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PRESSEKONFERENZ/462: Regierungspressekonferenz vom 13. August 2012 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 13. August 2012
Regierungspressekonferenz vom 13. August 2012

Themen: 51. Jahrestag des Mauerbaus, Tag der offenen Tür der Bundesregierung, erster Arbeitstag der Bundeskanzlerin nach dem Sommerurlaub, Steuerabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz, Rentenversicherungspflicht für Selbstständige, NPD-Verbotsverfahren, europäische Schuldenkrise, steuerliche Behandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften, Handelsbilanzdefizit Deutschlands, Entlassung der Militärführung in Ägypten, Abschaffung der Praxisgebühr, Einrichtung einer Flugverbotszone über Syrien

Sprecher: StS Seibert, Kothé (BMF), Flosdorff (BMAS), Kutt (BMI), Wiegemann (BMWi), Peschke (AA), Jopp (BMG)



Vorsitzender Hebestreit eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

StS Seibert: Schönen guten Tag, meine Damen und Herren! Schön, Sie wiederzusehen. Ich möchte zunächst einmal über den 13. August sprechen, den wir heute haben. An diesem Tag vor 51 Jahren wurde hier in Berlin ganz in der Nähe des Ortes, an dem wir hier zusammenkommen die Mauer gebaut. Ich möchte im Namen der Bundeskanzlerin und der gesamten Bundesregierung ausdrücklich an dieses Ereignis erinnern.

Der 13. August 1961 hat eine ganze Epoche geprägt, nicht nur in Deutschland. Generationen von Deutschen haben unter den Folgen der Teilung gelitten. Allein hier in Berlin sind mindestens 136 Menschen bei dem Versuch, in die Freiheit zu fliehen, umgebracht worden. Wie viele es insgesamt an der innerdeutschen Grenze waren, das soll jetzt ein neues Forschungsprojekt zeigen. Die Bundeskanzlerin begrüßt dieses jetzt gestartete Projekt ganz ausdrücklich. Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat am Freitag das Forschungsprojekt zu den Todesopfern an der früheren innerdeutschen Grenze mit der Übergabe des Förderbescheides an der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße gestartet.

Ich möchte noch kurz darauf hinweisen, dass die Bürgerinnen und Bürger am kommenden Wochenende, dem 18. und 19. August, zum 14. Mal seit dem Regierungsumzug zum Tag der offenen Tür im Bundeskanzleramt, im Bundespresseamt und in den 14 Bundesministerien eingeladen sind. Wir haben die Demografiestrategie der Bundesregierung mit dem Motto "Jedes Alter zählt" in den Mittelpunkt des diesjährigen Tages der offenen Tür gestellt. An beiden Tagen gibt es ein reichhaltiges Programm, über das Sie mein Stellvertreter, Herr Streiter, morgen um 10.30 Uhr im Presse- und Besucherzentrum des BPA gerne informieren wird.

Frage: Ich habe zunächst einmal eine Frage an den Regierungssprecher: Wie hat denn die Bundeskanzlerin heute ihren ersten Tag nach dem Urlaub im Büro verbracht, oder wie verbringt sie ihn? Gab es schon wichtige Telefonate?

StS Seibert: Der Bundeskanzlerin geht es sicherlich wie jedem Urlaubsheimkehrer: Man hat den etwas anderen Rhythmus in den Ferien sehr genossen. Trotzdem kommt man mit viel Vorfreude an die Arbeit zurück. Die Bundeskanzlerin hat jetzt viel Tatkraft und viel Energie. So werden Sie sie in den nächsten Tagen und Wochen erleben. Sie ist heute wie auch im Urlaub immer wieder mit den großen Themen befasst, die uns politisch hier beschäftigen.

Zusatzfrage: Ich darf nun zu einem ersten Thema überschwenken. Einerseits dürfte die Eurokrise die Bundeskanzlerin beschäftigen, andererseits möglicherweise auch die Frage, wie die Schweizer Banken mit deutschen Steuerflüchtlingen umgehen. Damit wäre ich bei der Frage, die ich an Sie richten möchte. Herr Gabriel fordert, dass Deutschland auch strafrechtlich gegen Schweizer Banken vorgeht, die deutschen Steuerflüchtlingen nach dem Vorhaben des deutsch-schweizerischen Steuerabkommens angeblich einen Weg aufzeigen wollen, wie sie ihr Geld anderswo unterbringen können. Wie sieht die Bundeskanzlerin das Vorgehen der Schweiz in diesem Fall?

StS Seibert: Deutschland und die Schweiz haben ein Steuerabkommen ausgehandelt, über das hier bereits viel gesprochen worden ist. Dieses Steuerabkommen ist aus der Sicht der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung der geeignete Weg, um dieses schwierige Thema zwischen beiden Ländern sowohl was die Vergangenheit als auch die Zukunft betrifft befriedigend, zufriedenstellend zu lösen. Insofern ist alles, was in den letzten Wochen passiert ist, noch einmal ein Argument mehr, dass wir dieses Steuerabkommen mit der Schweiz endlich abschließen können, dass es in Kraft treten kann.

Zusatzfrage: Ich habe noch eine Nachfrage an das Finanzministerium: Haben Sie Erkenntnisse darüber, dass Schweizer Banken entsprechend vorgehen, also dass sie Deutschen, die ihr Geld quasi als Steuerflüchtlinge bei ihnen angelegt haben, einen Weg aufzeigen, wie sie mit ihrem Geld auch künftig steuersparend umgehen können?

Kothé: Nein, darüber haben wir keine Erkenntnisse. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass sich auch die Schweizer Finanzministerin am Wochenende dazu geäußert hat.

Frage: Mich würde interessieren, ob die Bundesregierung mit den Ländern derzeit schon Termine fixiert, Gespräche anberaumt und wieder aufgenommen hat; denn im Moment ist es schwer vorstellbar, wie das Steuerabkommen überhaupt noch über die Bühne gehen sollte.

Auch würde mich interessieren, ob es in den letzten zwei, drei Tagen Kontakte zwischen der Schweizer Regierung und der Bundesregierung auf Top Level sprich: Minister- oder Staatssekretärsebene gegeben hat oder ob gar ein Besuch avisiert ist.

Kothé: Von unserer Seite ist mir kein solches Gespräche bekannt. Unser Minister ist noch im Urlaub, wie Sie wissen. Auch auf der Ebene der Staatssekretäre ist mir das nicht bekannt.

Zu Terminen und Gesprächen im Hinblick auf die weitere Befassung, was das deutsch-schweizerische Abkommen betrifft: Sie wissen, dass dieses Abkommen im Herbst im Bundesrat behandelt wird. Von dort aus wird die Terminierung festgelegt. Ich denke, in diesem Umfeld wird es sicherlich auch noch die erforderlichen Gespräche geben. Aber genaue Termine dazu gibt es im Augenblick noch nicht.

Zusatzfrage: Ist es für die Bundesregierung in irgendeiner Weise vorstellbar, dass man doch noch einmal mit der Schweiz in inhaltliche Gespräche eintritt? Oder ist damit, dass in der Schweiz schon der Ratifizierungsprozess läuft und sich auch der Bundestag bereits damit befasst hat, die Tür für irgendwelche inhaltlichen Korrekturen oder Änderungen zu?

Kothé: Das Abkommen als solches, was den Inhalt betrifft, ist verhandelt und abgeschlossen. Wir befinden uns jetzt im innerstaatlichen Umsetzungsprozess. Von daher gibt es in Bezug auf das Abkommen mit der Schweiz das ist von der Schweizer Seite immer deutlich gemacht worden keine Möglichkeit für inhaltliche Nachverhandlungen.

Frage: Frau Kothé, mit Singapur besteht ja ein OECD-Abkommen zum Informationsaustausch. Können Sie sagen, wie stark dieser Informationsaustausch genutzt wird? Ist er in den letzten Monaten intensiver geworden? Stellen deutsche Behörden mehr Anfragen an Singapur?

Kothé: Diese Frage kann ich Ihnen im Augenblick nicht beantworten. Ich müsste im Haus recherchieren, ob wir genaue Zahlen darüber haben. Das ist mir jetzt nicht bekannt. Das ist im Übrigen Ländersache.

Frage: Herr Seibert, bekanntlich sind weitere CDs mit vermuteten werthaltigen Informationen auf dem Markt; das sagen einige Beteiligte und Fachleute. Meine Frage deshalb: Wie lange gedenkt die Bundeskanzlerin dieses Thema in den Händen von Herrn Schäuble und einer amorphen Masse Bundesrat zu lassen? Denn möglicherweise gibt es auch für das gesamtpolitische Darstellungskonzept Deutschlands einen Schaden, wenn man mit solchen Abkommen so umgeht. Lange Rede, kurzer Sinn: Ist die Bundeskanzlerin entschlossen, das Thema ab einem bestimmten Zeitpunkt zur Chefsache zu machen? Wird sie die Länder beispielsweise in einer Ministerpräsidentenkonferenz zu bundeskonformem Handeln überreden?

StS Seibert: Den Begriff "amorphe Masse" für die Vertretung der 16 Bundesländer müssen Sie gegenüber den Länderfürsten vertreten; sie werden ihn nicht sehr mögen.

Das Thema des Steuerabkommens zwischen Deutschland und der Schweiz ist beim Finanzminister in genau den richtigen, in erfahrenen Händen. Wir sind von dem Abkommen, das ausgehandelt worden ist, fest überzeugt und stehen auch dazu. Es bringt weit mehr Gerechtigkeit. Darüber hinaus bringt es weit mehr Steuerzahlungen als frühere Versuche, mit dem Problem der Steuerflucht in die Schweiz umzugehen. Das ist so. Alles, was in den letzten Wochen geschehen ist, bestärkt uns in unserer Überzeugung, dass dies das richtige Abkommen ist.

Der Bund war jetzt an den Ankäufen nicht beteiligt. Aus der Sicht der Bundesregierung ist es auch nicht der richtige Weg, dauerhaft CDs mit Steuerdaten anzukaufen. Das ist kein effektiver Weg, deutsche Vermögenswerte in der Schweiz zu besteuern. Das führt zu einem eher zufälligen Aufdecken mancher Hinterziehungsfälle. Der Großteil der Steuerforderungen verjährt laufend, er verjährt täglich. Deswegen brauchen wir ein solches Abkommen.

Die Bundeskanzlerin hat in dieser Sache mit dem Bundesfinanzminister genau den richtigen Mann, der sich darum kümmert. Die beiden sind in enger Abstimmung.

Frage: Herr Seibert, Sie haben gesagt, es sei dauerhaft nicht der richtige Weg, solche Steuer-CDs anzukaufen. Ist denn die Kanzlerin explizit der Meinung, dass man eine nächste CD eher nicht ankaufen sollte? Wird sie vor einem weiteren Kauf abraten?

StS Seibert: Der Bund hat sich an einem solchen Ankauf nicht beteiligt; dies ist auch nicht mit dem Bund abgestimmt. Insofern ist unsere Meinung ganz klar, dass CD-Ankäufe nicht der richtige Weg sind.

Frage: Der Bundesfinanzminister hat deutlich gemacht, dass Ankäufe auch nach Inkrafttreten des Abkommens beziehungsweise durch das Abkommen nicht ausgeschlossen sind. Das Abkommen besagt, ein aktiver Erwerb finde nicht statt. Können Sie uns darüber aufklären, wie die Bundesregierung diesen Passus genau interpretiert? Wo verläuft die Grenze zwischen aktivem Erwerb und zufälligen Einkäufen?

Meine zweite Frage: Unternimmt die Bundesregierung bis zum Inkrafttreten des Abkommens irgendwelche Anstrengungen, beispielsweise in Form von Gesprächen mit den Ländern, um eine einheitliche Haltung der Länder in dieser Frage zu erwirken?

Kothé: Die Sache mit dem aktiven Erwerb haben wir hier schon öfter erklärt. In der Begleitvereinbarung ist festgelegt, dass wir uns nicht aktiv bemühen. Die Frage nach dem CD-Ankauf stellt sich nach unserer Meinung nicht mehr, weil das Abkommen dies überflüssig macht, wenn es erst einmal in Kraft getreten ist.

Zusatzfrage: Wenn es überflüssig wäre, dann müsste man keine Erklärung abgeben. In dem Abkommen gibt es also eine begleitende Erklärung?

Kothé: Sie haben gefragt, ob der CD-Ankauf nach dem Inkrafttreten ausgeschlossen ist. Von der Schweizer Seite her war die Formulierung, auf die wir uns geeinigt haben, dass wir uns von der Bundesseite aktiv nicht mehr bemühen werden. Aber damit ist dies nicht ausgeschlossen.

Zusatzfrage: Nach dem Abkommen! Aber diese Erklärung vielleicht habe ich da etwas falsch verstanden wird doch erst im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Abkommens wirksam, oder?

Kothé: Nein. Das ist eine Verpflichtung, an die wir uns schon seit dem Ende der Verhandlungen gebunden fühlen.

Zusatzfrage: Dann habe ich da etwas nicht verstanden. Kann die Bundesregierung diese Erklärung für die Finanzbehörden der Länder abgeben?

Kothé: Die Bundesregierung kann diese Erklärung natürlich nur für den Bund abgeben, wie wir es gerade erleben. Daran fühlt sie sich gebunden.

Zusatzfrage: Deshalb umso mehr meine Frage: Was unternimmt die Bundesregierung schon jetzt, um zu gewährleisten, dass Länder keinen aktiven Erwerb betreiben?

Kothé: Wir haben gegenüber den Ländern keine Handhabe. Es gibt ein Verfahren, das eigentlich zwischen Bund und Ländern abgestimmt ist. Wir haben schon gesagt, wie in solchen Fällen zu verfahren ist. NRW hat das in diesem Fall offensichtlich nicht eingehalten. Das müssen wir hinnehmen und so zur Kenntnis nehmen.

Frage: Frau Kothé, wenn ich es richtig weiß, fließen die Mehreinnahmen durch die Auswertung der diversen Datenträger allen Gebietskörperschaften zu. Können Sie mir sagen letzter Stand , wie viel der Bund im Zuge der Auswertung der diversen CDs bekommen hat?

Kothé: Dazu haben wir abschließend keine offiziellen Zahlen. Mein letzter Stand von vergangener Woche ist, dass noch viele Verfahren laufen und dass es Nachzahlungen gibt. Aber da gibt es noch keine offizielle Zahl.

Zusatzfrage: Wird diese Zahl bei Ihnen im Haus überhaupt erhoben? Anders gefragt: Könnten Sie sie für uns besorgen?

Kothé: Nein, das bezweifele ich. Ich glaube, es ist schwierig, das abzugrenzen.

Frage: Frau Kothé, ich habe zwei Fragen: Erstens. Sie haben die Position des Bundes dargelegt, wonach er quasi ab jetzt nicht mehr aktiv tätig sein sollte. Heißt das, da ja Daten-CDs trotzdem weiter angekauft werden, dass der Bund die Annahme seines Anteils verweigert, oder wird dieser Anteil trotzdem genommen?

Meine zweite Frage: Da Sie ein Abkommen abschließen wollen, das ein aktives Handeln in einer ergänzenden Erklärung ausdrücklich festschreibt, würde mich Folgendes interessieren: Wie sieht das passive Handeln aus, das nach Ihrer Ansicht weiterhin erlaubt ist? Denn sonst hätten Sie ja die aktive Form nicht abgeschlossen und ausgeschlossen.

Kothé: Zu Ihrer ersten Frage: Das ist ein ganz normales Steuererhebungsverfahren. Es gibt Gesetze, wie sich die Steuereinahmen auf Bund, Länder und Kommunen aufteilen. Vor diesem Hintergrund steht es nicht in unserem freien Belieben zu sagen: Das Geld nehmen wir nicht.

Zusatzfrage: Der Bund muss also das Geld entgegennehmen, wenn die entsprechende Steuer erhoben wird, was er aber eigentlich als nicht mehr zulässig betrachtet?

Kothé: Nein, da haben Sie ein falsches Verständnis. Wir halten nicht die Steuern für nicht zulässig, sondern das Verfahren des CD-Ankaufs. Die Steuereinnahmen, die der Bundesrepublik Deutschland als Gesamtstaat rechtmäßig zufließen, halten wir natürlich für rechtmäßig. Es geht um das Verfahren, um die CD, nicht um die Steuereinnahmen.

Zusatzfrage: Können Sie noch etwas zu dem weiterhin zulässigen passiven Erwerb von ich sage es einmal laienhaft Steuerhinterziehungsinformationen sagen? Das muss ja möglich sein; denn sonst hätten Sie in dem Abkommen nicht die Passage ausdrücklich festgeschrieben beziehungsweise akzeptiert, wonach ein aktives Handeln nicht mehr zulässig ist. Beschreiben Sie mir doch bitte einmal das in Zukunft weiterhin zulässige passive Handeln beim Auffinden von Steuerhinterziehern in der Schweiz.

Kothé: Die Steuerbehörden sind, wenn sie bestimmte Informationen bekommen, verpflichtet, ihnen nachzugehen. Aber jetzt in der Regierungspressekonferenz irgendwelche Musterbeispiele zu konstruieren, das werde ich bei diesem Thema tunlichst vermeiden. Das ist dann im Einzelfall zu prüfen. Das Gegenteil von aktiv ist nun einmal passiv. Wenn die Steuerbehörden ohne Zutun von solchen Informationen Kenntnis hätten, dann dürfen sie diese nicht ignorieren. Es ist versucht worden, diesen Umstand mit dieser Formulierung aufzufangen.

Zusatzfrage: Wenn dem Bundesfinanzminister oder seinen direkt Untergebenen kostenlos eine CD mit Daten über Steuerhinterzieher übermittelt würde, dann würde der Bundesfinanzminister beziehungsweise seine direkt Untergebenen genau das machen, was jetzt die Steuerbehörden in Nordrhein-Westfalen machen, nur mit dem Unterschied, dass NRW etwas dafür bezahlt hat. Habe ich das richtig verstanden?

Kothé: Das ist jetzt Ihre Interpretation. Dem, was ich gerade gesagt habe, füge ich von meiner Seite nichts hinzu.

Vorsitzender Hebestreit: Noch ein Versuch?

Zusatzfrage: Ja. Unter "passivem Handeln" verstehe ich, wenn man sich nicht aktiv auf den Markt begibt und einen Preis dafür bezahlt, sondern wenn das Schicksal es gnädig mit mir meint und mir jemand eine Steuerhinterzieher-CD schenkt. Dann darf, muss und werde ich als Bundesfinanzminister zukünftig genau das machen, was NRW jetzt macht, nur mit dem Unterschied, dass NRW einen Obolus dafür gezahlt hat. Das verstehe ich als passives Handeln. Verstehe ich das richtig oder falsch?

Kothé: Wenn Sie sagen, Sie verstehen das so richtig, dann verstehen Sie es so. Ich mache mir jetzt hier keine Interpretation zu eigen.

StS Seibert: Wenn ich noch etwas dazu sagen darf, Herr Wonka. Wir schließen doch deswegen ein Steuerabkommen, um aus der misslichen Grauzone des Handels mit Steuer-CDs herauszukommen, was andere auch Hehlerei nennen. Wenn dieses Abkommen durch den Bundesrat ist die Bundesländer sind gut beraten, ihm zuzustimmen , dann haben wir für Altfälle eine ganz klare Lösung: Bisher unversteuerte Vermögenswerte müssen dann pauschal mit einem Steuersatz von 21 bis 41 Prozent auf das Kapital nachversteuert werden. Auch haben wir für alle zukünftig anfallenden Kapitalerträge eine ganz klare Lösung. Diese werden nämlich mit genau der gleichen Abgeltungssteuer versteuert, wie wenn das Geld in Deutschland angelegt wäre.

Außerdem gibt es einen erweiterten Auskunftsaustausch zwischen den beiden Partnerstaaten der Schweiz und Deutschland , der für die Menschen, die versuchen, ihr Geld am Fiskus vorbeizulotsen, ein unkalkulierbares Entdeckungsrisiko neuer Art schafft. Das ist das, was wir aktiv machen. Wir schließen dieses Abkommen ab es wird hoffentlich in Kraft treten , um dann eine klare, juristisch einwandfreie, befriedigende und im Übrigen für den deutschen Fiskus ausgesprochen einträgliche Situation zu haben, damit wir uns mit genau dem nicht mehr plagen müssen.

Frage: Ein Hauptkritikpunkt der SPD läuft ja darauf hinaus, dass sie sagt, die Zahl dieser Informationsabfragen sei sehr begrenzt, ich glaube, auf insgesamt 1.300; korrigieren Sie mich, wenn ich etwas Falsches sage. Wenn man das auf die Zahl der Finanzämter herunterrechnet, dann kommt man sozusagen auf zwei Anfragen pro Finanzamt. Ist es denn vielleicht vorstellbar, dass man in diesem Punkt einfach noch einmal nachverhandelt und eine größere Möglichkeit für Finanzämter schafft, in Zweifelsfällen in der Schweiz nachzufragen?

Kothé: Das ist ein guter Punkt. Gut, dass Sie den noch einmal ansprechen. Diese Zahl 1.300 bezieht sich auf zusätzliche Stichproben. Dieser normale OECD-Standard ab dem 1. Januar 2012 ist davon ja unberührt. Diese Zahl ist also sozusagen noch ein zusätzliches Entgegenkommen der Schweiz hinsichtlich dieser Auskunftsmöglichkeiten über diesen OECD-Standard hinaus.

Zusatzfrage: Klären Sie mich einmal kurz auf: Wie viele Nachfragen wären dann möglich?

Kothé: Dieser OECD-Standard, den die Schweiz auch akzeptiert, ist zahlenmäßig, glaube ich, nicht festgelegt. Das betrifft dann einfach auch zusätzliche Fälle. Ob es eine Zahl gibt, weiß ich nicht. Das müsste ich Ihnen nachliefern.

Frage: Mich würde einmal ganz profan interessieren, ob Nordrhein-Westfalen denn schon ein formelles Ersuchen an die Bundesregierung beziehungsweise an das Bundesfinanzministerium auf eine Mitfinanzierung jüngster CD-Käufe gestellt hat oder ob Nordrhein-Westfalen angekündigt hat, dass es künftig grundsätzlich darauf verzichten wird, die Bundesregierung zur Mitfinanzierung aufzurufen. Wie ist da der Status?

Kothé: Man ist an uns bisher nicht herangetreten.

Frage: Ich habe eine Frage an das Arbeitsministerium zu den Rentenplänen von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, speziell zu der geplanten Versicherungspflicht für Selbstständige. Dazu soll ja noch ein Gutachten von der Beratungsgesellschaft McKinsey vorgelegt werden, wenn ich richtig informiert bin. Vor dem Hintergrund der aktuellen Berichterstattung, in der darüber spekuliert wird, ob die Pläne so realisiert werden können oder verschoben werden müssen, habe ich die Frage: Was soll in diesem Gutachten geklärt werden? Was sind also die zentralen noch offenen Punkte? Worin sieht das Arbeitsministerium die innerhalb der Koalition und speziell mit der FDP noch zu klärenden Punkte? Wie wahrscheinlich ist es, dass die Versicherungspflicht für Selbstständige noch vor der nächsten Bundestagswahl eingeführt werden kann?

Flosdorff: Zu dieser Machbarkeitsstudie: Es ist ja Neuland, das wir damit betreten. Das gibt es zurzeit nicht in Deutschland. Andere Länder kennen eine Versicherungspflicht für Selbstständige. Dazu ist in der Tat eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben worden. Die dreht sich unter anderem um solche Fragen wie die Frage, wie man Immobilien als Altersvorsorge mit einbeziehen kann. Es geht um Fragen wie die Pfändbarkeit von Immobilien und darum, wie man sicherstellen kann, dass die im Alter noch zur Verfügung stehen. Es geht zum Beispiel auch um die Frage, wie man stufenweise Eingangsvoraussetzungen für sehr niedrige Einkommen von Selbstständigen schaffen kann. Das wird alles umfassend geklärt. Es gibt auch viele andere Fragen, die dabei in die Prüfung gegeben worden sind. Auf viele hat man heute schon befriedigende Antworten gefunden. Bei einigen Fragen muss man noch weiter an dem Konzept feilen.

Das Ziel ist es, die Machbarkeitsstudie, wenn sie dann vorliegen wird, nach der Sommerpause, wenn die Abgeordneten wieder da sein werden, mit den Abgeordneten durchzusprechen Sie wissen ja, dass wir dabei in Kontakt stehen, auch und insbesondere mit dem Koalitionspartner, aber nicht nur und dann zu einem gemeinsamen Konzept zu kommen, das man dann auch in diesem ...(Rest akustisch unverständlich).

Zusatzfrage: Was gibt es zu dem Zeitplan zu sagen? Wann, glauben Sie, ist es realistisch, dass die Versicherungspflicht parlamentarisch in trockene Tücher gebracht werden kann?

Flosdorff: Wenn sich die Koalition an dieser Stelle einig ist, dann kann es sehr schnell gehen. Wichtig ist, dass das Konzept erst einmal innerhalb der Koalition konsentiert wird. Dabei sind wir schon weit gekommen, auch mit den entsprechenden Parlamentariern und Fachpolitikern der FDP, aber auch der CDU, die dabei mit eingebunden sind. Wenn wir diesen Konsens hergestellt haben, dann können wir das auch zügig in Gesetzesform gießen.

Zusatzfrage: Halten Sie es für möglich, dass das Ergebnis der Machbarkeitsstudie auch sein wird oder sein kann, dass das nicht machbar ist?

Flosdorff: Es kommt auf einzelne Punkte an. Es geht hierbei ja nicht um den Grundsatz, der überprüft wird. Darin sind sich im Übrigen ja auch alle einig, die darüber beraten, dass es dem Grundsatz nach so sein muss, dass es aus Sicht der Gesellschaft, die letztlich über das Steueraufkommen die Grundsicherung im Alter für alle trägt, eigentlich keinen Unterschied machen darf, ob jemand angestellt beschäftigt oder selbstbeschäftigt ist. Wir haben auch einen Anspruch darauf, wenn am Ende alle für das Ergebnis einstehen müssen, einmal zu sehen, inwieweit der Einzelne vorgesorgt hat.

Diese Grundsatzfrage wird nicht von der Machbarkeitsstudie berührt. In der Machbarkeitsstudie geht es um technische Fragen der Umsetzung aus Sicht der Gemeinschaft, die anderenfalls einstehen müsste: Wie großzügig kann man bei der Anrechnung bestimmter Vorsorgeformen sein? Wie kann man juristisch sauber darstellen, dass diese Mittel, die beiseitegelegt werden, für den Fall, dass jemand das Rentenalter erreicht, auch noch im Alter sicher zur Verfügung stehen? - Wenn diese Fragen geklärt werden, dann wissen wir Bescheid, aber ich kann das jetzt nicht vorwegnehmen.

Zusatzfrage: Ich habe noch eine Frage zum gesamten Rentenpaket. Die Arbeitsministerin hat das ja an eine Senkung des Rentenbeitrags von 19,6 Prozent auf 19,0 Prozent gekoppelt. Jetzt ist offensichtlich, dass es dagegen Widerstände gibt, speziell gegen die Zuschussrente innerhalb der FDP, aber auch aufseiten des Wirtschaftsflügels der CDU/CSU. Peter Weiß, der Sozialpolitiker der CDU-Bundestagsfraktion, hat heute gesagt, wenn der Widerstand so stark sei, dass es dafür keine Zustimmung gebe, dann müsse man auch die Beitragssenkung infrage stellen, und dann könne die möglicherweise auch nicht umgesetzt werden. Hat die Arbeitsministerin diese Verbindung zwischen dem Rentenpaket und einer Beitragssenkung so verstanden, oder hat Herr Weiß es richtig verstanden, dass, wenn es gegen die Zuschussrente anhaltenden Widerstand gibt, dann auch die Beitragssenkung in Gefahr ist?

Flosdorff: Ich kann jetzt nicht für Herrn Weiß sprechen. Ich möchte ihn auch nicht interpretieren. Ich kann Ihnen nur sagen: Aus Sicht der Bundesarbeitsministerin ist es gut und sinnvoll, dass die Beitragssatzsenkung so kommt, wie sie in ihrer Höhe im gesetzlichen Mechanismus festgelegt wird. Sie muss natürlich umgesetzt werden. Sie möchte aber, wenn wir Beitragssatzsenkungen und Entlastungen für die Wirtschaft beschließen, dass wir dann auch über das andere Thema reden, nämlich die Gefahr der Altersarmut für viele Bezieher kleiner Einkommen, insbesondere für viele Frauen, Mütter und Geringverdiener, die davon bedroht sind. Das soll man nicht auf die lange Bank schieben. Deswegen möchten wir jetzt auch über dieses Thema sprechen. Deswegen ist das jetzt auch in einen gemeinsamen Gesetzentwurf gegossen worden und wird dann auch so zur Sprache kommen.

Zusatzfrage: Heißt das, die Beiträge werden gesenkt - unabhängig davon, was mit den Rentenplänen der Ministerin geschieht?

Flosdorff: Die Ministerin hält es für richtig, dass die Beiträge gesenkt werden.

Zusatzfrage: Gibt es da keine Verbindung?

Flosdorff: Beides wird in demselben Gesetzespaket veranschlagt, und man wird sicherlich über beides reden.

Zusatzfrage: Heißt das, wenn es Widerstände gegen das Rentenpaket gibt und es nicht verabschiedungsfähig ist, dann gibt es auch keine Beitragssenkung?

Flosdorff: Es besteht nur ein zeitlicher Zusammenhang. Beides wird zusammen besprochen werden. Wenn das eine jetzt verabschiedet wird, dann wird man sozusagen auch über das andere sprechen. Die Beitragssatzsenkung das wissen Sie ist ein gesetzlicher Automatismus. Das steht im Gesetz. Trotzdem bedarf es einer Umsetzung, damit das umgesetzt wird. Es gibt viele Stimmen im politischen Raum das haben Sie ja richtig gesagt , die sagen, es solle nicht zu dieser Beitragssatzsenkung kommen. Die Bundesarbeitsministerin steht dafür, dass es zu dieser Beitragssatzsenkung kommt, aber es muss auch über das andere Thema gesprochen werden.

Zusatzfrage: Die Arbeitsministerin hat ja auch selbst betont, dass es diesen Automatismus gibt, und daran wollen Sie auch nicht rütteln. Dann frage ich mich: Wie kann man etwas aneinanderkoppeln, wenn man doch von einem Automatismus spricht? Dann stellt man ihn nämlich schon infrage. Man sagt: Ich mache ein Gesamtpaket, und darin ist die Beitragssatzsenkung enthalten, aber die kann es nur geben, wenn es auch das Gesamtpaket gibt, also zum Beispiel die Zuschussrente.

Flosdorff: Wir sprechen hier über ein Artikelgesetz. In einem Artikelgesetz sind der Natur der Sache gemäß immer viele Aspekte enthalten. Es wird auch vieles angedockt. Das wird jetzt gleichzeitig miteinander besprochen.

Frage: Herr Seibert, findet die Bundeskanzlerin das aktuelle rentenpolitische Vorgehen ihrer Arbeitsministerin voll und ganz unterstützungsfähig? Findet sie es auch richtig, dass ein Automatismus und ein politischer Plan, der selbst innerhalb der Koalition umstritten ist, in einem gemeinsamen Artikelgesetz so miteinander verschränkt werden, das es das eine nur geben kann, wenn es das andere gibt? Oder liegt das innerhalb der Autonomie der ministerlichen Praxis, sodass die Bundeskanzlerin sagt "Das soll die einmal selbst machen, da mische ich mich nicht ein; ich lasse sie einmal schauen, wie weit sie kommt"?

StS Seibert: Zunächst einmal teilt die Bundeskanzlerin natürlich die Ziele der Arbeitsministerin, weil es die Ziele dieser Bundesregierung sind. Wie Sie das gemeinsame Auftauchen der Zuschussrente und der Beitragssatzsenkung in diesem Artikelgesetz zu verstehen haben, hat, glaube ich, der Kollege gerade gut erklärt.

Für die Bundeskanzlerin ist das Ziel klar, dass sich diese Koalition zu Beginn der Legislaturperiode in ihrem Koalitionsvertrag gesetzt hat: Jeder, der ein Leben lang Vollzeit gearbeitet hat, soll eine Rente oberhalb der Grundsicherung erzielen. Genau darum, wie das erreicht werden kann, geht es jetzt in der Ressortabstimmung. Dazu hat die Bundesarbeitsministerin, wie es ihrem Amt zukommt, einen Referentenentwurf vorgelegt, und nun wird darüber gesprochen.

Zusatzfrage: Ich habe nur eine kurze Nachfrage an Herrn Flosdorff: Wann werden sich eigentlich der Bundesvizekanzler und die Bundesarbeitsministerin zu einem rentenpolitischen Versöhnungsgespräch treffen, damit man in der Sache vorwärtskommt? Rösler hat nämlich "Veto" gesagt, und die Arbeitsministerin sagt "So will ich es". Also nehme ich an, dass man miteinander reden wird, damit man vorwärtskommt.

Flosdorff: Sie unterstellen das. Es gibt ja auch noch die Ressortabstimmung, innerhalb der so etwas organisatorisch geregelt ist. Wenn Sie jetzt sozusagen auf ein Spitzengespräch anspielen

Zusatzfrage: Wie bitte? Ich habe das nicht verstanden.

Flosdorff: Dann ist das sicherlich kein Termin, der jetzt hier kommuniziert werden würde.

Zusatzfrage: Heißt das, es gibt einen, aber Sie wollen es nicht sagen?

Flosdorff: Nein, das heißt das, was ich sage.

Frage: Noch einmal zur Versicherungspflicht für Selbstständige, Herr Flosdorff: Wenn ich das Gesetz recht verstehe, dann soll diese Versicherungspflicht ja gemeinsam mit dem übrigen Rentenpaket in Kraft treten.

Flosdorff: Nein, das ist nicht richtig. Es gab ja auch schon, wenn Sie sich einmal an die Pressekonferenz zurückerinnern, die es hier im November, glaube ich, zu Beginn des Rentendialogs gab, einige Punkte, über die verhandelt werden sollte. Das eine ist dieser Punkt, dass wir Gerechtigkeit im Rentensystem für diejenigen haben wollen, die viele Jahre lang eingezahlt haben, aber am Ende trotzdem nur eine Grundsicherung erzielen können. Wir hatten auch über das Thema gesprochen, dass man Teilrente und Teilzeitarbeit am Ende des Lebensalters flexibler verbinden kann, dass wir über die Erwerbsminderungsrente und den Reha-Deckel sprechen müssen. Das war dabei schon eingeführt worden.

Dieser Punkt der Versicherungspflicht für Selbstständige ist im Rahmen des Rentendialogs hinzugekommen. Deswegen war es, als wir in diesem Sommer oder Frühjahr schon einmal eine Ressortabstimmung eingeleitet hatten, auch bei der Initiative so gewesen, dass der Gesetzentwurf bis zur ursprünglich geplanten Kabinettssitzung Ende Mai vorliegen sollte, aber dann bezüglich der Eckpunkte zu den Selbstständigen. Das sollte nicht gesetzlich verboten sein. Es ist Neuland, das wir dabei betreten. Wir wollen gerne den Einstieg darin schaffen, dass auch Selbstständige verpflichtend irgendeine Vorsorge für die Altersvorsorge treffen müssen. Wie weit wir bei diesem Thema kommen werden und wie das genau aussehen wird, wird jetzt gerade in dieser Machbarkeitsstudie, aber auch in den politischen Gesprächen mit dem Koalitionspartner geklärt.

Natürlich brauchen wir, wenn wir so eine Gesetzgebung machen darauf spielen Sie ja wahrscheinlich auch an , einen zeitlichen Vorlauf für die organisatorische Umsetzung. Man braucht dann also eine Stelle, die evaluiert, wie viel Altersvorsorge es im Einzelfall gibt, bei wem man schon sagen kann "Das ist in Ordnung, von dir brauchen wir nichts mehr zu wissen" oder sagen muss "Bei Ihnen müssen wir noch einmal dranbleiben und schauen; das reicht noch nicht mit der Altersvorsorge". Das muss organisiert werden. Das muss man auch alles vorher haarklein durchdeklinieren und aufbauen. Insofern ist dieses zweite Thema, das zu den übrigen Themen des Rentenpakets hinzugekommen ist, auch nicht mit demselben zeitlichen Kontext verbunden.

Zusatzfrage: Also ist dieser 1. Januar 2013 für diesen Teil nicht

Flosdorff: Nein. Wir hatten ja letzte Woche die Ressortabstimmung eingeleitet. Wir sind jetzt schon beim 1. Juli 2013, was das Rentenpaket angeht, und zwar für sämtliche Komponenten des Rentenpakets, einfach aus dem Grund, dass man organisatorisch einen Vorlauf braucht, also einfach deshalb, um zum Beispiel bei der Deutschen Rentenversicherung die Voraussetzungen für die Zuschussrente, für den Reha-Deckel und für die Erwerbsminderungsrente zu schaffen. Dafür braucht man einfach einen zeitlichen Vorlauf. Genau so ist das auch, wenn man an eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige denkt. Das kann man auch nicht einfach in Form eines schnellen Gesetzesvorhabens beschließen und es dann sofort umsetzen, sondern dafür bedarf es auch eines organisatorischen Vorlaufs.

Frage: Bedeutet das, dass die Versicherungspflicht für Selbstständige vor der Bundestagswahl realistischerweise nicht mehr durchgesetzt werden wird, wenn Sie ohnehin schon planen, dass das restliche Paket, das sich jetzt schon in der Ressortabstimmung befindet, erst zum 1. Juli in Kraft treten kann?

Flosdorff: Nein, die Versicherungspflicht ...(Rest akustisch unverständlich). Dann kann man die schnell auf den Weg bringen, und dann braucht es einen organisatorischen Vorlauf. Zurzeit befindet sich alles so im Zeitplan, dass das alles möglich ist.

Frage: Herr Seibert, ich hatte die Bundeskanzlerin bisher immer so verstanden, dass sie einem NPD-Verbotsverfahren skeptisch gegenübersteht. Sie hat das, glaube ich, auch mehrfach öffentlich gesagt. Hat sich an dieser Haltung irgendetwas geändert?

StS Seibert: Die Haltung ist in erster Linie die, dass ein NPD-Verbotsverfahren nicht ein weiteres Mal schiefgehen darf. Das ist, glaube ich, das Allerwichtigste. An der ganz klaren Ablehnung der NPD und der Einstellung zu ihrem antidemokratischen, fremdenfeindlichen, rassistischen, antisemitischen und damit auch verfassungsfeindlichen Treiben hat sich überhaupt nichts geändert. Aber ein solches NPD-Verbotsverfahren wir haben das bereits einmal erlebt muss sehr gut begründet sein. Es darf nicht ein zweites Mal beim Bundesverfassungsgericht scheitern.

Nun haben sich die Innenminister mit dem Bundesinnenminister ja darauf verständigt, intensiv Material zu sammeln, das für einen solchen Verbotsantrag benutzt werden könnte. Sie wollen im Herbst ich glaube, im November gemeinsam auswerten, ob dieses Material so ist, dass man einen Verbotsantrag damit erfolgreich betreiben könnte. Das ist etwas, was die Bundesregierung natürlich betrachtet. Erst nach eingehender Prüfung sollte man sich dann entscheiden, ob man den Anlauf nimmt.

Zusatzfrage: Dann möchte ich die Nachfrage vielleicht noch einmal präzisieren: Hat sich an der Einschätzung, dass sie die Erfolgsaussichten eines solchen Verfahrens schon vor einigen Monaten als negativ angesehen hat, etwas geändert, oder sagt sie jetzt "Vielleicht klappt es ja doch"?

StS Seibert: Ich bin, ehrlich gesagt, nicht ganz sicher, auf welches Zitat der Bundeskanzlerin Sie sich dabei beziehen, dass sie die Erfolgsaussichten schon vor einigen Monaten negativ betrachtet habe. Sie hat immer die Gefahr gesehen, dass ein solches Verbotsverfahren erneut scheitern könnte, und das wäre tatsächlich für den Staat und die Demokratie, der wir ja hier dienen wollen, eine Schlappe. Das muss also verhindert werden. Ich glaube nicht, dass die Bundeskanzlerin dabei bereits Erfolgsaussichten eingeschätzt hat.

Dem dient jetzt die Sammlung des Materials durch Bund und Länder. Das wird man auswerten. Dann wird man einen klareren Blick auf die möglichen Erfolgsaussichten haben. Es gibt ja auch die Vereinbarung von Bund und Ländern, dass man sich darauf geeinigt hat, die V-Männer zurückzuziehen. Das ist sicherlich auch ein Schritt in diese Richtung.

Frage: Herr Seibert, sieht die Bundeskanzlerin das ähnlich wie CSU-Chef Seehofer, der gesagt hat, auch ein Verzicht der Ministerpräsidenten auf eine neue Klage wäre ähnlich negativ, als wenn das Bundesverfassungsgericht zu der Ansicht käme, dass die NPD nicht verboten werden dürfte? Er hat gesagt, auch ein Verzicht auf ein neues Verfahren würde die rechtsextremistische Szene stärken. Sieht das die Kanzlerin auch so?

StS Seibert: Da spricht ein Ministerpräsident für andere Ministerpräsidenten. Die Bundeskanzlerin wird sich dabei sicherlich nicht einmischen. Ich habe versucht, Ihnen die Haltung der Bundeskanzlerin klar darzulegen, die von der ganz klaren Haltung geprägt ist, dass die NPD verfassungsfeindlich, fremdenfeindlich, antisemitisch und politisch zu bekämpfen ist.

Frage: Eine Frage an das BMI zu dem Thema. Wie weit ist denn das Verfahren vorangeschritten, das Beweismaterial zu sichern? Kann man jetzt schon etwas zu dem Stand sagen? Inwiefern sind die V-Männer schon abgeschaltet?

Kutt: Wie Herr Seibert eben ausgeführt hat, steht außer Frage, dass die NPD eine verfassungsfeindliche Partei ist. Nun ist die Frage, ob man ihr auch eine aggressiv-kämpferische Grundhaltung nachweisen kann. Auf der Innenministerkonferenz von März dieses Jahres haben die Innenminister gemeinsam mit Herrn Friedrich beschlossen, diesen Kriterienkatalog und eine Materialsammlung zu erstellen. Das läuft noch.

Diese Materialsammlung wird in Abstimmung mit den Ländern evaluiert, um sicherzustellen, dass quellenfreies Material auch garantiert werden kann. Bundesinnenminister Friedrich hat in den vergangenen Monaten immer wieder betont, dass nur bei großen Chancen auf ein erfolgreiches Verfahren der Weg nach Karlsruhe gegangen wird.

Frage: Ich habe noch ein paar Nachfragen zum Thema Europa. Ich würde gerne von Frau Kothé wissen, ob Sie Informationen haben, nach denen der Troika-Bericht für Griechenland im Oktober zu erwarten ist. Ich hörte heute und las das auch in der einen oder anderen Zeitung , dass sich die Mission über den September hinaus erstrecken und damit das Ergebnis erst im Oktober vorliegen würde.

Zweitens würde mich interessieren, ob die Bundesregierung es kritisch findet, dass die Übergangsfinanzierung für Griechenland unter Einschaltung der Europäischen Zentralbank stattfindet. Es gibt durchaus Kritiker, die sich Sorgen um Kompetenzüberschreitungen der Europäischen Zentralbank machen.

Drittens würde mich interessieren, ob sich die Bundesregierung über die Entwicklung in Italien Sorgen macht, wo ja nun die Regierung eingeräumt hat, dass man mit dem Defizitabbau nicht so vorankommen wird, wie man das ursprünglich der EU-Kommission versprochen hat. Kommt hier mit Macht ein neuer Krisenfall heran?

Kothé: Zum Thema Troika-Bericht haben wir, keine Erkenntnisse, dass sich irgendwelche Verzögerungen abzeichnen. Darüber ist mir im Augenblick nichts bekannt. Der Plan ist, dass die Troika Mitte September in der Eurogruppe berichten wird.

Über das andere Thema, das Sie angesprochen haben, nämlich diese Übergangsfinanzierung, haben wir hier auch schon gesprochen. Wichtig ist aus unserer Sicht immer gewesen, dass es keine Überbrückungskredite für Griechenland gibt, auch nicht aus dem Programm. Eine weitere Auszahlung von weiteren Hilfszahlungen kann erst nach Vorliegen des Troika-Berichts und dem erforderlichen Nachweis erfolgen, dass die Maßnahmen so wie vereinbart umgesetzt werden.

Von daher ist klar, dass die griechische Regierung einen etwaigen Finanzbedarf anderweitig umsetzen muss. Das macht sie, indem sie sogenannte T-Bills ausgibt, also kurzfristige Papiere. Das hat sie in der Vergangenheit schon gemacht. Das ist keine Finanzierung, in die die EZB eingebunden ist es ist ganz wichtig, das zu betonen, weil das manchmal in der Diskussion so herübergekommen ist , sondern das ist eine Vereinbarung mit der nationalen Notenbank. Um es vereinfacht darzustellen: Der griechische Staat finanziert sich, verkauft diese kurzfristigen T-Bills an die Bank. Die griechischen Banken können sich bei ihrer Nationalbank refinanzieren. Das Einzige, was festgelegt worden ist, ist der Rahmen. Die EZB ist in der Weise im Spiel, dass der finanzielle Rahmen, in dem das möglich ist, durch die EZB vorgegeben ist.

Zusatz: Italien?

Kothé: Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass Italien die notwendigen Maßnahmen ergreifen wird und haben keine neue aktuelle Bewertung.

Frage: Herr Seibert, wir haben letzte Woche gelernt, dass es einen fundamentalen Dissens im Kabinett und auch in der Koalition über den Umgang mit der Gleichbehandlung eingetragener Lebenspartner im Einkommenssteuerrecht gibt. Herr Streiter hat uns gesagt, dass die Kanzlerin nach der Rückkehr aus dem Urlaub in den Ring steigen wird. Er konnte aber noch nicht ganz präzisieren, ob das vor oder nach der Kanada-Reise passieren wird. Können Sie uns Genaueres sagen? Wissen Sie, wann die Kanzlerin mit dem Vizekanzler über den expliziten Dissens, den sein Sprecher uns hier erklärt hat, reden wird und wie dieses Problem gelöst werden soll?

StS Seibert: Zunächst einmal gibt es im Kabinett keinen Dissens darüber, was koalitionsvertraglich festgelegte gemeinsame Absicht ist, nämlich die gleichheitswidrigen Benachteiligungen im Steuerrecht abzubauen. Das ist der Auftrag, den sich diese Bundesregierung gesetzt hat und den sie in der Tat bereits in mehreren Schritten umgesetzt hat. Ich erinnere noch einmal an die Änderungen bei der Erbschafts- und Grunderwerbssteuer. Ich erinnere an das Jahressteuergesetz 2013, das auch die Gleichstellung bei den vermögensbildenden Leistungen vorsieht. Das sind alles Umsetzungen des Koalitionsvertrags in Schritten, indem man sich noch einmal vorgenommen hat, gleichheitswidrige Benachteiligungen im Steuerrecht abzubauen.

Nun geht es um einen Sonderfall oder ein Spezialthema, nämlich die Anwendung des Ehegattensplittings auf eingetragene Lebenspartnerschaften. Da gehen in der Tat die Meinungen auseinander. Da gehen auch Rechtsauffassungen in der Wissenschaft sehr weit auseinander. Deswegen erscheint es uns als wirklich vernünftig, zunächst einmal anzuhören, wie die Verfahren, die dazu in Karlsruhe anhängig sind, entschieden werden und auf der Basis so ist es auch im Koalitionsvertrag vereinbart dann zu handeln. Die Bundeskanzlerin wird mit Sicherheit zum gegebenen Zeitpunkt mit den Ministern darüber sprechen.

Wiegemann: Von unserer Seite hat Herr Schlienkamp dazu letzte Woche ausführlich Stellung genommen. Daran hat sich in der Sache nichts geändert. Unser Minister hat darauf hingewiesen, dass Erörterungsbedarf in der Koalition besteht. Hintergrund dafür sind die aktuellen Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Diese Urteile sind starke Indizien dafür, dass auch im Bereich der Einkommenssteuer eine Gleichbehandlung geboten ist. Dies gilt es jetzt, politisch zu klären. Das kann nicht bis 2013 warten.

Zusatzfrage: Herr Seibert, das Problem wird auch aus der Unionsfraktion an die Bundeskanzlerin herangetragen. Können Sie konkretisieren, wann sich die Bundeskanzlerin damit beschäftigen wird und ob sie das möglicherweise schon getan hat?

StS Seibert: Ich kann das nicht konkretisieren. Rechtzeitig!

Frage: Herr Seibert, Sie sagten gerade eben: Deswegen erscheint es uns sinnvoll abzuwarten, bis die Gerichtsentscheidungen gefallen sind. Können Sie einmal sagen, wer außer Ihnen und Frau Merkel "uns" einschließt?

StS Seibert: Gut aufgepasst! Deswegen erscheint es sinnvoll, die Gerichtsentscheidungen in Karlsruhe abzuwarten.

Zusatzfrage: Das heißt, das, was Sie jetzt formulieren, ist die Interpretation der Kanzlerin?

StS Seibert: Ja, so habe ich das jetzt verstanden.

Zusatz: Sie sprechen für die Kanzlerin und nicht für die Regierung.

StS Seibert: Ich habe in großen Teilen meiner letzten Wortmeldung zum Thema Ehegattensplitting für die gesamte Bundesregierung gesprochen, weil ich referiert habe, was die Ziele dieser Bundesregierung sind und was sie in dieser Legislaturperiode im Sinne der Gleichstellung schon getan hat. Nun gibt es einen Sonderpunkt, und das ist die Anwendung des Ehegattensplittings auf eingetragene Lebenspartnerschaften. Da gehen sowohl politische als auch juristische Meinungen auseinander. Darüber wird zum rechten Zeitpunkt geredet werden. Ich kann jetzt nicht sagen, wann dieser Tag gekommen ist. Aber er wird kommen. Und Sie werden es erfahren.

Frage: Herr Seibert, hat die Bundeskanzlerin eine Meinung zu diesem Thema? Oder ist ihr das egal?

StS Seibert: Ich habe die Meinung der Bundeskanzlerin zu diesem Thema, die eine politische Meinung ist, hier vorgetragen. Das ist das Vorgehen, das sinnvoll ist und das in dieser Regierung gewählt wird. Es ist bereits einiges Bedeutendes im Sinne der Gleichbehandlung, der Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften umgesetzt worden. Karlsruhe wird grundsätzliche Entscheidungen treffen, wie es mit dem Ehegattensplitting aussieht. In der Partei, der die Bundeskanzlerin angehört, ist, weil ja auch immer das Thema Familiensplitting aufkommt, eine steuerliche Besserstellung von Familien mit großer Sympathie betrachtet worden.

Es war auch diese Bundesregierung, die gleich zu Beginn der Legislaturperiode im Wachstumsbeschleunigungsgesetz die Freibeträge für Kinder stark heraufgesetzt und in die Nähe der Freibeträge für Erwachsende gebracht hat. Das ist die Grundhaltung, die die Bundeskanzlerin auch mitträgt. Bei dem Sonderproblem Ehegattensplitting wird man nun sinnvollerweise auf Karlsruhe schauen. So ist es in der Koalition auch vereinbart. Gespräche können natürlich immer stattfinden.

Frage: Herr Seibert, da Karlsruhe erst im nächsten Jahr in dieser Sache entscheiden wird und wir im nächsten Jahr

StS Seibert: Wissen Sie das schon?

Zusatz: Das sagt Karlsruhe. Wir befinden uns dann schon in einer Form des fortgeschrittenen Wahlkampfs, der gemeinhin politisches Handeln eher einschränkt. Halten Sie es im Ernst für denkbar, dass diese Bundeskanzlerin ihrer Partei und ihrer Koalition eine Entscheidung über den zukünftigen steuerlichen Stellenwert der Ehe zumuten wird, der in der heißen Wahlkampfphase getroffen wird, wenn sie jetzt nicht den Mut dazu hat?

StS Seibert: Diese Bundesregierung wird in der gesamten Legislaturperiode politisch aktiv sein und politischen Mut zur Umsetzung gemeinsamer Projekte haben.

Vorsitzender Hebestreit: Man sieht den Kollegen Wonka selten sprachlos.

Zusatz: Wenn man so eine Frage stellt und so eine Antwort bekommt, ist man selber schuld.

Frage: Ich möchte noch einmal eine Nachfrage stellen. Ich weiß nicht, wer antworten will, vielleicht Herr Seibert, Frau Wiegemann oder Frau Kothé. Seit Jahrzehnten ist bei internationalen Konferenzen bei Weltwirtschaftsgipfeln und ähnlichen Geschichten die Frage der internationalen wirtschaftlichen Ungleichgewichte quasi eines der Top-Themen. Wenn man heute liest, dass das Handelsbilanzdefizit Deutschlands weltmeisterlich ausfallen wird, dass es weitaus höher ausfallen wird als das von China, sieht sich die Bundesregierung durch solche Meldungen herausgefordert, etwas zu tun, um etwas für eine gleichgewichtigere Wirtschaftspolitik zu tun und für mehr Ausgewogenheit in ihrer eigenen Handelspolitik einzutreten? Wenn ja, wo kann der Ansatzpunkt sein, um sich da etwas ausbalancierter darzustellen?

Wiegemann: Die deutsche Exportwirtschaft ist äußerst leistungs- und wettbewerbsfähig. Das ist sehr positiv. Es ist Ausdruck der hohen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Wir begrüßen das.

Zusatzfrage: Was folgere ich daraus? Folgere ich daraus, dass dieser ganze Ansatzpunkt, die ausgewogene Weltwirtschaft aufzustellen, letztlich der falsche Ansatz ist, weil das nicht geht, weil die Deutschen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit einfach zu stark sind?

Wiegemann: Sie müssen sehen, dass die Binnennachfrage im abgelaufenen Jahr kräftig zum deutschen Wachstum beigetragen hat. Tendenziell ist das deutsche Leistungsbilanzsaldo seit seiner Spitze im Jahr 2007 zurückgegangen.

StS Seibert: Die Frühjahrsprognose, die noch aus dem Mai stammt, sieht voraus, wenn ich mich richtig erinnere, dass die Binnennachfrage beim Wachstum eine stärkere Rolle spielen wird, und sieht sogar eine Abnahme des Leistungsbilanzüberschusses bis 2013 vor. Das sind zumindest die Zahlen, mit denen wir jetzt noch hantieren. Wir werden sehen, wie es dann kommt. Aber das sollten wir in Erinnerung behalten.

Bei der Betrachtung der sogenannten Ungleichgewichte ist der Fokus sehr stark auf Ländern mit starken Leistungsbilanzdefiziten, mit großen Wettbewerbsschwächen, weil sich daraus ein großes Problem für diese Länder ergibt. Es werden immer viele Faktoren gemeinsam betrachtet. Ein Leistungsbilanzüberschuss allein ist zunächst einmal kein Grund für Europa zu handeln. So war es auch in der Vergangenheit. Auch in der Vergangenheit hatten wir Leistungsbilanzüberschüsse. Da aber die anderen Faktoren, die in die Betrachtung mit einbezogen werden, sozusagen mildernd ausfielen, gab es keine Notwendigkeit für Europa, Deutschland dann einer vertieften Analyse zu unterziehen. Wir haben im Moment keinen Anlass anzunehmen, dass sich das ändert.

Zusatzfrage: Kann ich das unter dem Begriff "kein Handlungsbedarf" zusammenfassen? Das heißt es doch letztendlich.

StS Seibert: Der Stärkung der Binnennachfrage fühlt sich diese Bundesregierung schon verpflichtet. Das ist in den letzten Jahren erfolgreich betrieben worden. Nichtsdestotrotz ist eine starke Leistungsbilanz, auch ein Überschuss, der Ausweis deutscher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Exportfähigkeit, der Ausweis dessen, dass sich unsere Unternehmen für die Globalisierung so aufgestellt haben, dass sie mit innovativen Produkten in der Welt bestehen können. Das ist ein Ausmaß von Wettbewerbsfähigkeit, bei dem man besser sagt: "Das sollten auch andere erreichen", als dass man es bei uns eindämmt.

Frage: Ich habe eine Frage an das Außenministerium im Zusammenhang mit den Vorgängen in Ägypten und der Entscheidung von Herrn Mursi, die Militärführung abzulösen. Erwarten Sie Auswirkungen auf die gesamte Aufstellung Ägyptens, also einen weiteren Ruck in Richtung Islamismus? Erwarten Sie im Zusammenhang mit dieser Entscheidung Probleme, was Minderheitenrechte oder Frauenrechte angeht?

Peschke: Das sind sehr weitreichende Fragen. Es ist natürlich noch zu früh, darauf detailliert eine Antwort zu geben; denn zunächst einmal müssen wir abwarten, wie sich die weitere innere Entwicklung in Ägypten vollzieht. Das Dekret ist erst gestern unterzeichnet worden und muss mit der offiziellen Veröffentlichung in Ägypten erst noch in Kraft treten.

Tatsache ist, dass wir das, was passiert, sehr genau beobachten. Für Außenminister Westerwelle ist die entscheidende Messlatte, die wir an die Vorgänge anlegen, dass der Reformprozess so, wie er in Ägypten eingeschlagen wurde, fortgesetzt werden kann. Es muss unbedingt verhindert werden, dass jetzt Verwerfungen in Ägypten entstehen, die ein weiteres Fortschreiten der begonnenen und noch lange nicht zu Ende geführten Reformen unmöglich machen.

Frage: Ich habe noch eine Frage an das Gesundheitsministerium. Herr Jopp, nachdem auch die TK jetzt sagt, dass die Praxisgebühr abgeschafft werden könnte: Gibt es schon einen Zeitplan, in dem über die Praxisgebühr entschieden werden soll? Diese Frage richtet sich möglicherweise auch an Herrn Seibert, weil das sehr wahrscheinlich in einem Koalitionsausschuss Thema werden würde.

Jopp: Einen Zeitplan gibt es nicht. Der Minister hat bereits mehrfach gesagt, dass er die Praxisgebühr für überflüssig hält, weil sie ihre Steuerungswirkung gerade nicht erfüllt. Er hat auch klargemacht, dass er dies in einem entsprechenden Gespräch gerne klären möchte. Aber einen Termin hierfür gibt es noch nicht.

Zusatzfrage: Gibt es einen Koalitionsausschuss zu diesem Thema oder überhaupt einen Termin für eine Koalitionsausschusssitzung?

StS Seibert: Einen Termin kann ich Ihnen nicht liefern. Wenn es zu einem bestimmten Thema von einem Minister, von einer der Parteien, die die Koalition tragen, Bedarf zu diskutieren und zu sprechen gibt, dann wird es immer die Gelegenheit geben, darüber zu sprechen. Für die Bundeskanzlerin kann ich sagen, dass sie die Praxisgebühr nicht zur Disposition gestellt sieht.

Frage: Herr Seibert, erinnere ich mich richtig, dass das Thema Praxisgebühr beim letzten Koalitionsausschuss für diese Legislaturperiode beerdigt worden ist? Da stand es ja schon auf der Tagesordnung. Auch die FDP hat das damals bereits gefordert. Man hat im Koalitionsausschuss auch damals schon darüber gesprochen. Schon damals hat die Bundeskanzlerin gesagt, dass sie den Weg der Abschaffung nicht mitgehen möchte. Ich meine mich zu erinnern, dass man deshalb darauf verzichten wollte, das Thema weiter zu vertiefen.

StS Seibert: Wichtig ist, dass sich die Haltung der Bundeskanzlerin zu diesem Thema in den letzten Monaten nicht geändert hat. Ob dies beim letzten Koalitionsausschuss ein Gesprächsthema war, da erwischen sich mich jetzt, sicherlich ferienbedingt, bei einer leichten Gedächtnisschwäche. Aber das werde ich nachschauen.

Frage: Ich habe noch eine Frage an das Auswärtige Amt. Im Moment ist zwischen den USA und der Türkei offenbar die Einrichtung einer Flugverbotszone über Syrien im Gespräch. Hat die Bundesregierung zu dieser Thematik eine Meinung?

Peschke: Wir haben diese amerikanisch-türkischen Beratungen über das Wochenende intensiv verfolgt. Wir haben auch verfolgt, was die amerikanische Außenministerin Clinton auf Nachfrage von Journalisten in der Pressekonferenz zu dem von Ihnen aufgeworfenen Thema gesagt hat. Dazu kann ich Ihnen für uns nur sagen:

Erstens. Die Diskussionslage im Sicherheitsrat ist unverändert. Wir arbeiten nach wie vor daran, dass es einen Sinneswandel in Russland und China gibt, der ein geschlossenes Agieren des Sicherheitsrates überhaupt erst einmal möglich macht.

Zweitens gilt weiterhin die Haltung von Außenminister Westerwelle, dass wir glauben, dass die Diskussion über ein militärisches Eingreifen die Dinge in Syrien eher erschweren könnte, weil dann sofort die Gefahr eines regionalen Flächenbrandes heraufbeschworen werden könnte.

Drittens ist für den Außenminister und die Bundesregierung entscheidend, dass wir jetzt eine effektive Hilfe für die Flüchtlinge in Syrien, aber vor allem auch in den Nachbarländern leisten. Heute ist Entwicklungsminister Niebel in der Region.

Darüber hinaus ist für uns wichtig, dass wir die Opposition unterstützen, sich zu einigen und sich politisch weiterzuentwickeln, damit sie eine glaubwürdige Alternative zum Assad-Regime wird.

Des Weiteren wirken wir weiter darauf hin, dass die internationale Gemeinschaft endlich zu einem geschlossenen Handeln findet.

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Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz vom 13. August 2012
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2012/08/2012-08-13-regpk-.html?nn=391778
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. August 2012