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PRESSEKONFERENZ/1325: Regierungspressekonferenz vom 19. Oktober 2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Mittwoch, 19. Oktober 2016
Regierungspressekonferenz vom 19. Oktober 2016

Themen: Kabinettssitzung (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversorgung, Gesetzentwurf zur Neuordnung der Verantwortung der kerntechnischen Entsorgung, CETA-Abkommen, Abkommen über eine strategische Partnerschaft zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten mit Kanada, Bericht "Bildung in Deutschland 2016"), Treffen von SPD, Linkspartei und Grünen in Berlin, Treffen der Bundeskanzlerin mit den Staatsoberhäuptern von Russland, Frankeich und der Ukraine, Reichsbürgerbewegung, möglicher EU-Verteidigungsetat

Sprecher: StS Seibert, Alemany (BMWi), Schäfer (AA), Plate (BMI), Flosdorff (BMVg)


Vorsitzende Welty eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

StS Seibert: Guten Tag! Das Kabinett war heute mit einer ganzen Reihe von wichtigen Themen befasst.

Das erste Thema ist eine wichtige energiepolitische Maßnahme mit der Überschrift: Änderungen des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes. Kraft-Wärme-Kopplung - kurz: KWK - ist für die nachhaltige Energieversorgung in Deutschland ein zentraler Baustein und damit ein zentraler Baustein der Umsetzung der Energiewende. Das ist eine CO2-arme Technologie, bei der Strom hergestellt und gleichzeitig die dabei entstehende Wärme genutzt wird.

Der Einsatz von KWK-Anlagen soll Kohlenstoffdioxidemissionen in Höhe von 4 Millionen Tonnen einsparen. Damit leisten diese KWK-Kraftwerke einen wichtigen Beitrag zu dem Ziel der Bundesregierung, den Treibhausgasausstoß in Deutschland bis 2020 um mindestens 20 Prozent, verglichen mit 1990, zu senken.

Am 1. Januar dieses Jahres trat die jüngste Novelle des KWK-Gesetzes in Kraft. Der heute beschlossene Gesetzentwurf stellt sicher, dass das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz alle Voraussetzungen für die noch ausstehende beihilferechtliche Genehmigung durch die EU-Kommission erfüllt. Insbesondere zwei Maßnahmen sind dabei wichtig:

Erstens. Genauso wie Erneuerbare-Energien-Anlagen wird es bei KWK-Anlagen in Zukunft so sein, sofern sie zwischen 1 und 50 Megawatt produzieren, dass sie nur noch gefördert werden, wenn sie sich erfolgreich in einer Ausschreibung durchgesetzt haben. Das verbessert die Mengensteuerung. Das macht die Planbarkeit für alle Akteure im Markt besser und erhöht letztlich - dies ist sehr wichtig - die Effizienz der eingesetzten Fördergelder.

Zweitens. Die Besondere Ausgleichsregelung des EEG 2017 wird auf das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz übertragen.

Außerdem ändert die Bundesregierung die Eigenversorgung mit Strom nach dem EEG 2017. Um die Förderkosten der erneuerbaren Energien auf möglichst viele Akteure zu verteilen, wird die Eigenversorgung mit Strom seit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz 2014 mit der EEG-Umlage belastet. Aus Gründen des Vertrauensschutzes sind die Bestandsanlagen nicht davon betroffen. Aber diese Ausnahme für Bestandsanlagen gilt nur bis Ende 2017. Dieser Gesetzentwurf trifft nun eine Anschlussregelung, die den Vertrauensschutz fortschreibt. Bestandsanlagen müssen demnach für die Eigenversorgung auch künftig keine EEG-Umlage bezahlen. Eine Umlagepflicht entsteht erst, wenn die Stromerzeugungsanlage grundlegend erneuert wird. Auch in diesem Fall bleibt die EEG-Umlage um 80 Prozent verringert.

Das zweite Thema war der Gesetzentwurf zur Neuordnung der Verantwortung der kerntechnischen Entsorgung. Das wird neu geordnet. Damit setzt die Bundesregierung die Empfehlungen der Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs um.

Unser Ziel ist, die Finanzierung für die Stilllegung, den Rückbau und die Entsorgung - kurz gesagt: die Finanzierung des Atomausstiegs - langfristig und verursachergerecht sicherzustellen. Dafür wird es einen öffentlich-rechtlichen Fonds geben, den die Kernkraftbetreiber finanzieren. Dieser Fonds wird in Zukunft die Kosten für die Zwischen- und Endlagerung von radioaktivem Abfall aus deutschen Kernkraftwerken tragen. Für die Durchführung und Finanzierung dieser Zwischen- und Endlagerung übernimmt der Bund die Verantwortung. Die Kernkraftwerksbetreiber bleiben darüber hinaus auch in Zukunft für die gesamte Abwicklung und Finanzierung der Bereiche Stilllegung, Rückbau und fachgerechte Verpackung radioaktiver Abfälle verantwortlich.

Zwei Gesetze, nämlich das Nachhaftungsgesetz und das Transparenzgesetz, sorgen für mehr Sicherheit bei den finanziellen Rücklagen der Betreiber für diese Aufgaben. Ich will jetzt nicht im Einzelnen auf diese Gesetze eingehen. Aber wenn Sie Nachfragen haben, stehen wir natürlich gerne zur Verfügung.

Das viel diskutierte Thema CETA ist heute auch im Kabinett behandelt worden. Die Bundesregierung hat mit dem heutigen Kabinettsbeschluss die Voraussetzungen geschaffen, dass Deutschland dieses Wirtschafts- und Handelsabkommen der EU mit Kanada unterzeichnen kann. Sie hat die Unterzeichnung von CETA durch Deutschland beschlossen und damit für eine Vertiefung der europäisch-kanadischen Handelsbeziehungen gestimmt.

Jetzt müssen noch die erforderlichen Ratsbeschlüsse gefasst werden. Sie wissen, es gibt da noch Vorbehalte einiger Mitgliedstaaten, ganz besonders in Teilen Belgiens. Die Bundesregierung hofft sehr, dass die notwendige Zustimmung aller Mitgliedstaaten noch rechtzeitig gelingt. "Rechtzeitig" heißt, noch rechtzeitig vor dem EU-Kanada-Gipfel am 27. und 28. Oktober.

Mit CETA leisten wir einen wichtigen Beitrag für die wirtschaftliche Entwicklung sowohl in Europa als auch in Kanada. EU-Unternehmen erhalten mit CETA Zugang zu öffentlichen Aufträgen in Kanada und zu Dienstleistungs- und Investitionsmärkten. Dadurch können viele Arbeitsplätze gesichert und geschaffen werden.

Mit Abkommen wie CETA können wir gemeinsam die Globalisierung positiv gestalten. Dieses Abkommen steht für einen Welthandel mit nachhaltigen Regeln und hohen Sozial- und Umweltstandards.

Über das CETA-Abkommen hinaus hat das Bundeskabinett seine Zustimmung zur Zeichnung eines Abkommens über eine strategische Partnerschaft zwischen der Europäischen Union einerseits und Kanada andererseits gegeben. Dadurch wird ein Rahmenabkommen von 1976 abgelöst. Das wird jetzt ein neuer wichtiger Bestandteil der transatlantischen Zusammenarbeit der EU.

Ziel dieses strategischen Partnerschaftsabkommen ist, die politischen Beziehungen, die Zusammenarbeit zwischen der EU und Kanada in außenpolitischen und sicherheitsbezogenen Fragen zu intensiveren sowie überhaupt die Zusammenarbeit in einer Vielzahl von Politikbereichen zu intensivieren. Ich will Ihnen nur beispielhaft die Bereiche internationale Sicherheit, Terrorismusbekämpfung, Krisenmanagement, maritime Sicherheit, Weltordnungspolitik, Energie, Verkehr, Forschung und Entwicklung, Gesundheit, Umwelt und Klimawandel nennen. Das Abkommen über eine strategische Partnerschaft hat einen sehr breiten Geltungsbereich. Das gibt diesem Abkommen auch seine politische Bedeutung.

Es soll - so ist es geplant - während des EU-Kanada-Gipfels, wie schon erwähnt, am 27. Oktober unterzeichnet werden. Genau für dieses Ereignis ist auch die Unterzeichnung von CETA geplant.

Die Bundesregierung hat heute in ihrer Kabinettssitzung den Bildungsbericht 2016 zur Kenntnis genommen und der Stellungnahme zugestimmt. Das ist der sechste nationale Bildungsbericht. Ich möchte ganz kurz zu einigen sehr erfreulichen Fakten kommen:

Erstens. Immer mehr Kinder unter drei Jahren besuchen Betreuungseinrichtungen. Zweitens. Der Trend zu höheren Schulabschlüssen ist ungebrochen. Drittens. Die Situation von Schulabgängern bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz verbessert sich kontinuierlich. Viertens. Die Zahl der Studienanfänger übersteigt 2015 mit 58 Prozent des Jahrgangs erneut deutlich die von Bund und Ländern gesetzte Zielmarke von 40 Prozent.

Selbstverständlich bleiben Herausforderungen. Man wird die Arbeit nie als beendet betrachten können.

Eine der wesentlichen Herausforderungen ist sicherlich der in Deutschland noch immer zu stark bestehende Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft eines Kindes und seinem Bildungserfolg. Eine weitere Herausforderung ist die Gruppe der formal gering oder nicht qualifizierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Es wird immer die Herausforderung bleiben, die Qualität von Bildungsangeboten weiter zu steigern und auch regionale Unterschiede in den Bildungsangeboten, die sich auftun, zu überwinden.

Bildungserfolg und Chancengerechtigkeit sind zentrale Ziele der Politik der Bundesregierung. Ich will Ihnen eine Zahl nennen: 2015 beliefen sich die Bildungsausgaben des Bundes auf 9,1 Milliarden Euro. Das sind 80 Prozent über dem Wert von 2008. Der Bund investiert zum Beispiel in frühe Sprachförderung, in die Stärkung der beruflichen Bildung, in bessere Studienbedingungen und in mehr Qualität in der Lehre. Er hat zusammen mit den Ländern den Hochschulpakt 2020 aufgestockt. Er hat den Qualitätspakt Lehre und die Qualitätsoffensive Lehrerbildung vereinbart.

Noch ein Wort zu einem Schwerpunktthema des diesjährigen Berichts. Das Schwerpunktthema ist Bildung und Migration. Dazu kann man resümierend sagen: Seit dem ersten Bericht, der diesen Schwerpunkt hatte - das war vor zehn Jahren -, hat sich viel verbessert, sowohl die Bildungsbeteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund als auch der Bildungserfolg dieser Gruppe. Es gibt mehr unter Dreijährige mit Migrationshintergrund, die Betreuungseinrichtungen besuchen. Die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler aus dieser Gruppe haben sich im Grundschul- und Sekundarbereich verbessert. Weniger jugendliche Ausländerinnen und Ausländer gehen in das Übergangssystem zwischen Schule und Beruf. Der Anteil der Studierenden mit Migrationshintergrund hat sich erhöht.

Das war mein Bericht aus dem Kabinett.

Frage: Herr Seibert, hat Frau Merkel ihrem Vizekanzler heute im Kabinett ihr uneingeschränktes Vertrauen ausgesprochen, nachdem er sich gestern mit Kommunisten und Grünen zur neuen Koalitionsbildung getroffen hat?

StS Seibert: Sie bringen da Partei- und Regierungsgeschäfte schwerstens durcheinander, wenn ich das so sagen darf. Die Sitzung des Bundeskabinetts verlief heute, ohne dass dieses Thema aufkam.

Zusatzfrage: Sie meinen, Herr Gabriel hat seinen Vizekanzler draußen gelassen, als er zu den Linken und zu den Grünen gegangen ist?

StS Seibert: Ich meine vor allem, dass sich das Bundeskabinett heute mit den wirklich schwergewichtigen inhaltlichen Themen befasst hat, die ich gerade versucht habe vorzutragen.

Frage: Ich habe eine Frage zu dem Thema CETA-Abkommen, nämlich inwiefern eine Rolle gespielt hat, wie es in diesen wenigen Tagen auf europäischer Ebene unterschriftsreif gemacht werden kann. Es wird ja auch morgen beim Europäischen Rat Thema sein. Hat man darüber diskutiert, inwiefern Belgien, Rumänien und Bulgarien aus unterschiedlichen Gründen noch überzeugt werden können?

StS Seibert: Nein, das hat keine Rolle gespielt. Wie ich vorgetragen habe, ist uns bekannt, dass es in einigen Ländern, insbesondere in Belgien, noch Schwierigkeiten gibt, gerade mit der Wallonie. Aber ich halte das nicht für eine bilaterale Angelegenheit zwischen Deutschland und diesen Ländern, sondern das wird auf europäischer Ebene und, ich glaube, auch mit intensiver Arbeit gerade in diesen Tagen hoffentlich geklärt.

Frage: Ich würde gerne von CETA zu Atom wechseln. - E.ON und RWE haben diesen Gesetzentwurf begrüßt, aber gleichzeitig gesagt, dass sie noch bilaterale Verträge mit dem Bund haben wollen, damit Rechtssicherheit geschaffen werden kann. Ist das Teil des weiteren Vorgehens? Was erwartet die Bundesregierung als Gegenleistung von den Unternehmen? Haben sie nach Ihrem Wissensstand angeboten, ihre Klagen zurückzuziehen, dass Vattenfall eventuell sein schon angeleiertes Verfahren vor dem internationalen Schiedsgericht zurückzieht? Was erwartet die Bundesregierung in diesen Verträgen? Wie lange zieht es sich, bis sie aus Ihrer Sicht unterschriftsreif sind? Das soll ja wahrscheinlich, wie auch das Gesetz, zum Jahreswechsel unter Dach und Fach sein.

StS Seibert: Ich schlage vor, dass das Bundeswirtschaftsministerium, das dieses Thema in das Kabinett eingebracht hat, Ihre Frage beantwortet.

Alemany: Gerne. - Klagerücknahmen sind nicht Gegenstand des Gesetzes heute. Wir werden jetzt in die Gespräche mit den EVUs eintreten und über einen möglichen Vertrag sprechen. Wir hatten hier schon angekündigt, dass wir die KFK-Empfehlungen eins zu eins per Gesetz umsetzen. Das ist heute damit geschehen und durch das Kabinett gegangen. Neben diesen gesetzlichen Vereinbarungen werden wir auch noch eine Art Vertrag mit den Unternehmen schließen. Dazu beginnen jetzt die Gespräche.

Zusatzfrage: Was soll dieser Vertrag dann beinhalten, zum Beispiel die Rücknahme?

Alemany: Er wird verschiedene Dinge beinhalten, die noch ausstehen. Ich kann nur sagen: Klagerücknahmen sind nicht Inhalt dieses Gesetzes heute.

Frage: Daran anschließend zum Thema Atommüllvertrag: Nach langem Gezerre hat man sich ja darauf geeinigt, 23,5 Milliarden Euro in den Staatsfonds einzuzahlen. Herr Seibert meinte gerade ein bisschen optimistisch, das würde reichen. Sind Sie ebenfalls optimistisch, oder kommen dann auf den Steuerzahler eine Menge an Kosten hinzu, wenn die 23,5 Milliarden Euro nicht reichen?

Alemany: Ziel unseres Gesetzes ist, zum einen die klare Verantwortungsregelung festzuzurren und zum anderen sicherzustellen und auch langfristig zu gewährleisten, dass Stilllegung, Rückbau und Entsorgung finanziert und die Kosten nicht auf die Gesellschaft übertragen werden können. Genau in diesem Spannungsfeld bewegt sich unser Gesetz. Deswegen wurde genau aufgeteilt, wer für was zuständig ist. Dafür gibt es jetzt den Fonds. Dafür gibt es die Einzahlungen der Betreibergesellschaften. Genau das ist Inhalt des Gesetzes.

Zusatzfrage: Können Sie sicherstellen, dass das Geld aus dem Staatsfonds reicht?

Alemany: Wir gehen davon aus, dass wir das gewährleisten können, ja.

Frage: Herr Seibert, was erwartet Frau Merkel heute nach dem Gespräch mit den Präsidenten Poroschenko, Putin und Hollande? Denn alle sagen, dass das Minsker Abkommen nur schleppend umgesetzt wird.

Die zweite Frage betrifft den heutigen Termin. Präsident Putin sollte erst nach Paris kommen, was jedoch abgesagt wurde. Der russische Botschafter in Paris hat gesagt, es komme zu Gesprächen in Berlin. Sie haben gesagt, das sei nicht sicher. Jetzt plötzlich steht dieser Termin fest. War das alles mit dem Besuch von Herrn Putin in Paris abgesprochen?

StS Seibert: Was Treffen in Berlin betrifft, sollten Sie eigentlich immer auf den Regierungssprecher hören, wenn ich das so sagen darf, nicht auf Botschafter anderer Länder in anderen Hauptstädten.

Ich fange einmal der Reihe nach an, zunächst mit Ihrer Frage nach den Erwartungen für heute Abend. Die Bundeskanzlerin hat sich gestern dazu geäußert. Das ist im Grunde genommen alles, was auch ich hier sagen kann.

Was die Lage in der Ukraine betrifft - das ist das Thema im Normandie-Format -: Wir haben die Minsker Vereinbarungen als eine Basis für alle. Aber wir sind bei ihrer Umsetzung im letzten Jahr nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis gekommen. Wir sind nicht da, wo wir sein möchten und sein müssten, sondern weit davon entfernt. Es stockt, wie die Bundeskanzlerin gesagt hat, an vielen Enden. Trotzdem ist in zahlreichen Experten- und Beraterrunden sehr intensiv gearbeitet worden. Deswegen ist es richtig, noch einmal einen Anlauf zu machen und jede Möglichkeit auszuschöpfen, so hat es die Bundeskanzlerin gestern ausgedrückt, eventuell doch Fortschritte zu erzielen. Dem muss erst einmal eine schonungslose Bestandsaufnahme vorangehen. Die Frage wird lauten: "Wo stehen wir?", so ernüchternd dies ist. Diese Bestandsaufnahme wird heute Abend geleistet werden.

Zu dem anderen Thema des Abends: Sie wissen, dass anschließend auch über das Thema Syrien gesprochen wird. Da will ich die Erwartungen womöglich noch tiefer hängen. Auch wenn heute offenbar einmal keine Angriffe geflogen werden, haben wir es nach Wellen von Angriffen des Assad-Regimes und seiner Verbündeten auf Aleppo gegen die Zivilbevölkerung und auch gegen medizinische Einrichtungen dort mit einer katastrophalen Situation zu tun. Erwarten Sie von dem Treffen zu Syrien heute Abend nicht mehr, als dass diese Zustände und die Verantwortlichkeiten dafür im Kanzleramt klar beim Namen genannt werden.

Zusatzfrage: Wird die Bundeskanzlerin das Thema Sanktionen heute bekräftigen?

StS Seibert: Dazu ist in den vergangenen Tagen alles gesagt worden. Auch die Bundeskanzlerin hat sich dazu geäußert. Ich habe Ihnen über das heutige Treffen das gesagt, was mir jetzt wichtig erscheint.

Frage: Herr Seibert, die Sprachregelung vorher war ja immer gewesen, ich glaube, auch Ihre Sprachregelung, solch ein Normandie-Treffen würde nur stattfinden, wenn es die Aussicht auf substanzielle Fortschritte geben würde. Jetzt werden die Erwartungen sehr tief gehängt; auch von Ihnen, auf jeden Fall die Erwartungen hinsichtlich substanzieller Fortschritte. Was hat zu diesem Strategiewechsel geführt? Ist letztendlich die Chance, mit Putin über Syrien zu reden, der Schlüsselreiz dafür gewesen, dieses Treffen jetzt dennoch ohne substanzielle Fortschritte zu veranstalten?

Zum Ablauf der Gespräche, wie das Ganze heute Abend stattfinden wird, gibt es unterschiedliche Darstellungen. Könnten Sie vielleicht den Abend einmal umreißen? Es soll ja auch ein Abendessen geben. Wer sind die Teilnehmer bei diesem Abendessen?

StS Seibert: An dem Treffen im Normandie-Format nehmen natürlich die vier Delegationen teil, auf allen Seiten auch die Außenminister und eine bestimmte Zahl von Beratern. Es gibt nicht ein Abendessen separat, sondern das ist ein Arbeitstreffen. Bei dem wird es aufgrund der Uhrzeit auch etwas zu essen geben.

Im Anschluss gibt es dann - ich kann Ihnen noch nicht sagen, um welche Uhrzeit das sein wird - zwischen der Bundeskanzlerin, dem französischen Präsidenten und dem russischen Präsidenten ein Gespräch über Syrien. Zum Abschluss, im Laufe des Abends, wird es eine Pressekonferenz der Bundeskanzlerin und des französischen Präsidenten geben, so wie wir das vor einem Jahr auch beim letzten Normandie-Gipfeltreffen in Paris gemacht haben.

Ansonsten sehe ich überhaupt keine Strategieänderung. Die Bundeskanzlerin hat sich gestern, wie gesagt, sehr klar zu den Erwartungen an das Treffen geäußert. Darauf möchte ich jetzt einfach verweisen. Ich habe versucht, es in meinen Worten gerade noch einmal zu sagen.

Zusatzfrage: Aber die Erwartungshaltung war ja früher größer. Auch wurde immer betont, dass ein Treffen nur stattfinden könnte, wenn tatsächlich substanziell etwas dabei herauskommt. Aber jetzt hängen Sie selbst die Erwartungen tiefer.

StS Seibert: Wenn die Chance, wenn die Hoffnung besteht, dass man an einem Punkt vielleicht vorankommt, ja. Ganz ohne Hoffnung geht man in kein Treffen. Gleichzeitig muss man konstatieren, dass wir, was die Umsetzung von Minsk betrifft, überhaupt nicht da sind, wo wir sein sollten. Das ist ein nicht zufriedenstellender Zustand. Die Bestandsaufnahme - "schonungslos", wie die Kanzlerin gestern gesagt hat - muss heute Abend geleistet werden. Nur auf dieser Basis kann man möglicherweise - aber ich will da jetzt konkret keine Hoffnungen wecken - vorankommen.

Frage: Noch einmal zum Normandie-Format nachgefragt: Herr Seibert, Sie haben sich am Montag noch sehr zurückgehalten. Was ist von Montag zu Dienstag passiert, dass dieses Treffen dann doch stattfinden kann? Der Kollege hat den Begriff "Schlüsselreiz" genannt. Was ist passiert? Was hat diesen Wechsel hervorgerufen? Sie können auch "unter drei" gehen.

StS Seibert: Danke für das Angebot, aber ich bleibe "unter eins". - Zwischen Montag und Dienstag ist es zu einer Einigung der vier teilnehmenden Chefs gekommen, dieses Treffen abzuhalten.

Frage: Herr Seibert, wieso gibt es eigentlich keine gemeinsame Pressebegegnung mit Herrn Putin? Es wäre doch auch interessant, was er nach einem solchen Gespräch zu sagen hat. Will man sich vonseiten der Kanzlerin und des französischen Präsidenten nicht mit Putin vor Mikrofonen öffentlich zeigen, oder was ist der Grund?

StS Seibert: Wir bewegen uns im Normandie-Format. Das Normandie-Format ist der Versuch Frankreichs und Deutschlands, der Regierungen beider Länder, mit ihren guten Diensten zu einer politischen, diplomatischen und friedlichen Lösung für die destabilisierte Ostukraine zu kommen. Deswegen sind es Frankreich und Deutschland, der Präsident und die Bundeskanzlerin, die am Ende solcher Treffen ihre Bewertungen zusammenfassen und vor der Presse vortragen. So war es bei dem Gipfeltreffen in Paris, und so wird es auch dieses Mal sein.

Zusatzfrage: Ich bin jetzt nicht auf dem Laufenden, was sämtliche Formatstreffen mit der Kanzlerin usw. angeht. Das heißt, im Normandie-Format hat der russische Präsident noch nie eine Pressekonferenz gegeben?

StS Seibert: Das will ich nicht sagen. Aber ich kann mich an keine erinnern, die er zusammen mit der Bundeskanzlerin und dem französischen Präsidenten gegeben hätte. Er wird sicherlich Wege finden, die Presse über seine Einschätzungen des Abends zu unterrichten.

Frage: Herr Seibert, ich versuche es noch einmal: Sie haben am Freitag wörtlich gesagt, die Kanzlerin sehe nur einen Sinn im Normandie-Treffen, wenn es die Chance und den Willen gibt, voranzukommen. Warum erkennt die Kanzlerin jetzt diese Chance, wenn sie diese Chance am Freitag noch nicht erkannt hat?

StS Seibert: Ich glaube, ich habe Ihnen über die Erwartungen, mit denen wir in den heutigen Abend gehen, das gesagt, was ich Ihnen sagen kann. Die Bundeskanzlerin hat sich gestern ausführlich dazu geäußert. Jetzt würde ich sagen: Warten Sie ab, welche Bewertung dann am Ende des Abends vorgenommen wird. Es gibt jedenfalls die Einigung aller vier, der drei Präsidenten und der Bundeskanzlerin, trotz der nicht zufriedenstellenden Situation den Anlauf zu unternehmen und sich zu diesem Gipfeltreffen zusammenzusetzen.

Frage: Herr Seibert, hätte dieses Treffen ohne die Ankündigung einer Feuerpause in Aleppo seitens der russischen Führung stattgefunden?

StS Seibert: Ich sehe da jetzt keinen Zusammenhang. Die Bundeskanzlerin hat, jedenfalls von ihrer Seite, nie irgendwelche Vorbedingungen solcher Art für dieses Treffen gestellt.

Natürlich kann man diese Feuerpause - das ist nur eine kurze Unterbrechung der pausenlosen Angriffe von, ich glaube, acht Stunden - begrüßen. Aber das kann nur der erste Schritt zu einer wirklich viel umfassenderen und, wie von uns geforderten, nachhaltigen Waffenruhe sein. Acht Stunden reichen keinesfalls aus, um der leidenden Zivilbevölkerung die Hilfe und humanitäre Versorgung zukommen zu lassen, die sie braucht. Das kann nur der erste Schritt sein. Wir brauchen möglichst in ganz Syrien eine nachhaltige Waffenruhe.

Ziel der Waffenruhe - dies möchte ich noch hinzufügen - kann aus unserer Sicht auch nicht sein, die Zivilbevölkerung zwangsweise aus Aleppo zu evakuieren. Wir sind der festen Überzeugung, dass die humanitäre Versorgung der Menschen vor Ort, also auch in Ost-Aleppo, sichergestellt werden muss. Die humanitäre Versorgung sollte unter der Kontrolle und Aufsicht der Vereinten Nationen erfolgen.

Frage: Sieht die Bundesregierung überhaupt einen Zusammenhang zwischen den beiden Themen? Würde ein Entgegenkommen bei einem der beiden Themen Auswirkungen auf das andere haben, auf die Sanktionsdiskussion, oder sind das für die Bundesregierung zwei völlig voneinander losgelöste Themen?

StS Seibert: Sie sind dadurch verbunden, dass Russland in beiden Fällen ein notwendiger Gesprächspartner ist. Wir haben die Dinge, beispielsweise was Sanktionen betrifft, immer klar voneinander getrennt.

Frage: Weil mich diese Prozesse interessieren, möchte ich auf das sehr karge "Alle vier haben sich geeinigt" zurückkommen. Wie läuft so etwas ab?

StS Seibert: Durch Gespräche. Sie sehen: Ich möchte da gerne relativ karg sein. Aber das ist ja nicht verwunderlich: durch Gespräche der Berater und auch durch Gespräche der Chefs. Wir hatten Ihnen ja über eine Reihe von Gesprächen berichtet, die die Bundeskanzlerin zum Teil gemeinsam mit Präsident Hollande, mit Herrn Poroschenko, mit Präsident Putin hatte. In Gesprächen der Berater und der Chefs wird eine solche Einigung gefunden.

Frage: Ich habe zwei Fragen: Erstens. Können Sie der Lesart etwas abgewinnen, dass Herr Putin zwar zu einem Treffen im Normandie-Format bereit war, aber nicht dazu, über Syrien zu reden, und dass am Schluss nur diese Zusage zu dem Treffen geführt hat?

Zweitens. Sie haben vorhin von zahlreichen Gesprächen auf Berater- und Chefebene gesprochen. Kann man in irgendeiner Form quantifizieren - das Ganze wird ja schon eine Weile vorbereitet -, wie oft - diese Frage richtet sich auch an das Auswärtige Amt, das ja schon länger daran arbeitet - dies der Fall gewesen ist?

StS Seibert: Ich kann Ihnen zu der ersten Frage nur sagen, dass es aus Sicht der Bundesregierung, der Bundeskanzlerin immer klar war, dass, wenn ein solches Treffen zustande kommt, dabei auch über Syrien gesprochen werden muss.

Schäfer: Eigentlich während der gesamten Zeit, aber sicher in den letzten sechs Monaten haben unser Arbeitsstab, der Politische Direktor, der zuständige Beauftragte, der Staatssekretär immer in enger Abstimmung mit den Beratern der Bundeskanzlerin und dem Bundeskanzleramt, ich würde sagen, tagtäglich an dem Ukraine-Dossier gearbeitet. Wir sind da vom Hölzchen aufs Stöckchen gekommen und vom Stöckchen auf noch kleinere Maßeinheiten, weil wir einfach immer wieder die Konfliktparteien dazu bringen wollten und weiter bringen wollen - und wenn es noch so kleine Schritte sind -, diese Schritte bei der Umsetzung von "Minsk" miteinander zu gehen.

Langes Bohren und ganz viele Beratungen und Gespräche haben dazu geführt, dass am 21. September immerhin ein Entflechtungsabkommen unterzeichnet werden konnte, das in einem ersten Schritt vorsieht, an drei Orten diese Entflechtung, also die Trennung der kämpfenden Truppen auf beiden Seiten, voranzutreiben, in Gang zu bringen. Wir sind einigermaßen zufrieden mit dem Umsetzungsstand an diesen drei Orten. Das ist doch schon mal ein Hoffnungsschimmer dafür, dass man an dieser Front, bei der Frage der Sicherheit und bei der Frage eines nachhaltigen Waffenstillstands, vielleicht doch ein paar Fortschritte erzielen kann.

Aber es gibt bei der Umsetzung von "Minsk" ganz viele Baustellen, an denen ganz viele Kolleginnen und Kollegen aus dem Kanzleramt und aus dem Auswärtigen Amt seit vielen, vielen Monaten mit unendlicher Geduld arbeiten.

Frage: Herr Seibert, wenn ich mich richtig erinnern kann, hat die Bundeskanzlerin Russlands Engagement in Syrien als Beinahe-Kriegsverbrechen bezeichnet; vielleicht ist es aktueller geworden, ich weiß es nicht. Können Sie mir sagen, was bisher an Russlands Engagement in Aleppo gefehlt hat, dass Herr Putin aus Sicht der Bundeskanzlerin nicht als Kriegsverbrecher gilt?

StS Seibert: Nein, ich möchte jetzt hier nicht in eine Definitionsdiskussion hineingehen. Sie wissen, dass UN-Generalsekretär Ban Ki-moon die Angriffe auf humanitäre Konvois, auf die Zivilbevölkerung in Aleppo, auf medizinische Einrichtungen in Aleppo barbarisch genannt hat und auch das Wort "Kriegsverbrechen" benutzt hat. Darin stehen wir an seiner Seite. Ich werde jetzt aber hier nicht weiter in Definitionsdiskussionen eintreten, denn ich glaube nicht, dass das zur Linderung der Katastrophe beiträgt.

Zusatzfrage: Auch wenn Sie notwendigerweise karg bleiben müssen, können Sie uns zumindest sagen, was sie heute Abend essen werden, um die Gespräche zu ermöglichen?

StS Seibert: Mangels Wissen kann ich es Ihnen nicht sagen.

Ich will es noch mal sagen: Es ist ein Arbeitstreffen. Es geht nur und ausschließlich darum, dass die Regierungschefs, die Präsidenten und die Außenminister der vier "Normandie-Länder" zusammensitzen und in aller Ernsthaftigkeit und auch Schonungslosigkeit miteinander beraten. Das ist das Wesentliche. Das Gastronomische steht ganz am Rande.

Frage: Anschließend an die Frage zum Thema Kriegsverbrechen: Wichtige Verbündete - Frankreich, Großbritannien, die USA - haben das ja in den Raum gestellt und entsprechend Gerichtsverfahren angemahnt. Teilt die Bundesregierung da die Haltung der wichtigen Verbündeten, oder ist sie da über Kreuz mit den wichtigen Verbündeten?

Schäfer: Dass all die Schrecklichkeiten, die in fünfeinhalb, fast sechs Jahren Bürgerkrieg in Syrien passiert sind, aufgeklärt werden müssen, dass auch die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssen, ist doch eine Selbstverständlichkeit. Die Frage ist, wie das gehen kann, jedenfalls bei der internationalen Strafgerichtsbarkeit.

Der französische Vorschlag sieht vor, das Römische Statut über ein Votum des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu einer Aufklärung durch den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Ein solcher Schritt lässt sich durchaus in Erwägung ziehen, jedenfalls in der Theorie. In der Praxis dürfte er nicht zu verwirklichen sein, weil es das Vetorecht von bestimmten Nationen gibt, die ganz sicher kein Interesse haben, dass genau das in diesem Moment geschieht.

Aber auch darüber hinaus gilt: Natürlich müssen Kriegsverbrechen aufgeklärt und Kriegsverbrecher zur Verantwortung gezogen werden. Für uns steht aber absolut im Mittelpunkt - da sehen wir uns auch in völliger Übereinstimmung mit unseren westlichen und anderen Partnern -, dass wir diesem Wahnsinn ein Ende bereiten. Wie Herr Seibert es gerade noch mal wiederholt und bekräftigt hat: dass es humanitären Zugang gibt, dass in Aleppo und darüber hinaus endlich eine Waffenruhe vereinbart und dann auch eingehalten wird und durchgesetzt werden kann und dass ein politischer Prozess in Gang kommt, der diesem Bürgerkrieg auf politische Art und Weise ein Ende bereitet, das ist das, was im Mittelpunkt steht. Da sehe ich überhaupt nichts, was uns mit unseren Partnern irgendwo über Kreuz liegen ließe.

Zusatzfrage: Vielleicht habe ich es nicht konkret genug formuliert. Die Frage des Kollegen, an die ich anschloss, bezog sich ja darauf, dass die Verbündeten und andere namentlich Russland auch solche Verbrechen vorwerfen und den Vorwurf von Kriegsverbrechen namentlich mit Russland verbinden. Sie haben das jetzt eben wieder nicht gemacht.

Darum noch mal meine Nachfrage: Teilt die Bundesregierung da die Haltung der wichtigen Verbündeten, dass dieser Vorwurf namentlich Russland zu machen ist, oder bleibt sie bei dem, was Sie jetzt gesagt haben, dass das ein allgemeiner Vorwurf ist, der bitte nicht mit Russland namentlich in Verbindung zu bringen ist?

Schäfer: Ich kann über das hinaus, was ich da gesagt habe, gar nichts hinzufügen.

In Syrien sind furchtbar viele Kriegsverbrechen begangen worden. Die Definition von Kriegsverbrechen ist keine einfache. Das humanitäre Völkerrecht sieht dafür klare Tatbestandsvoraussetzungen vor. Da muss man in jedem Einzelfall genau schauen, was passiert ist. Bei den Ereignissen, auf die Sie vielleicht anspielen, dem Angriff auf den humanitären Konvoi etwa, bei Angriffen auf Krankenhäuser, spricht sehr viel dafür, dass diejenigen, die das zu verantworten haben, sich damit auch einem Vergehen gegen das humanitäre Völkerrecht schuldig gemacht haben.

Frage: Eine Frage zum Thema Reichsbürger an das Bundesinnenministerium: Es gab ja heute diesen Angriff auf die Polizisten. Es steht jetzt der Vorwurf im Raum, dass die ganze Reichsbürgerszene unterschätzt würde. Ist dem so? Wie will man zukünftigen Dingen dieser Art den Riegel vorschieben? Was sagt der Verfassungsschutz?

Plate: Das ist natürlich ein ganz erschreckender Vorfall. Das ist nicht der erste Vorfall, in dem Polizistinnen und Polizisten, die im Interesse der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland jeden Tag auf der Straße sind und dort teilweise unter großem Einsatz, manchmal auch unter Gefährdung für Leib oder Leben ihren Dienst versehen, tatsächlich zum Opfer von Extremisten werden. So dürfte es jedenfalls nach vorläufiger Einschätzung auch hier sein, denn in der Reichsbürgerbewegung sind einige Extremisten, auch zum Teil rechtsextreme Strömungen vertreten.

Zu dem konkreten Vorfall will ich jetzt nicht so sehr viel sagen, weil er sich in der Zuständigkeit der bayerischen Landesbehörden abgespielt hat und wir im Bundesinnenministerium zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sehr viel Detailwissen darüber haben. Das liegt in der Natur der Sache.

Die Reichsbürgerbewegung als solche ist ziemlich heterogen und zersplittert. Deswegen fällt es ein bisschen schwer, dazu eine Pauschalbeurteilung nach außen zu vertreten. Sie wissen vielleicht, dass der Verfassungsschutzverbund - so möchte ich das mal ausdrücken - sich schon länger mit der Reichsbürgerbewegung beschäftigt. Es gibt zahlreiche Publikationen, vor allen Dingen von Landesämtern für Verfassungsschutz. Es gibt auch eine umfangreiche Einschätzung von Bundesseite in einer Beantwortung einer Kleinen Anfrage. Die ist, glaube ich, schon zwei Jahre alt - nein, sogar vier Jahre alt -, aber das ist im Wesentlichen weiter aktuell. Wir haben diese Beantwortung der Kleinen Anfrage heute noch einmal über Twitter verbreitet.

Bei solchen erschreckenden Vorfällen, die insbesondere für die Familie der Betroffenen furchtbar sind - bei ihnen sollten unsere Gedanken in erster Linie im Moment sein -, ist es ein bisschen verfrüht, dann immer am gleichen Tag oder am Tag danach ganz konkrete Forderungen aufzustellen, etwaige Versäumnisse festzustellen usw. Man muss sich das genau anschauen.

Richtig ist aber, dass die Bundesregierung davon ausgeht, dass das extremistische Potenzial der Reichsbürgerbewegung eher nicht so besonders groß ist. Bei aller Vorsicht gehen wir von einer niedrigen dreistelligen Zahl aus. In dieser Bewegung sind auch ganz viele Einzelpersonen und Kleinstgruppierungen unterwegs, die, ehrlich gesagt, mit pseudojuristisch verbrämten Argumentationen absurde Thesen zum Fortbestehen des Deutschen Reichs vertreten, Fantasiepapiere benutzen und sich gänzlich als außerhalb des deutschen Staatswesens stehend verstehen. Das ist in großen Teilen zwar absurd, aber überwiegend ein sozusagen ordnungsrechtliches Problem. Der extremistische Anteil ist nicht so groß, aber vorhanden. Natürlich muss man da sehr genau hinschauen. Das wird sicher auch jetzt Anlass sein, noch einmal zu überprüfen, ob die bisherigen Bewertungen dazu weiter Bestand haben oder nicht.

Frage: Ich habe eine Frage an das Verteidigungsministerium. Finanzminister Wolfang Schäuble hat gestern gesagt: Wir brauchen bald einen EU-Verteidigungsetat, also keinen nationalen mehr, sondern einen gesamteuropäischen Verteidigungsetat. Ist das ein Ziel, das die Verteidigungsministerin auch anstrebt und sich auf die Fahnen geschrieben hat?

Flosdorff: Ich hatte keine Gelegenheit, mit der Verteidigungsministerin darüber zu sprechen. Wir sind im Moment sehr damit beschäftigt, unseren nationalen Verteidigungsetat zu erhalten, durch das Parlament gebilligt zu bekommen.

Sicherlich ist es richtig, dass man auch auf europäischer Ebene schaut: Wie sind die Finanzentwicklungen dort? Was investieren andere europäische Länder in Sicherheit? Das ist ja auch Gegenstand der deutsch-französischen Initiative auf EU-Ebene im Moment.

Ich kann Ihnen leider nicht sagen, was im Detail mit den Äußerungen des Finanzministers verbunden ist, der sich dankenswerterweise auch Gedanken darüber macht, wie es da auf europäischer Ebene weitergeht.

Mittwoch, 19. Oktober 2016

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 19. Oktober 2016
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/10/2016-10-19-regpk.html;jsessionid=BB17925EA77BD70C06B4E14972F9105B.s7t1
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2016

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