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PRESSEKONFERENZ/1246: Zum 7. Zukunftsgespräch der Bundeskanzlerin mit Sozialpartnern, 23.06.2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Schloss Meseburg - 23. Juni 2016
Pressekonferenz zum 7. Zukunftsgespräch der Bundeskanzlerin mit Sozialpartnern

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesminister Sigmar Gabriel, Reiner Hoffmann (DGB), Eric Schweitzer (DIHK)


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, schön, dass Sie den Weg aufs Land gefunden haben. Wir haben heute unsere siebente Konferenz zu Fragen der Zukunft. Auch heute war es wieder eine sehr interessante Diskussion. Wir haben uns zum einen mit dem Thema "Gut leben" beschäftigt: Was interessiert die Bürgerinnen und Bürger, und welche Indikatoren müssen wir aufsetzen, um das zu einer längeren Beobachtung zu bringen?

Es war recht interessant, dass uns Professor Wagner sagen konnte, dass die größte Präferenz für den Indikator Gesundheit besteht, dann aber Themen wie Familie, Arbeit, soziale Toleranz und Friede und Freiheit sowie der Faktor Zeit ganz vorn stehen. Das merken wir auch in der politischen Gestaltung immer mehr. Welches sind die Prioritäten der Menschen? - Sie wollen eben auch über ihre Zeit selber verfügen, gerade auch beim Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Wir haben festgestellt, dass Dinge, die in die Zukunft reichen - also zum Beispiel das Thema Innovation -, nicht so hoch auf der Tagesordnung steht, obwohl wir wissen, dass die Arbeit der Zukunft sehr davon abhängt, ob wir innovativ sind und mit den Innovationen richtig umgehen können. Da war es gut, dass uns Herr Bornschein einen Einblick in die disruptiven Elemente, wie man heute sagt, gegeben hat, also in das, was sich in der Arbeitswelt qualitativ verändert und verändern wird.

Wir haben uns auch die Frage gestellt, was gestaltet werden muss. Die Tarifpartner und die Politik haben natürlich jeweils ihre Rolle: Wie sieht es mit sozialer Absicherung aus, wie sieht es mit der Frage der Arbeitszeitgestaltung aus? Für uns als Politiker - das will ich ins Zentrum stellen - stehen natürlich auch die Fragen: Welche strategischen Fähigkeiten müssen wir bei uns behalten? Wie müssen wir uns gegen Cyberangriffe schützen, Stichwort "Cybersecurity"? Wie müssen auch Unternehmen auf ihre Sicherheit achten? Daneben gibt es die Fragen, die wir in der Bundesregierung eigentlich täglich bearbeiten: Wie bauen wir die richtige Infrastruktur für die neuen Modelle der Arbeit und der Wertschöpfung in der digitalen Zeit?

Insgesamt dient diese Runde hier einem Austausch. Wir arbeiten die Themen dann nach und haben auch heute zu Beginn darüber gesprochen, was wir tun können, um die Tarifbindung zu verstärken, und was die Attraktivität von Tarifverträgen ausmacht.

Ich will ein kleines Beispiel nennen: Das Thema Leiharbeit und Werkverträge haben wir jetzt so gelöst, dass Betriebe, die einer tarifvertraglichen Bindung unterliegen, mehr Flexibilität bekommen als die, die eine solche tarifvertragliche Bindung nicht haben. Ich denke, das kann ein Einstieg unter mehreren sein, um Tarifverträge attraktiv zu machen und dem Trend, dass Tarifbindung für die Beschäftigen abnimmt, etwas entgegenzusetzen. Das hätte ich sehr gern, weil diejenigen, die etwas von der Sache verstehen, in der Regulierung meist besser und präziser agieren können, als wenn wir von der Politik es für alle gleichermaßen machen müssen. Aber da, wo tarifvertragliche Bindungen das nicht mehr erreichen, ist eben auch politisches Handeln notwendig - Stichwort "Mindestlohn".

Wir werden beim Abendessen noch über die Themen Flüchtlinge und Europa sprechen. Es ist also, wie immer, eine volle Tagesordnung.

BM Gabriel: Vielen Dank. Es war wirklich eine spannende Diskussion. Sie können daran sehen, wie sehr sich die Entwicklung in Deutschland in den letzten 10 oder 15 Jahren verändert hat. Vor 10 oder 15 Jahren war es modern, darüber zu sprechen, wie man tarifvertragliche Bindungen des Flächentarifvertrags lockert, wie wir von kollektiven Arbeitsverträgen wegkommen. Wir haben in Deutschland eher die Tendenz zur Reduzierung der Bedeutung von Tarifverträgen diskutiert.

Heute ist das Gegenteil der Fall. Wir merken, wie viel Stabilität und Sicherheit tarifvertragliche Regelungen bringen. Aber vor allen Dingen merken wir, wie gut Arbeitgeber und Gewerkschaften die alltägliche betriebliche Praxis beurteilen können - jedenfalls besser und konkreter, als das dem Gesetzgeber häufig möglich ist. Deswegen gibt es eine Renaissance der Tarifverträge und der Sozialpartnerschaft - nicht nur aus den Erfahrungen der Finanzkrise heraus, sondern auch mit Blick darauf, welche Herausforderungen wir in Zukunft zu bewältigen haben. Heute sind einmal die Zahlen genannt worden, wie viele Zigtausende von gesonderten Tarifverträgen wir haben. Wir als Gesetzgeber wären gar nicht in der Lage, die darin geregelten Arbeitsbeziehungen in Deutschland allgemein per Gesetz zu regeln.

Neben all den unglaublichen Vorteilen, die die Digitalisierung bringt - man muss das am Anfang einer kritischen Debatte immer noch einmal erwähnen, damit es nicht so aussieht, als hätten wir nur Schwierigkeiten damit -, neben allen positiven Effekten haben wir die Tendenz, die bereits existierende Polarisierung am Arbeitsmarkt zu verstärken, dass es nämlich einige gibt, die unglaublich gefragt sind und exzellente Arbeitsbedingungen haben, und andere, bei denen das nicht mehr der Fall ist. Es gibt ein Unternehmen, eine Online-Plattform, die zehn Millionen Freelancer beschäftigt - zehn Millionen! - und sie an vier Millionen Nutzer vermittelt. Es ist überhaupt nicht mehr unter Kontrolle, unter welchen Arbeits- und Entlohnungsbedingungen und bei welchen Arbeitszeiten dort gearbeitet wird. Was bedeutet das eigentlich für die Zukunft von Arbeitsbeziehungen?

Flexibilität ist auf der einen Seite die Chance der Digitalisierung - übrigens nicht nur für Arbeitgeber, sondern auch für Arbeitnehmer -, den Bedürfnissen nachzukommen. Es war auch ein Thema in der Untersuchung "Gut leben", dass man Arbeiten und Leben besser miteinander vereinbaren kann. Aber auf der anderen Seite stellt sich eben auch die Frage, wie wir sicherstellen, dass das Ganze nicht zu einem neuen Modell zur Flucht aus Sozialbeiträgen, zur Flucht aus dem Kündigungsschutz oder zur Flucht aus der Verlässlichkeit am Arbeitsplatz wird.

Ein zweites Thema, das wir am Ende noch diskutiert haben, was natürlich auch zu guter Arbeit und zu gutem Leben gehört, ist die Frage der guten Entlohnung, vor allen Dingen einer gleichen Entlohnung der gleichen Arbeit für Männer und Frauen. Zu Recht wird es als eines der großen Defizite unserer Gesellschaft in Deutschland bezeichnet, dass wir einen so großen Unterschied in der Bezahlung von Frauen und Männern haben.

Es geht um Betreuung, damit beispielsweise Alleinerziehende nicht zur Arbeitslosigkeit verdammt werden. Es geht um das Rückkehrrecht auf Vollzeit. Es geht um die Ausbildung: Wir reformieren in der Alten- und Krankenpflege gerade eine Ausbildung, was dazu führt, dass wir zum Teil endlich auch schulische Berufe in das Berufsbildungsgesetz hineinnehmen, damit es eine Ausbildungsvergütung gibt, damit es eine ganz normale Ausbildung nach Berufsbildungsgesetz gibt, aber am Ende eben auch Transparenz in der Entlohnung.

Gleiche Arbeit von Frauen und Männern gleich zu bezahlen, ist zuallererst eine Gerechtigkeitsaufgabe. Es ist eine schreiende Ungerechtigkeit, dass das nicht erfüllt ist. Es ist aber auch eine ökonomische Herausforderung. Denn wir wären doch dumm, wenn wir exzellent ausgebildete Frauen - jedes Jahr verlassen mehr Frauen die deutschen Schulen mit exzellenten Schulnoten und mehr Frauen die deutschen Universitäten mit besseren Uniabschlüssen - hinterher in Staat und Gesellschaft nicht wiederfinden. Ich habe einmal gesagt, dass selbst der größte Chauvi, wenn er etwas von Ökonomie verstehen will, eigentlich wissen müsste, dass das eine falsche Entwicklung ist, der man entgegensteuern muss. Es ist also ein Gerechtigkeits-, aber auch ein Ökonomiethema.

Ich habe mich darüber gefreut, dass die Gewerkschaften und die Arbeitgeber das heute aufgegriffen haben und vielleicht der Politik Möglichkeiten eröffnen, durch ihre Gespräche mit Frau Schwesig und mit uns zu einer Lösung oder zu Fortschritten zu kommen. Jetzt und hier eine Lösung zu erwarten, ist, denke ich ein bisschen viel des Guten. Es wird ein bisschen dauern, bis wir Dinge, die sich so lange eingebürgert haben, wieder in den Griff bekommen. Aber wir können zu Fortschritten kommen. Ich fand es eine ausgesprochen ermutigende Diskussion am Ende des ersten Teils unserer Tagung.

Hoffmann: Meine Damen und Herren, ich kann vieles des Gesagten bestätigen. In der Diskussion haben wir festgestellt, dass gutes Leben natürlich immer auch mit guter Arbeit zusammenhängt. Menschen brauchen Sicherheit, brauchen stabile Arbeitsverhältnisse und stabile Einkommen. Das sind Voraussetzungen für gutes Leben.

Wir erleben gerade, dass sich die Arbeitswelt in einem rasanten Umbruch befindet. Die Frage, die als Herausforderung für die Sozialpartner - Arbeitgeber und Gewerkschaften -, aber auch für die Politik besteht, ist: Wie gestalten wir diese Umbrüche, auch um eben nicht nur Flexibilität für die Unternehmen zu garantieren, sondern vor allen Dingen auch Sicherheit für die Menschen? Denn Sicherheit ist wiederum Voraussetzung für gutes Leben.

Wir haben festgestellt, dass es Veränderungen von Geschäftsmodellen in Richtung Plattformökonomie gibt, wobei wir gar nicht mehr wissen, wer hier Arbeitgeber und wer Arbeitnehmer ist. Hier müssen wir, denke ich, gemeinsam an Lösungen arbeiten, die darauf hinauslaufen, dass die Menschen wieder Sicherheit haben, dass sie beispielsweise unter den Schutz von Tarifverträgen und in die Systeme der sozialen Sicherung fallen.

Bezogen auf die Ausführungen der Frau Bundeskanzlerin kann ich nur noch einmal unterstreichen: In der Tat haben wir ein großes Interesse daran, die Tarifbindung in diesem Lande wieder zu stärken. Wir haben in den letzten 20 Jahren eine Erosion des Flächentarifvertrages erlebt, sodass nur noch knapp 60 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland unter den Schutz von Tarifverträgen fallen. Schaue ich mir das heruntergebrochen auf die Zahl der Unternehmen an, so stelle ich fest, dass nur noch gut 35 Prozent der Unternehmen tarifvertragliche Arbeit anbieten. Deshalb sind wir sehr daran interessiert, zu einer stärkeren Tarifbindung zu kommen - natürlich mit den Arbeitgebern -, aber auch die Spielräume, die Gesetzgebung geben kann, zu nutzen. Dazu gehört beispielsweise ein Ansatz, der ja unternommen wurde: die Stärkung der Allgemeinverbindlichkeitserklärungen, aber auch mit den Unternehmen, mit ihren Betriebsparteien, mit den örtlichen Management-, Betriebs- und Personalräten nach spezifischen Lösungen zu suchen, wenn es solche Strukturen gibt. Tarifverträge ermöglichen dafür in der Tat bessere Lösungen als flächendeckende gesetzliche Regelungen. Das ist ein innovatives Instrument. Es muss weiterentwickelt werden - gerade vor dem Hintergrund einer sich verändernden Wirtschaft.

Lassen Sie mich noch einen Satz zu einem Thema sagen, das uns heute Abend beschäftigen wird. Ich denke, es ist gut, dass wir heute Abend noch einmal über das Thema Flüchtlinge gemeinsam beraten. Auch hier haben die Sozialpartner - Arbeitgeber und Gewerkschaften - große Anstrengungen unternommen. Sie haben heute schon gehört, dass die Tarifverhandlungen in der chemischen Industrie erfolgreich abgeschlossen sind. Hier wurde wieder eine spezifische Regelung getroffen, wie man Flüchtlinge beispielsweise in den Arbeitsmarkt integrieren kann. Das alles sind sinnvolle Ansätze.

Mir persönlich macht die Verfasstheit Europas Sorgen. Ich denke, wir alle gehen davon aus, dass das Referendum heute in Großbritannien zu einem Remain, einem Verbleib in der Europäischen Union führt. Denn die Europäische Union ist uns insgesamt zu wichtig, als dass sie scheitern dürfte. Daran müssen wir arbeiten. Das wird in den nächsten Jahren ein hartes Brett sein. Wir als Sozialpartner sind fest entschlossen und gemeinsam daran interessiert, Europa zu stabilisieren, weiterzuentwickeln und vor allen Dingen den Menschen eine Perspektive zu geben.

Schweitzer: Zunächst einmal begrüßen wir sehr, dass es dieses Gespräch gibt. Denn es gibt es, denke ich, nicht in sehr vielen Ländern, dass sich Sozialpartner und die Regierung einmal im Jahr zusammensetzen und über einen halben oder einen Dreivierteltag besprechen, was eigentlich die strategischen Zukunftspunkte, Herausforderungen für die Wirtschaft und auch für die Arbeitnehmer sind. Dafür zunächst herzlichen Dank auch von uns. Das begrüßen wir sehr. Ich denke, das ist auch von der Atmosphäre her - bei aller Unterschiedlichkeit, die es in den einzelnen Themenfeldern auch immer wieder geben kann - sehr angenehm, weil man die Themen sehr offen besprechen kann.

Einer der wesentlichen Punkte unter dem Thema "Gut leben" und vor dem Hintergrund der Frage, was die Menschen erwarten, ist meines Erachtens die Herausforderung, vor der unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft durch die Digitalisierung stehen. Circa ein Viertel bis 30 Prozent der Unternehmen fühlen sich selber bereits komplett darauf vorbereitet. Das heißt aber auch: zwei Dritteln bis drei Viertel nicht. Das heißt, es werden sich komplette Geschäftsmodelle ändern. Das hat etwas mit der Wirtschaftsstruktur zu tun. Wir haben vorher von dem Beispiel Uber gesprochen. Wenn Sie Uber anschauen, dann stellen Sie fest, dass Uber kein einziges Fahrzeug allein hat, aber einen Börsenwert von über 60 Milliarden Euro und inzwischen Taxis oder Fahrzeuge vor Ort beschäftigt, die Uber nicht gehören. Die Kapitalbindung ist inzwischen ganz woanders.

Das ist ein anderes Wirtschaftsmodell. Damit haben wir uns auseinandergesetzt und gefragt: Was heißt das nach vorn? Wie können wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir in Deutschland noch besser werden - Stichwort "Industrie 4.0" - und natürlich auch unter den Aspekten der Sozialpartnerschaft, die Herr Hoffmann genannt hat? Was heißt das für die Arbeitnehmer, und wie kann man hier ein Stück weit mehr Sicherheit geben?

Ein weiterer Punkt, der, wie Frau Bundeskanzlerin gesagt hat, aus dem vergangenen Jahr noch in der Bearbeitung war, war das Thema der Ausbildung und der beruflichen Bildung. Wie können wir den hohen Stellenwert, den die berufliche Bildung in Deutschland hat - wir haben die geringste Jugendarbeitslosigkeit in Europa, über eine Stärkung der Berufsschulen noch besser machen, und wie können wir dieses Modell, das ja ein Erfolgsmodell in der Welt ist, in Deutschland noch weiter nach vorne entwickeln?

Wir werden, wie bereits angesprochen, heute Abend noch das Thema Europa besprechen. Das ist ein zentrales Thema. Ich denke, wir müssen gemeinsam eine Initiative auf den Weg bringen, um die Wichtigkeit von Europa und der Europäischen Union noch stärker nach außen zu transportieren und an die Menschen zu bringen, in der Hoffnung, dass es einen "Brexit" nicht gibt. Aber auch wenn es ihn geben sollte, was nicht gut wäre, ist das Thema mindestens genauso wichtig.

Wir werden natürlich auch, wie die Frau Bundeskanzlerin sagte, über den Punkt sprechen, wie weit wir bei der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt sind und was wir noch vor uns haben. - Vielen Dank.

Frage: Ich habe eine Frage an Herrn Gabriel. Die Kanzlerin hat eben erwähnt, dass es wichtig sei, strategische Fähigkeiten im Land zu behalten. Kürzlich hatten wir die Diskussion um KUKA. Ich wollte von Ihnen hören, ob das heute auch Thema bei Ihnen war und ob es da Neuigkeiten gibt, ob Sie mittlerweile einen deutschen Investor gefunden haben oder ob man die Suche aufgegeben hat.

Frau Bundeskanzlerin, eine ganz kurze Frage zum "Brexit", das muss einfach sein: Werden Sie morgen auch früher aufstehen, um sich das Ergebnis anzusehen, oder sehen Sie dem so gelassen entgegen, dass Sie den Tag morgen normal wie immer beginnen lassen? Welchen Stellenwert hat das Referendum also für Sie?

BM Gabriel: Meine Befürchtung ist, dass die Bundeskanzlerin im Alltag ohnehin so früh aufstehen muss, dass das nicht mehr allzu viel früher stattfinden kann. Aber das müssen Sie selber beurteilen.

Das Thema KUKA haben wir nicht konkret angesprochen. Aber wir haben über die Frage geredet, wie wir unser Wirtschaftsrecht in Deutschland, also im Kern das Außenwirtschaftsrecht, und das europäische Recht bis hin zum Kartellrecht entwickeln müssen. Einen Gesetzesvorschlag werden wir in dieser Legislaturperiode noch machen, dass nämlich bei der Fusionskontrolle nicht mehr nur darauf geachtet wird, wie groß die Umsätze der Unternehmen sind, die miteinander fusionieren, sondern dass deren Bedeutung auf dem Markt auch an anderen Parametern gemessen wird. Beim Kauf von WhatsApp oder auch von Nest ist die Umsatzgrößenordnung ja nicht das eigentliche Problem, sondern dass dadurch Datenmonopole entstehen, die hinterher unendlich große Börsenkapitalisierungen haben. Das werden wir schon in dieser Periode ändern.

Aber wir entwickeln in unserem Haus, auch auf der Basis der Debatten, die wir gerade hatten, auch Ideen für die Frage des europäischen Wettbewerbsrechts und des deutschen Wettbewerbsrechts, damit wir nicht in die Gefahr geraten, dass wir das Wettbewerbsrecht für die analogen Strukturen nicht mit Blick auf eine datengetriebene, digitale Wirtschaft weiterentwickeln.

BK'in Merkel: Ich denke, es ist davon auszugehen, dass ich das Endergebnis, wenn es vorliegt, relativ zeitnah erfahre.

Frage: Eine Frage an Sie, Herr Gabriel, und an Sie, Frau Bundeskanzlerin, zum Thema der Lohngleichheit. Sie haben es ja eben erwähnt und vorhin auch gesagt, dass es dabei noch strittige Punkte gibt. Wo liegen noch Knackpunkte, und wie zeitnah kann man damit rechnen, dass das Gesetz kommt?

BK'in Merkel: Der Gedanke war heute, einfach noch einmal mit den Tarifpartnern darüber zu sprechen, wie sie das Thema sehen. Beide Seiten, Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter, haben gesagt, dass sie dem Thema eine hohe Bedeutung zumessen. Wir haben eine sehr hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen. Dort, wo Frauen an der gleichen Tätigkeit teilhaben, wollen wir natürlich, dass es auch die gleiche Bezahlung gibt.

Wir haben dann strukturelle Fragen. Auch die haben wir diskutiert. Man wird sie nicht alle sofort von heute auf morgen lösen können. Aber das Thema zwingt, denke ich, zum Handeln.

Ich will jetzt keine Zeitperspektive aufmachen. Wir haben noch einmal Gespräche mit denen vereinbart, die sich in den Betrieben auskennen, mit den Arbeitgebern und den Gewerkschaften. Wir sind in der gleichen Art des Vorgehens bei Leiharbeit und Werkverträgen zu einer guten Lösung gekommen. Ich hoffe, dass uns die Bereitschaft, solche Gespräche zu führen, einen Schub gibt, um das Ganze abschließen zu können.

BM Gabriel: Ich hoffe auch, dass die Gewerkschaft und die Arbeitgeber mithelfen können, bei diesem Thema voranzukommen. Es ist ja kein Geheimnis, dass das innerhalb der Koalition ein Konfliktthema ist. Trotzdem gibt es an der Stelle Einigkeit, dass wir versuchen wollen, auch diesen Auftrag des Koalitionsvertrages in dieser Periode umzusetzen. Für die Sozialdemokraten ist es das große Thema, das wir noch bewegen wollen - in unterschiedlichster Hinsicht. Am Ende darf es ja nicht an der Frage scheitern, ob wir uns auf bestimmte Formen von Demokratie einigen können, sondern es geht in der Substanz erstens um die Frage, wie wir eigentlich Transparenz schaffen oder ob es weiterhin verschwiegen ist.

Uns erreichen inzwischen Zuschriften - übrigens, wenn ich das sagen darf, bis tief hinein aus dem deutschen Journalismus -, in denen uns die Frauen mitteilen, dass ihre Alltagserfahrung durchaus genau so ist, weil sie vom Dienstwagen bis hin zu anderen Gratifikationen an der Entwicklung nicht teilnehmen, obwohl formal alles gut geregelt ist und es Tarifverträge und anderes mehr gibt.

Das Zweite ist, dass es materielle Fragen gibt, die nicht allein durch Transparenz geklärt werden können. Das ist die Frage der Betreuungsangebote, aber übrigens auch die Frage, in welche Berufe junge Frauen und junge Männer gehen. In der Industriegesellschaft ist es eben so, dass klassischerweise kaufmännische und gewerbliche Berufe die großartigen Berufe sind. Deswegen gibt es da auch ein Berufsbildungsgesetz. Darum kümmert sich der Staat.

Die typischen Frauenberufe kommen fast alle aus der Caritas. Meine Mutter hat als Krankenschwester noch gelernt: Mädchen, das macht man eigentlich für Gotteslohn. - Das ist nun ein bisschen länger her. Sie fand das auch nicht vernünftig, ist später in die Gewerkschaft eingetreten und wurde Personalrätin. Aber daraus, dass die caritativen Berufe eigentlich am Rande der Industriegesellschaft standen, kommt die Entwicklung. Inzwischen sind sie nötig, um Industriegesellschaft überhaupt zum Funktionieren zu bringen. Was wären wir ohne Erzieherinnen, ohne Lehrerinnen, ohne Alten- und Krankenpfleger und ohne viele andere Berufe?

Deswegen ist es, denke ich, auch eine zutiefst ökonomische Herausforderung. Dazu muss man einige der Berufe - das wird noch ein dickes Brett mit den Ländern - aus den schulischen Ausbildungsberufen herausholen und dahin bringen, wo sie gut aufgehoben sind, nämlich unter das Dach von Arbeitgebern und Gewerkschaften in den Berufsbildungsausschüssen unter dem Berufsbildungsgesetz. Das ist ein ganz dickes Brett, aber da beginnt eigentlich die Ungleichgewichtigkeit. Am Ende ist es mehr als "gleicher Lohn für gleiche Arbeit". Am Ende geht es auch um gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. Man verdient heute das Fünffache, wenn man eine Tonne Stahl im Stahlwerk bewegt anstatt 15 kg Kind in der Kindertagesstätte oder 60 kg Mensch im Altenheim. Da geht es nicht nur um gleiche Arbeit. Es geht auch um gleichwertige Arbeit. Das ist ein dickes Brett. Ich denke, dass wir in dieser Koalition große Schritte machen können. Wenn wir es allein nicht hinbekommen, nehmen wir die Hilfe der Tarifpartner dankend an.

Hoffmann: Lassen Sie mich zwei Aspekte ergänzen. In der Tat war es, denke ich, hilfreich, auch im Rahmen solcher Gespräche wie hier in Meseberg Themen anzusprechen, die von der Natur der Sache her nicht immer nur konsensual sind. Aber es war schon gut, dass die Arbeitgeber bei dem Gespräch gesagt haben: Wir haben in der Tat ein Problem bei der Lohnungleichheit, und es muss angepackt werden.

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Die Ursachen dafür sind sehr vielschichtig. Wir wissen, dass die Gleichbehandlung zwischen den Geschlechtern dort, wo tarifvertragliche Regelungen existieren, deutlich größer ist. Auch da haben wir hier und da Probleme; wir sind aber auch dabei, Tarifverträge nachzujustieren.

Im Kern geht es wirklich um eine Auskunftspflicht und darum, wie viel Bürokratie damit verbunden ist. Am Ende brauchen wir, denke ich, eine Regelung, die praxiswirksam ist, aber letztendlich auch dazu beiträgt, dass Incentives gesetzt werden, dass eine gleiche Behandlung bei der Entlohnung zwischen Männern und Frauen gewährleistet wird.

Bei dem von Herrn Gabriel zum Schluss angesprochenen Aspekt geht es um die Frage des Wertes von Arbeit gerade in den Erziehungs- und Sozialberufen. Das hat nicht nur etwas mit Lohngleichheit zu tun, sondern insgesamt mit der Frage der Wertigkeit von Arbeit, auch in frauenspezifischen Berufen. Da müssen wir ran. Da sind wir auch als Tarifpartner gefordert. Wenn es gelingen sollte, dass die Beratungen zwischen der Bundesfamilienministerin, den Arbeitgebern und uns als Gewerkschaften einen Beitrag zur Lösung leisten werden, so werden wir dies natürlich tun.

BK'in Merkel: Danke schön.

Donnerstag, 23. Juni 2016

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Quelle:
Pressekonferenz zum 7. Zukunftsgespräch der Bundeskanzlerin mit Sozialpartnern, 23.06.2016
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/06/2016-06-23-zukunftsgespraech.html;jsessionid=2D740AEA7A92938A667385A9FCC6DCE6.s7t1
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2016

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