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PRESSEKONFERENZ/1272: Kanzlerin Merkel und die britische Premierministerin May, 20.07.2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift Pressekonferenz im Bundeskanzleramt - Mittwoch, 20. Juli 2016
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und der britischen Premierministerin May

Sprecherinnen: Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, Premierministerin Theresa May

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)


Bundeskanzlerin Merkel: Meine Damen und Herren, ich bitte die Premierministerin um Verständnis, dass ich zunächst über das schreckliche Ereignis sprechen will, das uns hier in Deutschland seit vorgestern Abend bewegt.

Der Angriff mit Messer und Axt auf wehrlose Menschen in einem Zug bei Würzburg ist eine unfassbar grausame Tat. Meine Gedanken gehen in allererster Linie zu den Opfern dieses Verbrechens: zu der Familie aus Hongkong sowie den deutschen Verletzten. Ihnen möchte ich auf diesem Wege sagen: Wir denken an sie, wir hoffen für sie und wir wünschen ihnen von Herzen, dass sie von den schweren Verletzungen genesen können, von dem körperlichen wie von dem seelischen Trauma, das ein solcher Angriff bedeuten muss.

Ich danke der Polizei, die tat, was sie konnte, um noch mehr Opfer zu verhindern und die Gefahr für die Bevölkerung zu bannen, und ich danke den Rettungskräften, den Ärzten, den Ersthelfern, die sich um die Menschen, die von diesem Anschlag betroffen sind, gekümmert haben.

Ich habe mich ab gestern Morgen laufend vom Bundesinnenministerium über den Stand der Ermittlungen informieren lassen. Minister de Maizière hat Ihnen dazu heute das gesagt, was zweifelsfrei feststeht. Es gibt rund um die Person des Täters und um die Hintergründe seiner Tat aber noch Vieles aufzuklären. Ich habe alles Vertrauen in den Generalbundesanwalt und die übrigen beteiligten Behörden, dass alles getan wird, um Klarheit zu schaffen und gegebenenfalls aus diesem tragischen Fall Schlüsse zu ziehen. Heute ist es sicherlich zu früh dafür. Wir werden alles tun, was vonseiten des Staates und seiner Sicherheitsbehörden getan werden kann, um jede Form von gewaltbereitem Extremismus zu entdecken und zu unterbinden.

Heute aber sollen unsere Gedanken bei den Opfern dieser Tat und ihren Angehörigen sein.

Meine Damen und Herren, ich freue mich sehr, dass die Premierministerin Theresa May so früh nach Beginn ihrer Amtszeit heute nach Berlin gekommen ist und ich sie begrüßen kann. Ich glaube, das ist ein Zeichen der Verbundenheit unserer beiden Länder. Deshalb werden wir auch genau in diesem Geist die Gespräche führen und haben sie auch schon begonnen.

Ich möchte vorab noch einmal unterstreichen: Unabhängig von der Entscheidung, die die Menschen in Großbritannien getroffen haben, die EU zu verlassen, verbinden Deutschland und Großbritannien sehr enge partnerschaftliche und freundschaftliche Bindungen. Unsere beiden Länder agieren auf der Grundlage sehr ähnlicher Überzeugungen, und wir teilen die gemeinsamen Werte.

Dies prägt auch unseren Umgang mit den aktuellen politischen Herausforderungen. Wir sind gemeinsam in der NATO tätig, wir werden gemeinsam das G20-Treffen in China besuchen und wir sind Mitglieder der G7. Das wird natürlich auch das Verhältnis prägen, in dem wir dann die Verhandlungen über das Verlassen der EU durch Großbritannien zu führen haben.

Wir wollen unabhängig von diesem Prozess des Verlassens der EU natürlich auch unsere bilateralen Beziehungen, auch im Bereich der Wirtschaft und des Handels, fortsetzen und womöglich auch weiter vertiefen; denn das ist ja im gemeinsamen Interesse.

Großbritannien und Deutschland haben auch in der Europäischen Union immer eng und gut zusammengearbeitet, und ich wünsche mir, dass dies auch genau der Geist ist, in dem wir jetzt auch in den kommenden Monaten die Verhandlungen führen.

Ich habe nach dem Referendum von Anfang an gesagt: Es ist jetzt zunächst Sache der britischen Regierung, ihre Vorstellungen über das künftige Verhältnis zur Europäischen Union zu definieren, zu formulieren und dann die erforderlichen Schritte einzuleiten insbesondere die Anwendung des Artikels 50, denn erst dann können die Verhandlungen über den Austritt beginnen. Die europäischen Verträge sind an dieser Stelle auch sehr klar. Wir werden heute natürlich die Situation besprechen und werden auch die Dinge besprechen, die im Zusammenhang mit diesem Artikel 50 stehen ohne Verhandlungen zu führen, weder formell noch informell.

Wir werden aber auch über andere Themen sprechen können, die uns in diesen Tagen weltweit bewegen. Wir werden bald gemeinsam zum G20-Gipfel nach China fahren. Deutschland wird im Übrigen Gastland des G20-Gipfels im Jahre 2017 sein; auch hier werden wir sehr eng mit Großbritannien zusammenarbeiten. Wir werden sicherlich über das Thema der Flüchtlinge, über die Situation in der Türkei und auch über die Situation zwischen Russland und der Ukraine sprechen.

Ich freue mich sehr, dass wir hier heute die Möglichkeit zu einem ersten Austausch haben. Ich begrüße die Premierministerin noch einmal ganz herzlich und verspreche, dass wir von deutscher Seite sicherlich immer unsere Interessen vertreten werden, so wie das Großbritannien auch für seine Bürgerinnen und Bürger tut, dass wir dies aber in einer freundschaftlichen Atmosphäre und auf der Grundlage vieler gemeinsamer geteilten Überzeugungen tun werden.

Premierministerin May: (auf Deutsch) Vielen Dank! Es freut mich sehr, in Berlin zu sein. (auf Englisch) Jetzt werde ich lieber wieder Englisch sprechen.

Vielleicht darf ich Ihnen an dieser Stelle mein herzliches Mitgefühl ausdrücken mein Mitgefühl gegenüber all denjenigen, die von dem fürchterlichen Angriff auf den Zug in Würzburg am Montag zu leiden hatten. Meine Gedanken und Gebete sind bei ihnen.

Ich danke Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, sehr herzlich dafür, dass Sie mich heute nach Berlin eingeladen haben. Dies ist ja mein erster internationaler Besuch als Premierministerin. Das unterstreicht, denke ich, auch, dass ich mich einer starken und konstruktiven Partnerschaft zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich verpflichtet fühle.

Es ist gleichzeitig auch der erste Besuch eines britischen Premiers hier seit der Entscheidung, die in dem Referendum getroffen wurde. "Brexit" bedeutet "Brexit", das habe ich ganz deutlich gemacht, und ich möchte natürlich auch, dass das zum Erfolg wird. Ich möchte aber auch sagen und möchte das in den nächsten Wochen auch deutlich machen , dass ich keineswegs die Absicht habe, dass wir uns von unseren Freunden trennen. Wir werden immer Europäer bleiben, und Deutschland wird immer ein guter Partner, ein wichtiger Partner für uns bleiben. Wir haben in all den Jahren sehr eng zusammengearbeitet; in den letzten Jahrzehnten haben wir ein sehr enges Bündnis geknüpft. Ich denke, dass sich das auf jeden Fall auch während des historischen Besuchs Ihrer Majestät, der Königin, hier in Deutschland gezeigt hat.

Ich möchte also in einem konstruktiven Geist hierherkommen, ich möchte eine solide Basis für unsere Beziehungen in den nächsten Jahren legen. Ich möchte mit unseren Partnern in Europa zusammenarbeiten, um das Wachstum zu verstärken, den Handel zu verstärken, aber auch den Herausforderungen zu begegnen, denen wir uns gegenübersehen. Wir haben das bereits besprochen, werden das aber später, während des Abendessens, noch weiter ausführen.

Zunächst einmal zu den wirtschaftlichen Beziehungen zu unseren Ländern: Wir beide möchten ja stabiles Wachstum erreichen, und wir möchten auf jeden Fall dafür sorgen, dass in unseren Ländern alle daran teilhaben. Deutschland ist unser zweitwichtigster Handelspartner in der Welt und der zweitgrößte Investor in Großbritannien. Hier in Deutschland gibt es 1300 britische Unternehmen, die mehr als 220 000 Menschen beschäftigen. Natürlich wird sich der Charakter unserer Beziehungen dadurch, dass das Vereinigte Königreich die EU verlässt, verändern. Wir wollen aber beide ein möglichst enges wirtschaftliches Verhältnis zwischen unseren Ländern beibehalten. Ich glaube, das ist auch das, was deutsche und britische Unternehmen wollen. Deshalb ist es gut, dass wir auf einem solch starken Fundament aufbauen. Unsere beiden Länder glauben an den Freihandel, wir glauben an freie Märkte, und das sollten die Prinzipien sein, die uns auch in unseren Gesprächen in der Zukunft leiten und führen.

Wir müssen zweitens den internationalen Herausforderungen begegnen. Wir müssen für die Souveränität und die territoriale Unverletzbarkeit der Ukraine eintreten. Wir müssen uns dem Leiden in Syrien widmen. Wir möchten überall in der Welt eine starke, eine geeinte Stimme führen, und wir wollen natürlich unsere bilaterale Zusammenarbeit im militärischen Bereich weiterführen. Wir wollen gegen das organisierte Verbrechen vorgehen, wir wollen uns der Flüchtlingsfrage widmen, wir wollen versuchen, die Flüchtlingsströme über das Mittelmeer einzuschränken. Wir sehen an dem terroristischen Angriff in Würzburg auch, dass wir gegen Da'esh vorgehen müssen und dies mit Entschlossenheit.

Wir müssen uns in Zukunft allerdings auch den Verhandlungen über das Verlassen der Europäischen Union durch das Vereinigte Königreich widmen. Wir wollen das zu einem Erfolg machen. Solange wir Mitglied der Europäischen Union sind, werden wir das mit allen Rechten und Pflichten tun. Ich möchte meine Kollegin Frau Dr. Merkel und alle Kollegen innerhalb der Europäischen Union daran erinnern, dass wir natürlich ein Interesse daran haben, dass das ein geordneter Prozess ist.

Wir alle werden selbstverständlich erst dann den Artikel 50 auslösen, wenn unsere Ziele auch tatsächlich klar sind. Das wird nicht vor Ende des Jahres sein. Natürlich werden nicht alle damit zufrieden sein, dass wir uns diese Zeit nehmen; ich denke aber, es ist wichtig, dass wir das von Anfang an klar sagen. Wir werden versuchen, eine Lösung zu finden, die den Willen des britischen Wählers respektiert, die aber auch die Interessen unserer europäischen Partner respektiert. Wir sollten versuchen, dies so weit wie möglich zu einem konstruktiven Prozess für uns und unsere Partner zu machen.

Das Vereinigte Königreich darf aber nicht nur durch diesen Prozess des Verlassens der Europäischen Union definiert werden. Das sollte auch nicht unser Verhältnis zu Ländern überall in der Welt in irgendeiner Weise definieren. Natürlich, da sind Herausforderungen zu gewärtigen, und wir müssen daran arbeiten, die Probleme zu lösen. Aber ich denke, wir können starke und erfolgreiche Beziehungen mit den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union etablieren. Wir schlagen jetzt ein neues Kapitel in unseren Beziehungen auf. Ich denke, Frau Bundeskanzlerin, es wird uns gelingen, dies zu einer erfolgreichen Partnerschaft zu gestalten.

Frage: Frau Premierministerin, Frau Bundeskanzlerin, die EU will verhindern, dass Großbritannien Rosinenpickerei betreibt. Nun sind die ersten Signale aus London genau das: Vorteile erhalten, Nachteile abbauen wie bei den Themen Binnenmarkt und Arbeitnehmerfreizügigkeit. Wie wollen Sie da auf einen Nenner kommen?

Gibt es wirklich kein Szenario, den "Brexit" noch abzuwehren?

Eine Frage zur Türkei: Die EU sagt, ein Land, das die Todesstrafe wieder einführt, kann nicht Mitglied der EU werden. Kann ein solches Land aber Partner eines Flüchtlingspakts bleiben?

Merkel: Erst einmal ist es aus meiner Sicht doch absolut verständlich, dass wenige Tage nach dem Referendum und wenige Tage, nachdem eine neue Regierung in Großbritannien gebildet ist die Regierung erst einmal überlegen muss: Was sind unsere Interessen? Wie sieht das genau aus? Wie bespricht man sich auch in dem großen Britannien, wie es ja im Namen schon heißt?

Ich denke, es ist auch in unser aller Interesse, wenn Großbritannien den Austritt mit einer sehr gut definierten Verhandlungsposition beantragt, und zwar auch schon mit der Möglichkeit, klar zu sagen, wie es sich seine zukünftigen Beziehungen zur Europäischen Union vorstellt. Das müssen parallele Prozesse sein. Man kann nicht erst alle Bindungen kappen, um anschließend in einem weiteren langwierigen Verhandlungsprozess zu schauen, welche Verbindungen man eingeht.

Deshalb ist aus meiner Sicht eine gute Vorbereitung wichtig. Das ist auch im Interesse der Europäischen Union. Deshalb werden wir den Zeitpunkt abwarten, zu dem Großbritannien diesen Antrag stellt, und dann auf dieser Basis unsere Leitlinien festlegen, entlang derer dann die Verhandlungen zum Austritt Großbritanniens geführt werden.

Ich denke, dass wir, wie es die Premierministerin vielfach gesagt hat, einfach von der Realität ausgehen, und die Realität heißt, dass zwar 48 Prozent der Einwohner Großbritanniens für den Verbleib gestimmt haben, aber eben 52 Prozent für das Verlassen der Europäischen Union. Mit dieser Realität setzen wir uns jetzt auseinander, unbeschadet der Frage, was man sich gewünscht hätte.

Zur zweiten Frage, die das Flüchtlingsabkommen anbelangt: Der Charakter des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei besteht darin, dass wir die Illegalität die illegale Migration, das Schlepperwesen, die Tatsache, dass sich Menschen in die Hände von sehr oft auch skrupellosen Menschen begeben und Geld bezahlen mussten, dass Menschen ihr Leben lassen mussten beenden und auf uns die Basis stellen, dass unsere humanitäre Verantwortung auf legalem Wege erfolgen kann.

Das bedeutet, dass wir diese Illegalität stoppen müssen. Das ist im Augenblick sehr gut der Fall. Das bedeutet aber auch, dass Teil des EU-Türkei-Abkommens ist, dass humanitäre Kontingente mit Flüchtlingen aus der Türkei auf freiwilliger Basis legal in europäische Mitgliedsstaaten kommen können.

Die Grundlage dieses Abkommens war immer und bleibt, dass wir natürlich Sicherheiten für die Menschen, die von Griechenland in die Türkei zurückgeschickt werden, haben. Das werden wir natürlich sehr intensiv beobachten. Der UNHCR ist in dieser Frage ein wichtiger Partner. Ich habe bis jetzt keinerlei Anzeichen, dass die Türkei an dieser Stelle nicht zu den Verpflichtungen steht.

Ich denke im Übrigen, dass es im gegenseitigen Interesse ist, dass nicht vor unseren Augen täglich Menschen in der Ägäis ertrinken, ihr Leben lassen und Illegalität den ägäischen Raum beherrscht.

Deshalb gibt es Kritik sehr deutliche Kritik an dem, was im Augenblick in der Türkei stattfindet. Gerade die Menschen, die sich in der Nacht des Putsches gegen diesen Putsch gewendet haben, haben nach meiner Auffassung ein Recht darauf, dass jetzt auch ihre Rechte geachtet werden. Es waren viele, die sich gegen diesen Militärputsch gestellt haben.

Deshalb werden wir die Dinge mit großer Sorge betrachten. Ich habe meine Sorgen auch gegenüber dem türkischen Präsidenten bereits telefonisch zum Ausdruck gebracht.

Frage: Frau Premierministerin, sicherlich wird im Zentrum Ihrer Gespräche mit der Bundeskanzlerin stehen, wie Sie die Fragen des Handels mit den Fragen der Migration in ein Gleichgewicht bringen. Ist es für uns nicht sehr wichtig, dass wir mehr Kontrolle über den Bereich der Einwanderung erreichen?

Frau Bundeskanzlerin, ist es denn richtig, wenn sich einerseits das Vereinigte Königreich bestimmte Rechte im Bereich des Handels für sich heraussucht und es andererseits in Fragen der Einwanderung Konzessionen gibt?

May: Mir ist völlig klar, dass eine der Botschaften, die das britische Volk in seiner Abstimmung, als es dafür stimmte, dass es die EU verlassen will, gegeben hat, war, dass man die Einwanderung auf jeden Fall in irgendeiner Weise kontrollieren wollte. Das haben wir als Regierung gehört. Natürlich müssen wir entsprechend liefern. Aber wir wollen natürlich auch die richtige Mischung bekommen, was den Bereich der Dienstleistungen und des Handels angeht. Ich denke, das ist für uns wichtig, das ist aber auch für andere Länder in der Union wichtig, die ja mit uns Handelsbeziehungen haben. Das wird auf jeden Fall Teil der Gespräche und auf jeden Fall Teil der Entscheidungen sein. Wir werden uns ein bisschen Zeit nehmen, um deutlich zu machen, welches unsere Prinzipien und welches unsere Ziele sind, bevor wir den formalen Prozess der Verhandlungen auslösen.

Sie haben uns gefragt, wie unser erstes Treffen abgelaufen ist und wie wir uns verstehen. Ich denke, es ist schon wichtig, dass hier zwei Frauen stehen, die ein sehr konstruktives Gespräch geführt haben, zwei Frauen, die sich, denke ich, sagen: So, jetzt wollen wir die Arbeit aber mal anfangen. Wir wollen die bestmöglichen Ergebnisse für die Bevölkerung im Vereinigten Königreich, aber auch für die Bevölkerung hier in Deutschland erzielen.

Merkel: Genau. Dem schließe ich mich vollinhaltlich an. Schauen Sie, die Menschen in Großbritannien haben in der Mehrheit dafür gestimmt, dass sie die Europäische Union verlassen wollen. Jetzt ist es der Auftrag der neuen Regierung, diesen Wunsch umzusetzen. Wir haben Großbritannien nicht gebeten, die Europäische Union zu verlassen, sondern wir respektieren diese Entscheidung. Das heißt, wir müssen jetzt genau wissen, in welcher Form die Menschen weiter Beziehungen zur Europäischen Union haben wollen. Wir sind ganz sicher, dass wir gute bilaterale Beziehungen haben werden. Wir nehmen sehr gern den Satz auf: Damit bleibt Großbritannien trotzdem ein Teil Europas. - Daraus ergeben sich vielerlei gemeinsame Verpflichtungen und auch Aufträge, auch wenn es darum geht, wie wir in der Welt wahrgenommen werden. Aber es ist dann nicht so, dass die britische Premierministerin in Zukunft am Tisch des Europäischen Rates sitzen wird. Das heißt, wir werden andere Formen der bilateralen Kontakte finden.

Jetzt hören wir auf Großbritannien, auf das, was Großbritannien möchte, und dann werden wir darauf auch die richtige Antwort geben. Aber es hat ja keinen Sinn, jetzt im Vorfeld zu sagen "Wenn dies passiert, passiert jenes, und wenn dies passiert, passiert jenes", wenn das dann 27 Länder mit ihrer jeweils eigenen Akzentsetzung sagen. Das würde sehr viel Unsicherheit verbreiten. Das ist nicht in britischem Interesse und auch nicht in unserem Interesse, denn wir wollen das hat die Premierministerin genauso gesagt doch vermeiden, dass zu viel Unruhe, zu viel Unsicherheit entsteht. Es muss das Vertrauen entstehen, dass wir die nicht einfachen Verhandlungen in gegenseitigem Respekt und auch in gegenseitiger Freundschaft zielgerichtet führen. "Zielgerichtet" heißt, dass wir natürlich wissen, was die Wünsche der britischen Regierung sind, um in Großbritannien erfolgreich mit dieser Frage fertig zu werden, aber das wir natürlich auch sehen müssen, wie wir als EU der 27 erfolgreich mit dieser Situation umgehen werden, sodass jede Seite in Respekt vor der Entscheidung der Briten daraus das Beste machen wird.

Frage: Frau Premierministerin, können Sie uns in Deutschland erklären, was Sie bewogen hat, Boris Johnson zum Außenminister zu machen? Warum stellen Sie also einen Spieler auf, der das Spiel gar nicht spielen will?

Frau Bundeskanzlerin, was glauben Sie, wie hart die Verhandlungen mit Großbritannien mit diesem Außenminister werden?

May: Zunächst einmal möchte ich sagen: Ich denke, es wäre gefährlich, wenn ein britischer Premierminister hier in Deutschland über Fußball spricht; denn das ist nichts, hinsichtlich dessen wir vielleicht so furchtbar gut dastehen, wie es die Deutschen nun einmal tun.

Zweitens: Ich habe ja ein Team von Ministern zusammengestellt, die die Position der britischen Regierung ganz klar deutlich machen. Als britische Regierung und als Premierministerin werden wir versuchen, auf jeden Fall an gute Beziehungen zu allen europäischen Mitgliedstaaten anzuknüpfen. Deswegen bin ich ja auch hier. Ich möchte gerne konstruktive Gespräche anstoßen. Wir möchten eine positive Partnerschaft, die wir ja schon lange mit Deutschland haben, weiterführen. Ich werde auf jeden Fall unterstellen: Das, was ich als Premierministerin tue, wird auch für mein gesamtes Kabinett gelten.

Gibt es noch irgendeine britische Frage?

Merkel: Vielleicht sollte ich auch noch schnell antworten. Zuerst einmal: Egal, mit wem man in Großbritannien verhandelt das Land ist ein in diplomatischen Fähigkeiten erfahrenes Land. Verhandlungen mit britischen Regierungen sind immer anstrengende Verhandlungen, interessante Verhandlungen, taktisch kluge Verhandlungen. Wir versuchen sozusagen im Wettbewerb der Verhandlungsstrategien auch auf Augenhöhe zu arbeiten. Das ist immer spannend. Damit haben wir ja auch langjährige Erfahrung; denn ich meine, auch während der Zeit der Mitgliedschaft in der Europäischen Union waren die Verhandlungen mit Großbritannien, wenn ich einmal an finanzielle Vorausschauen denke, nicht immer trivial. Deshalb habe ich da gar keine Sorge, dass wir das nicht auch gut miteinander machen werden.

Zweitens, was den Außenminister anbelangt: Es gab bereits das erste Treffen der Außenminister innerhalb der 28, und ich glaube, hierbei hat sich gezeigt, welch große Zahl von außenpolitischen Problemen und ernsten Herausforderungen wir vor uns haben die Premierministerin hat eben darauf hingewiesen , ob es die Frage des EU-Türkei-Abkommens ist, ob es die Frage der Situation in Syrien ist oder ob es die Frage der territorialen Integrität der Ukraine ist. Hiermit haben wir alle Hände voll zu tun, und ich gehe davon aus, dass der britische Außenminister in guter Kooperation mit den anderen 27 Außenministern genau an diesen Themen arbeiten wird. Das Ansehen Europas wird auch sehr davon abhängen, wie wir uns in die Lösung von solch komplizierten Fragen einbringen können, von denen ja hunderttausende Menschenleben abhängen.

Frage: Frau Premierministerin, fühlen Sie sich dem Ziel verpflichtet, die Zahl von zehntausenden Migranten zu reduzieren? Möchten Sie das auf jeden Fall erreichen, bevor der "Brexit" vollständig vollzogen worden sein wird?

Frau Bundeskanzlerin, sind Sie bereit zu akzeptieren, dass Artikel 50 erst im nächsten Jahr ausgelöst wird? Es gibt ja ein paar Leute im Vereinigten Königreich, die sagen: Lasst uns das doch lieber viel später machen oder aufschieben, denn dann muss das vielleicht gar nicht passieren. - Gibt es da eine Strafe, falls das gar nicht passieren sollte?

May: Zum Thema der Migration in das Vereinigte Königreich und der Zahlen: Ich habe ja immer ganz deutlich gesagt, dass der Grund dafür, dass wir überhaupt so etwas wie eine Zahl in Bezug darauf genannt haben, die Netto-Migration zu reduzieren, der ist, dass wir versuchen wollen, es zu einer tragfähigen Zahl zu bringen. Es kann sein, dass das Zehntausende sind. Es gibt jetzt neue Faktoren, die eine Rolle spielen. Ich habe nämlich schon auf eine Frage, die mir vorher gestellt worden ist, gesagt, dass eine der Botschaften derjenigen, die für den "Brexit" gestimmt haben, ja ist: Wir möchten versuchen, dass die Freizügigkeit der EU-Bürger nach Großbritannien gesteuert wird, jedenfalls in irgendeiner Weise. Das müssen wir uns ja anschauen, auch in Bezug auf die Netto-Migrationszahlen für die Zukunft. Aber hierbei geht es darum, was tragfähig ist, und ich glaube, "tragfähig" ist eine Zahl, die etwa in den Zehntausenden liegt.

Merkel: Wir werden uns bei den Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union an die europäischen Verträge halten. Diese Verträge besagen: Es wird ein Antrag durch das entsprechende Land gestellt. Darin steht nicht, wann nach der internen Entscheidung dieser Antrag gestellt werden muss, sondern dort steht einfach: Es wird ein Antrag gestellt, und dann erfolgt die Erarbeitung von Leitlinien, die im Europäischen Rat beschlossen werden. Deshalb ist es das Gebot, auf Basis der Verträge diesen Antrag abzuwarten und, sage ich noch einmal, dann auch eine Vorstellung davon zu bekommen, wie sich Großbritannien diesen Austritt und die zukünftigen Beziehungen vorstellt.

Ich meine, niemand will eine Hängepartie. Ich glaube, das will weder die britische Bevölkerung noch wollen es die europäischen Mitgliedstaaten. Aber jeder hat ein Interesse daran, dass die Dinge sorgfältig vorbereitet werden und dass die Positionen klar sind. Ich finde es absolut verständlich, dass dafür eine bestimmte Zeitspanne notwendig ist. In dieser Zeitspanne wird Großbritannien auch während der Austrittsverhandlungen weiterhin Mitglied der Europäischen Union sein; das hat die Premierministerin auch deutlich gemacht.

Wir werden alle Fragen, mit denen wir befasst sind und die uns auf der Welt ereilen oft sind es ja auch Ereignisse, die wir gar nicht selbst in der Hand haben, sondern mit denen wir uns befassen müssen , mit Großbritannien besprechen und dann eben gleichzeitig eines Tages die Austrittsverhandlungen führen.

Herzlichen Dank!

Mittwoch, 20. Juli 2016

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und der britischen Premierministerin May, 20.07.2016
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/07/2016-07-20-merkel-may.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2016

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