Schattenblick → INFOPOOL → PARLAMENT → FAKTEN


PRESSEKONFERENZ/1195: Regierungspressekonferenz vom 11. April 2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut

Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 11. April 2016
Regierungspressekonferenz vom 11. April 2016

Themen: Äußerungen von Jan Böhmermann und anderen über den türkischen Präsidenten, Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei, Äußerungen des bayerischen Ministerpräsidenten zur Riester-Rente, "Panama Papers", Soldatenarbeitszeitverordnung, Lage in Syrien, Presseberichte zu vermissten minderjährigen Flüchtlingen, Äußerung des Bundesfinanzministers im Zusammenhang mit der Politik der EZB und dem Wahlerfolg der AfD, Begleitung von Reisen des Bundeslandwirtschaftsministers und des Bundesaußenminister durch Vertreter von Verbänden und Unternehmen

Sprecher: StS Seibert, Scholz (BMJV), Chebli (AA), Dimroth (BMI), Küchen (BMAS), Jäger (BMF), Nannt (BMVg), Herb (BMFSFJ), Urban (BMEL)


Vorsitzender Szent-Ivanyi eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

StS Seibert: Meine Damen und Herren, guten Tag! Ich möchte Sie darüber informieren, dass die Botschaft der Türkei im Zusammenhang mit der ZDF-Sendung "Neo Magazin Royale" eine Verbalnote an das Auswärtige Amt gerichtet hat. Das ist ein förmliches Verlangen der türkischen Seite nach Strafverfolgung im Zusammenhang mit Äußerungen, die in dieser Sendung gemacht wurden. Der Inhalt dieser Verbalnote und das weitere Vorgehen werden jetzt von der Bundesregierung sorgfältig geprüft. Das wird ein paar Tage dauern - nicht Wochen, aber doch ein paar Tage -; denn mit den rechtlichen Fragen, die jetzt zu prüfen sind, waren wir in den letzten Jahren nicht befasst. Ich kann und will dem Ergebnis dieser Prüfung nicht vorgreifen, aber wir werden Sie selbstverständlich informieren, sobald die Prüfung abgeschlossen ist.

Lassen Sie mich diesen Sachverhalt zum Anlass nehmen, um noch einmal unmissverständlich deutlich zu machen: Artikel 5 unseres Grundgesetzes, die Freiheit der Meinung, der Kunst und der Wissenschaft, ist für die Bundeskanzlerin selbstverständlich höchstes Gut und weder nach innen noch nach außen verhandelbar. Das gilt unabhängig davon, ob sie persönlich etwas für geschmackvoll oder geschmacklos, für gelungen oder für abstoßend hält. Artikel 5, die Freiheit der Meinung, ist höchstes Gut auch mit Blick auf die "extra 3"-Sendung, die hier Thema war, und natürlich auch mit Blick auf den jetzt kontrovers diskutierten Text von Herrn Böhmermann, den er selbst als eine bewusste Überschreitung von Grenzen eingeleitet hat.

Das und nichts anderes wollte die Bundeskanzlerin mit der Formulierung, der Text sei bewusst verletzend, deutlich machen. Ich sage das heute für die Bundeskanzlerin noch einmal, um dem entstandenen Eindruck entgegenzuwirken, die Freiheit der Meinung, der Kunst und der Wissenschaft habe für die Bundeskanzlerin nicht mehr den notwendig hohen Stellenwert, nur weil sie gemeinsam mit anderen Europäern die Flüchtlingsfrage partnerschaftlich mit der Türkei lösen will. Die Lösung der Flüchtlingsfrage ist im gemeinsamen Interesse Deutschlands, der Europäischen Union und der Türkei. Die Grundwerte des Grundgesetzes sind unverhandelbar - unabhängig davon, ob Deutschland mit anderen daran arbeitet, eine gemeinsame politische Herausforderung zu bewältigen. Diese Haltung der Bundeskanzlerin wollte ich Ihnen noch einmal deutlich machen.

Frage: Am Wochenende hieß es, Mitarbeiter des Kanzleramts, des Auswärtigen Amts und des Justizministeriums würden sich über die Verbalnote beugen und die Causa beraten. Herr Seibert, können Sie uns sagen, ob bereits heute solche Beratungen stattfinden?

Zweitens. Herr Döpfner hat am Wochenende bezüglich dieses Gedichts Herrn Böhmermanns von einem Kunstwerk gesprochen. Schließt sich die Kanzlerin dieser Einschätzung an?

StS Seibert: Ich fange hinten an: Ich habe die Äußerung von Herrn Döpfner zur Kenntnis genommen, die Bundesregierung hat sie zur Kenntnis genommen. Ich möchte das nicht weiter kommentieren, und ich denke, dass eine solche Einschätzung oder Einordnung auch nicht Sache der Bundesregierung sein kann.

Zu Ihrer ersten Frage wiederhole ich: Wir werden dieses türkische Anliegen oder dieses förmliche türkische Verlangen nach Strafverfolgung und das weitere Verfahren jetzt sehr sorgfältig prüfen - natürlich zügig, deswegen wird das ein paar Tage dauern und nicht Wochen; aber es wird heute sicherlich keine Entscheidung dazu geben. Es gibt erste Gespräche auf der Ebene der fachlich Zuständigen.

Frage: Herr Seibert, vor einer Woche sagten Sie hier, es sei nicht die Aufgabe der Politik, zu benennen, wann Grenzen überschritten sind. Wenn Sie jetzt überlegen, eine Ermächtigung zur Strafverfolgung von Jan Böhmermann zu erteilen, dann nimmt sich die Bundesregierung doch genau dieser Aufgabe an. Können wir damit rechnen, dass Sie diese Ermächtigung nicht erteilen werden, weil bestimmt immer noch Ihr Satz gilt: "Es ist nicht die Aufgabe der Politik, zu benennen, wann Grenzen überschritten sind."?

StS Seibert: Ich wiederhole: Ich kann und ich will dem Ergebnis dieser Prüfung, die die Bundesregierung jetzt eingeleitet hat, nicht vorgreifen, und ich werde auch einen möglichen Ausgang dieser Prüfung hier jetzt und heute nicht diskutieren.

Zusatzfrage: Der Kollege hat gerade ja schon die Äußerung von Herrn Döpfner angesprochen. Entspricht es jetzt nicht der Logik, dass sich die Kanzlerin bei Herrn Davutoglu auch von den bewusst verletzenden Worten von Herrn Döpfner distanziert? Der hat sich ja in vollem Umfang mit dem Schmähgedicht von Herrn Böhmermann solidarisch gezeigt.

StS Seibert: Da sehe ich keine logische Notwendigkeit.

Frage: Herr Seibert, hat die Bundesregierung eigentlich schon das entsprechende Ersuchen der Staatsanwaltschaft - ich glaube, es ist die Staatsanwaltschaft Mainz - zur möglichen Eröffnung eines Verfahrens erhalten? Wann rechnet die Bundesregierung mit dem Eintreffen des Schreibens?

Zweitens. Beabsichtigt die Bundeskanzlerin jetzt, sich für das jüngste Gedicht von Herrn Hallervorden bei Herrn Erdogan zu entschuldigen, da Herr Hallervorden sagt, Herr Erdogan sei "ein Terrorist, der auf freien Geist schießt"? Ist das nicht auch ein Fall für eine notwendige Entschuldigung der Kanzlerin?

StS Seibert: Sie sprechen von einer notwendigen Entschuldigung, und es sei "auch ein Fall". Dazu möchte ich Sie darauf hinweisen, dass es eine solche Entschuldigung nicht gibt.

Zu dem ersten Teil der Frage sollte, glaube ich, der Kollege aus dem Justizministerium sprechen.

Scholz: Ich möchte nur ganz kurz sagen: Ein Bericht der Staatsanwaltschaft Mainz liegt noch nicht vor, ist noch nicht eingegangen. Der wird auf dem Dienstweg verschickt, und das kann deshalb noch ein paar Tage dauern.

Zusatzfrage: Wenn Sie es jetzt keine Entschuldigung nennen wollen, dann frage ich auch nicht nach einer Entschuldigung. - Hat die Bundeskanzlerin eine künstlerische und politische Meinung zu der Aussage von Herrn Hallervorden, Herr Erdogan sei ein Terrorist? Das würde ja bedeuten, dass die Bundeskanzlerin mit einem Terroristen verhandelt. Tut die Bundeskanzlerin das?

StS Seibert: Da mir die Aussagen von Herrn Hallervorden nicht vorliegen, werde ich sie für die Bundesregierung auch nicht kommentieren. Im Übrigen kann ich auf das verweisen, was ich hier hoffentlich sehr deutlich gesagt habe, nämlich dass Artikel 5 unseres Grundgesetz, die Freiheit der Meinungsäußerung, der Kunst und der Wissenschaft für die Bundeskanzlerin allerhöchstes Gut ist.

Frage: Ich würde gern ganz formal wissen: Hat die Bundesregierung eine Erinnerung daran, wann und ob es überhaupt einen Fall vergleichbarer Art in den letzten Jahren gegeben hat?

Daraus ergibt sich die zweite Frage: Überlegt die Bundesregierung eine Gesetzesänderung bezogen auf den Paragrafen, der diesen Beleidigungsfall überhaupt erst möglich macht?

Zu den drei Regierungsorganen, die da eingeschaltet sind: Ist das eine Sache, bei der am Ende irgendeiner vom Verfahren her den Hut auf hat, das heißt, ist das eine Entscheidung, die dann letztendlich über das Auswärtige Amt der Bundesregierung dem Auswärtigen Amt in der Türkei übermittelt wird, oder treten da die Regierungschefs direkt in Kontakt zueinander, ist das eine Sache, die auf der Top-Ebene passiert?

StS Seibert: Die Frage, die Sie stellen, ist natürlich genau einer von mehreren Punkten, die jetzt zu prüfen sind; deswegen kann ich Ihnen darüber jetzt, bevor diese Prüfung so richtig begonnen hat geschweige denn abgeschlossen ist, auch keine Antwort geben.

Zusatzfrage: Aber gab es denn schon einmal einen ähnlichen Fall, der irgendeinem hier auf der Bank erinnerlich ist, in dem auf Basis von 103 StGB geprüft wurde?

StS Seibert: Lassen Sie uns die Prüfung jetzt vornehmen; damit beginnen heute die fachlich Zuständigen aus den drei Häusern, also aus Auswärtigem Amt, Justizministerium und Kanzleramt. Wir werden Sie, nachdem die Prüfung in ein paar Tagen abgeschlossen ist, selbstverständlich auch darüber informieren.

Zusatzfrage: Ich würde doch noch gerne wissen, ob es irgendwelche Überlegungen gibt, an dem zugrundeliegenden Gesetzespassus irgendetwas zu ändern.

Scholz: Ich kann dazu nur sagen, dass es mir nicht sehr zielführend erscheint, jetzt über die Aufhebung oder Änderung von Strafnormen anhand eines konkreten Falls zu sprechen. Es ist, glaube ich, nicht klug, das zu machen; deswegen können wir uns heute an einer solchen Debatte nicht beteiligen, insofern kann ich mich nicht weiter dazu äußern.

Frage: Herr Seibert, die türkische Regierung hatte ja schon vor dem Telefonat mit Herrn Davutoglu auf diplomatischen Kanälen wissen lassen, dass sie möglicherweise ein solches Strafverlangen stellen könnte. War es nicht eigentlich Ihre Hoffnung und die Hoffnung der Bundeskanzlerin, durch das Telefonat mit Herrn Davutoglu und durch die Öffentlichmachung dieses Telefonats durch Sie am vergangenen Montag ein solches Strafverlangen abzuwenden?

StS Seibert: Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass das Telefonat ein länger verabredetes Telefonat war, das ganz wesentlich der gemeinsamen Umsetzung des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens diente. Dies war auch das beherrschende Thema des Telefonats. In der Tat wurde das Thema des Böhmermann-Textes dann auch angesprochen.

Ich kann für die Bundeskanzlerin nur sagen, dass sie sich mit diesen Gedanken, die Sie jetzt nennen, vorher nicht befasst hatte.

Frage: Herr Seibert, ich möchte noch einmal kurz zum Verfahren nachfragen: Es ist also schon richtig, dass eigentlich das Auswärtige Amt das alleine entscheiden könnte, dass aber Justizministerium und Kanzleramt offensichtlich angesichts der Bedeutung des Falls hinzugezogen wurden?

StS Seibert: Wie ich gerade sagte: Die Fragen, die jetzt zu prüfen sind, sind Fragen, mit denen wir uns seit Längerem nicht zu befassen hatten. Deswegen kann ich Ihnen heute keine glasklare Auskunft darüber geben, wer am Ende das Ergebnis der Prüfung zu kommunizieren oder in die Öffentlichkeit zu tragen hat. Das werden wir sehen; ich kann es Ihnen heute noch nicht sagen. Das wird selbstverständlich eine Entscheidung der Bundesregierung sein, deswegen sitzen ja auch mehrere Häuser zusammen.

Chebli: So steht es aber auch als Gesetzestext im Strafgesetzbuch - die Bundesregierung im Einvernehmen, da steht nicht ein einzelnes Ressort drin. Deswegen sitzen die Ressorts, die zuständig sind, plus das Bundeskanzleramt heute zusammen.

Frage: Ich bin ein bisschen verwirrt: Bis jetzt habe ich immer gedacht, dass Strafverfolgung Sache der Staatsanwaltschaft oder der Justizbehörden ist. Was erwartet eigentlich Herr Erdogan von der Bundesregierung? Die Bundesregierung kann ja, soweit ich weiß, einem Gericht nicht befehlen, dass es ein Strafverfahren eröffnen muss?

StS Seibert: Wenn Sie fragen, was Staatspräsident Erdogan erwartet, dann klingt das - bei allem Verständnis - nach einer Frage, die Sie an die türkische Regierung richten sollten. Die Aufgabenverteilung im deutschen Staat haben Sie schon sehr richtig beschrieben.

Zusatzfrage: Dann verstehe ich nicht, warum man mehrere Tage braucht, um die Sache zu entscheiden, wenn die Sache so klar ist und Herr Erdogan die Aufgabenverteilung im deutschen Staatswesen nicht verstanden hat.

StS Seibert: Vielleicht erklärt es doch der Kollege aus dem Justizministerium. - Es gibt ein förmliches Verlangen der türkischen Seite nach Strafverfolgung im Zusammenhang mit den Äußerungen, die Herr Böhmermann in dieser Sendung gemacht hat. Die Frage ist jetzt, ob die Bundesregierung dieses Verlangen sozusagen ermächtigt - oder was ist der konkrete Ausdruck?

Chebli: Genau, eine Ermächtigung.

StS Seibert: Das ist selbstverständlich keine rechtliche Entscheidung; denn die liegt immer bei einem deutschen Gericht, bei der deutschen Justiz.

Über all diese Fragen muss jetzt eine sorgfältige Prüfung eingeleitet werden, und genau das geschieht heute.

Chebli: Vielleicht nur ein Punkt unabhängig von dem konkreten Fall: Eine Ermächtigung der Bundesregierung wäre nicht gleichzusetzen mit einer Entscheidung der Bundesregierung über die Strafbarkeit von Person XY. Das bleibt Sache der Justiz; es ist nicht die Bundesregierung, die irgendeine Strafbarkeit bekanntgibt oder darüber entscheidet. Im Prinzip ist es so: Die Strafermächtigung eröffnet nur die Möglichkeit für die Staatsanwaltschaft, ihre Ermittlungen fortzusetzen, ein Verfahren zu schließen oder Anklage zu erheben. Allein das ist es, was am Ende mit einer Strafermächtigung erfolgen würde - wir reden über einen hypothetischen Fall, weil, wie gesagt, die Diskussionen dazu, wie mit dem konkreten Fall umgegangen wird, jetzt erst laufen. Aber das ist vielleicht auch eher etwas, auf das der Kollege vom Justizministerium näher eingehen kann; ich bin ja nicht Juristin.

Frage: Wo finden denn die Beratungen zwischen Auswärtigem Amt, Kanzleramt und Justizministerium statt, und wer konkret sitzt da am Tisch?

StS Seibert: Jedenfalls finden sie nicht auf Ministerebene statt - schon daran zu erkennen, dass der Minister des Auswärtigen derzeit im Ausland ist. Es sind fachlich zuständige Kollegen; ich kann und werde Ihnen da Namen nicht nennen. Ich kann, ehrlich gesagt, im Moment auch den Ort nicht nennen.

Zusatz: Die Ebene reicht schon, es müssen ja nicht die Namen sein.

Frage: Eine Frage an das Justizministerium: Sie sagten, ein Einzelfall könne nicht Anlass sein, Strafnormen zu ändern. Wenn ich richtig informiert bin, waren doch die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht Anlass, Strafnormen zu ändern. Warum schließen Sie das in diesem Fall aus?

Scholz: Nein, ich habe gesagt, dass ich mich heute, wenn wir über einen konkreten Fall reden, nicht an der Debatte über die generelle Frage, ob eine Strafnorm sinnvoll und erhaltenswert ist oder nicht, beteiligen möchte. Das war meine Aussage.

Frage: Frau Chebli, wie oft wurde der deutsche Botschafter dieses Jahr schon einbestellt? Können Sie da Vergleichszahlen zu 2015 und 2014 nennen?

Herr Seibert, können Sie erläutern, warum die Bundesregierung § 103 StGB - Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten - noch für zeitgemäß hält? Wir sind ja schließlich im 21. Jahrhundert.

Chebli: Zu Ihrer ersten Frage: Ich kann mich an zwei Einbestellungen in den letzten Monaten erinnern, über die wir hier ja auch ziemlich ausführlich gesprochen haben. Einen Vergleich kann ich nicht ziehen.

Zusatzfrage: Können Sie uns nachreichen, wie viele Fälle es bisher in diesem Jahr waren?

Chebli: Wir führen keine Statistiken darüber, welcher Botschafter wann einbestellt wird. Vielleicht nur zu Ihrer Information: Deutsche Botschafter werden weltweit im Schnitt einmal in der Woche einbestellt, insofern ist das jetzt keine absolute Ausnahme. Wir führen aber keine Statistik darüber, wann Botschafter einbestellt werden.

Zusatzfrage: Ganz kurz noch, bevor Herr Seibert die zweite Frage beantwortet: Wenn Sie eine Durchschnittszahl kennen, dann führen Sie doch eine Statistik? Können Sie uns also bitte erfahren lassen, wie viele Fälle das bisher waren?

Chebli: Nein, weil wir das statistisch nicht aufführen. Ich habe meine Leute gefragt: "Können Wir ungefähr sagen, wie oft das vorkommt?". Darauf haben sie mir gesagt: "Sehr oft." - "Was heißt sehr oft?". Darauf haben Sie gesagt: "Man könnte schon sagen: Wenn man einen Schnitt herstellen wollte, ungefähr einmal pro Woche." Das ist aber auch nur eine ungefähre Zahl.

Zusatzfrage: Weltweit oder in der Türkei?

Chebli: Weltweit - wir reden über Einbestellungen weltweit, nicht in der Türkei. Zu Einbestellungen in der Türkei habe ich ja gesagt: Die letzten, an die ich mich erinnern kann, sind zwei Einbestellungen, über die wir hier ausführlich debattiert haben. Das waren zum einen die Satire-Geschichte und zum anderen die Prozessteilnahme, daran kann ich mich erinnern. An weitere Fälle kann ich mich nicht erinnern.

Zusatzfrage: Es führt also niemand darüber Buch, wie oft zum Beispiel der deutsche Botschafter in der Türkei einbestellt wird?

Chebli: Sie reden jetzt konkret nur über den deutschen Botschafter in der Türkei?

Zusatz: Ja.

Chebli: Mir ist aus dem vergangenen Jahr keine Einbestellung bekannt.

Zusatzfrage: Ihnen persönlich oder dem Auswärtigen Amt?

Chebli: Mir ist jetzt persönlich hier an dieser Stelle nicht bekannt, dass der Botschafter im vergangenen Jahr einbestellt worden wäre. Das kann ich aber herausfinden.

StS Seibert: Zu ihrer ersten Frage: Ich möchte und werde hier jetzt keine rechtsphilosophische Diskussion mit Ihnen darüber führen, welcher Paragraf ins 21. Jahrhundert passt oder nicht. Wichtig ist: Dieser Paragraf ist ein gültiger Paragraf unseres Strafgesetzbuches. Auf diesen Paragrafen bezieht sich die Verbalnote der türkischen Botschaft. Daher hat die Bundesregierung jetzt zu prüfen, was das weitere Verfahren sein kann.

Zusatzfrage: Herr Seibert, vor acht Wochen haben Sie auf die Frage eines polnischen Kollegen bezüglich einer Satire über einen polnischen Außenminister gesagt: "Wir haben in Deutschland eine Freiheit der Meinungsäußerung und eine Freiheit der Kunst; darauf wäre hinzuweisen. Das kann für Menschen, die dann künstlerisch dargestellt werden, weniger angenehm sein." Gilt das immer noch?

StS Seibert: Natürlich gilt das. Genau deswegen habe ich diese Bemerkung hier ja auch gemacht, und genau deswegen habe ich am Montag vergangener Woche in meinem Bericht aus dem Telefonat der Bundeskanzlerin mit Herrn Davutoglu auch ganz klar gemacht, dass die Bundeskanzlerin den hohen Wert von Meinungs- und Pressefreiheit in diesem Telefonat hervorgehoben hat. Das eint beide Fälle, die Sie hier ansprechen.

Frage: Herr Seibert, war es klug, dass Sie Herr Böhmermanns Äußerungen letzten Montag zum Thema einer offiziellen Erklärung als Regierungssprecher gemacht haben?

Zweitens. Läuft es nach dem "Ermächtigungsgesetz", um das es geht, am Ende auf eine politische Entscheidung oder auf eine juristisch zu prüfende Entscheidung hinaus, ob ein Verfahren eröffnet werden kann oder nicht? Welchen Sinn macht das heutige Treffen der drei beteiligten Häuser auf Expertenebene, wenn das entsprechende Ersuchen der Mainzer Staatsanwaltschaft noch gar nicht vorliegt? Ist das sozusagen vorauseilender Gehorsam, der da zum Ausdruck kommt?

StS Seibert: Erstens. Was klug ist oder nicht, das müssen Sie - und das tun Sie ja auch - bitte selber beurteilen.

Zuruf: Aber was meinen Sie selbst dazu?

StS Seibert: Meine persönliche Meinung spielt hier überhaupt keine Rolle. Ich habe für die Bundesregierung in der vergangenen Woche etwas gesagt. Ich habe heute noch einmal, um einem entstandenen falschen Eindruck unmissverständlich entgegenzutreten, anderes beziehungsweise Vertiefendes - so sollte ich es ausdrücken - dazu gesagt.

Ich habe noch einmal deutlich gemacht, wie hoch der Wert ist, den die Bundeskanzlerin Artikel 5 unseres Grundgesetzes beimisst, der weder nach innen noch nach außen verhandelbar ist. Ich habe also vertieft, was wir in der vergangenen Woche gesagt haben. Ich hoffe, dass das für Sie nunmehr gar keine Unklarheit mehr übrig lässt.

Dann fragten Sie, einen Begriff verwendend, der nach meinem Wissen, ehrlich gesagt, aus einer anderen Zeit, und zwar der Zeit der Nazi-Diktatur, stammt. Deswegen möchte ich auf diesen Begriff hier nicht eingehen.

Zusatz: Ich fragte nach der politischen Entscheidung oder nach der juristischen Entscheidung.

StS Seibert: Sie fragten nach einem Ermächtigungsgesetz. Ich finde, das kann nicht der Begriff sein, den wir hier verwenden.

Zusatzfrage: Gut. Das Gesetz ermächtigt eine politische Institution der Bundesregierung, auf ein Strafersuchen einzugehen.

Meine Frage: Ist das am Ende in der Sache eine politische Entscheidung oder eine juristische Entscheidung?

StS Seibert: Es sind rechtliche Fragen zu prüfen, und zwar sorgfältig zu prüfen, weswegen die Prüfung heute beginnt, aber sicherlich heute nicht abgeschlossen sein wird.

Frage: Wieder einmal bereue ich es, mich vor drei Jahrzehnten gegen ein Jurastudium entschieden zu haben. Deswegen die laienhafte Frage: Frau Chebli, Herr Seibert, wenn die politische Entscheidung negativ ausfällt, ist das dann nicht auch eine Vorentscheidung in der Sache? Wenn also dem Ersuchen nicht stattgegeben wird, kann die Staatsanwaltschaft ja nicht mehr ermitteln.

StS Seibert: Das mit dem Jurastudium sehe ich persönlich genauso. Aber auch ohne Jurastudium weiß ich, dass ich hier nicht sitze, um dem Ergebnis dieser Prüfung, die heute eingeleitet ist, vorzugreifen oder mit Ihnen über mögliche Ausgänge zu spekulieren.

Zusatz: Frau Chebli, so, wie ich Sie eben verstanden habe, kann die Staatsanwaltschaft gar nicht mehr handeln, wenn dem Ersuchen nicht stattgegeben wird.

Chebli: Ich wollte, ehrlich gesagt, mit meiner Bemerkung nur etwas klarmachen, weil das ein bisschen in der Diskussion durcheinandergeht, wie ich gestern wahrgenommen habe. Der eine oder andere Kommentator hat geschrieben: Wenn wir dem Strafverlangen der Türkei nachkämen, wäre damit bestätigt, dass Herr Böhmermann sich strafbar gemacht hätte. Ich wollte eigentlich nur sagen: Dem ist nicht so. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, ob man "strafbar" oder "nicht strafbar", "Freispruch" oder "nicht Freispruch" sagt. Es ist nur die Möglichkeit für die Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen fortzusetzen.

Ich habe dem, was Herr Seibert gesagt hat, nichts hinzuzufügen. Lassen Sie uns doch erst einmal abwarten, wie die Diskussion jetzt unter denen, die dafür zuständig sind und viel davon verstehen, abläuft. Dann werden Sie ziemlich frühzeitig über das Ergebnis informiert werden.

Vorsitzender Szent-Ivanyi: Sie schauen so ratlos, Herr Kollege.

Zusatzfrage: Weil ich es bin! Das heißt aber, wenn die Entscheidung negativ ausfällt - das ist jetzt theoretisch; Sie brauchen ja gar nicht einem Inhalt vorwegzugreifen -, was macht die Staatsanwaltschaft denn dann? Das ist doch dann zwangsläufig eine Entscheidung.

Vorsitzender Szent-Ivanyi: Vielleicht kann uns das Bundesjustizministerium weiterhelfen.

Scholz: Ich habe dem, was die Kollegen gesagt haben, nichts hinzuzufügen. Es ist alles Notwendige gesagt.

Frage: Ich bereue es nicht, mich vor 30 Jahren für ein Jurastudium entschieden zu haben. Trotzdem habe ich jetzt eine juristische Frage in der Sache: Das eine ist doch die Verbalnote, über die wir reden. Offensichtlich muss die Bundesregierung darüber entscheiden, wie sie mit dieser Verbalnote umgeht. Das andere ist das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft in Mainz, wenn ich das richtig sehe, das doch davon eigentlich unabhängig ist. Wenn jemand eine Anzeige erstattet hat, dann kann doch die Staatsanwaltschaft ermitteln, ohne dass die Bundesregierung irgendeinen Senf dazu gibt.

Frage an Herrn Scholz: Ist es Voraussetzung für Ermittlungen im Zusammenhang mit 103 StGB, dass die Bundesregierung dazu eine Genehmigung, eine Ermächtigung erteilt?

Zweitens. Wozu dient eigentlich diese Rechtsnorm? Weshalb steht sie im Strafgesetzbuch?

Scholz: Zu Ihrer ersten Frage kann ich sagen: Ja, 103 StGB sieht besondere Strafverfolgungsvoraussetzungen vor. Um die Prüfung, ob diese Strafverfolgungsvoraussetzungen vorliegen, geht es jetzt. Diese Prüfung läuft jetzt. Dazu ist alles Notwendige gesagt.

Zusatzfrage: Auch unabhängig von der Verbalnote? Wenn in Deutschland jemand Herrn Böhmermann wegen eines Verstoßes gegen 103 StGB anzeigt, dann müsste auch die Bundesregierung erklären, ob der Anzeige von Herrn Meier nachgegangen werden kann oder nicht. Ist das so?

Scholz: Über die Verfolgungsermächtigung ist ja schon gesprochen worden. Das ist richtig.

Zusatzfrage: Die gilt unabhängig von der Verbalnote von Herrn Erdogan?

Scholz: Wir befinden uns - das hat Herr Seibert mehrfach gesagt - in den Prüfungen beziehungsweise diese starten jetzt. Ich kann deshalb kann ich zu Details - dafür bitte ich um Verständnis - nichts sagen.

Zuruf: Aber offensichtlich wissen Sie ja dann gar nicht, was Sie prüfen!

Scholz: Es wird geprüft, ob die Strafverfolgungsvoraussetzungen vorliegen.

Zuruf: Und das ist ein Vorgang, der unabhängig davon ist, ob eine Verbalnote von Herrn Erdogan oder von der türkischen Regierung eingegangen ist oder nicht?

Scholz: Es gibt mehrere Voraussetzungen, die geprüft werden müssen.

Vorsitzender Szent-Ivanyi: Pardon, ich sehe hier in lauter ratlose Gesichter. Wenn ich einmal einen Vorschlag machen darf: Es muss doch möglich sein, den Sachverhalt dieser rechtlichen Prüfung unabhängig vom Fall Böhmermann kurz darzustellen. Vielleicht könnten Sie das ja auch nachreichen. Ich glaube, ansonsten drehen wir uns hier im Kreis und kommen nicht weiter, weil die Kollegen, ähnlich wie ich, nicht wirklich begreifen, worum es hier im Detail geht. Oder stelle ich das falsch dar? Ich glaube nicht.

Zuruf: Das ist vollkommen richtig!

Vorsitzender Szent-Ivanyi: Wäre das möglich?

Scholz: Ich kann vielleicht zur Unterstützung hier noch einmal die entscheidende Vorschrift vortragen. Ich glaube, darin steht, was Sie wissen wollen. Die besonderen Voraussetzungen, um die es hier geht, sind in 104a StGB geregelt, in dem steht:

"Straftaten nach diesem Abschnitt"

- unter anderem § 103 StGB -

"werden nur verfolgt, wenn die Bundesrepublik Deutschland zu dem anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält, die Gegenseitigkeit verbürgt ist und auch zur Zeit der Tat verbürgt war, ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt."

Das sind die Voraussetzungen, deren Vorliegen jetzt geprüft wird.

Zusatzfrage: Wenn ich trotzdem noch eine Zusatzfrage stellen darf: Herr Seibert, Sie sagten, das werde einige Tage in Anspruch nehmen und es sei notwendig, das sorgfältig zu prüfen. Ich erinnere mich an frühere Vorgänge, wo der Grundsatz "Gründlichkeit vor Schnelligkeit" galt. Das bedeutete, dass eine solche Prüfung wirklich sehr lange dauerte, möglicherweise irgendwann gar kein Ergebnis mehr zustande kam. Ist Ihre Äußerung, dass es einige Tage dauere, wörtlich zu nehmen? Heißt das, dass im Laufe dieser Woche oder spätestens nächste Woche mit einer Entscheidung zu rechnen ist, oder ist die Prüfung möglicherweise so kompliziert, dass es länger dauern kann?

StS Seibert: Um Ihnen Ihre Sorge zu nehmen: Ich habe absichtlich gesagt, es wird einige Tage, nicht Wochen dauern.

Vorsitzender Szent-Ivanyi: Dann frage ich trotzdem noch einmal, ob es hilfreich wäre, wenn das Bundesjustizministerium das noch einmal kurz zusammenstellen könnte; wenigstens die wichtigen Paragrafen.

Frage: Warum bedürfen Organe und Vertreter ausländischer Staaten überhaupt eines besonderen strafrechtlichen Schutzes? Das würde mich zusätzlich noch für den Hintergrund interessieren. - Danke!

Scholz: Dazu kann ich Ihnen heute keine Auskunft geben.

Zusatzfrage: Ich meinte das in Bezug auf die Nachlieferung.

Scholz: Ich bin, ehrlich gesagt, auch nicht ganz sicher, ob wir in der Rolle sind, das nachzuliefern. Wir müssen dann schauen, wie wir das hinkriegen.

Vorsitzender Szent-Ivanyi: Dann bitten wir um wohlwollende Prüfung des Ganzen.

Scholz: Die entscheidenden Normen habe ich hier ja schon vorgetragen.

Frage: Betrachtet die Bundesregierung, abgesehen von der Strafbarkeit, den Inhalt des Gedichts von Herrn Böhmermann als rassistisch?

StS Seibert: Ich habe Ihnen für die Bundeskanzlerin in den vergangenen Woche und auch heute noch einmal das mitgeteilt, was dazu zu sagen ist. Das Wichtigste ist sicherlich der hohe Wert, den Sie Artikel 5 unseres Grundgesetzes beimisst. Das gilt - und das ist mir sehr wichtig - unabhängig davon, ob die Bundeskanzlerin persönlich irgendetwas für so oder so, für gelungen oder abstoßend, für geschmackvoll oder geschmacklos hält.

Chebli: Ich habe etwas nachzuliefern, was Ihre Frage bezüglich der Einbestellung angeht.

2015 gab es keine Einbestellung des deutschen Botschafters in der Türkei.

Zusatzfrage: Wenn ich mich recht erinnere, bezog sich die Äußerung der Kanzlerin auf die Verletzung von Herrn Erdogan. Sie ging nicht auf den Inhalt ein. Können Sie sagen, ob das Gedicht rassistisch war oder nicht?

StS Seibert: Ich glaube, das wichtige Wort in diesem Zusammenhang ist "bewusst". Deswegen hatte ich versucht, das vorhin noch einmal darzustellen. Warum hat die Bundeskanzlerin gesagt, der Text sei bewusst verletzend? Eben weil Herr Böhmermann das in der jetzt so heiß diskutierten Sendung als eine bewusste Überschreitung von Grenzen sozusagen eingeleitet, anmoderiert hatte. Das ist, glaube ich, hier der Kernbegriff.

Frage: Herr Seibert, rechnen Sie damit, dass, wenn Deutschland ein Strafverfahren gegen Herrn Böhmermann einleitet, sich auch andere Länder mit dem gleichen Wunsch melden werden?

StS Seibert: Sollen sich melden, werden sich melden oder haben sich gemeldet? Was ist die Frage?

Zusatzfrage: Sie haben das noch nicht getan. Glauben Sie, dass, wenn Deutschland ein Strafverfahren gegen einen Komiker einleitet, sich vielleicht zukünftig andere Länder mit dem gleichen Wunsch melden werden?

StS Seibert: Ich kann und will da nicht in die Zukunft schauen.

Frage: Eine Frage von der "New York Times". Im "Spiegel" steht in Bericht, wonach Herr Böhmermann versucht hat, am letzten Wochenende mit Herrn Altmaier über diesen ganzen Fall zu sprechen. Stimmt das? Gab es ein Gespräch mit Herrn Böhmermann und irgendjemandem aus dem Bundeskanzleramt?

StS Seibert: Von einem solchen Gespräch ist mir nichts bekannt.

Zusatzfrage: Hat es einen Versuch von Herrn Böhmermann gegeben, Herrn Altmaier zu kontaktieren, wie es im "Spiegel" dargelegt wird?

StS Seibert: Das müsste ich nachreichen.

Frage: Um die Frage zu konkretisieren: Ist es richtig, dass Herr Böhmermann mit Herrn Altmaier per Twitter kommuniziert hat?

Herr Seibert, der Kollege hat das ja gerade schon angesprochen: Schafft die Bundesregierung da nicht einen Präzedenzfall? Wenn Herr Putin sich das nächste Mal von deutscher Satire beleidigt fühlt, würde das doch vielleicht ähnliche Konsequenzen zur Folge haben.

StS Seibert: Ich sage es noch einmal: Was für uns das Entscheidende nach innen wie nach außen ist, ist das ganz klare Bekenntnis zu Artikel 5 unseres Grundgesetzes, zur Freiheit von Meinung, Kunst und Wissenschaft. Dies gilt unabhängig davon, welches Land unser Partner ist und welches Land Anstoß an einer bestimmten Äußerung nimmt.

Zusatzfrage: Frau Chebli, wenn Sie sagen, dass weltweit ein Botschafter wahrscheinlich einmal pro Woche einbestellt wird, der deutsche Botschafter in der Türkei letztes Jahr gar nicht und dieses Jahr zwei Mal, in welchen Ländern werden die deutschen Botschafter denn so oft einbestellt?

Chebli: Ich habe ja gesagt, dass wir keine Statistiken führen. Ich kann Ihnen aus dem Stegreif keine Länder nennen. Aber wir können im Anschluss gerne noch einmal telefonieren, und dann gebe ich Ihnen ein paar Beispiele.

Zuruf: Können Sie das für alle nachreichen?

Chebli: Ich habe ja gesagt: Wir führen keine Statistiken. Ich müsste bei unseren Leute einmal in den einzelnen Fachabteilungen nachfragen: Könnt ihr bitte bei euch in den jeweiligen Ländern nachfragen, wann es das letzte Mal eine Einbestellung gegeben hat. - Das machen wir aber so nicht. Ich will das auch nicht als Tradition einführen. Ich komme Ihrer Bitte nach, dass ich mich einmal erkundige, wo denn im letzten Jahr einmal Botschafter einbestellt wurden. Das können wir gerne machen. Wir führen keine Statistiken. Ich werde hier auch nicht damit beginnen, dass wir Statistiken führen.

Zuruf (ohne Mikrofon; akustisch unverständlich)

Chebli: Ich habe gesagt, dass das ein Durchschnittswert ist. Vielleicht ist es auch einmal alle zehn Tage; ich weiß es nicht. Als ich die ganzen Fachabteilungen durchtelefoniert habe, haben meine Leute gesagt, dass man ungefähr sagen kann einmal in der Woche. Der Hintergrund dieser Äußerung war sozusagen, einfach einmal klarzumachen, dass eine Einbestellung nicht immer eine Kriegserklärung bedeutet. In dem Fall Türkei war das natürlich etwas, wo wir in der Sache eine andere Haltung hatten, was der Botschafter seinem Counterpart in der Türkei auch klargemacht hat. Aber eine Einbestellung per se - - - Das bedeutet, man hat Meinungsverschiedenheiten. Ich will jetzt nicht in die Details gehen. Ich wurde ja schon für meine Äußerung "eine verschärfte Form der Terminvereinbarung" hier und da - - - Der eine fand es nett, der andere fand es witzig, der andere vielleicht in dem Fall nicht konkret angemessen. Ich will auch nicht ins Detail bezüglich Einbestellungen einsteigen, wo wir sie machen, wann wir sie machen und will mit Ihnen auch nicht über Listen sprechen.

Frage: Eine Wissensfrage, anschließend an die Ratslosigkeit von vorhin. Herr Scholz, wenn Sie es jetzt sagen oder nachliefern können: Wer genau kann nach diesem Paragrafen Anzeige erstatten? Verstehe ich es richtig, dass das nur das betroffene Staatsoberhaupt oder die betroffene ausländische Regierung kann?

Heißt das dann auch, dass Anzeigen von deutschen Staatsbürgern, wie sie ja offensichtlich in Mainz vorliegen, die sich auf diesen Paragrafen beziehen, von Beginn eigentlich nutz- und wirkungslos sind und nicht geprüft werden?

Scholz: Nein, das heißt es nicht. Strafanzeigen kann jeder stellen. Die Staatsanwaltschaft entscheidet dann, ob sie Ermittlungen aufnimmt. Über die Strafbarkeit entscheidet dann am Ende ein Gericht. Auch in diesem Fall wäre das in Bezug auf 103 StGB so. Die anderen Voraussetzungen sind völlig unabhängig davon.

Zusatzfrage: Das heißt aber, was die anderen Strafanzeigen angeht, die in Mainz vorliegen - so habe ich es zumindest in der Presse gelesen -, müssten Sie auch entscheiden, ob die Ermittlungen diesbezüglich weitergehen können.

Scholz: Nein.

Zuruf: Warum?

Scholz: Weil die Bundesregierung mit dem Ermittlungsverfahren, das in Mainz geführt wird, direkt nichts zu tun hat. Darüber entscheidet sie natürlich nicht.

Zuruf: Sie sprachen doch über die besonderen Voraussetzungen solcher Anzeigen und dass Sie deswegen - -

Scholz: Diese besonderen Voraussetzungen haben aber nichts mit Strafanzeigen von Bürgern zu tun.

Vorsitzender Szent-Ivanyi: Dann noch einmal meine Bitte, wohlwollend zu prüfen, ob wir das vielleicht noch einmal in einer Kurzfassung schriftlich bekommen können. - Herzlichen Dank!

Frage: Herr Seibert, Sie haben in Ihrem Eingangsstatement die ganze Sache in einen größeren Zusammenhang gestellt, unter anderem den EU-Türkei-Deal. Dieser ist jetzt eine Woche in Kraft. Könnten Sie eine erste vorsichtige Zwischenbilanz ziehen, ob das Ganze nach Meinung der Bundesregierung funktioniert?

StS Seibert: In der Tat hat die Umsetzung der EU-Türkei-Vereinbarung begonnen. Das ist angelaufen. Es gibt erste Rückführungen von Migranten in die Türkei. Es gibt erste Neuansiedlungen aus der Türkei. Es gibt ein Phänomen, das durchaus zu erwarten gewesen ist, dass nämlich anders als früher jetzt viele Migranten auf den griechischen Inseln Asylanträge stellen, was sie früher nicht getan haben. Deswegen greift jetzt das, was auch ein wichtiger Teil dieses EU-Türkei-Abkommens ist, nämlich die individuelle Prüfung dieser Anträge unter Wahrung der Flüchtlings- und Menschenrechte. Das dauert einen gewissen Zeitraum - das ist auch immer so zugesagt worden -, aber es ist nichts völlig Unvorhergesehenes. Es wird jetzt abgearbeitet, vor allem auch mit Hilfe der anwachsenden Zahl von Experten - Dolmetschern, Bearbeitern - aus anderen europäischen Ländern, die Griechenland unterstützen.

Uns ist es immer wichtig gewesen, dass diese individuellen Prüfungen stattfinden können. So kommt es natürlich auch dazu, dass es manche Tage ohne Rückführungen gibt. Das wird dann von manchem als ein Ins-Stocken-Geraten des Prozesses interpretiert. Das gehört zum Prozess.

Wenn Sie eine Zwischenbilanz wollen, dann würde die lauten, dass die ersten Tage der Umsetzung zeigen, dass die Entwicklung in die richtige Richtung geht, vor allem auch, wenn man daran denkt, dass die Zahl derjenigen, die sich illegal und mit Schlepperhilfe auf einen lebensgefährlichen Weg von der Türkei in Richtung Griechenland aufmachen, in den letzten Tagen erheblich gesunken ist, wenn man sie mit der vor vier Wochen oder acht Wochen vergleicht.

Wenn ich dies noch sagen darf: Wir hatten jetzt wieder den traurigen Fall, dass Flüchtlinge beim Kentern ihres Flüchtlingsbootes in der Ägäis ertrunken sind. Genau das erinnert eben an den Kern der Abmachung und die Kernabsicht, die dahinter steht, nämlich diese illegale Schleppertätigkeit, diese Schlepperverbrechen durch einen Entzug der Geschäftsgrundlage zu beseitigen. Ich glaube, da sind wir auf gutem Wege.

Zusatzfrage: Nun gab es in den letzten Tagen Vorwürfe aus Griechenland, die EU halte sich nicht an ihren Teil des Deals, was zum Beispiel die Zahl der bereitgestellten Boote oder auch des Personals angeht. Ist es nach Ihren Erkenntnissen so, dass man tatsächlich hinterherhinkt? Wenn die EU ihren Teil nicht einhält, was macht Sie dann optimistisch, dass Griechenland und die Türkei ihren Teil einhalten werden?

StS Seibert: Da die europäische Hilfe an Griechenland ja von der Europäischen Kommission organisiert und koordiniert wird, kann ich jetzt nicht im Einzelnen dazu Stellung nehmen. Von deutscher Seite ist jedenfalls aller gute Wille vorhanden, die Griechen dabei tatkräftig zu unterstützen, je nachdem, was - koordiniert von der Europäischen Kommission - an Unterstützung abgefragt wird.

Frage: Noch eine kurze technische Frage: Wir hatten letzte Woche schon einmal das Thema, ob die Kanzlerin am 16. in die Türkei reisen wird. Gibt es inzwischen Klarheit darüber, ob dieser Termin zustande kommen wird oder ob ein solcher Termin zumindest - vielleicht nicht an diesem Tag, aber in den kommenden Tagen - ansteht?

StS Seibert: Dazu gibt es noch keinen neuen Stand. Dazu gibt es keine wirklich konkreten Pläne, die ich heute verkünden könnte.

Frage: Herr Dimroth, ich wollte daran erinnern, dass Sie uns Freitag noch nachreichen wollten, was zu den Nicht-Syrern in dem EU-Türkei-Deal steht und ob die einfach so abgeschoben werden können oder nicht. Können Sie uns dazu etwas sagen?

Dimroth: Vielen Dank für die Nachfrage. Ich hatte tatsächlich, wie Sie sich sicherlich erinnern werden, zunächst einmal weitreichend auf die Regierungspressekonferenz vom 1. April verwiesen. Sie hatten meinen Kollegen Plate etwas, sagen wir einmal, bewusst missverständlich zitiert. Ich kann ihn hier jetzt noch einmal richtig zitieren. Er sagte: In den Texten des EU-Türkei-Plans ist verankert, dass sichergestellt sein muss, dass die Umsetzung im Einklang mit dem Völkerrecht steht. - Dem habe ich auch heute nichts hinzuzufügen. Da dem nichts hinzuzufügen ist, hatte ich auch darauf verzichtet, Sie nochmals auf das Protokoll der Regierungspressekonferenz vom 1. April hinzuweisen.

Zusatzfrage: Steht es denn im Einklang, dass die Türken alle Nicht-Syrer abschieben?

Dimroth: Ich bin nicht in der Lage, hier jeden Einzelfall juristisch abschließend auf die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht zu prüfen. Das war auch nicht Ihre Frage, sondern Ihre Frage war, ob das vereinbart ist. Das ist eben genau so vereinbart, wie hier jetzt schon mehrfach vorgetragen und von mir gerade zum wiederholten Male zitiert wurde.

Zusatzfrage: Ist es also okay, dass die Türkei alle Nicht-Syrer abschieben kann und wird?

Dimroth: Es wäre grob unbillig, meinen Worten diesen Schluss zu entnehmen. Ich habe auf Ihre Frage hin darauf hingewiesen - - -

Zuruf: Ich verstehe es aber nicht!

Dimroth: Aber ich kann doch nicht von hier aus für Sie die Vereinbarkeit eines von Ihnen sozusagen aus der Luft gegriffenen und vorgetragenen Sachverhalts mit dem Völkerrecht prüfen; dafür bitte ich um Verständnis. Sie hatten gefragt, ob es eine entsprechende Vereinbarung gibt, die sich aus der Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei ergibt, und auf die haben ich und mein Kollege Plate hier schon mehrfach hingewiesen.

Zusatz: Aber Kollege Hübschen hatte auch noch einmal genau nachgefragt, ob die Nicht-Syrer überhaupt in dem Deal thematisiert werden, und Sie sagen uns "Das muss nur nach dem Völkerrecht ablaufen".

Dimroth: Genau. Das ist auch die Antwort auf diese Frage.

Frage: Herr Seibert, Sie bezeichnen den Antrag der Flüchtlinge auf Überführung nach Europa als den sichersten Weg. Es ist ja nun bekannt, dass es eine Obergrenze für diese Überführung gibt; die liegt bei 72 Menschen. Für die anderen Antragsteller ist das offensichtlich der unsicherste Weg, denn ihr Antrag wird nicht anerkannt werden. Sie werden dadurch geradezu zu den Schleppern gedrängt. Wäre es nicht richtig, diese Tatsache beim Namen zu nennen?

StS Seibert: Die wichtigste Tatsache, die man nennen muss, wenn man auch Verantwortung gegenüber den Menschen hat, ist doch, dass man sagen muss: Mit dem Beginn des EU-Türkei-Abkommens ist der illegale Weg, über Schlepper auf die griechischen Inseln zu kommen, kein Weg mehr, der Erfolg verspricht, kein Weg mehr, der einem Flüchtling den Weg in die EU ebnet. Das ist doch das, was man sagen muss.

Frage: Zu Griechenland: Wie bewertet die Bundesregierung den Einsatz von Tränengas? Ist die Lage dort nicht ein bisschen mit der vergleichbar, die es im September in Budapest gegeben hat? Welche Schlussfolgerungen müsste das eigentlich hervorbringen?

StS Seibert: Wir beobachten sowohl die schwierigen Lebensbedingungen im provisorischen Camp Idomeni als natürlich auch Ereignisse, die sich in den letzten 24 oder 48 Stunden an der griechisch-mazedonischen Grenze ergeben haben, mit Sorge. Wichtig ist, den Menschen in diesem provisorischen Camp immer wieder zu sagen, was die Bundesregierung und auch andere - auch die griechische Regierung, auch die EU - ihnen in den letzten Tagen und Wochen gesagt hat: Geht in die besseren Unterkünfte, sichereren Unterkünfte, gesünderen Unterkünfte, die die griechischen Behörden den Flüchtlingen angeboten haben. Das, glaube ich, muss man heute noch einmal wiederholen. Man muss auch noch einmal wiederholen, dass es eben kein erfolgversprechender Weg ist, dort jetzt - von Aktivisten angeleitet oder nicht; das können wir sicherlich an dieser Stelle nicht beweisen - zu versuchen, die Grenze zu überwinden.

Frage: Herr Seibert, es gab gestern, wie Sie wissen, massive Krawalle in Idomeni. Die mazedonischen Polizisten haben auch mit Tränengas auf Kinder und Frauen geschossen. Herr Pavlopoulos, der griechische Präsident, meinte heute, ein Land wie Mazedonien habe keinen Platz in der EU. Was meinen Sie?

StS Seibert: Ich meine, dass ich diese Äußerung des griechischen Präsidenten nicht kommentiere. Der Grenzschutz muss in jedem Staat im Einklang mit internationalen Rechtsstandards vollzogen werden. Das gilt für jeden Staat, ob er nun innerhalb der EU liegt oder nicht.

Trotzdem wiederhole ich noch einmal: Wir wollen in der Flüchtlingsfrage - das ist unser Ziel innerhalb der EU - zu geordneten Verfahren zurückkehren. Das Verfahren sieht eben vor, dass Flüchtlinge, die in der EU ankommen, in dem ersten EU-Aufnahmestaat, also in Griechenland, Asylanträge stellen. Über diese Anträge soll schnell und unter Beachtung der Menschen- und Flüchtlingsrechte entschieden werden. Es gibt kein Recht darauf, sich den Aufnahmestaat auszusuchen. Wir würden es sehr begrüßen und bitten die Flüchtlinge noch einmal darum, die Alternativen zu nutzen, die die griechische Regierung ihnen bietet und die für sie und ihre Kinder mit Sicherheit besser als das sind, was sie derzeit im Camp Idomeni vorfinden.

Frage: Sie betonen hier die Alternativen, die so viel besser als Idomeni sein sollen. Haben Sie sich die einmal angeschaut? Die sind auch völlig überfüllt.

Ist es für die Bundesregierung eigentlich weiterhin keine Option, den Menschen direkt zu helfen, gerade im Hinblick darauf, dass mindestens ein deutscher Ministerpräsident angeboten hat, 2000 Menschen aufzunehmen?

StS Seibert: Eine solche Aufnahme von Flüchtlingen aus Idomeni wird ja auch von der griechischen Regierung nicht eingefordert. Griechenland hat vielmehr zugesagt, die Menschen angemessen in Griechenland zu versorgen und unterzubringen. Griechenland bekommt dafür von der EU und den Mitgliedstaaten auch erhebliche Unterstützung durch Personal und Sachmittel.

Chebli: Vielleicht darf ich das ergänzen. Man darf ja nicht vergessen: Es war die Bundesregierung, die nicht erst seit diesem Jahr, sondern bereits im vergangenen Jahr darauf hingewiesen hat, dass Entscheidungen nicht über den Kopf Griechenlands hinweg getroffen werden. Es war die Bundesregierung, die gesagt hat: Wir müssen Griechenland unterstützen. Wir können Griechenland nicht alleine lassen.

Wenn Sie Interesse daran haben, dann gebe ich Ihnen eine Auflistung dessen, was die Bundesregierung allein bilateral für Griechenland macht, sowohl in Idomeni als auch in anderen Lagern: Es ist das Rote Kreuz, das dort mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes unterwegs ist, um allein 10 Flüchtlingen eine medizinische Basisversorgung zu geben und vieles andere mehr zu tun. Ich glaube also, dieses Bild "Wir lassen die Griechen im Stich" kann man so nicht zeichnen. Es war die Bundesregierung, die auf das Leid hingewiesen hat und die nicht nur darauf hingewiesen hat, sondern vor Ort konkret mit Mitteln - mit dem THW, mit dem Roten Kreuz und in Zusammenarbeit mit dem UNHCR - zahlreiche Projekte gestartet hat, um vor Ort ganz konkret Hilfestellung zu leisten. Wir haben darüber einmal eine Auflistung gemacht, die ich Ihnen gerne zur Verfügung stellen kann, weil das Bild eine Schieflage hat, die wir so eigentlich nicht stehen lassen können.

Zusatzfrage: Ich habe noch eine andere Frage zum Flüchtlingsthema, Herr Seibert. Die Kanzlerin wünscht sich einen ähnlichen Deal wie den mit der Türkei auch mit Libyen. Wer wäre da in Libyen der Vertragspartner? Kann man mit so einem "failed state" überhaupt so ein Abkommen wie das mit der Türkei schließen?

Frau Chebli, in diesem Zusammenhang hat das Auswärtige Amt ja am Wochenende getwittert, dass der libyschen Regierung 3 Millionen Euro für dringend gebrauchte Sicherheitsinfrastruktur bereitgestellt werden. Was ist diese dringend gebrauchte Sicherheitsinfrastruktur? Sind das Waffen?

StS Seibert: Wir haben jetzt erst einmal das EU-Türkei-Abkommen, von dem wir doch die erhebliche Hoffnung haben - wir sind nach den ersten Tagen der Umsetzung auch ermutigt, dies anzunehmen -, dass es uns damit gelingen wird, den Flüchtlingszustrom zu ordnen und zu regeln. Es ist natürlich nicht zu übersehen, dass es auch auf anderen Routen erhebliche Flüchtlingsbewegungen gibt. Die Flüchtlingsbewegung von der libyschen Küste in Richtung Italien hat sich in den letzten Wochen und Monaten wieder verstärkt. So ist es zu verstehen, dass nicht nur die Bundeskanzlerin, sondern viele in Europa sagen: Eine Lösung, wie wir sie jetzt mit der Türkei umzusetzen begonnen haben, wäre auch in anderen Regionen sinnvoll.

Niemand übersieht selbstverständlich, dass Libyen staatlich derzeit nicht in einem Zustand ist, der ein solches Abkommen so ermöglichen würde, wie wir es mit der Türkei haben abschließen können. Es darf auch niemand übersehen, welche großen Anstrengungen die Weltgemeinschaft unternimmt, um in Libyen und auch zugunsten der Menschen in Libyen zu einem besseren Zustand zu kommen. Ein deutscher Diplomat ist als Vertreter der Vereinten Nationen der Beauftragte, der sich sehr für das Zustandekommen und dann auch die spätere Anerkennung einer Einheitsregierung einsetzt. Das alles ist etwas, was den Menschen in Libyen in ihrer verzweifelten und vollkommen ungeordneten Situation erheblich helfen würde. Daran werden wir international als Deutsche und als Europäer weiter arbeiten, und dann wird sich zeigen, welche Möglichkeiten sich mit einer veränderten Lage in Libyen auch ergeben werden.

Zusatzfrage: Frau Chebli hatte noch die Frage zu beantworten, für wen die dringend gebrauchte Sicherheitsinfrastruktur im Wert von 3 Millionen Euro gedacht ist. An wen wird das überhaupt überwiesen? Wird da ein Geldkoffer abgegeben? Gibt es da ein Konto vom Staat? An wen genau geht das Geld, und für was?

Chebli: Es gibt die Einheitsregierung, die wir akzeptiert haben, und wir kooperieren mit dieser Einheitsregierung.

An wen genau das im Einzelnen geht, kann ich Ihnen hier nicht sagen. Aber ich finde den Vorwurfston, den Sie, Herr Kollege, wieder an den Tag legen, mit Waffen vor Ort zu sein - - - Wir haben ja gesagt: Wir stehen mit Unterstützungsleistungen für Libyen bereit, um Libyen letztendlich zu helfen, zu einem Staat zu werden, der auch das für die Menschen bereitstellen kann, was die Menschen brauchen. Das ist Infrastruktur und vieles andere mehr. Der Kollege Fischer hatte hier ja vorgetragen, welche Projekte das im Einzelnen sind und wo wir Unterstützungsmaßnahmen leisten. Er hat Ihnen von dem Fonds berichtet, den wir dort gemeinsam mit dem UNDP aufbauen wollen, ähnlich, wie wir das in Tikrit im Irak gemacht haben, um letztendlich Perspektiven für die Libyer zu schaffen.

Was die Sicherheit angeht: Natürlich ist das auch ein Aspekt, den wir im Hinterkopf haben. Kein Staat kann operieren und voll funktionsfähig sein, wenn er sich nicht auf Sicherheitskräfte verlassen kann, die loyal zu ihm stehen. Deswegen betrifft, wenn wir darüber reden, Sicherheitskräfte zu unterstützen und sie auszubilden - das machen wir zum Beispiel in Tunesien, wo die Vorbereitungen anlaufen -, das natürlich auch den Sicherheitsbereich; ganz klar. Aber wir liefern keine Waffen dorthin.

Zusatzfrage: Was ist die dringend gebrauchte Sicherheitsinfrastruktur, für die 3 Millionen Euro ausgegeben werden?

Chebli: Lassen Sie mich das nachliefern, weil ich nicht genau weiß, was das im Konkreten darstellt. Aber was wir zu der Unterstützung sagen, habe ich ja eigentlich klargemacht.

Frage: Ich habe eine Frage an das Arbeitsministerium, nachdem Herr Seehofer am Freitag schon angekündigt hat, dass die Riester-Rente aus seiner Sicht gescheitert sei und es in der Union einen Vorstoß zur Reform der Riester-Rente und zur grundsätzlichen Reform der Altersvorsorge geben werde. Wie sieht das das Arbeitsministerium? Ist es nötig, die Riester-Rente grundsätzlich zu reformieren?

Küchen: Wenn Sie heute auf unsere Seite schauen, werden Sie sehen: Es gibt, was die Riester-Rente angeht, neuere Zahlen zum Jahresabschluss. Bis Ende 2015 gab es 16,5 Millionen Verträge. Dies vielleicht schon einmal vorweg, weil immer viele darauf warten.

Eine nachhaltige Rentenreform bedarf großer Sorgfalt und wird aus unserer Sicht viele Bausteine haben müssen, um wirklich gerecht zu sein. Momentan, jetzt, aktuell arbeiten wir zunächst einmal das ab, was wir im Koalitionsvertrag zwischen den drei Parteien vereinbart haben, um Gerechtigkeitslücken zu schließen. Um eine auskömmliche Rente im Alter zu haben, bedarf es wirklich der drei Säulen: der betrieblichen, der privaten und - last, but not least - der Rentenversicherung.

Zusatzfrage: Kann ich dem entnehmen, dass dann aus Ihrer Sicht die Riester-Reform nicht gescheitert ist?

Küchen: Ich möchte mich der Äußerung von Herrn Seehofer hier ausdrücklich nicht anschließen. Wie gesagt: Um eine Gesamtschau, die wir ja auch regelmäßig in den Alterssicherungsberichten vornehmen, vornehmen zu können, braucht man Sorgfalt und Zeit, um wirklich eine gerechte Lösung aufzustellen.

Frage: Ich würde gerne das Finanzministerium noch einmal nach dem Zehn-Punkte-Papier fragen, diesem Reformpapier, das Herr Schäuble vorgelegt hat. Wie muss ich mir das jetzt vorstellen? Ist das eine deutsche Initiative, die in Washington, noch einmal mit den englischen und den französischen Partnern abgestimmt, quasi deckungsgleich vorgestellt wird? Ist das also eine europäische Initiative oder eine deutsche Initiative, die mit konkreten Gesetzentwürfen oder Ähnlichem auch hauptsächlich erst einmal auf den Binnenmarkt abzielt? Ich habe ein bisschen Schwierigkeiten damit, dieses Papier einzuordnen.

Jäger: Das ist zunächst einmal eine deutsche Initiative. Das ist unser Beitrag zur internationalen Debatte. Eine Eins-zu-eins-Übertragung auf einen internationalen Kontext dürfte schon deswegen gar nicht so ohne Weiteres möglich sein, weil man darin etwa Elemente findet, die nur Deutschland selbst angehen. Das heißt, das müssen wir unter uns abmachen und dann auch entsprechend umsetzen.

Im Kern ist das aber die politische Forderung, mit der der Minister nach Washington geht. Wir stehen, was diesen Komplex der "Panama Papers" beziehungsweise Briefkastenfirmen angeht, in engem Austausch mit unseren europäischen Partnern. Hier ist insbesondere von Frankreich und Großbritannien die Rede. Aber Sie wissen, dass es hierbei in der Vergangenheit auch mit Italien und Spanien große Überschneidungen gab. Das heißt, wir würden uns wünschen, dass es hoffentlich möglich sein wird, dann in Washington gemeinsam europäische Positionen vortragen zu können.

Wir tun dies auch im engen Zusammenschluss oder im engen Austausch mit der OECD, die ja vor allem auch für diesen automatischen Informationsaustausch federführend verantwortlich ist. Das heißt, wir greifen hier auf Arbeitsstrukturen zurück, die schon vorhanden sind, Stichwort BEPS-Initiative, Stichwort "Global Forum", Stichwort "Umsetzung des automatischen Informationsaustausches".

Die Initiative selbst ist, was die Inhalte angeht, auf verschiedenen Ebenen angesiedelt. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass es dabei Aspekte gibt, die national zu bearbeiten sind. Es sind an mehreren Stellen Verweise auf europäische Gesetzgebungsprojekte enthalten. Im Kern - das muss man immer wieder wiederholen - geht das aber nur, wenn wir international möglichst globale Lösungen finden. Deswegen sehen wir auch in diesem Fall die OECD als ersten Adressaten an, wenn es um die Umsetzung solcher Maßnahmen geht. Einfüttern wollen wir das international in den G20-Prozess.

Frage: Herr Jäger, ein Punkt sind ja schwarze Listen. Ich wollte gerne einmal wissen, welche Art schwarzer Listen dem Minister vorschwebt. Es gibt ja Länder, die so etwas schon führen. Wie unkooperativ muss man denn sein, um auf eine solche Liste zu gelangen? Wer würde die dann führen? Ich vermute jetzt einmal, wie Sie vorhin gesagt haben, das wäre die OECD oder die EU oder wer auch immer.

Können Sie denn etwas zu den Sanktionen sagen? Was geschieht konkret, wenn man auf dieser Liste steht?

Jäger: Der Zweck einer schwarzen Liste ist es zunächst einmal, internationalen Druck aufzubauen und dann möglicherweise in einem nächsten Schritt eine solche Liste zu haben, um auf dieser Grundlage dann zu Sanktionen zu kommen.

Wir haben jetzt, was den Gesamtkomplex angeht, das folgende Phänomen: Es gibt von der Sache, von der Systematik her im Grunde zwei Bereiche, die betroffen sind. Der eine ist der große Bereich der Steuervermeidung, der Steuerhinterziehung. Darüber gibt es Listen. Der andere Bereich ist der Gesamtkomplex der Geldwäsche. Das heißt, wir haben in beiden Bereichen Listen. Zusätzlich haben einzelne Staaten nationale Listen, auf die sie für sich selbst bestimmte Länder setzen können. Dann gibt es in einem nächsten Schritt einen europäischen Versuch, eine europäische Gesamtliste zu etablieren, was wir sehr unterstützen. Jetzt komme ich aber auf meine Äußerung von vorhin zurück: Richtig Sinn ergibt das aber am Ende nur, wenn das noch über die Europäische Union hinausgeht, wir also möglichst breit aufgefächert internationale Listen haben. Jetzt sehen Sie: Wir haben zwei Sachgebiete - Steuer und Geldwäsche -, und wir haben verschiedene Handlungsebenen. Daraus können Sie ableiten, dass es im Augenblick eine Vielzahl von Listen gibt, und zwar mit jeweils eigenen Prozeduren dafür, wie man auf diese Listen kommt, wie man von diesen Listen gestrichen wird und was es bedeutet, wenn man auf diesen Listen steht.

Wir sind der Auffassung: Um dieses Instrument wirklich schlagkräftig zu gestalten, wäre es gut, wenn wir hier zu einer Vereinheitlichung kommen würden. Als einen ersten wichtigen Schritt dorthin sehen wir an, dass jetzt zunächst einmal wir Europäer die Arbeiten, die ja schon begonnen worden sind, fortsetzen und sie möglichst rasch zu einem Abschluss bringen. Wir möchten also, dass es hier eine europäische Lösung gibt. Ob man dabei dann noch einmal zwischen Steuer und Geldwäsche differenzieren muss, das wird man sehen. Vermutlich ja, weil das unterschiedliche Tatbestände sind, aber das ist nicht zwingend. Diese Diskussion wird jetzt geführt. Wir hoffen, dass es bald zu Ergebnissen kommen wird. Kommissar Moscovici, der zuständig ist, hat schon angekündigt, dass er in dieser Richtung aktiv werden wolle. Unser Aktionsplan begrüßt dies ausdrücklich.

Zusatzfrage: Unter Sanktionen kann ich mir immer noch nichts vorstellen. Der internationale Druck ist klar. Man kann ja ein Land nicht vom internationalen Finanzverkehr ausschließen.

Jäger: Doch, selbst das könnte man. Wir reden jetzt nicht von Panama. Aber wenn Sie im harten Bereich der Finanzkriminalität, der Staatenkriminalität sind, dann wäre selbst so etwas theoretisch denkbar - ich nenne hier nur ein Stichwort, nämlich SWIFT -, wenn man das wollte. Worum es hier geht, sind aber zunächst ganz andere Dinge. Man kann etwa bestimmte Finanzgeschäfte, die mit einem Land getätigt werden, sanktionieren.

Frage: Herr Jäger, noch einmal zu der Geschichte "Panama und Bundesdruckerei": Mich würde interessieren, wie das dann mit so einem Whistleblower läuft. Meldet der sich dann bei Ihnen, sagt "Ich glaube, Herr XY macht da irgendwelche krummen Geschäfte mit einer Briefkastenfirma", und dann gehen Sie zu Herrn XY, der eidesstattlich versichert, dass er das nicht macht, oder werden Ihnen da Papiere vorgelegt, die Sie prüfen?

Jäger: Da muss man jetzt, glaube ich, unterscheiden. Reden wir nur von dem Einzelfall, oder sprechen Sie allgemein? Es melden sich nämlich natürlich immer wieder Leute bei uns, die Hinweise haben oder glauben, dass sie Hinweise hätten.

Generell kann man sagen, dass wir diesen Hinweisen immer nachgehen. So ist es auch im vorliegenden Fall geschehen, der ja schon ein alter Fall ist. Wir haben das aufgegriffen. Damals hat die Bundesdruckerei sowohl interne als auch externe Untersuchungen eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft - ich glaube, wenn ich das richtig im Kopf habe, es war die Berliner Staatsanwaltschaft - war auch damit befasst. Das Ganze führte dann zu keinen Ergebnissen, die uns gezwungen hätten, entsprechende Schritte zu ergreifen.

Wir haben jetzt neue Informationen. Das heißt, wir haben schon über das Wochenende hinweg intern einen Prozess eingeleitet, um das nachzuprüfen. Die Bundesdruckerei hat heute Morgen auch die Presse darüber informiert, was da an einzelnen Schritten ergriffen worden ist. Wenn ich es recht sehe und soweit ich das verfolgen konnte, was die Bundesdruckerei angeht, ist auch wiederum die Staatsanwaltschaft eingeschaltet worden.

Zusatzfrage: Heißt das aber, die Papiere, die jetzt in den "Panama Papers" aufgetaucht sind, lagen Ihnen damals nicht vor? Das scheinen jetzt nämlich doch recht schlagende Beweise zu sein.

Jäger: Das, was jetzt zu einer erneuten Nachprüfung geführt hat, sind neue Informationen, neue Elemente.

Frage: Herr Jäger, mit der Hoffnung, dass Sie diesmal Lust haben: Wo sind Briefkastenpraktiken wie in Panama auch in Europa möglich? Sie haben bisher - Zitat - keine Lust gehabt, die Frage zu beantworten.

Jäger: Dann schauen wir einmal, wie weit wir heute kommen. Ich kann Ihnen auch heute nur das sagen, was ich schon die letzten zwei oder drei Male gesagt habe, und wenn Sie zum vierten Mal fragen, dann kann es passieren, dass so eine Antwort kommt. Aber wir pflegen ja generell einen sehr ehrlichen und freundschaftlichen Umgang miteinander.

Ich werde hier auch diesmal und heute keine Namen nennen. Wir haben hier aufgrund der sehr sorgfältigen und offenkundig sehr umfassenden Recherchearbeit von Kollegen von Ihnen ein konkretes Beispiel in Gestalt von Panama. Dieses Beispiels nehmen wir uns jetzt an. Wir gehen davon aus, dass wir darüber dann eine sehr dynamische Diskussion haben werden, und wir werden das nutzen, um auch eine politische Dynamik zu erzeugen, die dazu führen wird, dass über Panama hinaus solche Praktiken in Zukunft keine Geschäftsgrundlage mehr haben und dass man darauf verzichtet, sich solcher Instrumente zu bedienen.

Das, was wir vorgeschlagen haben, wird, wenn man es denn international umsetzt, dazu führen, dass Fälle wie in Panama künftig nicht mehr möglich sein würden. Ich spreche hier jetzt im Konditional, weil auf der Hand liegt, dass wir diesbezüglich noch einen sehr langen Weg vor uns haben.

Zusatzfrage: Können Sie die Namen der europäischen Beispiele vielleicht noch nachreichen?

Noch eine ganz kurze Lernfrage: Nach meinem Wissen führt die Bundesregierung selbst schon seit ein paar Jahren eine schwarze Liste mit Ländern, die aus ihrer Sicht Steueroasen sind. Stimmt es, dass Sie selber eine Liste führen, und stimmt es, dass die Liste leer ist?

Jäger: Wir haben die Möglichkeit, eine solche schwarze Liste auch national zu führen. Wir greifen darauf nicht zurück, weil wir es nicht für zielführend halten; denn es ergibt keinen Sinn, wenn hundert Länder auf der Welt jedes für sich so eine Liste führen. Deshalb sind wir der Auffassung - das hatte ich zu erklären versucht, als die Frage nach den Listen kam -: Eine solche Liste macht nur dann Sinn, wenn sie möglichst breit international aufgestellt ist. Deshalb drängen wir so sehr darauf, dass es jetzt eine europäische Lösung gibt. Noch lieber wäre es uns, wenn wir eine weit über Europa hinausgreifende internationale Lösung hätten.

Was die Namen angeht, so können wir uns noch dreimal im Kreise drehen - ich werde das nicht tun, und zwar schon deswegen nicht, weil, wenn ich hier jetzt einen Namen nenne, von Ihrer Seite aus sofort der Nachsatz kommen wird: "Beweisen Sie mir das". Das kann ich natürlich nicht und das tue ich nicht. Wir sammeln Eindrücke, wir sammeln Erkenntnisse, wir beobachten international sehr genau. Wir geben vielleicht im zwischenstaatlichen Verkehr den einen oder anderen Hinweis - da dürfen Sie ganz unbesorgt sein: Wir sind in dieser Frage sehr engagiert. Aber ich werde jetzt nicht einen Stockfehler machen und hier anfangen, "out of the blue" ein "naming and shaming" zu machen.

Frage: Nachdem das Justizministerium erklärt hatte, direkten Kontakt zur "Süddeutschen Zeitung" aufzunehmen, um direkt, unmittelbar und aus erster Hand über die Panama-Papiere zu erfahren: Denkt das Finanzministerium daran, seine Haltung diesbezüglich zu revidieren? Denn vorige Woche hat Frau Tiesenhausen hier erklärt, an einen solchen Kontakt seitens ihres Ministeriums mit der "Süddeutschen Zeitung" sei nicht gedacht.

Jäger: Das ist, glaube ich, ein Missverständnis. Frau Tiesenhausen hat hier gesagt, dass an einen solchen Kontakt nicht gedacht ist. Das ist zumal deshalb der Fall, da ich - und das kann ich Ihnen sagen - diesen Kontakt schon gesucht habe. Das, was man seitens des Bundesjustizministeriums plant oder angekündigt hat, haben wir also schon getan: Wir sind selbstverständlich sehr früh auf die "Süddeutsche Zeitung" zugegangen und haben eine entsprechende Anfrage gestellt. Wir haben auch eine entsprechende Antwort bekommen. Was Frau Tiesenhausen hier noch einmal unterstrichen hat, ist die Tatsache, dass das Bundesfinanzministerium selbstverständlich anerkennt, dass es ein Rechtsinstitut wie den Quellenschutz für journalistisches Arbeiten gibt; das steht überhaupt nicht zur Frage.

Wenn Sie unser Papier lesen, finden Sie darin auch einen Passus, in dem wir die Erwartung äußern, dass, wenn Journalisten in dieser Richtung recherchieren und Dokumente verfügbar haben, diese Dokumente dann auch den Steuer- und Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt werden. Wir formulieren hier aber einen Wunsch, eine Erwartungshaltung, und damit ist nicht die Absicht verbunden - auch das kann ich an dieser Stelle noch einmal deutlich machen -, diesbezüglich gesetzgeberisch tätig zu werden; denn das braucht es nicht. Ich denke, das kann man im Austausch regeln. Wir schauen uns dann natürlich auch sehr gründlich an, was es an Dokumenten gibt. Es gibt Länder, in denen Kollegen von Ihnen verpflichtet sind, solche Dokumente herauszugeben. Wenn das so ist, dann werden die unter den Regierungen ausgetauscht.

Das heißt, da tut sich schon Einiges. Es bleibt aber dennoch grundsätzlich das Missverhältnis bestehen, dass Sie seitens der Medien einerseits zu Recht kritisieren, dass es hier Vorfälle gibt und hier Dinge nicht im Rechten liegen, dass man uns aber andererseits dann, wenn wir sagen "Stimmt, wir möchten dem nachgehen", zur Antwort gibt: "Aber leider können wir euch bei der Strafverfolgung dieser Menschen nicht behilflich sein". Das ist etwas, was wir sehr bedauern.

Vorsitzender Szent-Ivanyi: Herr Seibert hat noch einen Nachtrag zu der Debatte von vorhin.

StS Seibert: Ja, es hatte die Frage nach einem möglichen Direktkontakt zwischen Herrn Böhmermann und dem Chef des Bundeskanzleramtes gegeben. Diesbezüglich haben mich die freundlichen Kollegen daran erinnert, dass Minister Altmaier dazu am Samstag in einem Interview mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe Folgendes gesagt hat: "Herr Böhmermann hat mir eine Direktmail übermittelt, die er selbst als privat und nicht öffentlich eingestuft hat. Ich bitte daher um Verständnis, dass ich die Berichte meinerseits nicht kommentiere", und dem habe ich auch nichts hinzuzufügen.

Vorsitzender Szent-Ivanyi: Herzlichen Dank. - Dann hat das Verteidigungsministerium noch eine Ankündigung.

Nannt: Ich möchte noch einen Punkt aktiv ansprechen. Und zwar gab es am gestrigen Tag eine Berichterstattung in einer großen Sonntagszeitung zum Thema Soldatenarbeitszeitverordnung und der Einführung der 41-Stunden-Woche in diesem Jahr. Der Artikel hat uns insgesamt verwundert. Ich möchte daher die Gelegenheit nutzen, das hier kurz richtigzustellen. Ich möchte auch betonen, dass der Artikel ohne Gegenrecherche bei uns stattgefunden hat.

Folgende Behauptungen wurden dort aufgegriffen: Dass bei der Teilnahme an einem Nato-Manöver in Norwegen dieses wegen des Anfalls von Überstunden verkürzt wurde, dass Verbündete hierauf irritiert reagiert hätten, dass Mehrarbeit künftig grundsätzlich nicht mehr durch Geld ausgeglichen werden könnte und es daher auch keinen einzigen Fall von Geldausgleich geben würde, und dass daher die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr durch die neue Regelung bedroht wäre. Wie gesagt, das kann von uns nicht nachvollzogen werden. Die Einlassungen in der Berichterstattung hierzu sind zum Teil auch sachlich falsch.

Dazu konkret: Das einzige Nato-Manöver in Norwegen war in diesem Jahr das Manöver "Cold Response", und dieses wurde nicht verkürzt, sondern es wurde sogar auf Antrag der Division Schnelle Kräfte ausgeweitet. Grundsätzlich sind wichtige Nato-Manöver genauso wie Einsätze oder einsatzgleiche Verpflichtungen von der 41-Stunden-Regel ausgenommen. Das gilt natürlich - jetzt einmal ganz konkret weg von diesem angeblichen Vorfall - auch für künftige Vorhaben.

Ein Beispiel: Im Rahmen der Rückversicherungsmaßnahmen der Nato ist das Niveau, auf dem wir die Unterstützung leisten, in diesem Jahr dasselbe wie im letzten Jahr. Wir weiten die Unterstützung sogar aus, und zwar von 16 auf 21 Manöver und von 5 auf 5 Soldaten. Dass es diesbezüglich irgendwelche Irritationen geben könnte, ist darüber hinaus auch deshalb verwunderlich, weil bereits 15 andere europäische Nationen die EU-Arbeitszeitrichtlinie in ihr nationales Recht für die Streitkräfte übernommen haben.

Sachlich richtig ist: Auch künftig kann Mehrarbeit weiterhin durch Geld ausgeglichen werden. Es ist sogar der Anspruch im Rahmen der Agenda Attraktivität verbessert worden. Es gilt aber der Grundsatz im Rahmen des Gesundheitsschutzes für die Soldaten - das ist auch gut so -, dass erst der Versuch unternommen werden muss, diesen Freizeitausgleich zu gewähren. Erst dann ist eine finanzielle Vergütung möglich.

Dies war übrigens genauso im Rahmen der vormaligen Regelung. Deswegen ist natürlich auch logisch, dass nach dem ersten Quartal kein Fall bekannt ist, weil natürlich erst ein Anspruch angemessen im Rahmen von Freizeit ausgeglichen werden sollte.

Grundsätzlich ist nach unserer Bewertung mit der neuen Soldatenarbeitszeitverordnung ein riesiger Schritt für die 250 Menschen bei uns gemacht worden. Wir setzen damit europäisches Recht um. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat ausdrücklich betont, dass auch unsere Streitkräfte unter die europäischen Vorgaben zur Arbeitszeit fallen. Selbstverständlich - und das ist wichtig - muss die Einsatzbereitschaft natürlich gewährleistet sein. Deshalb berücksichtigen wir die Besonderheiten des militärischen Dienstes, und deshalb sind wichtige Vorhaben ausgenommen. Hier geht es um Einsätze, einsatzgleiche Verpflichtungen, Amtshilfe, mehrtätige Seefahrten, aber genauso um Gefechtsausbildungen zur Vorbereitung von Einsätzen, einsatzgleichen Verpflichtungen oder auch Übungs- und Ausbildungsvorhaben, bei denen Einsatzbedingungen simuliert werden.

Klar ist, dass, wenn man natürlich so ein Vorhaben umsetzt, dieses nicht vom ersten Tag an reibungslos verläuft. Auch Organisationen und Vorgesetzte müssen lernen, damit umzugehen. Mit der neuen Arbeitszeitrichtlinie haben wir aber ein bewusstes Maß an Flexibilität für die Vorgesetzten, sodass eben dort auch entschieden werden kann, wie ich mit dem Zeitausgleich für Pendler oder anderen Dingen umgehe.

Fakt ist: Es ist ein Kulturwandel; es ist ein Paradigmenwechsel. Da wird es bestimmt auch an der einen oder anderen Stelle ruckeln, erst recht bei einer so großen Organisation von 250 Menschen. Dass den Wehrbeauftragten von daher eher Beschwerden als Lob erreichen, ist bei der Einführung einer solchen Richtlinie, die gerade erst frisch eingeführt wurde, natürlich klar.

Insgesamt möchte ich betonen: Wir haben wirklich eine ausgezeichnete, eine gute und enge Zusammenarbeit mit dem Wehrbeauftragten, der gewöhnlich gut informiert ist, in diesem Fall aber vielleicht einfach nicht umfassend informiert war. Was wir machen, ist Folgendes: Wir schauen mit den Vorgesetzten und auch von unserer Seite aus auf diese neue Soldatenarbeitszeitverordnung, begleiten sie, haben im Vorfeld an 40 Standorten über 4000 Multiplikatoren informiert und sind dabei, das zu evaluieren. Insgesamt kann bislang ein positives Zwischenfazit gezogen werden.

Mehr wollte ich dazu nicht sagen.

Vorsitzender Szent-Ivanyi: Wenn es dazu keine Fragen gibt, hat Frau Chebli noch eine Ankündigung.

Chebli: Die Zeit ist schon vorangeschritten, uns liegt es aber sehr am Herzen, einige Worte zu Syrien zu sagen.

Die Bundesregierung begrüßt, dass es gestern zum ersten Mal gelungen ist, in Deir al-Sor die vom IS eingeschlossene Bevölkerung aus der Luft mit Lebensmitteln zu versorgen. 26 Paletten mit 20 Tonnen Lebensmitteln wurden erfolgreich abgeworfen. Die Vereinten Nationen haben sich dafür ausdrücklich bei der Bundesregierung bedankt, weil wir mit dem World Food Programme für die Luftbrücke fünf Millionen Euro zur Verfügung gestellt haben.

Wir unterstreichen damit: Humanitäre Hilfe muss alle Menschen erreichen können, die sie benötigen, und zwar ohne Rücksicht auf politische Kriterien. Doch so erfolgreich die Operation, von der ich gerade gesprochen habe, ist, müssen wir auch dazu sagen: Diese Lieferung kann nur ein kleiner erster Schritt sein. Noch immer ist die große Mehrheit der Menschen in Deir al-Sor belagert und hat keinen Zugang zu humanitärer Hilfe. Auch anderswo in Syrien ist die Lage schlecht, wenn nicht sogar dramatisch.

Nach dem Treffen in München gab es im humanitären Bereich zwar einige Fortschritte - das haben wir auch hier ein paar Mal gesagt -, doch seither stockt der Prozess. In sieben von 18 belagerten Gebieten sind noch keine Hilfslieferungen erfolgt. Letzte Woche mussten die Vereinten Nationen wegen fehlender Genehmigungen vier geplante Transporte absagen. Hier ist ganz klar das Regime in der Verantwortung, die Belagerung zu beenden und Zugänge zu humanitärer Hilfe zu gewähren.

Was die Waffenruhe selbst angeht, so besteht diese seit sechs Wochen. Sie ist nicht perfekt. Es gab hier und da Verletzungen, auch heftige Verletzungen. Sie ist aber ein diplomatischer Erfolg, der für viele Menschen in Syrien eine dringend notwendige Atempause bedeutet hat. Sie haben die Bilder von Syrien von Menschen gesehen, die wieder anfangen, ihre Häuser aufzubauen, dass die Menschen auf die Straße gehen, auch teilweise protestiert haben. Das sind alles Schritte in die richtige Richtung.

Deswegen macht uns letztendlich mehr Sorgen, dass es Nachrichten gibt, dass bei Aleppo und östlich von Damaskus neue Offensiven des Regimes auch mit erheblicher Luftunterstützung gemeldet werden. Alle Seiten, auch die am Wiener Prozess beteiligten Staaten, müssen mithelfen, die Waffenruhe durchzusetzen. Wer die Waffenruhe infrage stellt, bringt auch die Chancen auf Fortschritte im politischen Prozess in Gefahr.

Nun kommt es darauf an, dass wir gerade im politischen Prozess endlich Fortschritte machen. Deshalb ist es so wichtig, dass diese Woche die Syrien-Verhandlungen in Genf wieder aufgenommen werden. Das erwarten die Menschen von beiden Delegationen. Sie erwarten von ihnen, dass sie ernsthaft verhandeln und zu tragfähigen Kompromissen für eine friedliche Zukunft Syriens kommen. Dazu gehören die beiden schwierigen, aber unumgänglichen Fragen der Bildung einer Übergangsregierung und einer umfassenden Reform der syrischen Verfassung.

Frage: Die Lage in Aleppo wurde angesprochen. Mich interessiert ganz konkret: Die syrische Regierung versucht da mit Unterstützung Russlands, etwas zurückzuerobern. Wie ordnet die Bundesregierung das ein? Ist das ein definitiver Bruch der Waffenruhe? Denn es bezieht sich ja nicht nur auf Kämpfe mit IS- oder Al-Qaida-Truppen. Ist das erneut eine Zuspitzung der Lage?

Chebli: Ich habe gesagt, dass uns die Lage in Aleppo und rund um Damaskus Sorgen macht, weil wir sehen, dass das jedenfalls nicht dazu beiträgt, dass es in dem anderen Bereich, im politischen Prozess, vorangeht. Wir brauchen eine stabile Waffenruhe, um die Opposition davon zu überzeugen, dass es wichtig ist, sich auch im politischen Prozess an einen Tisch zu setzen und mit der anderen Seite zu sprechen.

Frage: Herr Dimroth, heute hat es erneut Berichte gegeben wonach Tausende minderjähriger Flüchtlinge - ich meine, es waren 5 - in Deutschland vermisst werden. Können Sie die Größenordnung bestätigen? Ist man darüber alarmiert? Oder gibt es dafür eine einfache Erklärung?

Dimroth: Vielen Dank für die Frage. - Die Zahl liegt tatsächlich sogar noch etwas höher. Dies hat das Bundesministerium des Inneren im Namen der Bundesregierung auf Grundlage einer parlamentarischen Anfrage zur Kenntnis gegeben. Das Thema an sich ist auch schon Gegenstand dieser Veranstaltung hier gewesen.

Ich habe keinen Zweifel daran, dass die zuständigen Behörden in den Bundesländern jeden einzelnen ihnen bekannt werdenden Fall sehr ernst nehmen und den vorhandenen Informationen dementsprechend nachgehen. Was diesen Teil anbetrifft, kann ich Ihnen nicht wirklich weiterhelfen, weil im Geschäftsbereich des BMI keine Zuständigkeit liegt.

Ich kann Ihnen aber jedenfalls in Teilen etwas zur Einordnung dieser Zahl sagen. Ich denke, das ist ganz wesentlich. Hierzu kann sicherlich auch die Kollegin Herb des BMFSFJ noch ergänzen. Zur Einordnung der Zahlen muss man, denke ich, den Sachverhalt betrachten, der zugrunde liegt, wenn eine solche Vermisstenanzeige erfolgt. Gleichzeitig muss man den Sachverhalt betrachten, der dazu führt, dass eine solche Zahl aus der Statistik wieder verschwindet.

Beim ersten Teil - insbesondere dazu kann, so meine ich, Frau Herb ergänzen - verhält es sich so, dass aufgrund gesetzlicher Vorgaben tatsächlich eine gesetzliche Verpflichtung einer Obhut besteht, eine solche Meldung zu machen, ohne dass damit im Einzelfall eine Aussage darüber verbunden wäre, dass das ohne Plan des Betroffenen oder gar gegen dessen Willen stattfinden würde. Das ist, denke ich, ganz wesentlich, wenn man es mit Sachverhalten vergleicht, die etwa aus einem Familienverbund heraus passieren. Das ist das Eine.

Das Zweite, was uns auch durchaus umtreibt, ist die Erkenntnis, dass diese Statistik im Prinzip immer weiter aufwächst, weil in Fällen, in denen der unbegleitete Minderjährige dort ankommt, wohin er möchte, beispielsweise - davon gehen wir aus - ganz regelmäßig bei Verwandten, entweder in Deutschland an einem anderen Ort oder auch im europäischen Ausland, eine entsprechende Rückmeldung an diese Statistik nicht erfolgt. Das heißt, es bleibt sozusagen immer bei einer Aufaddierung, außer wenn die Polizeistellen oder eben auch die Jugendschutzämter Kenntnis von einer solchen Rückkehr erhalten. Aber das ist leider nicht die Regel, sondern die absolute Ausnahme, sodass diese Zahl sicherlich erheblich höher liegt als mit Stand von heute die Zahl derjenigen, die wirklich vermisst sind. Das vielleicht zur Erläuterung.

Aus dem Gesagten folgt für uns jedenfalls auf Bundesebene, im Bereich des BMI, vor allem auch die Erkenntnis, dass wir, was die Informationslage angeht, besser werden müssen. Auch dazu dient unter anderem das sogenannte Datenaustauschverbesserungsgesetz, das, wie Sie wissen, jüngst in Kraft getreten ist, allerdings noch nicht in vollem Umfange aufgrund des noch stattfindenden Rollouts der erforderlichen Technik, in dem dort eine zentrale Registrierung vorgesehen ist, die uns dann hoffentlich in die Lage versetzen wird, ein etwas klareres Bild über die tatsächlichen Verhältnisse zu bekommen.

Herb: Ich würde das gern ergänzen, auch um einmal zu erläutern, wie es zu solch einer Meldung eines verschwundenen Flüchtlings kommt. Denn das ist, denke ich, ganz relevant. Wir hatten dieses Thema hier auch schon einmal.

Ich würde es gern ganz praktisch erklären: Ein Jugendlicher kommt nach Deutschland, zum Beispiel nach Bayern, nach Passau oder nach München, und wird dort in Obhut genommen. Das heißt, er kommt dort in die Kinder- und Jugendhilfe. Dann wird er registriert. Ein großer Teil der Kinder und Jugendlichen, die zu uns kommen, sind zwischen 14 und 17 Jahren alt. Sie haben schon das Ziel, weiterzugehen. Sie wollen also gern zu ihren Familien weiterreisen, weil zum Beispiel der Cousin in Schweden ist. Dann macht er sich auf den Weg, und zwar eigenständig. Dann macht er sich aus der Erstaufnahmeeinrichtung - das sind gerade für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ganz spezielle Einrichtung für diese Kinder und Jugendlichen - auf den Weg und will zum Beispiel Richtung Schweden, setzt sich in einen Zug, kommt in Hamburg an und wird am Bahnhof wieder von der Polizei aufgegriffen oder braucht einen Schlafplatz und geht zu einer Einrichtung. Dann wird er wieder registriert. Das heißt, wir haben mehrere Zählungen. Das könnte man weiter durchspielen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Kinder und Jugendlichen vier oder fünf Mal registriert werden. Deswegen ist es, wie Herr Dimroth gerade gesagt hat, so wichtig, dass man den Datenaustausch verbessert, sodass diese Mehrfachzählungen ausgeschlossen werden.

Nichtsdestoweniger wollen wir klarmachen, dass wir für diese Situation sehr sensibilisiert sind. Denn es ist eben nicht ausgeschlossen, dass Kinder und Jugendliche in die Hände von Kriminellen fallen. Es ist sehr wichtig, dass wir einen besseren Überblick über die Zahlen bekommen. Das ist aber nur das eine.

Wie Sie sicherlich wissen, ist seit November auch ein Gesetz für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Kraft, das die Unterbringung und die Verbesserung der Unterbringung angeht. Darin ist schon festgeschrieben, dass sie, wenn sie an einen anderen Ort gebracht werden, weil dort größere Kapazitäten sind, um sie unterzubringen, von Fachkräften begleitet werden. Denn es ist schon wichtig, dass sie einen Schutz hier in Deutschland haben. Das ist das eine.

Wie ich schon gesagt habe, können wir nicht ausschließen, dass sie in die Hände von Kriminellen fallen. Deswegen arbeiten wir gerade an einem Kooperationskonzept. Ein solches gibt es bereits seit - so meine ich - 2007 für erwachsene Menschenhandelsopfer. Es soll jetzt auch speziell für Kinder und Jugendliche erstellt werden. Das machen wir jetzt auf Bundesebene. Wir sind dazu auch mit den Ländern im Gespräch.

Der letzte zu erwähnende Punkt ist, dass das Bundesfamilienministerium auch der Auffassung ist, dass es sehr wichtig ist, dass der Schutz für Kinder und Jugendliche in den Einrichtungen selber gewährleistet ist. Das gilt auch für jene, die mit ihren Eltern hier sind. Wir haben vorgeschlagen - das wissen Sie sicherlich -, dass es dazu eine bundesgesetzliche Regelung geben muss. Darüber ist die Bundesregierung derzeit in Gesprächen. Soweit die Ergänzung von mir.

Frage: Eine Frage an Herrn Jäger: Der Minister hat Ende der Woche die EZB für den Erfolg der AfD mit verantwortlich gemacht. Wird das jetzt auch ein Thema in Washington zwischen Draghi und dem Minister sein?

Könnten Sie es vielleicht noch einmal einordnen: Wird von der EZB jetzt erwartet, dass sie bei ihrer Geldpolitik Rücksicht auf die politische Lage in Deutschland nimmt?

Jäger: Sie wissen, dass uns die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank ein sehr hohes Gut ist. Wir achten diese Unabhängigkeit im Rahmen des der Bank gegebenen Mandates ausdrücklich. Wenn Sie die Berichterstattung über den von Ihnen erwähnten Auftritt genau studieren, dann werden Sie dort sehr klare Äußerungen des Ministers finden, in denen er diese Unabhängigkeit der Zentralbank verteidigt. Wir müssen und wollen das. Denn es geht unter anderem auf deutsche Initiative damals zurück, dass die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank in der Stärke und Kraft ausgestaltet wurde, wie wir es uns gewünscht haben. Also verteidigen wir sie.

Das von Ihnen erwähnte Zitat bezieht sich auf eine Beschreibung einer innenpolitischen Diskussion in Deutschland und einer in dieser Diskussion geäußerten Vermutung. Das ist eine Tatsache. Auch das ist eine Realität: Es gibt in diesem Land - nicht nur in diesem Land -, in Europa und international eine Diskussion über die Geldpolitik und die Wirkungen der Geldpolitik. Das ist eine legitime Diskussion. Sie muss geführt werden. Das ist aber bitte ausdrücklich nicht mit dem Versuch zu verwechseln, einen direkten Einfluss auf die Geldpolitik und ihre Ausgestaltung nehmen zu wollen. Das tun wir ausdrücklich nicht.

Sie wissen, dass der Bundesfinanzminister und Herr Draghi in einem regelmäßigen Austausch stehen. Ich gehe fest davon aus, dass sich die beiden unter anderem auch diese Woche in Washington wieder sprechen werden.

Frage: Es geht ganz schnell. Ich warte immer noch auf die Nachreichungen vom Landwirtschaftsministerium und dem Auswärtigen Amt, wer die Minister auf ihren Reisen begleitet hat.

Chebli: Sie bekommen sie von uns. Ich kann das gern auch an die große Runde schicken.

Vielleicht zur Erläuterung dessen, was ich vergangene Woche gesagt habe: Wir geben die Listen. Hier tragen wir die Namen nicht einzeln vor, schon gar nicht vorher, weil nicht klar ist, wer am Ende eventuell abspringt und wer am Ende dabei ist. Aber weil bei diesen Reisen oft Journalisten dabei sind, ist das keine Geheimnistuerei, wie Sie uns unterstellen, sondern es ist keine Praxis, dass wir hier einzelne Unternehmen vortragen. Aber wenn Sie Interesse daran haben, bekommen Sie jetzt im Nachgang per Mail die Liste der einzelnen Unternehmen zugesandt.

Zusatzfrage: Mit Namen der Vertreter?

Chebli: Die Liste der einzelnen Unternehmen kann ich Ihnen weiterleiten, ja.

Zusatz: Mit Namen der Unternehmensvertreter?

Chebli: Der Personen, die dabei waren.

Urban: Herzlichen Dank für Ihr großes Interesse an der Iranreise des Bundeslandwirtschaftsministers Schmidt vom vergangenen Wochenende. Da Sie bereits am Freitag großes Interesse bekundet haben, will ich vorab noch ein paar inhaltliche Vorbemerkungen machen, die Sie ebenfalls interessieren dürften.

Bundesminister Schmidt hat konstruktive Gespräche unter anderem mit seinem iranischen Amtskollegen Mahmud Hodschati geführt. Die Reise war ein zentraler Baustein der strukturierten Initiative des Ministers, nach dem Ende der Sanktionen Märkte für deutsche Unternehmen im Iran zu öffnen und den politischen Dialog voranzutreiben.

Der Iran hat bekundet, dass er ein großes Interesse an einer intensiven Zusammenarbeit hat, vor allem im Bereich des Agrar- und Ernährungssektors. Unter anderem haben wir eine Veterinärvereinbarung unterzeichnet, die deutschen Unternehmen den Export von Tieren und Fleisch vereinfacht und die Kooperation Deutschlands mit dem Iran bei der Bekämpfung von Tierseuchen stärkt. Behandelt wurden auch Fragen des Technologietransfers. Insbesondere Fragen der Wasserversorgung und Probleme mit Trockenheit in der Landwirtschaft konnten mit dem Iran besprochen werden. Der Minister hat dort auch ausländische Technologie, unter anderem deutsches, aber auch israelisches Know-how angesprochen.

Ich hatte bereits am Freitag gesagt, dass der Minister von einer Reihe von Verbänden begleitet worden ist, von Spitzenvertretern zum Beispiel vom Deutschen Raiffeisenverband, von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Rinderzüchter, vom Deutschen Bauernverband und dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau. Die Vertreter haben sich - das dürfte Ihnen bei Ihrer Recherche schon aufgefallen sein - teilweise schon medial zur Iranreise des Ministers geäußert, sowohl zu den Erwartungen als auch zu dem bereits Stattgefundenen. Die namentliche Liste würden wir Ihnen nach Prüfung und Rücksprache mit den Einzelpersonen nachreichen.

Zusatzfrage: Rücksprache mit den Personen - was heißt das?

Chebli: Es gibt Datenschutz.

Urban: Ich spreche für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und habe Ihnen gesagt, was der Minister gemacht hat und dass er von Verbänden begleitet worden ist, spreche aber nicht für die einzelnen Verbände.

Montag, 11. April 2016

*

Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 11. April 2016
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/04/2016-04-11-regpk.html;jsessionid=C15FA275881915EE76C85129FBE46968.s5t1
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, 10117 Berlin
Telefon: 030 18 272-0, Fax: 030 18 10 272-25 55
E-Mail: internetpost@bpa.bund.de
Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang