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PRESSEKONFERENZ/1206: Kanzlerin Merkel, Ministerpräsident Davutoglu u.a., 23. April 2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Gaziantep - Samstag, 23. April 2016
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel, Ministerpräsident Davutoglu, EU-Ratspräsident Tusk und EU-Vizekommissionpräsident Timmermanns

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung. Die Übertragung der Übersetzung mancher Teile funktionierte aufgrund technischer Probleme nicht; die Lücken sind mit [...] gekennzeichnet.)


MP Davutoglu: Sehr geehrter EU-Ratspräsident Tusk, Frau Bundeskanzlerin Merkel, sehr geehrter Herr EU-Vizekommissionpräsident Frans Timmermans, sehr verehrte Damen und Herren, sehr verehrte Pressemitglieder, heute ist wirklich ein sehr wichtiger Tag. Heute schaut die ganze Welt auf uns. Wir haben eine Stadt besucht, die eine geschichtliche Mission auf sich genommen hat. Die syrischen Flüchtlinge sind in dieser Region, und wir haben heute die Möglichkeit gehabt, die Stadt mit meinen Amtskolleginnen und Amtskollegen zu besuchen.

An erster Stelle möchte ich mich wieder sehr herzlich für diesen Besuch bedanken. Wir haben heute eine gemeinsame Tagesordnung, und wir behandeln diese Themen. Das ist ein sehr besonderer Tag, wenn wir uns vorstellen, dass wir heute in der Türkei einen Feiertag haben, und zwar geht es um den Tag der Kinder und den Tag der türkischen Souveränität. Heute haben wir mit den Kindern gefeiert. Es gab viele Blumen.

Wir haben die Möglichkeit gehabt, mit meinen Amtskolleginnen und Amtskollegen in Nizip ein Flüchtlingslager zu besuchen, und wir haben vor Ort auch gesehen, wie die Kinder davon betroffen sind. Die Kinder sind, wie bekannt ist, die unschuldigsten Lebewesen der Welt. Es sind eben auch die Kinder, die von diesen Ereignissen am meisten betroffen sind. 152 syrische Kinder sind in der Türkei geboren worden, und viele Kinder warten auf Ausbildungsmöglichkeiten. Da muss ich sagen, dass wir eine humanitäre Perspektive auf uns nehmen müssen. Wir, die EU und die Türkei, haben in Brüssel am 29. November eine Sitzung gehabt, und wir haben Bemühungen vereinbart, die wir angesteuert haben. Wir haben jetzt auch eine große Distanz hinter uns. Einer der wichtigsten Punkte ist, dass im ägäischen Raum keine weiteren Kinder sterben, wie es beim gestorbenen Kind Aylan der Fall war.

Ich möchte des Weiteren Folgendes sagen: Als Regierung der Republik Türkei und auch im Namen Deutschlands und der EU haben wir nur ein gemeinsames Ziel, nämlich diese Tragödie, die die größte nach dem Zweiten Weltkrieg ist, gemeinsam zu behandeln. Da ist es nicht möglich, dass die Türkei oder die EU das alleine bewältigen können. So müssen wir das Ganze gemeinsam behandeln, und wir haben diesbezüglich auch Verantwortung. Wenn wir in diesen humanitären Gegebenheiten nicht zusammenarbeiten, dann werden wir es schwer haben.

In der Türkei haben wir gegenwärtig um die 3 Millionen Flüchtlinge, und wir sind auch das Land, das die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat. In diesem Rahmen haben wir in Gaziantep, in Kilis, in Kahramanmaras, in (akustisch unverständlich) und in Urfa unsere Gäste aus Syrien beherbergt. Von Anfang an haben wir wirklich Opfer gebracht und viel getan, und das möchte ich hier in Gaziantep noch einmal betonen.

Insbesondere in den letzten Tagen gab es in Kilis Waffeneinsätze von ISIS, die ihre Wirkung auf die Stadt Kilis haben. Ich möchte hier noch einmal mein Bedauern in Bezug auf die gefallenen Soldaten, Polizeibeamten und die in Kilis gestorbenen Zivilisten aussprechen. Auf der einen Seite haben wir den Druck der syrischen Regierung, und auf der anderen Seite haben wir die Terroraktivitäten der (akustisch unverständlich), der YPG und von ISIS. Es ist sehr wichtig, dass wir eine Antwort finden werden, und die Türkei wird wieder ihre Ruhe finden. Die Antwort wird also auf jeden Fall gegeben werden.

Wir sind heute zusammengekommen. Wir waren zuerst in Nizip. Wir haben dieses Flüchtlingslager besuchen können. Danach haben wir im Rahmen eines EU-Projekts in Gaziantep ein Kinderzentrum gemeinsam eröffnen können. Nun haben wir die Gelegenheit, vor Ihnen sprechen zu können.

Wir haben natürlich im Rahmen dieses Treffens noch einmal unsere Bemühungen und Arbeiten behandelt und diskutiert. Seit dem 29. November haben wir verschiedene Treffen gehabt, drei Gipfeltreffen. Frau Merkel war vier Male hier und Herr Tusk drei Male. Wir haben uns wöchentlich ausgetauscht und in Bezug auf diese Perspektive gearbeitet.

Es sind nun fünf Monate vergangen, und wir haben wirklich schon einen sehr langen Weg hinter uns. Wir haben noch im letzten Jahr, im Monat November, täglich 6000 Flüchtlinge gehabt, die durch das Ägäische Meer geflüchtet sind. Nachdem dieser Mechanismus aufgenommen wurde, ist diese Zahl jetzt auf täglich 130 gesunken. Es ist sogar so weit, dass an manchen Tagen überhaupt keine Flüchtlinge dieses Meer überqueren. Wir haben es durch diesen Mechanismus wirklich geschafft, dass die Flüchtlingszahl rapide gesunken ist. Wir haben mit Griechenland und mit Deutschland zusammengearbeitet. Ich möchte mich noch einmal recht herzlich bei allen Akteuren bedanken. Unser Ziel ist natürlich, dass Kleinkinder und Babys wie Aylan dort nicht mehr sterben. Ich hoffe, dass wir diese Zahlen in den nächsten Tagen noch weiter werden senken können.

Es ist auch wichtig, dass wir diese illegale Flüchtlingswelle, wenn schon, dann in eine legale Migration umwandeln. Es ist wichtig, dass wir die Schleuser diesbezüglich bekämpfen. Auch in diesem Zusammenhang haben wir vieles erreicht: 105 Flüchtlinge wurden nach Europa geschickt, und um die 200 Flüchtlinge wurden von den griechischen Inseln zurückgeschickt.

Ich möchte hier noch einmal Folgendes betonen: Die Türkei ist nicht ein Land, das in Bezug auf die Flüchtlinge erprobt werden kann. Wir haben unsere Aufgaben erfüllt. Es gibt natürlich auch Organisationen wie zum Beispiel Amnesty International, und sie verbreiten und veröffentlichen einige Berichte, in denen gesagt wird, dass Flüchtlinge wieder nach Syrien geschickt werden. Ich möchte hier ganz offen betonen, dass keine einzige Person gegen ihren Willen nach Syrien zurückgeschickt worden ist. Das machen wir nicht. Unser Ansatz und unser Verhalten sind hier ganz klar. Es sind viele Spekulationen vorgenommen worden, aber wir haben den Weg unserer humanitären Verhaltensweise nicht verlassen. Wir haben auch alle Maßnahmen ergriffen, um alle unmenschlichen Verfahren abzuschaffen.

Wir haben, wie gesagt, des Weiteren auch Erfolg damit gehabt, dass wir in Bezug auf diese Flüchtlingspolitik mit internationalen Gruppen und Organisationen Hand in Hand arbeiten. Unsere Teams arbeiten zusammen. Wir verwalten diese Mechanismen zusammen. Es ist für uns sehr wichtig, dass keine illegalen Vorgehensweisen auftreten. Alle Befugten und Zuständigen in Griechenland und in der Türkei arbeiten zusammen.

Wir haben natürlich auch den Entschluss gefasst, die Last zu teilen. Es wurde ja gesagt, dass im Rahmen dieser Lastenteilung auch bestimmte Zahlungen erfolgen sollen, und nachdem diese Bearbeitung den Rahmen der Mechanismen in Europa durchlaufen hat, ist dieser Betrag auf 6 Milliarden Euro erhöht worden. Hierbei geht es um die menschliche Unterstützung, und es ist wichtig, dass die Implementierung jetzt auch durchgeführt wird. Wir machen das hier direkt vor Ort in Gaziantep, nachdem wir dieses Flüchtlingslager gesehen haben, nachdem wir uns mit den Menschen vor Ort unterhalten haben. Die EU hat heute auch die ersten Schritte durchgeführt, um die Fonds jetzt auch freizugeben. Ausführliche Informationen werden wir sicherlich von unseren Freunden aus der EU erhalten.

Es ist wichtig, dass jede Partei und jeder Akteur hierbei wirklich die eigene Verantwortung übernimmt und auch die Umsetzung durchführt. Ich kann Ihnen hier ohne Weiteres sagen, dass wir all unsere Aufgaben seit diesem Gipfeltreffen durchgeführt haben. Auch in Bezug auf die Visa-Liberalisierung sind wir jeglicher Verantwortung gerecht geworden. Die EU wird auch in diesem Rahmen ihre Schritte unternehmen, und das ist, glaube ich, fest.

In diesem Rahmen haben wir auf der einen Seite dieses Drama um den Menschen, und auf der anderen Seite haben wir eine proaktive gemeinsame Strategie mit der EU. Die wird auch realisiert. Es wird viel getan. Hierbei ist es sehr wichtig, dass zusammen mit dem Rückführungsabkommen im Monat Juni die Visa-Liberalisierung durchgeführt werden wird. Das ist für die Türkei essenziell. Wir werden auch sehen, dass wir in den nächsten Tagen in unserem Parlament auch sonstige Maßnahmen ergreifen und verabschieden werden. Wir erwarten natürlich von der EU, dass diese Schritte auch gegenseitig durchgeführt werden.

Im Monat Juni haben wir die Bemühung, dass das Kapitel 33 eröffnet werden soll. Es wird zwischen den Ministern und der EU-Kommission zum Beispiel auch um die Aktualisierung der Zoll-Gegebenheiten und wirtschaftlicher Gegebenheiten gehen. Auch TTIP wird zum Beispiel gemeinsam behandelt werden.

Wie Sie sehen, haben wir eine Zusammenarbeit mit der EU, und wir versuchen, Schulter an Schulter durch diese menschliche Krise durchzukommen. In diesem Prozess haben sich alle Akteure wirklich sehr bemüht. Ich möchte mich hier noch einmal recht herzlich bei unseren Amtskollegen bedanken. Auch Herr Tusk hat im Rahmen seiner Präsidentschaft wirklich sehr gut gearbeitet und uns unterstützt. Wir haben oft telefoniert. Wir haben uns getroffen, in Ankara und auch in Brüssel, und wir haben stets versucht, alle Einschränkungen - - -

Frau Merkel hat durch ihre Führung wirklich vieles erreicht. Sie wurde in Deutschland viel und heftig kritisiert, aber auch in der Türkei haben wir diesen Fakt gehabt, dass wir kritisiert wurden, weil wir eben diese menschliche Haltung gezeigt haben. Aber die Geschichte wird das in wirklich goldenen Buchstaben aufnehmen und es zeigen. Es gab viele Kritiker, die zum Beispiel in Bezug auf die syrischen Flüchtlinge Politik gemacht haben. Ich war gestern in Konya und habe in diesem Rahmen gesagt, dass wir wirklich Frieden im Balkan-Raum und im Mittleren Osten stiften wollen. Auch Mevlana kam ja damals als Flüchtling in diese Region und hat Frieden gestiftet. Auch Frau Merkel hat das übernommen. Sie hat die humanitäre Aufgabe in Europa auf sich genommen. Wir haben wirklich stets Kontakte gehabt. Manchmal haben wir gesimst. Wir haben in den letzten fünf Monaten wirklich viel erreicht und sind jetzt dabei, wirklich Stolz darauf zu empfinden, dass wir in diesen fünf Monaten vieles gemeinsam erreicht und umgesetzt haben. Als Herr Timmermans noch Außenminister in den Niederlanden war, haben wir natürlich auch viele Gespräche geführt, und die Teams haben Tag und Nacht zusammengearbeitet, so auch jetzt während der EU-Präsidentschaft. [...]

Auf den letzten drei Gipfeltreffen seit November haben wir viel gearbeitet, und ich habe Folgendes gesehen, sei es in Ankara, in Brüssel oder in Berlin: Es herrscht im Augenblick ein sehr starker politischer Willen. Wir pflegen eine gute Zusammenarbeit. Ich möchte Sie abschließend noch einmal recht herzlich begrüßen und willkommen heißen. Herzlich willkommen in Gaziantep in der Türkei!

P Tusk: Zunächst möchte ich dem Ministerpräsidenten, Herrn Davutoglu, für die Einladung nach Gaziantep danken. Wir haben uns am 18. März das letzte Mal in Brüssel getroffen, als wir eine sehr ehrgeizige Vereinbarung zwischen der Europäischen Union und der Türkei abgeschlossen haben. Das Ziel dieser Vereinbarung ist, die irreguläre Migration zu unterbinden und die Möglichkeiten für Flüchtlinge, Asyl in Europa zu finden, wieder auf reguläre Wege zu bringen.

Nach einer Reihe von Maßnahmen, die wir gemeinsam mit den Staaten des westlichen Balkans, mit Griechenland und anderen geleistet haben, um unsere Unterstützung für Flüchtlinge und die Aufnahme in Drittländer zu verstärken, lässt sich heute sagen, dass wir die Ergebnisse unserer Maßnahmen sehen. Seit der Vereinbarung im März haben wir gesehen, dass die illegalen Flüchtlingsströme über die Ägäis deutlich abgenommen haben. Unsere Rückführungs- und Rückübernahmemaßnahmen funktionieren. Im Gegenzug siedeln wir syrische Flüchtlinge aus der Türkei um. Wir befinden uns also auf dem Weg von der illegalen Migration zur legalen Migration. Das ist sicherlich ein sehr komplexes Unterfangen, und vieles bleibt dabei auch noch zu tun. Aber heute hatten wir die Gelegenheit zu einer Diskussion mit dem türkischen Ministerpräsidenten über die bevorstehenden Schritte, die noch zu ergreifen sein werden.

Ich hatte außerdem die Gelegenheit, mir noch einmal die Lage der syrischen Flüchtlinge in der Türkei genauer anzusehen. Ich freue mich darüber, dass ich heute nicht nur das Lager Nizip I besuchen konnte, sondern auch das Kinderschutzzentrum in Gaziantep offiziell eröffnen konnte. Eine Reihe von anderen Projekten wird zurzeit auch im Rahmen der europäischen Flüchtlingsfazilität in der Türkei umgesetzt. Wir haben die Auszahlung der Mittel im Rahmen dieser Fazilität beschleunigt.

Über diese Zusammenarbeit im Rahmen von Fragen zur Migrationskrise hinaus haben wir die bilateralen Beziehungen einer Prüfung unterzogen. Wir haben die Beschleunigung der Roadmap für die Visa-Liberalisierung ins Auge gefasst. Die Türkei hat gute Prozesse und Fortschritte erzielt. Wenn die Türkei alle festgelegten Bedingungen erfüllt, dann werden wir hier wichtige Schritte weitergehen können.

Das wichtigste Thema bei unseren heutigen Gesprächen wird sicherlich die Krise in Syrien sowie die Herausforderungen sein, die wir sehen, wenn es darum geht, die Friedensverhandlungen wieder in Gang zu bringen. Die Verhinderung des Zugangs humanitärer Hilfe ist eine zynische Maßnahme. Gleichzeitig sind Verhandlungen der einzige Weg, um das Blutvergießen zu beenden.

Ich möchte abschließend dem türkischen Premierminister noch einmal nicht nur für die Einladung hierher danken, sondern auch für Ihre Entschlossenheit und Ihr persönliches Engagement. Erlauben Sie mir, noch hinzuzufügen, dass die Türkei - das ist jetzt nicht nur eine politische, formale Einschätzung, sondern auch meine persönliche Meinung, auch nach dem Besuch, den wir heute persönlich abgestattet haben - heute das beste Beispiel für die Welt ist, wenn es darum geht, wie wir insgesamt mit Flüchtlingen umgehen sollten. Keiner hat das Recht, belehrend auf die Türkei einzuwirken, wenn es darum geht, wie man sich in diesen Fragen richtig verhält. Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam erfolgreich sein werden, und es bleibt uns auch gar nichts anderes übrig.

MP Davutoglu: Ich möchte Ihnen noch gratulieren. Gestern hatte Herr Tusk Geburtstag, und daher möchte ich alles Gute für die nächsten Jahre wünschen. - Nun möchte ich das Wort Frau Bundeskanzlerin Merkel geben.

BK'in Merkel: Sehr geehrter, lieber Ahmet Davutoglu, sehr geehrte Gäste, ich möchte mich für die Gastfreundschaft bedanken, ganz besonders auch bei der Bürgermeisterin und den Verantwortlichen vor Ort in Gaziantep.

Wir haben heute die Möglichkeit gehabt, einen Teil des EU-Türkei-Abkommens einmal sehr praktisch in Augenschein zu nehmen und gleichzeitig zu schauen, was die Türkei an Anstrengungen unternimmt, um 3 Millionen syrische Flüchtlinge nicht nur zu beherbergen, sondern ihnen auch Chancen einzuräumen. Die EU hat ja in ihrem Abkommen mit der Türkei das Prinzip der besseren Lastenteilung vereinbart. Wir wollen, dass die Flüchtlinge nicht illegale Wege gehen müssen. Wir wollen also nicht einfach nur die illegale Migration stoppen. Das ist unser Ziel, aber wir wollen sie nicht so stoppen, dass wir die Menschen sozusagen einfach nur daran hindern, diesen gefährlichen Weg zu gehen, sondern sie sollen auch mehr Chancen in der Nähe ihrer Heimat haben. Dem dient eben auch die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Türkei.

Dass wir heute gerade am Tag der Kinder hierhergekommen sind, hat einen symbolischen Wert. Wir haben das Camp Nizip besucht, in dem Kinder und Familien eine Aufnahme gefunden haben, in dem Kinder auch eine Ausbildung bekommen, in dem Kinder lernen können und in dem sich Menschen auch neue Fähigkeiten erarbeiten können. Das, was dort geschieht, war sehr beeindruckend. Aber das umfasst ja nur 10 bis 15 Prozent der Flüchtlinge, und viele andere leben außerhalb solcher Camps. Hier setzen die Projekte der Europäischen Union an, die wir fördern wollen. Da haben wir heute das erste Projekt einweihen können, das von UNICEF geführt wird, und wo wir auch mit syrischen Flüchtlingen sehr spezifische Probleme besprechen konnten, darüber, was sie bewegt, darüber, was sie schon geschafft haben, und darüber, was sie noch schaffen wollen.

Zur Dimension allein in einer solchen Stadt: Hier sind 370 000 Flüchtlinge, davon 107 000 Kinder. Ein großer Teil dieser Kinder bekommt bereits eine Schulausbildung. In zwei Schichten wird in den Schulen gearbeitet. Ein Punkt ist eben die Bildung, an dem wir mit unserer EU-Türkei-Fazilität beziehungsweise mit dem Geld, das wir geben, ansetzen wollen. Wir wollen, dass möglichst bald alle Kinder eine Schulausbildung bekommen können. Jeder weiß, wie wichtig das ist. Es gibt viele traumatisierte Eltern, es gibt Waisen, es gibt viele Kinder mit Behinderungen. Hier gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten für uns, sinnvolle und gute Projekte zu machen. Ich bin sehr froh, dass die Europäische Kommission jetzt auch mit großer Geschwindigkeit neue Projekte identifiziert hat.

Was wichtig war, ist, einfach einmal zu erleben, wie Menschen uns dann auch aus ihrem praktischen Leben erzählen und berichten. Ich glaube, hier ist auch von besonderer Bedeutung gewesen, dass die Türkei als einem der Ergebnisse des Abkommens mit der EU im Gegenzug dafür, dass sie mehr Hilfe erhält, auch die Erteilung einer Arbeitserlaubnis für syrische Flüchtlinge eröffnet hat. Das ist ein Riesenschritt nach vorne, weil damit auch die syrischen Flüchtlinge neue Möglichkeiten haben. Dass das nicht ganz einfach ist, kann man sich auch vorstellen; denn wenn es irgendwo Arbeitslosigkeit gibt und dann noch so viele Flüchtlinge kommen, die arbeiten wollen, dann ist das in jedem Land ein Diskussionspunkt. Deshalb war das aus meiner Sicht ein sehr mutiger Schritt.

Wir haben darüber gesprochen, dass syrische Flüchtlinge in der Türkei willkommen sind, weil sie vor Krieg und fürchterlichen Auseinandersetzungen fliehen. Mit 3 Millionen hat die Türkei hier den Beitrag übernommen, der von allen Ländern der allergrößte ist. Deshalb ist es aus meiner Sicht absolut wichtig, dass auch die Europäische Union hier ihrer Verantwortung gerecht wird. Deutschland als Mitgliedsland der Europäischen Union tut das gerne.

Wir haben die Gelegenheit natürlich genutzt, um auch über all die Facetten der Umsetzung der Bekämpfung der illegalen Migration zu sprechen, und wir haben hierbei wirklich deutliche Fortschritte erzielt. Wir werden weiterhin im Gespräch bleiben. Für Deutschland kann ich sagen: Wir werden natürlich auch unsererseits die Verpflichtungen einhalten. Insofern war dies heute für mich jedenfalls ein sehr praktischer Einblick in das, was geleistet wird und was hier auch an Aufgaben auf die Städte zukommt. Deshalb, glaube ich, ist unsere EU-Türkei-Fazilität sehr gut angelegt.

Noch einmal herzlichen Dank an alle, die uns hier freundschaftlich beherbergt und begleitet haben. Für mich war es wichtig, einfach auch einmal ein Stück weit die Praxis zu sehen.

VP Timmermanns: [...]

MP Davutoglu: [...]

Frage: Meine erste Frage geht an den Herrn Ministerpräsidenten. Sie haben ja über die Visa-Liberalisierung gesprochen und gesagt, dass das essenziell sei. Aber wir sehen, dass von einigen Staaten gesagt wird, ab Juni werde das nicht möglich sein. Kann es sein, dass das dazu führen wird, dass einige Abkommen verändert werden?

Die zweite Frage geht an Frau Merkel. Es wurde ja vom türkischen Außenminister gesagt, dass es Probleme in Bezug auf die Freigabe dieser Mittel gebe. Meine Frage ist: Wie werden dieses Mittel in die Türkei fließen? Wie werden sie an die syrischen Flüchtlinge weitergeleitet?

MP Davutoglu: [...]

P Tusk: [...]

BK'in Merkel: Die Frage, die an mich gerichtet war, könnte, glaube ich, besser von Frans Timmermans beantwortet werden, weil er als Vertreter der Europäischen Kommission ja genau weiß, wie die Mittel vergeben werden und wie die Projekte auch erarbeitet werden.

Ich will nur für Deutschland als Mitgliedsland sagen: Wir werden selbstverständlich das Geld zur Verfügung stellen, das ja zum Teil von der Europäischen Kommission, also von Europa kommt, weil es Geld aus dem europäischen Haushalt ist. Aber 2 Milliarden Euro dieses Gelds kommen auch aus den Mitgliedstaaten. Alle Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, in diese Fazilität einzuzahlen, und Deutschland wird das natürlich tun, weil das Geld für die Projekte für syrische Flüchtlinge ist.

VP Timmermanns: [...]

MP Davutoglu: [...]

Frage: Ich würde gerne zwei kurze Fragen stellen, wenn ich darf. Die erste wäre an die Frau Bundeskanzlerin und Ministerpräsident Davutoglu: Denken Sie denn beide, dass türkische Staatsbürger vom Sommer an ohne Visum in die EU reisen dürfen, oder gibt es da vielleicht noch Probleme?

Die zweite kurze Frage wäre: Frau Bundeskanzlerin, wie sehen Sie denn aktuell die Situation der Menschenrechte, der Pressefreiheit, der Meinungsfreiheit in der Türkei? Wenn der Ministerpräsident dazu auch noch etwas sagen will, dann würde ich mich sehr freuen.

BK'in Merkel: Wir haben ja die Visa-Freiheit ab Ende Juni als Teil des EU-Türkei-Abkommens. Wir haben gesagt, dass die Türkei natürlich die Bedingungen erfüllen muss. Das sind noch 72 Projekte gewesen, die umgesetzt werden müssen, und wir haben heute auch über einige Aspekte gesprochen. Die Kommission wird am 4. Mai einen Bericht dazu vorlegen, und ich habe die Absicht, dass wir uns an die Verabredungen halten - natürlich vorausgesetzt, dass die Türkei die entsprechenden Ergebnisse auch liefert. Da stehen wir in einem sehr engen Kontakt, die Kommission, aber auch Deutschland. Unsere Innenministerien stehen in einem sehr engen Kontakt, weil wir die Sorgen und die Befürchtungen, die wir haben, natürlich auch sehr offen miteinander diskutieren. Wir wollen nämlich auf der einen Seite die Sicherheit garantieren und auf der anderen Seite auch diese Zusage der Visa-Freiheit einhalten.

Ich will noch einmal daran erinnern: Es war eh verabredet, dass diese Visa-Freiheit im Oktober eingeführt wird. Im Juni sollte das Rückführungsabkommen zwischen der EU und der Türkei für Drittstaatsangehörige gelten. Die Türkei hat jetzt sehr viel früher diese Rückführung nicht nur von Drittstaatsangehörigen aus Griechenland, sondern eben auch von Flüchtlingen akzeptiert, und im Gegenzug lautete die Verabredung, von Oktober jetzt auf Ende Juni zu gehen. Ein völlig neues Projekt ist das also sowieso nicht, sondern es ist eines, das wir schon lange auf der Agenda hatten.

Was die Fragen der Pressefreiheit, der Meinungsfreiheit und der Entwicklung insgesamt anbelangt, so wird ja immer wieder die Sorge geäußert, wir würden über solche Themen nicht mehr sprechen, weil wir jetzt in eine bestimmte Abhängigkeit von der Türkei geraten sind und es uns deshalb sozusagen nicht mehr zutrauen, das tun zu können. Ich darf Ihnen versichern: Allein die Tatsache, dass wir so oft miteinander sprechen - sehr viel öfter als früher -, führt natürlich dazu, dass wir all diese Themen ansprechen und auch über all diese Themen reden. Ich glaube im Übrigen, dass das EU-Türkei-Abkommen etwas ist, das auf Gegenseitigkeit beruht. Es gibt gute Gründe, aufgrund derer auch die Türkei möchte, dass die Beziehungen zur Europäischen Union enger sind - denn man kann, glaube ich, darin auch aus der türkischen Sicht etwas Positives sehen -, genauso, wie es für uns gute Gründe gibt, die illegale Migration zu stoppen und hier auch eine Lastenteilung durchzuführen.

Wenn es Fälle gibt, die die Pressefreiheit betreffen - ob es um die Akkreditierung von Journalisten oder, worüber wir heute gesprochen haben, den Fall des ARD-Reporters geht, der uns auch beschäftigt hat -, dann wird das angesprochen, dann wird das auf den Tisch gelegt, dann können wir darüber auch sehr offen und ehrlich sprechen. Das heißt nicht, dass man in allem sofort und zu 100 Prozent einer Meinung ist, aber es kommt auch mit Mitgliedstaaten der Europäischen Union vor, dass man nicht immer einer Meinung ist; dazu könnte ich viele Dinge sagen. Bis jetzt, kann ich nur sagen, haben diese Gespräche dazu geführt, dass wir mehr Fortschritte erzielt haben, als wenn wir nicht miteinander reden würden, und ich glaube, das wird auch weiterhin die Basis bleiben.

Dass Werte wie Pressefreiheit, wie Meinungsfreiheit für uns unverzichtbar sind, haben wir auch in unseren Schlussfolgerungen und auch in den Gesprächen mit dem Ministerpräsidenten auf dem Europäischen Rat immer wieder betont, und das setzen wir dann auch in konkrete Fällen um.

MP Davutoglu: [...]

Frage: [...]

BK'in Merkel: Wir tun ja alles, damit der Prozess, wieder zu einem Frieden in Syrien zu kommen, vorankommt, und das, was ich heute hier von den Menschen gehört habe, zeigt mir auch, dass viele in ihre Heimat zurück wollen. Sie sitzen nur wenige Kilometer von dieser Heimat weg und können trotzdem nicht hin. Das ist ein sehr trauriges Gefühl. Das wird uns auch anspornen, den politischen Prozess noch weiter voranzubringen.

Wir wollen, dass diese Friedensgespräche unter der Führung von Herrn de Mistura fortgesetzt werden. Wir haben leider erleben müssen, dass die Waffenruhe jetzt nicht eingehalten wurde und dass die Bombardierungen durch die Assad-Seite wieder aufgenommen wurden. Wir wissen, dass auch Kilis vonseiten des IS unter Druck ist, und auch ich möchte mein tiefes Mitgefühl mit all denen beteuern, die dort Opfer zu beklagen haben. Das sind unhaltbare Zustände. Auch das zeigt die Dringlichkeit, voranzukommen. Aber das heißt natürlich auch, dass alle Seiten kompromissbereit sind. Es kann nicht so weitergehen, wie es heute in Syrien ist. Deshalb muss die Opposition natürlich so in diese Gespräche einbezogen werden, dass auch entsprechende Veränderungen in Syrien stattfinden; denn ansonsten wird es dort keinen Frieden geben können.

Deutschland ist bei denen mit dabei, die sich für diesen Frieden einsetzen. Es gibt eine sehr enge Kooperation zwischen Russland und den Vereinigten Staaten. Es gibt viele Akteure, die hierbei eine Rolle spielen. Die Gespräche sind kompliziert, aber wir werden alles tun, um sie voranzubringen.

Bis dahin habe ich mich immer wieder - auch in Gesprächen mit dem Ministerpräsidenten - dafür eingesetzt, dass wir Gebiete schaffen, die unter besonderem Schutzes des Waffenstillstandes stehen und in denen man möglichst viele Sicherheiten bieten kann. Das muss eine vorrangige Position auch bei den Verhandlungen für einen Waffenstillstand innehaben. Solche Gebiete kann man ja sehr einfach an der türkisch-syrischen Grenze identifizieren. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass darauf möglichst viel Kraft verwendet wird. Je sicherer sich die Menschen fühlen können, umso weniger müssen sie ihre Heimat verlassen. Deswegen messen wir dem eine besonders große Bedeutung bei.

MP Davutoglu: [...]

Frage: [...]

P Tusk: [...]

MP Davutoglu: [...]

Samstag, 23. April 2016

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel, Ministerpräsident Davutoglu,
EU-Ratspräsident Tusk und EU-Vizekommissionpräsident Timmermanns in Gaziantep, 23.04.2016
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/04/2016-04-24-pk-merkel-tuerkei.html;jsessionid=231F677B960E9B1D6695218C987DD9EE.s7t1
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2016

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