gibt. Das haben wir zur Kenntnis genommen, und das beobachten wir weiter.

Sie wissen, dass es in Brüssel weiterhin Aktivitäten gibt, die Ratingagenturen stärker zu regulieren und zu überwachen. Das begleiten wir auch intensiv. Wir unterstützen auch die dem entsprechenden Vorschläge - nicht voll inhaltlich, aber im Wesentlichen ist das der richtige Weg. Noch einmal: Wir glauben, dass mehr Konkurrenz gut ist, gut wäre, aber sie muss im Wesentlichen über den Markt zustande kommen.

Zusatzfrage: Wollen Sie, um diese Konkurrenz herzustellen beziehungsweise zu befördern, demnach keine neue, andere Initiative unternehmen?

Kotthaus: Ich glaube, ich habe relativ klar gemacht, wie wir uns eine Lösung vorstellen könnten. Noch einmal: Ratingagenturen müssen auch am Markt einen Erfolg haben. Deswegen ist der Ansatz, Konkurrenz auf dem Markt aufzubauen, auch sicherlich der vielversprechendere und bessere. Es wäre sicherlich zu begrüßen, wenn das Erfolg hätte und es mehr Konkurrenz auf dem Markt gäbe, aber das ist eine Frage der Marktteilnehmer und nicht des Staates. Der Staat ist im Bereich der Regulierung gefordert, und dort engagieren wir uns konkret über die europäischen Vorschläge. Sie wissen, dass es eine erste Regulierungswelle gegeben hat. Zurzeit wird ein zweiter Vorschlag vertieft diskutiert. Da sehen wir natürlich die Rolle des Staates.

Zusatz: Sie rufen den Markt auf, etwas zu tun, aber er macht es ja nicht!

Kotthaus: Noch einmal: Ratingagenturen werden von Marktteilnehmern getrieben und genutzt und werden auch von denen wahrgenommen. Es ist sicherlich schwierig, eine Ratingagentur mit einem dementsprechend hohen Anspruch am Markt zu etablieren; das ist keine Frage. Aber noch einmal: Das sind Instrumente, die eigentlich in der Wirtschaft verankert sind, dort auch dementsprechend ausgerichtet werden und eine dementsprechende Glaubwürdigkeit haben müssen. Jede Möglichkeit einer verstärkten Konkurrenz und von mehr Angebot auf dem Markt ist, wie gesagt, sehr zu begrüßen, aber wir sehen darin nicht die Rolle des Staates.

Frage: Ich möchte meine Frage vielleicht auf das Wirtschaftsministerium und auf Sie, Herr Seibert, erweitern. Das Thema Ratingagenturen ist eines, das nun seit zwei Jahre oder noch länger auch in der internationalen Diskussion über die Eurokrise eine große Rolle gespielt hat. Gibt es denn irgendetwas an Initiativen und möglicherweise an Gesprächsrunden mit relevanten Organisationen der Wirtschaft, um bei Wahrung dieses Gedankens, dass der Markt agieren solle, trotzdem vonseiten der Politik Gespräche und Bündnisse anzureizen, um solche europäischen Ratingagenturen auf den Weg zu bringen?

Ist Ihnen im Moment abseits dieser Initiative Berger irgendeine andere namhafte Initiative bekannt, die noch an diesem Projekt der europäischen Ratingagentur arbeitet und nach Ihrer Auffassung Relevanz besitzt?

Wiegemann: Das Bundeswirtschaftsministerium sieht es genauso, wie es Herr Kotthaus gerade ausgeführt hat. Unabhängig von dieser Frage arbeitet die Kommission, wie auch gesagt wurde, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten intensiv daran, die Rahmenbedingungen für mehr Wettbewerb und Transparenz auf dem Ratingmarkt zu schaffen. Davon wird nicht nur eine etwaige europäische Ratingagentur profitieren, sondern insbesondere auch kleine und mittlere Ratingagenturen, die bereits auf dem Markt aktiv sind.

Kotthaus: Noch einmal: Es ist bedauerlich, wenn das Projekt, wie es nach der Berichterstattung aussieht, in Schwierigkeiten gerät. Wie gesagt: Mehr Konkurrenz ist zu begrüßen; das ist gar keine Frage.

Es gibt aber neben diesem größeren Projekt, wie es auch meine Kollegin gerade gesagt hat, zahllose kleine und mittlere Ratingagenturen, die vielleicht mit einer stärkeren Vernetzung dementsprechend für mehr Konkurrenz sorgen könnten. Das ist ein schwieriges Geschäft; das ist unstreitig. Die drei großen Agenturen haben sich global etabliert. Sicherlich muss man gerade durch Regulierungsmaßnahmen schauen, dass dort keine Ungleichgewichte entstehen, die zu Schwierigkeiten und zu Verzerrungen führen.

Aber noch einmal: Das ist ein Instrument des Marktes, und es wäre daher sehr zu begrüßen, wenn dementsprechend auch über verschiedene Methoden - wie zum Beispiel die Initiative von Roland Berger eine gewesen ist oder noch ist - oder aber durch Vernetzung, Zusammenarbeit und Kooperation kleiner und mittlerer Agenturen ein anderes Modell entstehen könnte, im Rahmen dessen mehr Konkurrenz auf dem Markt existiert.

Zusatzfrage: Ich wiederhole die Frage auch gegenüber Herrn Seibert: Gibt es Überlegungen der Kanzlerin und auch des Wirtschaftsministers, dieses Thema in ihren häufigen Gesprächen mit Vertretern der Wirtschaft jetzt einfach noch einmal stärker zu befördern, es anzusprechen und über den Weg des Gesprächs mehr passieren zu lassen?

StS Seibert: Ich glaube, der Wirtschaft und der Öffentlichkeit ist die Grundhaltung der Bundesregierung und der Bundeskanzlerin dazu mehr als bekannt. Sie lautet: Ja, mehr Wettbewerb auf dem Ratingmarkt wäre zu begrüßen, und dieser Wettbewerb muss aus dem Privatsektor heraus initiiert werden. Das ist das Notwendige. Eine staatliche Beteiligung daran wird nicht zu irgendeiner Form von Glaubwürdigkeit führen. Diese Haltung haben die Bundeskanzlerin und die gesamte Bundesregierung, glaube ich, allgemein bekannt gemacht, und deswegen muss da jetzt nicht nachgelegt werden.

Ich entnehme der Meldung in der "Financial Times", dass das Projekt zumindest in der Grundidee von Roland Berger noch weiter bearbeitet werden soll. Nun sollten wir vielleicht auch einmal abwarten, wie die Wirtschaft letztlich reagieren wird. Aber wie es der Sprecher des Finanzministeriums gesagt hat, wäre es bedauerlich, wenn dieses Projekt tatsächlich nicht zustande käme.

Kotthaus: Um es noch einmal klarzumachen: Ich kenne bis jetzt auch nur die Berichterstattung aus den Zeitungen. Wie weit der Status quo wirklich ist, weiß ich also nicht; das kann ich seriös nicht beurteilen. Zu begrüßen wäre es, wenn es mehr Konkurrenz gäbe; gar keine Frage.

Gleichzeitig, was die Fragen der staatlichen Regulierung betrifft, bemühen wir uns gerade im europäischen Kontext, aber auch im G20-Kontext darum, die Bedeutung externer Ratings in einigen Bereichen zurückzudrängen und gerade die verschiedenen Investoren dazu zu animieren, auch stärker über eigenen Sachverstand zu verfügen und darauf zurückgreifen zu können, damit diese Einseitigkeit etwas aufgehoben wird. Aber noch einmal: Mehr Konkurrenz muss über die Privatwirtschaft kommen.

Frage: Ich würde gerne zwei Fragen zum Betreuungsgeld stellen wollen. Herr Steegmans, hält denn Ihre Ministerin daran fest, dass man die Auszahlung des Betreuungsgeldes an bestimmte Voraussetzungen knüpfen sollte, beispielsweise an bestimmte Arztbesuche etc.?

Zweitens hätte ich gerne gewusst, wie ich mir die Erarbeitung dieses Gesetzentwurfes jetzt vorstellen muss. Warten Sie auf eine Vorlage von Frau Haderthauer, Herrn Dobrindt oder von wem auch immer?

Steegmans: Einen Tag, nachdem die Ministerin den Vorschlag - eine etwas semantisch interpretative Begrifflichkeit - in einem Interview selbst gemacht hat, ist festzuhalten: Die Ministerin hat diesen Vorschlag am gestrigen Tag gemacht. Sie sagt: Wir möchten sicherstellen, dass auf diejenigen, auf die möglicherweise ein Stück genauer geschaut werden sollte, auch geschaut werden kann. Die sogenannten U-Untersuchungen, die in dieses gelbe Heft eingetragen werden, das jedes Baby bei seiner Geburt im Krankenhaus ausgestellt bekommt, dienen ja gerade nicht der rein medizinischen Untersuchung, sondern auch dem Abklopfen des einen oder anderen psychischen Zustandes des Kindes. Wir glauben, dass es einerseits vernünftig ist, zu schauen, dass diese Untersuchungen vorgenommen werden, und dass es andererseits auch sinnvoll ist, möglicherweise Hinweise darauf zu bekommen, wo diese Untersuchungen nicht vorgenommen werden.

Wer selbst kleine Kinder hat oder jemanden kennt, der kleine Kinder hat, der mag an der einen oder anderen Stelle auch schon erfahren haben, dass bereits jetzt zum Teil die Jugendämter und zum Teil die Krankenkassen Wert darauf legen, dass diese Untersuchungen vorgenommen werden. Ich erinnere mich daran, dass ich selbst wegen eines meiner eigenen Kinder einen Brief bekam, weil wir - ich glaube, urlaubsbedingt - eine solche Untersuchung einmal nicht vornehmen lassen konnten und ich hinterher eine Erinnerung bekam. Ich habe anschließend selbst ein sehr schlechtes Gewissen bekommen und das sofort nachgeholt. Das heißt also, wenn die Gesellschaft an dieser Stelle ein Auge darauf hat, dann kann das nicht schädlich sein, und das wird auch einem gewissen Fürsorgeauftrag gerecht, den die Gesellschaft und auch die Politik an dieser Stelle haben.

Deshalb gilt: Die Ministerin hält nicht daran fest, sondern sie hat diesen Vorschlag ja gerade erst gemacht. Das ist, glaube ich, etwas anderes. Wenn dieser Vorschlag jetzt ein halbes Jahr zurück läge und Sie in der Zwischenzeit nichts gehört hätten, dann hätte die Frage möglicherweise eine gewisse Berechtigung.

Es gibt auch, soweit ich weiß, niemanden, der diesen Vorschlag infrage stellt. Jetzt werden Sie möglicherweise sagen: "Ja, aber der Herr Dobrindt hat sich so geäußert." Frau Bär, die Kollegin von Herrn Dobrindt, hat sich gegenteilig geäußert. Sie dürfen davon ausgehen, dass wir diesen Vorschlag, bevor wir ihn über die Medien der Öffentlichkeit mitgeteilt haben, beispielsweise auch mit Frau Haderthauers Ministerium besprochen haben und von dort auch die Zustimmung dazu erhalten haben, dass es eine sinnvolle Lösung ist, diesen Ansatz zu wählen, nämlich die Sichtung der U-Untersuchungen mit dem Betreuungsgeld zu verknüpfen. Diesbezüglich haben wir also rechtzeitig Gespräche geführt und dementsprechend auch die Zustimmung der CSU.

Was die zweite Frage angeht, ist es wie folgt: Wir haben immer gesagt, dass wir ungefähr bis Ostern unsere internen Vorarbeiten - bei einem Journalisten würde man "die Recherche" sagen - abgeschlossen haben werden. Jetzt gehen wir daran, um im journalistischen Jargon zu bleiben, das Stück zu schreiben. Dass währenddessen noch Gespräche mit dem einen oder anderen Akteur nötig sind, haben Sie auch der Debatte der vergangenen zwei Wochen ansehen dürfen. Es gibt hier und da Unklarheiten hinsichtlich der Begrifflichkeit. Verschiedene Akteure im politischen Geschäft verstehen Unterschiedliches unter verschiedenen Begriffen. Es ist immer wieder sinnvoll, noch einmal mit dem einen oder anderen darüber zu sprechen.

Dieses Gesetz wird jetzt als Entwurf geschrieben. Es wird vor der Sommerpause - das hat die Ministerin auch am gestrigen Tag gesagt - vorgestellt werden können. Die Ministerin hält, solange die Koalition an diesem Auftrag festhält, auch an der Arbeit fest.

Zusatzfrage: Ist die Vorstellung dann vor der Abnahme oder nach der Abnahme geplant?

Steegmans: Meinen Sie die öffentlichkeitswirksame Vorstellung? Wir haben bereits mehrfach in Interviews sagen, dass wir uns dabei ein wenig die Standortreform der Bundeswehr zum Vorbild genommen haben, bei der die Arbeiten auch zuerst im Ministerium erledigt wurden und es danach Gespräche mit verschiedenen Akteuren in der Fläche gab. Diese Arbeiten sind ausgesprochen geräuschlos vonstattengegangen. Erst als alles fertig war und als alles besprochen worden war, ist der Verteidigungsminister anschließend an die Öffentlichkeit gegangen. Da haben wir möglicherweise vom Vorgehen her eine gewisse Anleihe vorgenommen, weil wir glauben, dass es vernünftig ist, die Gespräche intern zu führen, sie geräuschlos zu führen und das Endprodukt am Ende der Öffentlichkeit vorzustellen.

Frage: Abgesehen davon, dass die CSU davon wahrscheinlich nicht so wahnsinnig viel hält, wollte ich eine Frage an den Regierungssprecher stellen. Herr Seibert, wir haben gehört, wie umfangreich die Recherche aus dem Ministerium vorher war. Ich nehme an, dass die Kanzlerin und das Kanzleramt dabei auch eingeschaltet waren und dass die Kanzlerin das, was von Frau Schröder eingebracht worden ist, also eine Verknüpfung mit den Vorsorgeuntersuchungen, auch als möglichen Kompromissvorschlag unterstützt. Ist das richtig?

StS Seibert: Ich glaube, Herr Steegmans hat gerade gesagt, und das ist ja sehr richtig: Gestern ist das in einem Interview von der zuständigen Ministerin geäußert worden. Jetzt kommt die Ressortabstimmung. Wir werden vor der Sommerpause einen Gesetzentwurf vorliegen haben, der dann klar definieren wird, wie das Betreuungsgeld umgesetzt werden soll, und der dann - aber am konkreten Beispiel und am konkreten Detail - die Möglichkeit für reichhaltige Diskussionen bieten wird. Es ist die Überzeugung der Bundeskanzlerin, dass das der richtige Weg ist.

Zusatzfrage: Aber eine Antwort war das jetzt, mit Verlaub, nicht ganz. Die Frage war ja, ob die Kanzlerin diesen Kompromissvorschlag - eine Verknüpfung von Betreuungsgeld und Vorsorgeuntersuchungen - unterstützen würde.

StS Seibert: Die Kanzlerin wird sich zu dem Gesetzentwurf dann äußern, wenn alle Details wirklich ausgearbeitet vorliegen werden.

Frage: Herr Steegmans, ich habe noch eine Frage zur Argumentation. Vielleicht können Sie mir dabei helfen. Wenn Frau Schröder sagt, man wolle das Betreuungsgeld an die Vorsorgeuntersuchungen binden, was soll das helfen? Geht das Kind danach zwangsweise in die Kita, weil es gefördert werden muss, oder wie ist das aus Ihrer Sicht zu verstehen?

Steegmans: Es wird ja immer umgekehrt argumentiert, dass eine Minderheit von Kindern und eine Minderheit von Eltern Gefahr laufe, durch einen Anreiz aus der Kita ferngehalten zu werden. Nun lautet diese Argumentation weiter, dass diesen Kindern angeblich einerseits Bildung vorenthalten werde würde und dass andererseits auch in anderen Bereichen ein gewisses Auge auf die Entwicklung dieser Kinder durch jemanden anderes als die Eltern hilfreich für die Entwicklung der Kinder wäre. Dementsprechend sagen wir: Bei einem gewissen Teil der Kinder wäre das Nicht-Einhalten dieser Vorsorgeuntersuchungen möglicherweise ein Indiz dafür, dass dort mit der Entwicklung etwas nicht ganz optimal abläuft. Das wäre dann für uns der Grund dafür, dass wir sagen: Wenn wir ein Auge auf diese Vorsorgeuntersuchungen bekommen, bekommen wir möglicherweise auch einen geschärften Blick für Problemlagen und können dementsprechend einen Teil der Sorge entkräften, dass Kinder, weil sie nicht in die Kita gehen, möglicherweise entwicklungsmäßig aus den Augen von Menschen geraten, die die nötige Hilfestellung geben könnten.

Zusatzfrage: Bei der bildungspolitischen Argumentation geht es darum, dass die Kinder im Zusammensein mit anderen Kindern und Erzieherinnen mehr Vorschulbildung oder frühe Bildung mitbekommen, als wenn sie nicht in die Kita gehen. Was entspricht dem? Wenn man bei einer Vorsorgeuntersuchung entdeckt, dass es dem Kind nicht gut geht, was machen Sie dann?

Steegmans: Sie müssen dabei zwei Dinge auseinanderhalten: Das eine ist eine politische Argumentation, und das andere ist eine sachlich-fachliche Feststellung von realen, individuellen Entwicklungsdefiziten. Die realen Entwicklungsdefizite kann man immer nur dann feststellen, wenn sich ein Arzt selbst mit einem Kind befasst. Das andere, nämlich dass Kinder unter 3 Jahren angeblich automatisch vom Kita-Besuch profitieren, ist eine Behauptung. Wenn Sie die derzeitigen Zeitungen durchblättern, dann finden Sie für die eine Argumentation ungefähr genauso viele Argumente wie für die andere Argumentation. Viele argumentieren auch, dass beispielsweise im Bereich der unter 3-Jährigen die elterliche Bindung für die Entwicklung eines Kindes sehr förderlich ist. Wir müssen also behauptete Argumentationsweisen und reale Entwicklungsprobleme einzelner Kinder voneinander trennen.

Uns geht es darum, tatsächliche Schwierigkeiten zu erkennen, tatsächlich nachvollziehbare Entwicklungsverläufe und Entwicklungsdefizite frühzeitig beheben zu können und dort ein Instrumentarium zu entwickeln, wo wir tatsächlichen Problemen effizient begegnen können. Es geht uns an dieser Stelle nicht um einen Kulturkampf, sondern es geht uns darum, reale Defizite frühzeitig erkennen zu können und dafür ein geeignetes Instrumentarium zu finden, um dann auch rechtzeitig eingreifen zu können. Die Ministerin hat nicht ohne Grund gesagt: Wer sein Kind im zweiten Lebensjahr zuhause erzieht, der ist nicht hirnlos, und wer es im zweiten Lebensjahr in eine Krippe gibt, der ist nicht herzlos. Wir sollten uns davon verabschieden, dass ein einziges Modell für alle Kinder und Eltern dieser Republik das einzig selig machende ist.

StS Seibert: Wenn ich dazu noch ganz kurz etwas sagen darf: Sie sprachen eben von versäumter vorschulischer Bildung. Für mich ist das ein bisschen ein Beispiel dafür, wie unscharf manchmal über das Thema Betreuungsgeld gesprochen wird. Wir reden über Kinder, die ein Jahr oder zwei Jahre alt sind. Niemand spricht davon, dass denen die vorschulische Bildung vorenthalten werden soll, die ab dem dritten Lebensjahr in der Kindertagesstätte oder im Kindergarten geboten wird. Wir reden von Kindern, die ein Jahr oder zwei Jahre alt sind. Ich lese sehr häufig in Artikeln, es gehe dabei um ein Vorenthalten der vorschulischen Bildung, und das kann man ja nun wirklich gar nicht gleichsetzen.

Zusatz: Entschuldigung, aber ich hatte mich korrigiert und dann "frühkindliche Bildung" gesagt.

StS Seibert: Gut, Entschuldigung. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass das unabhängig davon in vielen Artikeln und Berichten doch manchmal ziemlich unscharf diskutiert wird.

Steegmans: Wir müssen uns auch einmal klarmachen, weil das viele übersehen, dass derzeit, glaube ich, 60 bis 70 Prozent der 2-Jährigen nicht in eine Krippe gegeben werden. Ich glaube nicht, dass wir uns derzeit einer kompletten gesellschaftlichen und psychosozialen Deformation eines ganzen Jahrgangs ausgesetzt sehen. Da muss man auch einmal die Verhältnisse etwas geraderücken.

Frage: An Herrn Steegmans und vielleicht auch Herrn Seibert: So häufig ist es nicht, dass Arbeitgeber und DGB gemeinsam eine sehr scharfe Position vertreten; das haben die nun heute aber gemacht, und zwar in der Frage des Betreuungsgeldes. Herr Hundt und Herr Sommer gemeinsam bezeichnen das Vorhaben des Betreuungsgeldes als einen gewaltigen Rückschritt in zentralen familienpolitischen, in zentralen bildungspolitischen, in zentralen arbeitsmarktpolitischen Themen - Herr Hundt nannte es, glaube ich, einen komplett falschen Ansatz -, und die Koalitionsparteien werden aufgefordert, davon Abstand zu nehmen. Macht dieser doch sehr massive und ungewöhnliche gemeinsame Widerstand Sie nicht doch irgendwie nachdenklich? Oder haben Arbeitgeber und Gewerkschaften da einfach einen Hau?

Steegmans: Die Ihrer Frage zugrunde liegende Frage würde ich mir nie zu eigen machen. Es ist tatsächlich eine bemerkenswerte Allianz von Volkswirten und Volkserziehern, die da am Werke ist, aber die Argumente überzeugen uns nicht. Wir sehen ja auch, dass jeder aus gewissen eigenen Motiven heraus diese Position bezieht. Familien sind nicht der Steinbruch im Kampf gegen den Fachkräftemangel. Es geht darum, Möglichkeiten zu eröffnen, es geht aber nicht darum, an dieser Stelle den Familien in Deutschland vorzuschreiben, wie und wann sie sich am Arbeitsleben zu beteiligen haben.

Dass wir als Familienministerium ein großes Interesse daran haben, dass Eltern, die eine gewisse Zeit lang auf berufliches Einkommen und berufliches Fortkommen verzichtet haben, um anschließend ihre Kinder zu betreuen und dann wieder den Weg zurück ins Arbeitsleben zu finden, auch Unterstützung erhalten, zeigt sich daran, dass wir viele Programme haben, die da ansetzen, damit Menschen nach der Familiengründung wieder im Arbeitsmarkt Fuß fassen. Dass die Ministerin beispielsweise in einem Detail, das an diesem Wochenende nachrichtlich wenig beachtet wurde, ausdrücklich davon gesprochen hat, dass es auch darum geht, einen Anspruch auf Wiederaufstockung nach Teilzeit auch jenseits der Elternzeit zu haben, zeigt ja, dass wir dort den gesamten Lebensverlauf von Familien im Blick haben. Da wünschen wir uns dann beispielsweise genauso das scharfe und wache Auge von Gewerkschaften und Arbeitgebern, wenn es darum geht, die strukturelle Benachteiligung beispielsweise von zurückkehrenden Müttern im Arbeitsmarkt tatkräftig mit zu beheben. Ich bin einmal gespannt, ob wir dieselbe Emphase, die wir im Augenblick in der Argumentation gegen das Betreuungsgeld erleben, da dann auch bei BDA und DGB hören.

Frage: Herr Steegmans, bekommt man die Problemfamilien - ich sage es einmal mit meinen Worten - dann denn wirklich so, dass sie nicht durchs Raster fallen? Denn ich habe gehört - und das ist jetzt meine Frage -, dass das Betreuungsgeld bei Hartz IV angerechnet werden soll, das heißt also, der Kreis der Leistungsempfängerfamilien kommt überhaupt nicht in den Genuss des Betreuungsgeldes.

Steegmans: Ich weiß nicht, was Sie da gehört haben. Wir haben unsererseits gesagt, dass derartige Detailfragen am Ende des Abstimmungsprozesses vorgestellt und erörtert werden. Ich kann Ihnen deshalb zu diesem speziellen Detail keinerlei Auskunft geben. Wir müssen uns aber klar machen, dass Sie sich mit der Frage des Krippenplatzes auf der einen Seite und der Betreuung im häuslichen Umfeld auf der anderen Seite nie aller Probleme, denen sich kleine Kinder in Deutschland möglicherweise ausgesetzt sehen, automatisch und per staatlicher Rundumaufsicht entledigen können. Worum es uns geht, ist, dass wir da, wo wir entdecken können, dass es eine reale Grundlage für einzelne Problemfälle gibt, dann auch ein geeignetes Instrumentarium entgegensetzen möchten. Aber dass Sie quasi einen Vollkaskoschutz gegen mögliche Vernachlässigungen bekommen, wird - obwohl wir zum 1. Januar gerade erst ein neues Kinderschutzgesetz in Deutschland in Kraft gesetzt haben - dann möglicherweise doch ein frommer Wunsch bleiben. Wir bemühen uns, die weißen Flecken des Kinderschutzes auszufüllen mit wirksamen Instrumentarien. Es wird aber möglicherweise auch bei einer guten Aufsicht über die U-Untersuchungen am Ende immer noch Lücken von einzelnen Fällen geben. Wir hoffen aber, dass wir auf diese Art und Weise schon einmal eine große Lücke schließen können.

Zusatzfrage: Herr Steegmans, ich habe dieses Detail nur angesprochen, weil ich es bei Ihrer Ministerin noch nicht gefunden habe, aber sehr wohl bei Frau Hasselfeldt gefunden haben. Deshalb hätte ich schon gern gewusst, was die Position Ihrer Ministerin dazu ist.

Steegmans: Sie dürfen fest davon ausgehen, dass die Ministerin eine Position dazu hat. Ich sage ja auch gar nicht, dass ich Ihnen dazu keine Auskunft geben kann; ich sage nur, dass ich sämtliche Fragen dieser Art erst nach Beendigung des Abstimmungsprozesses mit den anderen Akteuren vortragen werde.

Frage: Ich habe zwei Fragen zum Verbleib des deutschen Frachters "Atlantic Cruiser". Vielleicht zunächst an das zuständige Wirtschaftsministerium: Was ist Ihr Kenntnisstand über Verbleib und Ladung dieses Frachters? Die zweite Frage vielleicht an das Auswärtige Amt: Warum ist es so schwierig, eines solchen Schiffes habhaft zu werden, es zu kontrollieren? Diese Frage stellt sich zumal angesichts eines klaren bestehenden Waffenembargos.

Wiegemann: Wie Sie wissen, ist die Bundesregierung am Wochenende den Hinweisen auf einen möglichen Embargoverstoß unter Beteiligung eines in deutschem Eigentum stehenden Schiffes intensiv nachgegangen und tut dies auch weiterhin.

Das Schiff "Atlantic Cruiser" steht im Eigentum des deutschen Unternehmens Bockstiegel. Es ist zwar in das deutsche Flaggenregister eingetragen, aber zurzeit nach Antigua und Barbuda ausgeflaggt und an ein ukrainisches Unternehmen verchartert. Ob es sich bei den an Bord befindlichen Waffen tatsächlich um Rüstungsgüter handelt, ist bislang weiterhin nicht bekannt.

Trotz der rechtlichen Problematik nutzt die Bundesregierung alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, um einen möglichen Embargoverstoß zu verhindern. Die Bundesregierung hat mit dem Flaggstaat bereits Kontakt aufgenommen und hat die Botschaften in der Region gebeten, ihre jeweiligen Gastregierungen wegen eines möglichen Verstoßes gegen Embargovorschriften auf den Vorgang aufmerksam zu machen.

Das Bundeswirtschaftsministerium hat am Wochenende mit der deutschen Reederei Kontakt aufgenommen. Nach Auskunft der Reederei ist eine Weiterfahrt der "Atlantic Cruiser" nach Syrien nicht beabsichtigt. Das Schiff sei vielmehr auf Veranlassung der Reederei gestoppt worden und solle nun einen sicheren Dritthafen im Mittelmeer anlaufen. Dort solle dann zunächst überprüft werden, worum es sich bei der Ware handelt.

Die Bundesregierung steht weiterhin in engem Kontakt mit der deutschen Reederei und den Ländern in der Region. Die Reederei Bockstiegel bereitet aktuell eine Presseerklärung vor. Dieser Unternehmenserklärung möchte die Bundesregierung nicht vorgreifen.

Vorsitzender Leifert: Herr Peschke, wollen Sie das noch ergänzen?

Peschke: Das war eigentlich völlig umfassend. Ich kann nur bestätigen, dass wir in der Tat die Botschaften da in die Spur geschickt haben, sowohl mit dem Flaggstaat als auch mit den Nachbarstaaten in der Region zu sprechen, um die Sachlage aufzuklären und um einem möglichen Embargoverstoß auch in aller Konsequenz nachzugehen - das ist ja klar.

Zusatzfrage: Welcher Dritthafen soll denn angelaufen werden? Ist es üblich, dass die Reederei im Prinzip nicht weiß, was sie transportiert, also nur irgendwelche Papiere sieht? Gibt es da keinerlei Kontrollen, sodass im Prinzip immer nur eine deklarierte Ware transportiert wird, aber eine Kontrolle - auch an Bord, zum Beispiel auch auf hoher See - nicht möglich ist?

Wiegemann: Es handelt sich um einen sicheren Dritthafen im Mittelmeer, der angelaufen werden soll.

Zusatzfrage: Das war mehr eine Frage nach einem Namen, nicht nach der Bezeichnung.

Wiegemann: Wie gesagt, zum jetzigen Zeitpunkt kann ich Ihnen nur mitteilen, dass es sich um einen sicheren Dritthafen im Mittelmeer handeln wird. Der Unternehmenserklärung der Reederei Bockstiegel möchte ich nicht vorgreifen.

Vorsitzender Leifert: Und wie war das mit der Überprüfung?

Wiegemann: Wie gesagt, sobald das Schiff den sicheren Dritthafen angelaufen hat, soll dort dann die Ware überprüft werden.

Zusatzfrage: Die Frage bezog sich auf die allgemeine Praxis der Überprüfung und der Kontrolle einer solchen Ware, wie Sie sozusagen tagtägliche Praxis ist.

Wiegemann: Diesbezüglich möchte ich der Erklärung der Reederei nicht vorgreifen. Die Reederei bereitet, wie bereits erwähnt, eine Presseerklärung vor. Ich gehe davon aus, dass das Unternehmen umfassend über den Vorgang informieren wird.

Frage: Wer wird denn die Untersuchungen leiten oder wer wird dabei sein? Inwieweit wird Deutschland daran beteiligt sein? Ist es nicht nötig gewesen, vorher ein Rechtshilfeersuchen bei Antigua einzuholen, oder ist das schon geschehen?

Wiegemann: Wie gesagt, die Bundesregierung hat die Botschaften in der Region gebeten, ihre jeweiligen Gastregierungen auf den Vorgang aufmerksam zu machen. Sie steht weiterhin mit den Botschaften der Region in enger Verbindung. Derzeit kann ich weitere Informationen dazu nicht geben.

Zusatzfrage: Aber Sie können doch sagen, ob Deutschland in irgendeiner Weise an den Untersuchungen beteiligt sein wird?

Wiegemann: Auch dazu kann ich Ihnen momentan noch keine Informationen geben.

Zusatzfrage: Und wegen des Rechtshilfeersuchens können Sie auch nichts sagen?

Wiegemann: Die Bundesregierung hat bereits mit dem Flaggstaat Kontakt aufgenommen. Das Schiff ist, wie gesagt, zwar in ein deutsches Flaggenregister eingetragen, aber derzeit nach Antigua und Barbuda ausgeflaggt. Die Bundesregierung hat mit dem Flaggstaat bereits Kontakt aufgenommen.

Zusatzfrage: Das, was Sie referieren, ist ja relativ genau der Stand, den man auch gestern schon in den Medien lesen konnte. Da war auch zu lesen, dass das Schiff heute in der Türkei ankommen wird. Können Sie sagen, ob die Türkei dieses sichere Drittland sein wird?

Wiegemann: Ich möchte diesbezüglich der Stellungnahme der Reederei nicht vorgreifen.

Frage: Ehrlich gesagt verstehe ich das nicht. Ich bin nun kein Schifffahrtsexperte, aber mir stellt sich die Frage: Wenn das Schiff ausgeflaggt ist, ist Deutschland damit dann aus dem Schneider, oder ist Deutschland als Sitzland der Reederei in der Verantwortung?

Wiegemann: Die rechtliche Situation ist tatsächlich problematisch, da das Schiff ausgeflaggt ist und an ein ukrainisches Unternehmen verchartert ist. Rechtlich ergeben sich dadurch natürlich Schwierigkeiten, aber derzeit muss erst einmal der Sachverhalt aufgeklärt werden. Es muss aufgeklärt werden, ob sich an Bord tatsächlich Rüstungsgüter befinden. Erst wenn das abgeschlossen ist und erst wenn die Fakten aufgeklärt sind, kann eine abschließende rechtliche Bewertung des Sachverhalts vorgenommen werden.

Frage: Frau Wiegemann, verstehe ich Sie richtig, dass Sie sagen: Erst wenn wir wissen, was das Schiff geladen hat, wissen wir, welche Rechtsverbindlichkeit hinsichtlich Reedereisitz, Ausflaggung usw. besteht? Es kann doch eigentlich nur anders herum sein, oder?

Wiegemann: Was ich meinte, ist, dass die rechtliche Situation durchaus problematisch ist und dass wir zunächst alle den Sachverhalt aufklären wollen, damit anschließend eine abschließende rechtliche Bewertung vorgenommen werden kann.

Peschke: Wenn ich das noch ergänzen darf: Es ist genau so, wie es die Kollegin beschreibt. Es ist doch so: Das Schiff fährt jetzt erst einmal in den sicheren Dritthafen. Wir haben hier einen möglichen Sanktionsverstoß. Worum handelt es sich? Es handelt sich um EU-Sanktionen und ein Waffenembargo; das sind keine Uno-Sanktionen. Da stellt sich ja schon die Frage, wer dann wie gegen welche Sanktionen verstoßen hat, je nachdem, wie der rechtliche Status sich da aufklärt. Das Schiff ist an eine ukrainische Gesellschaft verchartert und ist Eigentum einer deutschen Reederei. Daran sieht man ja schon: Die Umsetzung von EU-Sanktionen ist nicht ganz so einfach - das ist ja wohl logisch. Dann liegt es natürlich erst einmal in der Verantwortung des Staates, zu dem das Schiff hinfährt, die Frage zu klären: Was ist drauf? Das müssen wir also erst einmal klären. Dass wir da über unsere Vertretungen und über unsere Experten irgendwie involviert sind, ist klar, aber es ist natürlich die Verantwortung desjenigen Landes, in dem das Schiff dann landet, die Frage zu klären: Was ist drauf und inwiefern gibt es Sanktionsverstöße? Wir reden im Moment über einen möglichen Embargoverstoß im Rahmen eines Waffenembargos, das seitens der EU besteht. Da sind noch viele Fragen zu klären; das ist einfach so.

Frage: Wiegemann, Sie haben gesagt, die Lage sei rechtlich problematisch. Können Sie sagen, welcher Art diese Problematik ist? Ist das eine grundsätzliche rechtliche Frage oder sind das nur Detailfragen, wie Herr Peschke sie geschildert hat?

Wiegemann: Es geht eben darum, dass das Schiff nach Antigua und Barbuda ausgeflaggt ist und an ein ukrainisches Unternehmen verchartert ist. In diesem Zusammenhang ergeben sich bei der rechtlichen Bewertung einfach Schwierigkeiten. Das muss auf der Grundlage eines klaren Sachverhalts geklärt werden. Deshalb müssen wir die Sachverhaltsaufklärung jetzt einfach erst einmal abwarten, bevor wir den Sachverhalt konkret rechtlich beurteilen können. Aus diesem Grund kann ich Ihnen dazu momentan noch keine genaue Auskunft geben.

Zusatzfrage: Heißt das, dass die Rechte und Pflichten der Bundesrepublik als Heimatland der Reederei damit ungeklärt sind, unabhängig davon, wer Charterer und wer Flaggstaat ist?

Wiegemann: Ich möchte sie bitten, uns erst einmal den Sachverhalt aufklären zu lassen. Anschließend werden wir zu der rechtlichen Bewertung gerne Stellung nehmen.

Zusatzfrage: Das ist eigentlich eine sehr grundsätzliche Frage.

Wiegemann: Dem habe ich jetzt nichts hinzuzufügen.

Frage: Mir geht es um das Thema des brasilianischen Atomkraftwerks Angra III, das ja mit deutschen Exportkrediten gefördert werden soll. Die Frage richtet sich deswegen zunächst ans Wirtschaftsministerium: Können Sie bestätigen, dass das neue Gutachten, auf das man gewartet hat und das die Grundlage für die Entscheidung sein soll, jetzt vorliegt? Können Sie etwas dazu sagen, was in dem Gutachten steht, wann und in welcher Form es veröffentlicht werden wird und wann die Entscheidung fällt?

Wiegemann: Das Gutachten liegt vor. Es ist ein sehr umfassendes Gutachten. Wir sind in die rechtliche Prüfung eingetreten.

Zusatzfrage: Wird es veröffentlicht?

Wiegemann: Jetzt werden wir es erst einmal prüfen. Alle anderen Fragen werden sich im Anschluss daran klären.

Zusatzfrage: Liegt das Gutachten nur Ihrem Haus vor oder liegt es beispielsweise auch dem Umweltministerium vor, Herr Maaß?

Maaß: Das kann ich Ihnen im Moment nicht sagen. Ich vermute einmal, wir haben es nicht, aber ich kann es Ihnen nicht sagen. Sie werden es aber auch von uns nicht bekommen, wenn Sie es von einer Kollegin nicht bekommen - um das noch hinzuzufügen.

Frage: Ich habe eine Frage an Herrn Seibert und Herrn Kotthaus. Nicolas Sarkozy hat gestern gesagt, dass er eine Debatte über eine Erweiterung des EZB-Mandats eröffnen möchte, besonders damit mehr Wachstum in das Mandat hineinkommt. Was sagen Sie dazu?

StS Seibert: Dazu sage ich, dass die deutsche Haltung zur EZB und ihrer unabhängigen Rolle bekannt ist - auch in Paris bekannt ist - und seit langer Zeit unverändert ist. Wir sehen genau wie die französische Regierung die Notwendigkeit für nachhaltiges Wachstum in Europa und haben deswegen - gerade auch zusammen mit der französischen Regierung - eine Zahl von Initiativen ergriffen, die bei Europäischen Räten dazu geführt haben, dass das Thema Wachstum und das Thema, was dafür getan werden kann, dass Wachstum und Beschäftigung in Europa vorankommen, auch Themen des Europäischen Rates waren. Da sind wir also in der Zielsetzung mit der französischen Regierung ganz eins.

Zusatzfrage: Steigt bei der Bundeskanzlerin die Sorge, wenn sie sieht, wie in der französischen Wahlkampagne von Europa gesprochen wird?

StS Seibert: Nein, Wahlkampagnen sind Wahlkampagnen, die kommentieren wir nicht. Wichtig ist die Zusammenarbeit, die wir mit der französischen Regierung haben. Das ist eine sehr enge, eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit. Unsere europäischen Ziele entsprechen einander sehr stark und haben gerade in den letzten anderthalb Jahren, glaube ich, auch zu guten, konkreten europäischen Ergebnissen geführt.

Zusatzfrage: Noch eine ganz kleine Frage an Herrn Kotthaus: Politiker in Frankreich haben sich auch über die neuen Finanzprodukte von Eurex beklagt, da diese es erlauben, auf französische Staatsanleihen zu spekulieren. Sie haben gesagt, die deutschen Behörden hätten das vielleicht irgendwie vermeiden können. Gibt es einen Kommentar dazu? Wäre es überhaupt möglich, das zu verbieten?

Kotthaus: Ich glaube, dazu gilt, was auch der französische Finanzminister gesagt hat: Dieses Produkt bedarf keiner vorherigen Genehmigungen, sondern kann auf den Markt gebracht werden.

Frage: Nur zur Klarstellung: Herr Seibert, ich lese in Zeitungen, das Plädoyer von Sarkozy für eine Wachstumskomponente in der EZB-Politik widerspreche oder liege in Kollision zu einer Absprache zwischen der Kanzlerin und Sarkozy, die EZB eben nicht zum Thema politischer Auseinandersetzungen zu machen. Ist das so richtig, gibt es eine solche Absprache zwischen beiden, die EZB aus der politischen Diskussion herauszulassen?

StS Seibert: Es gibt die Grundüberzeugung der Bundesregierung - und auch nicht erst dieser Bundesregierung, sondern auch anderer Bundesregierungen vor ihr -, dass die EZB unabhängig von Zureden und Zutun der Politik ihr Amt und ihre Rolle versieht. Das ist die deutsche Grundüberzeugung und auch die Grundüberzeugung der Bundeskanzlerin. Die ist, wie gesagt, in Paris gut bekannt.

Zusatzfrage: Es gab also keinen konkreten Anlass dazu, dass zum Beispiel im November vergangenen Jahres noch einmal niedergeschrieben und fixiert worden wäre, dass man die EZB nicht zum Gegenstand von Diskussionen macht?

StS Seibert: Ich glaube, Sie konnten bei einer ganzen Reihe von gemeinsamen Pressekonferenzen zwischen Präsident Sarkozy und der Bundeskanzlerin - ich erinnere mich an eine bestimmte Pressekonferenz in Paris - hören, wie sich beide sehr klar zur Unabhängigkeit der EZB bekannt haben.

Kotthaus: Wie sie ja auch eindeutig in den Verträgen niedergelegt ist.

Frage: Ich habe zum leidigen Thema der Vorratsdatenspeicherung - der von der EU gesetzte Termin rückt näher - eine Frage an Herrn Lörges: Es ist zu lesen, dass Bundesinnenminister Friedrich auf der Einhaltung der in der Richtlinie vorgegebenen Sechsmonatsfrist besteht. Es gab einmal den Vorschlag des damaligen Bundesinnenministers de Maizière zu einer Frist von drei Monaten, es gab einmal den Vorschlag von Friedrich zu einer Frist von vier Monaten. Erstens: Gilt das noch? Wenn ja, warum sind manche Abweichungen von der Richtlinie möglich und andere nicht? Wenn nein, warum nicht?

Herr Seibert, sind Sie weiterhin zuversichtlich, dass es eine gemeinsame Haltung der Bundesregierung innerhalb der gesetzten Frist geben wird?

Dann der Vollständigkeit halber noch eine Bitte: Herr Seibert, Sie hatten vor geraumer Zeit in Aussicht gestellt, dass Sie nachreichen wollten, welche konkret drohenden Strafzahlungen der Bundesrepublik es außer dem Fall VW gibt. Sind Sie da weitergekommen?

Lörges: Ich werde jetzt nicht auf Inhalte eingehen. Wie Sie wissen, laufen die Ressortabstimmungen. Es gibt einen Vorschlag des BMJ. Zu diesem Vorschlag werden wir Stellung nehmen beziehungsweise nehmen wir Stellung. Dann nimmt das Ganze seinen Lauf. Für uns steht in der Tat im Vordergrund, dass die europäischen Vorgaben in Form der Richtlinie und auch die - in Anführungsstrichen - Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden. Zurückliegende Kompromissvorschläge möchte ich jetzt gar nicht diskutieren. Das ist im Moment der Stand. Wir werden alle sehen, wie es weitergeht.

StS Seibert: Zunächst einmal bitte ich um Entschuldigung dafür - es war mir nicht bewusst, dass wir da unserem Versprechen nicht nachgekommen waren. Entsprechend werde ich das jetzt noch einmal in Angriff nehmen, und dann bekommen Sie das.

Die Grundhaltung ist die gleiche - ich habe das hier mehrfach gesagt - : Es ist für ein wichtiges europäisches Mitgliedsland wie die Bundesrepublik Deutschland nicht denkbar, auf Dauer eine europäische Richtlinie nicht umzusetzen. Deswegen und aus fachlichen Gründen bin ich überzeugt, dass die Bundesregierung zu einer gemeinsamen Haltung bei diesem - zugegebenermaßen sehr schwierigen - Thema kommen wird.

Frage: In dieser Woche oder in der nächsten Woche wird das Thema Vorratsdatenspeicherung also nicht mehr im Kabinett zur Sprache kommen?

StS Seibert: Sie wissen, dass die Kabinettsthemen immer erst noch in der Staatssekretärsrunde besprochen werden müssen, aber nach meinen Informationen ist es kein Thema für diesen Mittwoch, nein.

Frage: Eine Frage an das Arbeitsministerium: Nach Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes soll die Zahl der Beschäftigten, die arbeitslos werden und direkt in das Hartz-IV-System rutschen, in den vergangenen drei Jahren um 18 Prozent gestiegen sein. Stimmt diese Zahl auch mit den Daten, die Ihnen vorliegen, überein? Wenn ja, wie erklären Sie sich das? Macht das Konsequenzen nötig, denken Sie also über Reaktionen nach?

Wendt: Wir reden an der Stelle über einen direkten Bezug von Arbeitslosengeld II nach einer Beschäftigung als eine Art Wiederbezug. Das heißt, hier ist vor allen die Dingen die Gruppe gemeint, die lange (Leistungen im Rahmen des) SGB II (erhalten hat) und aufgrund der guten Situation am Arbeitsmarkt inzwischen wieder einen Job finden konnte. Das sind vor allen Dingen die Geringqualifizierten und die Langzeitarbeitslosen, die wieder in den Arbeitsmarkt hineinkommen. Es kann allerdings auch vorkommen, dass sie relativ schnell wieder ihren Job verlieren und dann nicht automatisch die Absicherung in der Arbeitslosenversicherung finden, wie es bei langwierigen Beschäftigungen der Fall ist. Man muss immer die Unterscheidung zwischen langjährig Beschäftigten vornehmen, die lange in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, also mindestens 24 Monate beschäftigt waren und davon 12 Monate eingezahlt haben, und jenen, die vielleicht erst einmal nur drei, vier, fünf Monate einen Job hatten und nicht zwingend automatisch vom SGB II-System in eine geregelte Langzeittätigkeit kommen.

Prinzipiell ist aber zu sagen, dass im Vergleich zum Vorjahr zu Beginn des Jahres die Zahl jener, die (Leistungen nach dem) SGB II erhalten haben, mit 1,9 Millionen Euro erwerbsfähigen Leistungsbeziehern auf dem niedrigsten Stand seit der Einführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende ist. Prinzipiell haben im Laufe der vergangenen 12 Monate knapp eine Million (Empfänger von Leistungen im Rahmen des) SGB II einen Job gefunden. Insofern ist die Tendenz "Einmal Hartz IV, immer Hartz IV" definitiv aufgebrochen. Natürlich ist es ein Stück weit nicht schön, dass die Leute wieder relativ schnell in den (Bezug von Leistungen im Rahmen des) SGB II zurückkommen können, aber der Trend ist positiv. Insofern sehen wir da keinen Handlungsbedarf.

Zusatzfrage: Ich habe die Antwort auf meine Frage noch nicht herausgehört. Ich kann Ihnen die Zahl noch einmal nennen. Danach soll die Zahl von 621.000 im Jahr 2008 auf 736.000 gestiegen sein, also ein Plus von 18,7 Prozent. Können Sie diese Zahl bestätigen?

Wendt: Die Zahl ist uns bekannt. Es ist aber auch so, wie ich es gerade erklärt habe. Die Dynamik ist in diesem Bereich durch die gute Bewegung am Arbeitsmarkt und durch die gute Situation am Arbeitsmarkt inzwischen so groß, dass es im Vergleich zu dem genannten Zeitraum vorher eine stärkere Fluktuation gibt. Man muss auch sehen, dass im Bereich der Arbeitslosen inzwischen eine Verschiebung stattgefunden hat. Die Arbeitslosen, (die Leistungen gemäß) SGB III erhalten, machen bei den Arbeitslosen noch ein Drittel aus, die anderen entsprechend SGB II zwei Drittel. Das ist sicherlich ein Zeichen, dass da Bewegung ist. Diese ist da, und es ist sicherlich Bewegung. Wir gehen davon aus, dass noch mehr Menschen, auch im Bereich der Langzeitarbeitslosen, einen Job finden werden. Ähnlich hat sich Herr Alt auch in der "Süddeutschen Zeitung" geäußert, dass für viele Langzeitarbeitslose noch ein Spielraum vorhanden ist.

Zusatzfrage: Der Deutsche Gewerkschaftsbund folgert daraus, dass die Sicherungsfunktion der Arbeitslosenversicherung nicht mehr so funktioniere, wie das vielleicht in der Vergangenheit der Fall war. Er fordert Korrekturen, dass also konkret schon nach dreimonatiger Beschäftigungszeit ein Anspruch auf Arbeitslosengeld I entsteht. Was halten Sie davon?

Wendt: Der Vorschlag lag vor drei Monaten schon einmal auf dem Tisch. Wir müssen durchaus die Unterscheidung zwischen langjährig Beschäftigten vornehmen, die einen längeren Zeitraum in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, und jenen, die aus dem SGB-II-Bezug kommen und erst einmal wieder einen Job aufnehmen und versuchen ... (akustisch unverständlich). Die Unterscheidung muss gemacht werden. Den Vorschlag haben wir registriert, aber derzeit sehen wir da keinen Handlungsbedarf.

Frage: Herr Seibert, "no risk, no fun". Nachdem sich der neue Präsident des Bundesnachrichtendienstes geäußert hat, dass er denkt, es müssten künftig auch häufiger kalkulierte Risiken von seinen Beamten und den Mitarbeitern des BND eingegangen werden, die Frage: Wie sind Sie denn nach nicht 100 Tagen, sondern wahrscheinlich jetzt schon 140, 150 Tagen im Kanzleramt mit der Arbeit des neuen BND-Präsidenten zufrieden? Schließen Sie sich dieser Einschätzung an, dass man künftig häufiger kalkulierte Risiken eingehen solle?

StS Seibert: Die Aussagen, die vom neuen BND-Präsidenten gemacht wurden, spiegeln sehr stark sein persönliches Engagement in der neuen Aufgabe wider. Das ist natürlich schon einmal zu begrüßen. Das Bundeskanzleramt unterstützt den Kurs des neuen BND-Präsidenten auch bezüglich einer Verstärkung der operativen Fähigkeiten.

Frage: Herr Peschke, der iranische Außenminister hat sich heute zu einem Fahrplan für die Atomgespräche im Vorfeld der Gespräche in Bagdad ausgesprochen. Gibt es schon konkrete Pläne beziehungsweise Vorbereitungen in dieser Hinsicht?

Peschke: Es gibt nach den konstruktiv verlaufenden Gesprächen am Samstag die feste Absicht beider Seiten, bei der nächsten Gesprächsrunde in die Substanzfragen einzusteigen. Dazu gibt es auch eine Vereinbarung, dass diese Gespräche, die im Mai stattfinden sollen, auch auf der Arbeitsebene vorbereitet werden. Wie das genau strukturiert wird, wird man sehen müssen. Aber es gibt die klare Verabredung, bei der nächsten Gesprächsrunde in Substanzfragen einzusteigen, verbunden mit der Spezifizierung, dass man demnächst auf Arbeitsebene diese Gespräche entsprechend vorbereitet.

Das ist der Fahrplan, wie er sich derzeit stellt. Wir hoffen, dass er von allen Seiten mit dem Willen, zu einem konstruktiven Beitrag auf der Suche nach einer Lösung im Streit um das iranische Atomprogramm zu kommen, betrieben wird.

Zusatzfrage: Sie sagten, dass es "demnächst" Gespräche auf Arbeitsebene gibt. Wird das noch diesen Monat der Fall sein? Können Sie das zeitlich eingrenzen?

Peschke: Soweit ich weiß, werden dafür noch konkrete Daten zu suchen sein. Zu diesen Gesprächen - es ist ein laufender Gesprächsfluss, der stattfindet - kann ich Ihnen im Einzelnen hier keine weitere Auskunft geben.

Frage: Ich habe noch zwei Fragen zu unterschiedlichen Themen. Ich fasse sie einfach zusammen, weil sie beide kurz sind.

Herr Kotthaus, können Sie mir eine kurze Einschätzung geben, wie die Bundesregierung die chinesische Lockerung für eine Wechselkurspolitik einordnet und bewertet?

Vom Auswärtigen Amt hätte ich gerne gewusst, ob es in Sachen einer möglichen ärztlichen Behandlung von Frau Tymoschenko in Deutschland einen neuen Stand gibt. Man sprach, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, mit ukrainischen Stellen auch über dieses Thema.

Kotthaus: Da muss ich leider passen. Ich habe zwar die Berichterstattung gesehen, aber da endet mein Kenntnisstand. Deswegen kann ich Ihnen dazu momentan keine seriöse Einschätzung geben.

Peschke: Zum Stand Tymoschenko: Wir haben immer gesagt, dass es entscheidend ist, dass Frau Tymoschenko eine adäquate medizinische Behandlung bekommt. Dazu gibt es das Angebot der Bundesregierung, dass diese Behandlung auch in Deutschland stattfinden kann. Dazu finden derzeit spezifizierende Gespräche statt. Aber einen neuen Stand im Sinne, dass eine solche Behandlung jetzt tatsächlich in Aussicht steht, gibt es noch nicht.

StS Seibert: Ich kann dazu vielleicht ergänzen, dass es, wie Sie wissen, die humanitäre Mission der Bundesregierung gibt, zu ermöglichen, dass Frau Tymoschenkos erhebliche Erkrankung die erforderliche umfassende medizinische Behandlung bekommt, die auch in Deutschland stattfinden könnte. Es hat am Wochenende dazu eine Reise von zwei Ärzten der Charité Berlin nach Charkow in der Ukraine gegeben. Auf besonderen Wunsch von Frau Tymoschenko hat diese Reise stattgefunden. Sie ist gesundheitlich stark angeschlagen. Der Zweck der Reise war es, ein Krankenhaus in Charkow zu begutachten, in das Frau Tymoschenko zur Behandlung verlegt werden soll.

Nach Kenntnis der Bundesregierung arbeiten die Experten jetzt an einem Gutachten, um einzuschätzen, wie adäquat die Therapiemöglichkeiten für Frau Tymoschenko in diesem Charkower Krankenhaus sind. Dieses Gutachten soll, bevor es veröffentlicht wird, erst einmal der ukrainischen Seite zur Stellungnahme zugeleitet werden.

Frage: Herr Seibert, eine Frage zum Stichwort Endlagersuche. Der 24. April ist als Termin des Spitzengesprächs mit Ministern und Ministerpräsidenten benannt worden. Ist damit die Version eines Gipfels unter Beteiligung der Bundeskanzlerin vom Tisch? Oder ist das immer noch eine Option, wenn dieses Gespräch zwischen Bundesministern und Landesministerpräsidenten nicht zu einem Ergebnis kommt? Kann es also noch einen Gipfel im Kanzleramt geben? Am 24. April wird die Kanzlerin wohl nicht teilnehmen.

StS Seibert: Wenn ich ganz ehrlich bin, bin ich mir jetzt noch nicht so sicher, ob sie an diesem Gipfel nicht doch teilnimmt. Aber nehmen Sie das jetzt einmal nicht von mir als Antwort. Wir reichen das nach.

*

Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 16. April 2012
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2012/04/2012-04-16-regpk.html?nn=391778
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2012