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PRESSEKONFERENZ/609: Kanzlerin Merkel und der französische Präsident Hollande, 30.05.13 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Mitschrift der Pressekonferenz in Paris - Donnerstag, 30. Mai 2013
Regierungspressekonferenz vom 29. Mai 2013



P Hollande: Meine Damen und Herren, ich hatte das Vergnügen, heute Nachmittag - dies wird auch noch beim Abendessen der Fall sein - die Frau Bundeskanzlerin zu empfangen. Zunächst einmal haben wir die sehr schöne Ausstellung im Louvre über deutsche Maler besucht. Dann haben wir den Beffa-Cromme-Bericht entgegengenommen, im dem es um Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit der Industrie auf deutscher und französischer Seite geht.

In dem Bericht wird hauptsächlich auf Vorschläge zu Wettbewerb, Energie und Innovation eingegangen. Wir haben die Beteiligten an dem Bericht gebeten, ihre Arbeiten fortzuführen, insbesondere was Energiefragen und konkrete Projekte anbelangt, die wir gemeinsam zwischen Deutschland und Frankreich mit den betroffenen Firmen zu Ende führen können.

Der weitere Teil unserer Gespräche bezog sich auf den deutsch-französischen Beitrag zum Europäischen Rat und über den Europäischen Rat hinaus, was die Wirtschafts- und Währungsunion anbelangt. Wir hatten anlässlich des 50. Jahrestages des Élysée-Vertrags beschlossen, diesen Beitrag gemeinsam zu erstellen. Wir wollten dieser Freundschaft einen europäischen Sinn verleihen. Unsere Vorschläge bestehen darin, dass wir die Situation in Europa so berücksichtigen, wie sich Europa darstellt. Das heißt ein Europa, das Stillstand im wirtschaftlichen Bereich erfährt. Die Krise ist noch nicht vorbei. Auch wenn die Lage in den Ländern unterschiedlich ist, ist das Wachstum bei einigen gering, bei null oder gleicht sogar einer Rezession.

Es geht hier also darum, Europa ein größeres Vertrauen in dieser Situation zu verleihen, in der die Arbeitslosigkeit historische Ausmaße annimmt. Zunächst einmal geht es um Vertrauen, das die Jugend in Europa setzt. Der große Teil unserer Arbeit bestand darin, europäische Fonds und Gelder für den Zeitraum 2014 bis 2020 einzusetzen und dem vorzugreifen, was konkret gemacht werden kann.

Sechs Milliarden Euro sind im europäischen Finanzrahmen schon eingesetzt worden. Wir wollen alles daran setzen, dass dieses Geld, dass dieser Fonds so schnell wie möglich und mit den bestmöglichen Ergebnissen umgesetzt werden kann. Dieses ist übrigens der Sinn des Treffens, das in Berlin am 3. Juli stattfinden wird. Wir werden beide zusammen mit Kommissionspräsident Barroso und mit der litauischen Präsidentin anwesend sein. Wir werden darauf achten, alles zu bewerten, was es in den verschiedenen Ländern gibt, und alles daran zu setzen, dass die besten Lösungen national und europäisch umgesetzt werden können.

Unser Vorschlag besteht auch darin, kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zu Krediten zu ermöglichen, insbesondere in Bezug auf die Europäische Investitionsbank. Auch hier werden wir alles daran setzen, dass die EIB schnell und konkret flüssiges Geld für die Unternehmen zur Verfügung stellen kann, die in den Ländern angesiedelt sind, die am meisten von der Krise betroffen sind, die aber insbesondere innovative Unternehmen sind.

Unser Wunsch war es ebenfalls, eine bessere Umsetzung der Bankenunion vorzusehen. Die Grundsätze sind ja festgelegt worden. Wir möchten jetzt den Bankenresolutionsrahmen umsetzen, und zwar alles, was für die Unterstützung der öffentlichen Hand und des privaten Sektors vorgesehen ist. Auch hier ist es wichtig, dass sich Deutschland und Frankreich auf einen Zeitplan und auf Mechanismen einigen konnten, ohne dass dafür die Verträge geändert werden müssen.

Was die wirtschaftspolitische Steuerung anbelangt, so können wir uns zunächst einmal Ziele setzen, und zwar die Steuerharmonisierung, die Konvergenz der Steuersysteme. Wir sollten aber auch dem Ganzen eine soziale Dimension verleihen, und zwar mit dem Vorschlag, einen Mindestlohn vorzusehen, der entweder national oder in verschiedenen Industriesektoren durch Tarifverträge festgelegt wird.

Wir sind uns auch darin einig, dass es Wettbewerbsverträge geben sollte. Das heißt, dass die Länder Wettbewerbspolitik betreiben, auch ermutigt werden sollen, dies zu tun und dass dafür sogar Gelder zur Verfügung gestellt werden können. In diesem Zusammenhang haben wir uns auch darauf geeinigt, dass es notwendig ist, Eigenmittel für die Eurozone über einen Fonds vorzusehen, der zum Beispiel von Beiträgen aus der Finanztransaktionssteuer genährt werden kann. Der Gedanke besteht darin, über einen Fonds zu verfügen, der direkt durch die Eurozone für die Wettbewerbsfähigkeitsverträge oder für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit eingesetzt werden kann.

Was die Organisation dieser wirtschaftspolitischen Steuerung anbelangt, sind wir uns darin einig, dass es mehr Gipfeltreffen der Eurozone mit einem Vollzeitpräsidenten der Eurogruppe geben sollte, der verstärkte Mittel zur Verfügung haben sollte und der auch durch die Minister der Eurozone beauftragt werden könnte, um alles zu tun, in den Bereichen Beschäftigung, Forschung und Industrie bessere Ergebnisse zu erzielen. Wir werden darauf achten, dass das Europäische Parlament die Mechanismen kontrolliert, die wir einsetzen. Die Sozialpartner sollen ebenfalls assoziiert werden.

Der deutsch-französische Beitrag kann nicht alle Themen umfassen. Aber er betrachtet Europa heute so, wie es da steht und wie wir es in Zukunft und kurzfristig sehen möchten. Wir möchten, dass dieses Europa sich noch mehr mit Beschäftigung und Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit befasst. Wir möchten, dass dieses Europa schneller handelt, wenn es darum geht, die Bankenunion einzurichten. Wir möchten, dass Europa effizienter in der wirtschaftspolitischen Steuerung und harmonischer bei den Steuersystemen ist und eine wettbewerbsfähige und wachstumskohärente Politik betreibt.

Das war das Wesentliche der Arbeiten, die wir geleistet haben. Wir werden all die Ergebnisse dieser Beratungen allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zur Kenntnis bringen. Unser Wunsch ist es, dass sich sehr viele unserem Vorgehen anschließen. Beim Europäischen Rat werden wir natürlich auf das zurückkommen, was wir heute beschlossen haben. Aber wir werden ebenfalls Anfang Juli ein Treffen mit den Arbeitsministern der 27 oder 28 Mitgliedsstaaten organisieren. Ich glaube, das zeigt doch wiederum, dass Deutschland und Frankreich nicht anderen ihren Willen aufzwingen, sondern aufgrund unserer Verantwortung und aufgrund der Bedeutung unserer Wirtschaft alle Europäer auf einen Weg mitnehmen, den wir als den besten erachten, nämlich den der Kohärenz, der Solidarität, des Wachstums und insbesondere auch der Beschäftigung. - Vielen Dank!

BK'in Merkel: Danke schön! - Ich möchte mich bedanken, dass wir heute hier in Paris zusammenkommen können und dass wir die Ausstellung besucht haben. Ich möchte mich bei den Autoren der sogenannten Beffa-Cromme- oder Cromme-Beffa-Kommission bedanken, die aus der Sicht der Wirtschaft wichtige Anregungen übergeben haben.

Wir lösen heute das ein, was wir in Bezug auf die Freundschaft mit Frankreich im Zusammenhang mit dem Élysée-Vertrag versprochen haben, nämlich einen aktuellen Beitrag zur Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion in die Beratungen zum Juni-Rat einzuspeisen, insbesondere auch zur Entwicklung der Prinzipien, mit denen wir Europa wettbewerbsfähiger machen, Wachstum schaffen und damit auch wieder Arbeitsplätze schaffen wollen, und zwar nachhaltig.

Wir haben viel erreicht in Europa. Trotzdem hat man manchmal den Eindruck, dass die Bemühungen, die europäische Arbeit auf eine nachhaltige Grundlage zu stellen, schnell nachlassen. Das darf nicht sein. Das ist die Überzeugung, die wir hier in diesem Papier zum Ausdruck bringen. Die Fakten - insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit, aber die Arbeitslosigkeit insgesamt - sprechen eine Sprache, die sagt: Wir müssen mehr tun, wenn wir den Wohlstand auf Dauer erhalten wollen.

Wir haben dieses Papier so aufgebaut, dass wir in einem Anfangsteil sagen, was unsere Prinzipien sind. Wir bekennen uns zu den novellierten Regelungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Wir arbeiten jetzt auch in diesem Jahr zum ersten Mal nach diesen Regelungen. Wir bekennen uns dazu, dass Haushaltskonsolidierung und Wachstum Hand in Hand gehen, sozusagen zwei Seiten einer Medaille sind und sich nicht widersprechen. Wir sagen: Es drängen viele Probleme. Das heißt, es muss schnell gehandelt werden. Es muss sicherlich auch auf neuen Wegen gehandelt werden. Das zeigen wir dann an den verschiedenen Beispielen.

Die Themen, mit denen wir uns dann beschäftigen, sind von François Hollande genannt worden. Es geht um die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigung. Hier hat die Jugendarbeitslosigkeit eine zentrale Bedeutung in unseren Vorhaben. François Hollande ist darauf schon eingegangen.

Es geht - das sagen wir auch -, nicht nur darum, die 6 Milliarden Euro für die nächste finanzielle Vorausschau zur Verfügung zu haben, sondern dass sie auch möglichst schnell ausgegeben werden können - nicht auf alle Jahresscheiben gleich verteilt, sondern innerhalb von zwei Jahren verteilt.

Wir wollen am 3. Juli praktisch diskutieren; das ist dargelegt worden. Wir fordern auch ein, dass der Pakt für Wachstum und Beschäftigung, den wir im letzten Juli verabschiedet haben, schnell wirklich operabel gemacht wird. Hier kommt der Europäischen Investitionsbank eine besondere Bedeutung zu. Wir werden oft gefragt: Was ist da jetzt herausgekommen? Ihr habt über 120 Milliarden Euro gesprochen, aber wie stellt sich das jetzt in der Praxis dar?

Deshalb brauchen wir dringend den mehrjährigen Finanzrahmen. Ich freue mich, dass die Verhandlungen mit dem Parlament hier voranschreiten. Wir bitten die Kommission, uns auch einen Investitionsplan vorzulegen. Was sind die nächsten Maßnahmen? Wo wollen wir konkret das Geld von 2014 an auch wirklich ausgeben? Wie können wir die Bedingungen für private Investitionen nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf europäischer Ebene noch verbessern? Stichwort Bürokratieabbau, Stichwort ein Wettbewerbsrecht - das kommt auch bei den Vertretern der Wirtschaft vor -, das Europa stärkt und das Europa nicht schwächt.

Wir sagen dann: Was müssen wir weiter tun? Hier ist die Integration der Finanzmärkte - Stichwort Bankenaufsicht und alles, was damit zusammenhängt - von zentraler Bedeutung. Wir haben einen klaren Plan vorgelegt, wie wir uns die weiteren Arbeiten vorstellen, und zwar sowohl was die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten anbelangt - die Richtlinie ist in der Beratung - als auch, was die Einlagensicherungssysteme anbelangt. Auch hier ist eine Richtlinie in den Beratungen. Das muss abgeschlossen werden. Dann kann zusätzlich zu der Aufsicht auch ausgearbeitet werden, in welcher Art und Weise dann die direkte Rekapitalisierung in einer Kaskade von Schritten von nationaler Rekapitalisierung, Eigenbeiträgen der Banken und in letzter Instanz auch europäischer Hilfe stattfindet.

Wir haben dann einen qualitativ neuen Vorschlag gemacht, nämlich: Wie geht es weiter mit der wirtschaftspolitischen Koordinierung? Wir stellen fest: Der Stabilitäts-und Wachstumspakt wird immer erst dann wirksam, wenn wir bereits im Ungleichgewicht sind, wenn wir uns Defizitverfahren nähern. Aber er ist noch keine dauerhafte Grundlage dafür, dass wir gar nicht erst in solche Ungleichgewichte oder Defizitverfahren kommen. Deshalb brauchen wir mehr wirtschaftspolitische Koordinierung. Das drückt sich institutionell in einer stärkeren Zusammenarbeit auch der Eurogruppe und all denen, die gerne mitarbeiten wollen, aus. Das drückt sich aber auch prozedural aus, indem wir uns klar werden: Was ist eigentlich wichtig für Wettbewerbsfähigkeit?

Das ist ein Wort. Aber was bedeutet das? Klar ist: Wir können das nicht alleine entscheiden, sondern das ist immer relativ zu den Besten in der Welt zu sehen. Es gehören Bereiche dazu - die nennen wir in diesem Papier - , die von großer Wichtigkeit sind. Das sind die Fragen des Arbeitsmarktes, der Innovation. Das sind die Fragen von sozialen Regelungen, von Steuersystemen. Das ist die Frage der Effizienz der staatlichen Institutionen. All das sind Punkte, über die wir reden müssen. Wenn wir uns europäisch auf diese Parameter geeinigt haben - Was ist wirklich wichtig für Wettbewerbsfähigkeit? -, dann sind wir in der Lage, einen zweiten Schritt zu gehen und zu sagen: Jawohl, jetzt wollen wir auch verbindliche Abmachungen treffen. Da wird die Kommission eine steuernde Funktion haben. Da müssen die nationalen Parlamente natürlich auch mit einbezogen sein, damit man dann auf dieser verbindlichen Grundlage mehr Kohärenz in der Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere in der Eurozone, aber auch für Mitglieder, die mitmachen wollen, bekommen kann.

Das Ganze muss institutionell abgesichert sein. François Hollande hat darüber gesprochen, wie wir die Eurogruppe stärken können, wie wir uns stärker und öfter im Europäischen Rat unter den Euromitgliedern treffen und wie wir auch unsere Ressortminister gegebenenfalls beauftragen können, diese Aufgaben zu spezifizieren und fortzuführen. Wenn wir dann sozusagen die fiskalische Integration auch über mehr Koordination im Bankenbereich vorantreiben und wenn wir die wirtschaftspolitische Koordinierung vorantreiben, wenn wir Solidaritätsinstrumente haben und gleichzeitig zu Hause alle unsere Hausaufgaben machen, dann ergibt sich aus meiner Sicht ein rundes Bild. Ich glaube, dieses Papier ist ein Beitrag, mit dem wir auch in die Diskussion mit unseren europäischen Partnern treten wollen und über das wir gerne auf dem Juni-Rat beraten möchten. - Herzlichen Dank!

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Herr Präsident, Sie haben gerade Ihre Bestrebungen hin zu einer stärkeren wirtschaftlichen Koordinierung erläutert. Zugleich hat Herr Staatspräsident Hollande gestern gesagt, er wolle sich von der EU-Kommission keine Auflagen machen lassen, was die Reformen in Frankreich angeht. Wie können Sie einerseits verbindliche Verpflichtungen vereinbaren und andererseits sagen "Meine Souveränität geht so weit, dass ich mir von niemandem vorschreiben lassen will, was ich zu machen habe"? Gilt das im Falle Deutschlands nicht?

P Hollande: Ich glaube, das so verstanden zu haben, dass die Frage eher an Frankreich gerichtet ist.

Die Koordinierung der Wirtschaftspolitik erfolgt in einem Rahmen, der die Eurogruppe, aber auch die Kommission sein kann, insbesondere was die Einhaltung der Verpflichtungen anbelangt.

Im Augenblick befinden wir uns im Stabilitätspakt. Frankreich hat seine Haushaltsverpflichtungen eingehalten, um wieder zu einem Gleichgewicht der öffentlichen Finanzen zu gelangen, insbesondere was das strukturelle Defizit bis zum Jahr 2017 anbelangt. Die Kommission setzt uns eine Frist, und gleichzeitig legt sie einen Zeitplan fest. Wir haben die Absicht das einzuhalten, was die Rückkehr zum Gleichgewicht der öffentlichen Finanzen anbelangt. Natürlich sind Reformen notwendig - ich selbst habe sie auch angekündigt -, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Bei der Reform des Arbeitsmarktes haben wir etwas getan und einen Wettbewerbsfähigkeitspakt beschlossen.

Andere Reformen stehen noch an, insbesondere bei den Sozialpartnern, wenn es das Arbeitslosengeld anbelangt. Auch die Regierung und die Sozialpartner, was die Renten anbelangt, sind gefordert. Dies erfordert auch vom Staat und von den Gebietskörperschaften, dass sie die Dinge vereinfachter darstellen und angehen. Es gibt auch einen Wettbewerb bei verschiedenen Berufen, die eingehalten werden müssen, obwohl das in verschiedenen Jahren nicht gemacht worden ist.

Alle diese Reformen sind in den ganzen Jahren nicht gemacht worden. Wir müssen sie zum Ende bringen. Aber die Art und Weise - die Einzelheiten, wie wir das gestalten - liegt in der Verantwortung der Regierung und des Staates. Sonst wäre Staatssouveränität nicht möglich. Souveränität muss in der Umsetzung liegen, in der Art und Weise, wie eine Gesellschaft bei Zielen mitgenommen werden kann. Die Kommission spricht Empfehlungen aus.

Ich erinnere noch einmal: Sie sagt ja nicht an der Stelle der Staaten, was diese machen sollen. Ich glaube also, das vernünftige Verständnis dessen, was wir zu tun und zu leisten haben, besteht darin, unsere Verpflichtungen und Ziele einzuhalten, unsere Reformen durchzuführen und sie zum Ende zu führen, weil die Franzosen dem zugestimmt haben.

Die Methode, die ich für mein Land möchte, ist die Methode der Entscheidung. Was die Entscheidung anbelangt, so hat es seit einem Jahr viele Entscheidungen gegeben, damit die Europäische Kommission wirklich volles Vertrauen in das haben kann, was wir tun.

BK'in Merkel: Ich will von meiner Seite sagen, dass wir lange um die Formulierung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes gerungen haben. Ich erinnere an Ereignisse wie Deauville, als uns auch einmal vorgeworfen wurde, wir würden das alles abschwächen. Das heißt, damals sind bewusst Entscheidungen getroffen worden, um sehr hart vorzugehen und der Kommission eine wichtige Stellung zu geben. Deshalb hat Deutschland länderspezifische Empfehlungen bekommen. Deshalb sind die Länder, die im Defizitverfahren sind, natürlich auch mit sehr spezifischen Empfehlungen bedacht worden. Wir werden jetzt entscheiden müssen. Aber vorher werden die Länder Stellung nehmen können.

Das, was ich heute gehört habe und was auch in unserem Papier steht, nämlich eine uneingeschränkte Akzeptanz dieses Paktes, ist, glaube ich, unserer beider Überzeugung. Wir wissen, dass wir alle etwas tun müssen, um uns zu verbessern. Der französische Präsident hat eben deutlich gemacht, worin die Aufgaben Frankreichs bestehen. Aber richtig ist natürlich, dass wir letztendlich nationale Umsetzung brauchen. Deshalb ist auch der Weg zu einer wirtschaftspolitischen Koordinierung, bei der wir frühzeitig beginnen, zwischen Kommission und Ländern darüber zu sprechen, wie die entsprechenden Dinge umgesetzt werden können und welche Parameter von Wichtigkeit sind, aus meiner Sicht für die Zukunft noch einmal eine neue Etappe.

Jetzt müssen wir natürlich, wenn Defizitverfahren anstehen, die Prozeduren einhalten. Aber ich denke, das wird auch in den Diskussionen der nächsten Wochen klar werden, dass das der Wunsch aller und auch die Pflicht aller ist.

Frage: Herr Präsident, ich komme noch einmal auf die Empfehlungen zurück. Hat die Kommission Themen angesprochen, die vielleicht im Tabu sind, wie zum Beispiel die Rentenreform, die Öffnung verschiedener Bereiche? Musste nicht erst die Kommission diese Tabu-Themen ansprechen?

P Hollande: Es gibt keine Tabu-Themen. Alle Reformen, die durchgeführt werden müssen, werden durchgeführt - sei es Wettbewerbsreformen, sei es Rentenreformen. Aber was die Entscheidungen und die Modalitäten anbelangt, müssen wir sagen - und das ist meine Verantwortung, die Verantwortung der Regierung, die des Parlaments; denn wir haben ja ein Parlament, wir haben Sozialpartner -, wie wir das angehen.

Was die Sonderregime anbelangt, hat es schon eine Reform gegeben. Das ist schon erfolgt. - Man sagt mir, es ist noch nicht geschehen.

Ich könnte natürlich sagen, dass es schon eine Rentenreform gegeben hat, aber ich glaube, es braucht einer weiteren Rentenreform. Denn in 2020 werden wir ein Defizit in Höhe von 20 Milliarden Euro haben.

Meine Verantwortung besteht darin, diese Frage zu lösen und diese Reform bis Ende des Jahres durchzuführen. Also es gibt kein Thema, (das ein Tabu ist).

Die Kommission spielt absolut ihre Rolle, wenn sie Bereiche anspricht, in denen wir etwas tun müssen. Aber der Staat, die Regierung, leistet voll und ganz seine Verantwortung, wenn er selbst sagt, wie er das Ganze methodisch umsetzen will und welches die verschiedenen Optionen sind, die es gibt, um zu dem erwünschten Ergebnis zu gelangen.

Mein Ziel besteht darin, in den Fristen, die uns durch die Europäische Kommission vorgegeben worden sind, das öffentliche Defizit zu reduzieren. Denn das ist die Verpflichtung, die Frankreich eingegangen ist, nicht nur der Kommission, aber auch seinen Partnern gegenüber.

Ich habe ein weiteres Ziel, das darin besteht, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Denn das Problem mit Frankreich ist ein Problem der Wettbewerbsfähigkeit. Frankreich hat in seiner Handelsbilanz ein Defizit von 70 Milliarden Euro; Deutschland hat in seiner Handelsbilanz einen Überschuss von 160 Milliarden Euro. Also hier ist eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit der französischen Industrie, und wir müssen reagieren. Mit der Regierung von Jean-Marc Hero habe ich auch schon reagiert.

Ich muss noch einmal daran erinnern, was wir beim Arbeitsmarkt getan haben, was wir beim Wettbewerbsfähigkeitspakt gemacht haben. Wir werden dies auch weiterhin tun. Aber die Methode, also die Maßnahmen, die notwendig sind, liegt in der Verantwortung Frankreichs.

Frage: Meine Frage richtet sich an die Bundeskanzlerin. Führen die Tatsache, dass die Kommission zusätzliche Fristen bezüglich Ihrer Finanzen setzt, und die Rezession in Europa bei Ihnen dazu, dass Sie vielleicht die Richtung Ihrer Politik ändern wollen? Denn man hat Ihnen in Deutschland sehr oft vorgeworfen, dass Sie einen Gewaltmarsch im Hinblick auf Haushaltsdisziplin unternehmen. Glauben Sie, dass jetzt die Zeit gekommen ist, das Ganze etwas abzuschwächen?

BK'in Merkel: Nein, das glaube ich nicht. Wir haben einen Stabilitäts- und Wachstumspakt verabschiedet, den wir voll einhalten, den die Kommission einhält und auf dessen Grundlage sie jetzt auch die Empfehlungen abgegeben hat.

Deutschland hat sehr klar gesagt, dass wir zwei Dinge sehen: Erstens. Wir haben zugestimmt, dass die Kommission Frankreich zwei Jahre mehr Zeit für das Erreichen des Defizitziels von 3,0 Prozent gegeben hat. Dies ist aber zweitens an die Erwartung gekoppelt - der französische Präsident hat das ja eben auch bestätigt -, dass Reformen durchgeführt werden.

Beides geht Hand in Hand. Man kann die Defizite sehr viel besser auflösen und abbauen, wenn gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit steigt - und Wettbewerbsfähigkeit ist ja auch kein Selbstzweck, sondern sie dient wiederum dazu, dass mehr Arbeitsplätze entstehen, dass mehr exportiert werden kann und sich die Dinge sich insgesamt verbessern.

Das hat die Kommission ja jetzt in ihren Empfehlungen auch deutlich gemacht, im Übrigen nicht nur für Frankreich, sondern es gibt für jedes Land länderspezifische Empfehlungen. Sicherlich ist die Bindungskraft für Länder im Defizitverfahren höher als für Länder, die nicht im Defizitverfahren sind. Aber es gibt für jedes Land länderspezifische Empfehlungen.

Jetzt muss das Land wieder Stellung dazu nehmen. Wir bewegen uns voll auf dem vereinbarten Stabilitäts- und Wachstumspakt. Wenn Sie sich einmal die Programme ansehen, die in Spanien und Italien gemacht worden sind - oder die Programme in Griechenland, Portugal und Irland -, dann sind doch das mitnichten nur Programme, die irgendetwas mit Haushaltskonsolidierung zu tun haben, sondern es sind massive Strukturreformen, die die Länder tief verändern - in Griechenland sicherlich am meisten -, wenn es um den Aufbau eines neuen Steuersystems, eines neuen Gesundheitssystems oder einer völlig neuen Verwaltung geht.

Frankreich und Deutschland haben hier jeweils Verantwortungsbereiche übernommen. Das sind Arbeitsmarktreformen, das ist die Stärkung der staatlichen Institutionen, und das ist auch - das ist auch in Deutschland kein einfaches Thema - die Öffnung von Berufsbereichen. In Griechenland ist bis vor kurzem Säuglingsmilch nur in Apotheken verkauft worden. Das war natürlich für die Apotheken gut, aber für die Preise von Babynahrung war es schlecht.

Das heißt, wir haben eine Vielzahl von Strukturreformen gemacht. Haushaltskonsolidierung allein ist kein Selbstzweck. Aber jeder sagt uns: Das Wachstum funktioniert besser, wenn die Defizite sinken und nicht, wenn die Defizite steigen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Herr Präsident, Helmut Schmidt und Giscard d'Estaing waren sich gestern bei ihrem sehr bewegenden Treffen einig, dass es Geburtsfehler der Eurozone gibt. Vor allen Dingen gäbe es einen Geburtsfehler - die mangelnde Absicherung durch eine gemeinsame, wirklich verbindliche Finanz- und Wirtschaftspolitik.

Sie beide versuchen jetzt seit einem Jahr, die Eurokrise dauerhaft dadurch zu überwinden, dass Sie dies nachholen. Sie scheinen aber immer wieder an eine Hürde zu stoßen. Von deutscher Seite aus sagt man: "Wir können uns größere finanzielle Solidarität nur vorstellen, wenn es eine tatsächlich verbindliche Finanzpolitik gibt, aus der keiner mehr ausscheren kann." Von französischer Seite aus sagt man dann: "Unsere Souveränität wollen wir uns nicht nehmen lassen - allenfalls dann, wenn es tatsächlich mehr finanzielle Solidarität oder Eurobonds gibt." Wann, denken Sie, werden Sie diese Hürde aus dem Weg räumen?

BK'in Merkel: Ich glaube, dass es gar keine Widersprüche gibt. Dort, wo Entscheidungen gefällt werden können, muss auch die Haftung für Risiken liegen. Das heißt, ich kann sozusagen nicht einen Solidaritätsmechanismus auf europäischer Ebene ansiedeln, und anschließend macht jeder sein Budget, wie er gerade lustig ist. Das wird ohne Aufgabe von Souveränitätsrechten nicht gehen.

Das Papier, das wir Ihnen hier vorstellen, ist im Übrigen ein einziges Beispiel dafür, dass wir bereit sind, das Schritt für Schritt zu tun. So, wie Sie es dargestellt haben, würden wir uns ja an einem Punkt treffen: Der Eine würde vielleicht das mehr betonen und das andere in Kauf nehmen; der Andere würde die Abgabe von Souveränität mehr betonen, aber auch die Solidarität in Kauf nehmen. - Da sehe ich gar kein Problem.

Wichtig ist, dass dort, wo entschieden wird, auch die Risiken angesiedelt sind und nicht die Dinge auseinanderfallen. Das ist keine gute Regierungsführung. Das klappt nicht zuhause bei uns in Deutschland in den Bundesländern. Das klappt sonst nirgendwo. Wenn sozusagen einer die Risiken verwalten muss und der andere das Geld ausgeben darf, das geht mit Sicherheit nicht zusammen und würde die Geburtsfehler, die im Euro-Bereich entstanden sind, verschärfen.

Unser Problem ist doch, dass wir jetzt bestimmte Dinge nachholen müssen, die im Übrigen Jaques Delors schon in seinem Bericht vor Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion geschrieben hat, und das in einer krisenhaften Situation. Wir haben im Grunde durch die große Finanzkrise, die ja nicht von Europa, sondern von Amerika ausgegangen ist, den ersten Schock auf den Euroraum erlebt. Diesem Schock ist der Euroraum nicht voll gewachsen gewesen.

Jetzt müssen wir das nachholend machen. Das ist mit Sicherheit nicht einfacher in einer sehr schwierigen weltwirtschaftlichen Phase. Deshalb ist unsere gesamte Klugheit, aber auch unsere gesamte Kompromissfähigkeit gefordert. Wir stellen uns mit diesem Papier genau dieser Aufgabe, und zwar Deutschland und Frankreich gemeinsam.

P Hollande: Helmut Schmidt und Valéry Giscard d'Estaing haben genau wie Jaques Delors schon seit langem angesprochen, was der Geburtsfehler bei der Schaffung des Euro war. (Es fehlt) nämlich eine Wirtschaftsregierung, eine Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, die es über das hinaus, was die EZB in der Lage ist zu leisten, ermöglicht, der Eurozone einen gewissen Zusammenhalt zu verleihen, ihr einen Rahmen zu bieten, besser einem Schock Stand zu halten, das Wachstum von morgen besser zu fördern, und auch solidarisch zu handeln.

Was tun wir denn? Was machen wir denn? - Wir haben schon den Fiskalpakt verabschiedet.

Ich erinnere noch einmal daran, dass Frankreich diesen Fiskalpakt im letzten Herbst verabschiedet hat. Wir akzeptieren ihn. Wir halten die Verpflichtungen ein, was die Reduzierung des Defizits anbelangt. Die Kommission setzt mehreren Ländern eine Frist, ganz einfach, weil diese Länder (ihre Verpflichtungen nicht eingehalten haben). Frankreich hat zumindest bedeutende Haushaltsbemühungen unternommen; seit einem Jahr haben wir unser Strukturdefizit um zwei Prozent verringert. Die Kommission gibt Ländern auch eine Frist, weil wir es mit einem so geringen Wachstum zu tun haben, dass wir nicht in der Lage sind - wie es unsere Absicht war -, die ursprünglichen Ziele zu erreichen.

Das ist überhaupt kein Diskussionspunkt zwischen uns. Das ist der Fiskalpakt. Das sind Verpflichtungen, die wir eingegangen sind.

Aber wir müssen mehr tun; wir müssen mehr leisten. Die Wirtschaftkoordinierung ist nicht nur der Fiskalpakt. In dem Beitrag, auf den wir uns geeinigt haben, geht es ja darum, unsere Steuersysteme zu harmonisieren, alles daran zu setzen, dass wir unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern können, dass wir Arbeitsplätze schaffen, dass wir Investitionen leisten, die es Europa ermöglichen, die Herausforderungen von morgen aufzunehmen. Das ist Wirtschaftspolitik auf europäischer Ebene.

Drei Dinge spielen also bei der wirtschaftspolitischen Steuerung der Eurozone mit hinein: Erstens, was die Verantwortung für Haushalt anbelangt, eine vernünftige Haushaltspolitik; denn kein Land kann es in der Tat hinnehmen, dass ein anderes keine Haushaltsdisziplin an den Tag legt. Zweitens aber auch das, was wir für das Wachstum leisten können, für den Wettbewerb, für die Beschäftigung. Denn wir müssen immer die größte Wirtschaftsmacht der Welt sein und bleiben. Und drittens gibt es noch das, was Solidarität unter gewissen Bedingungen anbelangt. Und um solidarisch zu sein, braucht es Verantwortung. Das ist der Sinn und das Wesen dessen, was wir zu tun haben.

Und dann gibt es dringende Maßnahmen, die beschlossen werden müssen. Wir haben einige davon angesprochen, was die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit anbelangt, was den Zugang der Unternehmen zu Geldern und finanziellen Hilfen anbelangt. Wenn wir gemeinsam handeln, tun wir das, weil wir die gleichen Ziele haben. Es gibt keinen Grund, Frankreich und Deutschland in dem Widerspruch gegeneinander auszuspielen: Es gibt die, die Haushaltsdisziplin üben wollen, und die, die nur Wachstum erreichen wollen. Beides muss miteinander einhergehen.

Frage: Herr Präsident, in dem Augenblick, in dem diese Pressekonferenz begann, haben wir erfahren, dass es im letzten Monat in Frankreich 40.000 Arbeitslose mehr gegeben hat. Ist diese Situation nicht dazu angetan, dass Sie das Tempo noch beschleunigen, ohne auf den Herbst zu warten, um wirklich echte Reformen in Frankreich und in Europa - hauptsächlich in Frankreich - durchzuführen? Denn jeder hier weiß ja, wie träge die europäische Politik eigentlich ist.

P Hollande: Diese Zahlen bestätigen leider eine Tendenz, die seit fünf Jahren und in den letzten zwei Jahren noch stärker aufzeigt, dass die Arbeitslosigkeit in Frankreich steigt. Einen Grund dafür gibt es, nämlich die Rezession in Europa. Aber es gibt auch frankreichspezifische Gründe dafür. Das liegt am Mangel der Solidarität der Jugend gegenüber, aber wir leiden auch an mangelnder Wettbewerbsfähigkeit, d. h. wir handeln in beide Richtungen. Alles, was die Wettbewerbsfähigkeit anbelangt, kommt nicht aus Europa. Auch hier müssen wir eine gewisse Verantwortung übernehmen. Das haben wir mit dem Wettbewerbsfähigkeitspakt auch getan, den wir fortschreiben werden, und das im Einklang mit Investitionen.

Ich sprach ja von einer Investitionsstrategie über mehrere Jahre, in die private Finanzierung und öffentliche Finanzierung mit hineinspielen. Es wird auch darum gehen, verschiedene Dinge bei Forschung und Innovation zu verbessern, denn sie sind Unterstützung für die Unternehmen. Und dringend geboten ist, so schnell wie möglich Lösungen für das Problem der Jugendarbeitslosigkeit und für die Arbeitslosigkeit der weniger jungen Menschen zu finden. Das heißt: Beschäftigung von morgen.

All dies werde ich auch bei dem Treffen im Juli ansprechen. Die Zukunftsarbeitsplätze im lokalen Bereich sind eine Lösung, die andere Länder vielleicht auch überzeugen kann. Wir wollen das auch auf die Unternehmen erweitern. Ich habe hier zwei Bereiche angesprochen: den Tourismus und haushaltsnahe Dienstleistungen. Das sind Bereiche, die sich für diese neuen Arbeitsplätze interessieren könnten. Es gibt keine Zeit zu verlieren. Der Generationenvertrag ist ja verabschiedet worden, und er ist dazu angetan, sich in den nächsten Monaten noch zu verstärken. Trotz all dem, was dies für jeden Einzelnen, für die Familien, für viele Franzosen bedeutet, bleibe ich bei dem Ziel, dass wir vor Ende des Jahres diese Tendenz der Arbeitslosigkeit stoppen wollen.

Aber wir müssen auch - das habe ich gesagt - auf dem Arbeitsmarkt etwas tun, um wettbewerbsfähig zu werden. Auf dem Arbeitsmarkt ist es so, dass sich die Reform, die die Sozialpartner vorgenommen haben, in ein Gesetz umgesetzt hat. Aber es ist immer noch nicht in Kraft getreten; denn man hat den Verfassungsrat angerufen. Dazu hat die Opposition das Recht; aber das bringt uns jetzt in den Monat Juni hinein. Dies ist eine verlorene Zeit, wenn es darum geht, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Es gibt mittelfristige Maßnahmen in Frankreich, und wenn Europa diese noch verstärken könnte, wäre dies umso willkommener. Und dann gibt es die Dringlichkeitsmaßnahmen, die ich beschleunigen möchte, um das Ziel zu erreichen. Je früher das Wachstum zurückkehrt, umso früher werden wir in der Lage sein, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Um wieder zu Wachstum zu gelangen, brauchen wir Wettbewerbsfähigkeit und Vertrauen. Aus diesem Grunde sind die Dringlichkeitsmaßnahmen ein Beitrag zum Vertrauen.

BK'in Merkel: Ich möchte an der Stelle nur sagen, dass Sie natürlich recht haben, dass manches in Europa sehr langsam geht. So wie wir zu Hause lernen müssen, schneller zu arbeiten - auch in Deutschland geht manches recht langsam; das muss man einfach akzeptieren -, müssen wir alle, alle Institutionen in Europa, verstehen, dass wir uns in einer sehr besonderen Lage befinden und dass in diesen Jahren auf dem Spiel steht, dass wir in Zukunft noch weltweit wettbewerbsfähig sind. Wir haben alle Chancen, aber es ist schon eine besondere Lage. Ich kenne eine solche Lage zum Beispiel aus den Zeiten der deutschen Einheit. Damals haben wir die Kommission auch gebeten, für die neuen Länder manche Anträge schneller zu entscheiden. Wir haben auch gesagt: Wir müssen - das ist für Europa sehr wichtig - bestimmte Möglichkeiten haben, Unternehmen zu gründen, wir müssen vielleicht die Ausschreibungsverfahren für die Breitbandverlegung noch einmal überprüfen. Wenn man europäische Zuschüsse haben will, ist das extrem kompliziert. Zumindest ist es für d ie Bürgermeister in Deutschland sehr kompliziert.

Das heißt, jeder einzelne Mensch, der für Europa arbeitet, ob es in der Kommission, in einer nationalen Regierung, in einer Länderregierung, in einem Dorf ist, muss spüren: Er hat jetzt eine besondere Verantwortung, und dort, wo wir Bürokratie abbauen können, wo wir schneller handeln können, wo wir neue Wege gehen können, wo wir etwas voneinander lernen können, müssen wir bereit sein, das zu tun. Es ist keine normale Zeit in Europa.

Unser Papier soll auch deutlich machen, dass es an vielen Stellen schneller gehen muss, dass die Menschen wirklich darauf warten und es auch um die Akzeptanz Europas geht, eines Europas der Bürger, wie man immer sagt. Die Bürger müssen die Maßnahmen verstehen. Deshalb muss es auch bei den Menschen ankommen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, es gibt viele Stimmen in Frankreich, die fordern, dass Deutschland zum Beispiel seine Haltung etwas abschwächt, bei den Löhnen, beim Mindestlohn, etwas zurücksteckt, und die sagen, dass die Armut bekämpft werden muss. Sind Sie bereit, diese Bemühungen zu unternehmen, um eine Art Wachstum in Europa zu erreichen?

BK'in Merkel: Ich glaube, hier gibt es manchmal auch Missverständnisse. In Deutschland werden die Löhne insbesondere in der Industrie, die exportiert, durch die Tarifpartner festgelegt. Diese Löhne sind im europäischen Durchschnitt sehr gute Löhne. Im Bereich der Dienstleistungen sind die Löhne zum Teil nicht so gut. Diese Dienstleistungen werden aber dann nicht über die Grenzen exportiert. Wir sind einen Weg der Reformen gegangen. Vor zehn Jahren war Deutschland der kranke Mann Europas. Heute ist die Lage besser. Das ist nicht vom Himmel gefallen, sondern das hatte auch mit Arbeitsmarktreformen zu tun. Frankreich ist jetzt ja auch auf diesem Wege.

Der Effekt davon ist, dass heute Menschen in Arbeit sind. Wir hatten noch nie so viele Menschen in Arbeit. Aber sie verdienen zum Teil nicht so viel, wie sie sich vielleicht wünschen würden. Eine Reaktion ist, dass wir sagen: Okay, für Bereiche, in denen die Tarifpartner keine Löhne gefunden haben, müssen wir die Tarifpartner zwingen, solche Löhne zu finden. Andere Parteien sagen, wir müssten sie staatlich festsetzen. - Aber das ist egal. - Aber die Gesamtlage Deutschlands ist im Augenblick nur so, wie sie ist, weil wir auch Flexibilität ins Arbeitsrecht gebracht haben. Jetzt frage ich Sie: Ist es besser, ein junger Mensch hat Arbeit, aber wir haben auch eine gewisse Flexibilität im Arbeitsrecht, oder ist es besser, ein junger Mensch hat gar keine Arbeit? Das hatten wir auch. Wir hatten über fünf Millionen Arbeitslose.

Über diese Fragen sprechen wir. Jetzt wollen wir auch überlegen: Wie können wir vor allen Dingen auch generationengerecht arbeiten, sodass die Älteren mit den Jüngeren teilen? Das ist ein Thema auch in Deutschland. Es gibt in Deutschland viele gut ausgebildete junge Leute, die sehr befristete Arbeitsverträge bekommen und sich fragen: Warum habe ich eigentlich so viel in die Arbeit investiert? - Ich will jetzt nur über Deutschland sprechen. - Dann haben wir vielleicht Besitzstände bei anderen, und da müssen wir auch sagen: Wir müssen in unserer Zeit auch gerecht zwischen den Generationen sein.

Ich denke also nicht, dass wir unseren Kurs grundsätzlich verändern müssen. Die Rechnung, dass es, würde Deutschland seinen Arbeitnehmern mehr Geld zahlen, ganz Europa besser gehen würde, geht nicht auf. Denn wenn Deutschland zu teure Löhne hätte, würde Deutschland nichts mehr exportieren können, und dann würde in Deutschland auch wieder die Arbeitslosigkeit steigen. Davon hätte keiner etwas. Insofern kann man schon davon ausgehen, dass unsere Tarifpartner das sehr verantwortlich machen. Wir sind eine große Exportnation. Unsere Betriebsräte, die Vertreter der Arbeitnehmer in Deutschland, fahren viel nach China, nach Brasilien, nach Indien, nach Vietnam und schauen sich dort an, wie ihre Unternehmen in diesen Ländern wirtschaften. Dabei stellen sie fest: Ja, wir müssen sehr viel besser sein; wir müssen innovativer sein; wir müssen eine gute Forschung haben. - Diesen Weg müssen wir gemeinsam gehen. Ich denke, dass wir uns immer daran orientieren müssen, dass wir zum Schluss Arbeitsplätze haben.

Frage: Bis gestern ging es immer darum, dass sie drei oder vier Vorschläge aus dem Bericht von Cromme und Beffa aufnehmen und diese Ihren europäischen Partnern vorstellen. Sie haben diese Vorschläge nicht aufgezählt. Heißt das, dass Sie konkret mit den Maßnahmen, die in diesem Bericht stehen, nicht einverstanden sind? Oder wollen Sie einfach nur bei der Energie weitere Überlegungen anstellen?

P Hollande: Genau. Eben weil wir uns bei den meisten Vorschlägen einig sind, hatten wir Herrn Cromme und Herrn Beffa gebeten, bei einem Thema weiterzumachen - bei einem besonderen Thema, da die anderen ja schon erschöpfend behandelt worden sind -, nämlich bei der Energie. Warum die Energie? Weil wir hier eine besondere Sorge haben, was die Wettbewerbsfähigkeit und was den Umweltschutz anbelangt, und weil wir, Frankreich und Deutschland, handeln müssen, um im Verhältnis zu dem, was in den USA passiert - wo die Energiepreise zum Nachteil unserer Firmen, die direkt betroffen sind, beachtlich gesenkt wurden -, nicht abgehängt zu werden, aber auch um nicht abgehängt zu werden, was unsere Ziele beim Umweltschutz anbelangt. Auch hier haben wir uns ja zu vielen Zielen verpflichtet. Das heißt, wir werden sie bitten, nicht nur Vorschläge dazu zu erarbeiten, was auf Ebene der Staaten gemacht werden kann, sondern auch dazu, was auf der Ebene der Unternehmen geleistet werden kann, um gemeinsam zu handeln und um die entsprechenden Antworten zu finden.

Es ist immer das Gleiche, wenn man von Deutschland und Frankreich spricht. Man sagt immer, wir seien nicht einig, und meistens sind wir es doch. Natürlich gibt es gewisse Nuancen, die hier mit hineinspielen. Aber wenn Sie auf die Nuancen anspielen, dann vergessen Sie, worüber wir uns geeinigt haben. Heute gab es durch das, was wir als Beitrag geleistet haben, wieder den Beweis dafür. Unsere französischen journalistischen Freunde sind schon davon überzeugt. Das weiß ich. Aber ich sage an unsere deutschen Freunde gerichtet: Das kann in der Vergangenheit alles einmal so gewesen sein. Aber seit einem Jahr haben wir uns wirklich an die Arbeit gemacht, und wir haben wirklich einiges geleistet. Es war nicht leicht, die Entscheidungen zu treffen, die wir getroffen haben. Hören Sie doch auf zu glauben, dass wir uns nicht mit dem Arbeitsmarkt beschäftigen. Wir haben eine Reform, auf die man seit Jahren gewartet hat, in Angriff genommen. Deshalb glauben Sie mir: Wir wissen, was Wettbewerbsfähigkeit heißt. Ich war der Erste, der gesagt hat, wie ernst die Situation ist, als Frankreich bei der Handelsbilanz eine radikal unterschiedliche Position hatte. In der Eurozone kann das nicht andauern. Einen solchen Unterschied kann es nicht auf Dauer geben. Aber gleichzeitig müssen Sie auch verstehen - die Arbeitslosenzahlen wurden ja eben angesprochen -, dass das Ziel darin besteht, den Jungen wieder Hoffnung zu verleihen. Unsere Bevölkerungsentwicklung ist dynamisch. Das ist auch ein Unterschied zu Deutschland. Wir glauben, dass wir das Wachstums- und Beschäftigungsziel mit der Politik, die wir auf der Ebene unseres Landes ergreifen, über Europa und durch Europa erreichen können.

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Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz vom 30. Mai 2013
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2013/05/2013-05-30-merkel-hollande.html;jsessionid=8697FB623FD5A28F41E99AAF0AE1B331.s4t1
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2013