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PRESSEKONFERENZ/1438: Regierungspressekonferenz vom 12. April 2017 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut Mitschrift der Pressekonferenz - Mittwoch, 12. April 2017
Regierungspressekonferenz vom 12. April 2017

Themen: Sprengstoffanschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund, Eröffnung der Hannover Messe 2017 durch die Bundeskanzlerin und die polnische Ministerpräsidentin, Kabinettssitzung (Deutsches Stabilitätsprogramm 2017, Nationales Reformprogramm 2017, Stadtentwicklungsbericht 2016, Eckpunkte zum Kindergeld für im EU-Ausland wohnende Kinder, 5. Armuts- und Reichtumsbericht 2017 der Bundesregierung), Reisen des Bundesaußenministers nach Serbien, Kosovo und Albanien, Überlegungen über ein Zusammengehen der Bahntechnikhersteller Bombardier und Siemens, Äußerungen des US-Regierungssprechers über den Staatspräsidenten Syriens, Brief der AfD an den Bundesinnenminister, Funktion des Kanzleramtsministers im Bundestagswahlkampf der CDU, Kabinettsausschuss "Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union", Standortwettbewerb zwischen EU-Ländern um Unternehmen im Zuge des Austritts Großbritanniens aus der EU, konsularische Betreuung Deniz Yücels und weiterer vier in der Türkei Inhaftierter mit deutscher Staatsangehörigkeit

Sprecher: StS Seibert, Plate (BMI), Schneider (BMAS), Malachowski (BMJV), Schäfer (AA), Wagner (BMWi), Haufe (BMUB)


Vorsitzender Detjen: Guten Tag, meine Damen und Herren, herzlich willkommen in der Bundespressekonferenz! Wir begrüßen Regierungssprecher Steffen Seibert und die Sprecherinnen und Sprecher der Bundesministerien.

Wie neulich bei der Mitgliederversammlung der Bundespressekonferenz vereinbart, haben wir beschlossen, auf Wunsch einzelner Mitglieder bei besonderen Themenlagen die Möglichkeit zu geben, den Anfang dieser Regierungspressekonferenz - anders, als das sonst üblich ist - auch live übertragen zu können. Mit Blick auf die Ereignisse in Dortmund und Wünsche aus der Mitgliedschaft der Bundespressekonferenz haben wir uns entschlossen, das heute so zu machen. Das heißt, es besteht die Möglichkeit, jetzt live zu senden. Herr Seibert und Herr Plate für das Bundesinnenministerium werden am Anfang kurz etwas dazu sagen, dann lasse ich einige Fragen dazu zu und dann gehen wir wieder in den normalen Modus, das heißt, dann werden die Live-Übertragungen beendet und es kann wie immer danach über die Regierungspressekonferenz berichtet werden. - Herr Seibert, bitte.

StS Seibert: Meine Damen und Herren, die Bundeskanzlerin war gestern Abend - wie die Menschen in Dortmund, wie Millionen überall - entsetzt über die Nachrichten von dem Anschlag auf den Mannschaftsbus des BVB. Das ist eine widerwärtige Tat. Man kann nur erleichtert sein, dass sie nicht noch schlimmere Folgen hatte. Aber es ist schlimm genug, dass es die beiden Verletzten - den Spieler Marc Bartra und den verletzten Polizisten - gibt. Unsere Gedanken und unsere guten Wünsche sind bei diesen beiden Verletzten. Wir hoffen, dass sie schnell und vollständig genesen.

Die Bundeskanzlerin hat heute Vormittag mit dem Geschäftsführer des BVB, mit Hans-Joachim Watzke, telefoniert. Sie hat ihm, der Mannschaft, dem Trainerstab und auch den Dortmund-Fans insgesamt alles Gute gewünscht. Es gilt ja wirklich, ein großes Lob an die Mannschaft, an die Fans beider Vereine im Stadion und an die Polizei auszusprechen. Sie alle haben in dieser Situation besonnen reagiert. Fans des BVB und Dortmunder haben sich in spontaner Gastfreundschaft um Anhänger des AS Monaco gekümmert. Es ist gut, zu sehen, dass in einer solchen Situation wahre Fußballfans mitmenschlich reagieren.

Jetzt liegt die Aufklärung des Anschlags bei den Ermittlungsbehörden, die unsere ganze Unterstützung haben. Sie werden alles tun, um den oder die Täter zu finden und um ihn oder sie der Justiz zuzuführen.

Plate: Ich möchte dem nur Folgendes hinzufügen:

Der Bundesinnenminister hat entschieden, heute aus Solidarität nach Dortmund zu fahren und dort dem Fußballspiel, das heute nachgeholt wird, beizuwohnen.

Ich möchte ebenfalls sagen, dass das Bundeskriminalamt auf Bitten des Generalbundesanwalts die Ermittlungen in diesem Fall übernommen hat. Noch gestern Nacht sind Beamte des Bundeskriminalamtes dorthin gefahren, um ganz eng in die Ermittlungen, die zunächst in Nordrhein-Westfalen gelaufen sind, eingebunden zu sein. Der Aufbau einer besonderen Aufbauorganisation beim BKA ist jetzt in vollem Gange.

Frage : Herr Plate, wie kann es eigentlich sein, dass quasi parallel oder schon kurz nach dem Ereignis in Dortmund die Entscheidung gefallen ist, heute das Spiel auszutragen? Man erinnert sich an den Fall Hannover im November 2015, wo das Spiel aufgrund einer unklaren Risikobewertung abgesagt worden ist. In diesem Fall hat es ein Ereignis gegeben und trotzdem sagt man: Das Spiel findet am nächsten Tag statt. - Wie kann das sein?

Plate: Ich bin mir nicht sicher, ob Sie sozusagen die Frage an den richtigen Adressaten richten. Es ist jedenfalls so, dass die Einschätzung der dortigen Sicherheitslage natürlich in die Hände der zuständigen Landesbehörden in Nordrhein-Westfalen gehört, die das selbstverständlich mit den Club-Verantwortlichen besprochen haben. Es ist immer so, dass in solchen Fällen auch ein Austausch zwischen Bundes- und Landesbehörden stattfindet. Wie ich ja gestern bereits gesagt habe, haben sich allein aus Ermittlungsgründen bereits schon gestern Nacht Beamte des Bundeskriminalamtes dorthin begeben haben. Aber konkrete Details dazu, wieso oder aus welchen Beweggründen die zuständigen Landesbehörden die von Ihnen benannte Entscheidung getroffen haben, kann ich Ihnen, ehrlich gesagt, von hier aus nicht mitteilen.

Zusatz : Aber das Risiko, dass heute etwas passiert, scheint ja aus Ihrer Sicht nicht besonders groß zu sein, wenn das jetzt reibungslos über die Bühne geht.

Plate: Ich weiß jetzt nicht genau, woraus Sie das herleiten. Wenn ich sage, dass die Entscheidung über die Einschätzung der Sicherheitslage in der Zuständigkeit der Behörden in Nordrhein-Westfalen liegt, weiß ich nicht, wieso Sie daraus herleiten, dass aus Sicht des Bundesinnenministeriums das Risiko nicht hoch ist. Das scheint mir nicht ganz konsistent zu sein.

Richtig ist aber, dass jedenfalls uns keine Hinweise darauf bekannt sind, dass es dort im Moment eine besondere Bedrohungslage gäbe. Das war - auch wenn sich Vergleiche zwischen den beiden von Ihnen genannten Ereignissen schon deswegen verbieten, weil hier die Ermittlungen alles andere als abgeschlossen sind - jedenfalls im Fall Hannover anders.

Frage : Mich würde zum einen interessieren, ob die Bundeskanzlerin selbst sich, wie das der Innenminister tut, Gedanken darüber gemacht hat, aus Solidarität ins Dortmunder Stadion zu gehen.

Mich würde zum Zweiten interessieren: Können Sie, Herr Plate, auch wenn die Bundesanwaltschaft die Regie hat, zumindest einen Hinweis geben, wie hart und gesichert Erkenntnisse, Informationen sind, die diese Tat in die Richtung eines islamistischen Hintergrunds einordnen?

StS Seibert: Die Bundeskanzlerin hat ihre Solidarität ja sehr deutlich ausgedrückt, auch gerade heute Vormittag noch einmal in dem Telefongespräch mit Herrn Watzke, dem Geschäftsführer des BVB. Es ist sehr gut, dass der Innenminister heute für die gesamte Bundesregierung diese Solidarität noch einmal zeigt, indem er im Stadion sein wird.

Plate: Vielen Dank für die Frage. - Sie hatten schon geahnt, dass ich mit Blick auf die Gewaltenteilung nicht sehr stark ins Detail gehen kann, was Ihre Frage angeht. Die Ermittlungen laufen beim Generalbundesanwalt, und ich muss daher ein bisschen an der Oberfläche bleiben, kann aber vielleicht doch so viel sagen:

Es hat hier ein Bekennungsschreiben gegeben, das im Prinzip in unmittelbarer Tatortnähe gefunden worden ist. Ich möchte nur sagen, dass wir jedenfalls bei den Anschlägen in der jüngeren Vergangenheit, die wir einer islamistischen Motivation zugeordnet haben und zuordnen konnten, eine solche Konstellation bislang nicht gehabt haben. Das fällt hier auf und weicht jedenfalls ab.

Darüber hinaus kann ich nur sagen, dass gegenwärtig in alle Richtungen ermittelt wird. Sie können sich vorstellen, dass das unter Hochdruck geschieht. Ich habe ja schon ein bisschen geschildert, dass das Bundeskriminalamt sehr schnell eine besondere Aufbauorganisation mit zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufgebaut hat beziehungsweise gerade im Begriff ist, den Aufbau abzuschließen, um sehr schnell handlungsfähig zu sein und zügig so viel Licht ins Dunkel zu bringen, wie das möglich ist.

Frage: Herr Plate, plant das Innenministerium irgendwelche besonderen Maßnahmen, um sportliche Großveranstaltungen abzusichern oder ist das reine Kompetenz der Landesbehörden?

Plate: Es ist genau so, wie Sie es am Schluss Ihrer Frage geschildert haben. Es liegt in der Zuständigkeit der Landesbehörden, die Sicherheitsmaßnahmen, die bei Großveranstaltungen erforderlich sind, einzuschätzen und auch vorzunehmen. Insofern kann ich darüber hier zum jetzigen Zeitpunkt nichts berichten.

Zusatzfrage : Das heißt, der Minister will auch keine Ratschläge geben oder Richtlinien auflegen?

Plate: Ich möchte mich nicht so gerne wiederholen, aber was ich vielleicht doch dazu sagen kann, ist Folgendes: Bei Gefährdungseinschätzungen gibt es immer einen Federführer, und das ist zuständige Land. Ich habe aber auch gerade schon gesagt, dass Landes- und Bundessicherheitsbehörden dazu im Austausch sind. Das bedeutet natürlich auch, dass sich der Bund mit seinen Sicherheitsbehörden in diesen Austausch einbringt. Dieser Austausch ist aber interner Natur, sodass ich um Verständnis bitte: Wenn es nach außen etwas zu verkünden gibt, tut es die Stelle, deren Zuständigkeit als federführend beschrieben werden kann.

Frage : Herr Seibert, Herr Plate, findet die Bundesregierung es nachvollziehbar, dass dieses Spiel heute gerade angesichts der Tatsache stattfindet, dass Menschen, auf die gestern ein Anschlag verübt worden ist, heute wieder arbeiten müssen? Finden Sie das nachvollziehbar?

StS Seibert: Die Entscheidung ist ja zwischen den Vereinen und den Sicherheitsverantwortlichen in Dortmund gefällt worden. Ich habe das hier nicht zu kommentieren. Wir alle wünschen uns, dass das heute ein friedliches und ein gutes, faires Fußballspiel wird.

Plate: Vielleicht nur ganz kurz: So will ich es auch halten. Die Tatsache, dass der Bundesinnenminister selber hinfährt und sich dieses Spiel ansehen wird, ist etwas, was, glaube ich, schon genug darüber aussagt.

Zusatzfrage : Ist es aus Sicht des Arbeitsministeriums okay, dass Menschen, auf die gestern ein Anschlag verübt wurde, einen Tag später wieder arbeiten müssen?

Schneider: Ich habe dem, was Herr Seibert und Herr Plate soeben gesagt haben, nichts hinzuzufügen.

Vorsitzender Detjen: Dann sind wir am Endes des Teils, der live übertragen werden konnte. Ich würde die Kollegen und Sender, die diesen Teil live übertragen haben, bitten, jetzt die Live-Übertragung zu beenden. Wie immer kann dann natürlich über das, was jetzt in der Regierungspressekonferenz kommt, anschließend berichtet werden.

Frage: Verständnisfrage an Herrn Plate, ohne dass ich Sie sozusagen in die Haftung nehmen will: Sie sagten eben, es sei im Gegensatz zu anderen Fällen tatortnah ein Bekennerschreiben gefunden worden. Da die anderen Fälle doch islamistisch zugeordnet worden sind, bedeutet dieser Hinweis, dass Sie hier davon ausgehen, dass das eher ein Indiz gegen eine tatsächlich islamistische Bedrohung ist oder wie soll ich das interpretieren?

Plate: Letztendlich muss ich Ihnen selber überlassen, wie Sie mich interpretieren. Gesagt habe ich das, was ich gesagt habe, und würde das, ehrlich gesagt, selber auch nicht sozusagen mit einer Handlungs- oder Gebrauchsanweisung zur Interpretation versehen.

Richtig ist, dass in alle Richtungen ermittelt wird und dass der von mir genannte Aspekt sicher einer ist, der jedenfalls einen atypischen Charakter hat. Was das am Ende für das Ermittlungsergebnis bedeuten wird, das müssen wir dann, ehrlich gesagt, sehen und dazu die Ermittlungen abwarten.

Frage : Herr Plate, eine technische Frage. Ist denn bekannt, wie die Sprengsätze gezündet wurden? Per Kabel oder Funk? War der Täter in der Nähe, um den Knopf zu drücken oder wie kann man sich das vorstellen?

Plate: Falls sich die Frage an mich richtet, ist die Antwort, dass all das Gegenstand der laufenden Ermittlungen ist.

Malachowski: Da wir hier ins Detail gehen, wollte ich nur darauf hinweisen, dass heute um 14 Uhr der Generalbundesanwalt als ermittlungsführende Stelle vor die Presse treten wird.

Frage: Herr Plate, Sie haben auf die Zuständigkeit der Landesbehörden hingewiesen. Ich frage mich: Gibt es ein Gremium, in dem ein national abgestimmtes Krisenreaktionsschema für die Bedrohung von Sportgroßveranstaltungen diskutiert, aktuell fortgeschrieben wird? Kann es sein, dass sich die einzelnen Reaktionen in den einzelnen Ländern je nach Entschlossenheit - oder nach welchen Überlegungen auch immer - faktisch deutlich voneinander unterscheiden?

Plate: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich die Frage richtig verstehe. Wenn ich Ihnen mit einer Antwort begegne, die Sie vielleicht langweilt, weil Sie das schon alles wissen, dann stoppen Sie mich.

Es ist natürlich so, dass es im Bereich Gefahren des Terrorismus ein Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum gibt, in dem die Landes- und Bundessicherheitsbehörden - 40 an der Zahl - vertreten sind. Dort kommt man mit Bezug auf terroristische Gefahrenlagen traditionell und in der Praxis zu einer gemeinsamen Bewertung. Der Federführer nimmt die Bewertung vor, und alle anderen in diesem Gremium diskutieren diese Bewertung gemeinsam. Es ist üblich, dass man der Bewertung widersprechen kann und das auch tut, wenn man sie selber nicht für zutreffend hält.

Sie hatten gefragt, ob Länder zu unterschiedlichen Maßnahmen kommen können. Die einfache Antwort ist: Ja. Die etwas detailliertere und differenziertere Antwort ist: Ja, das liegt daran, dass immer Szenarien diskutiert werden, die mutmaßlich in einem ganz bestimmten Land spielen oder es Hinweise gibt, dass sie sich ereignen könnten. Wenn man zum Beispiel ein Szenario hat, das sich laut Hinweisen im Bundesland X ereignen könnte, dann sind die Reaktionen in dem betroffenen Bundesland naturgemäß jedenfalls strukturell andere als in den nicht betroffenen Bundesländern, die aber mit über die mögliche Gefährdungsbewertung gesprochen haben.

Zusatzfrage: Fakt ist, dass es einen nationalen Krisenreaktionsplan mit Blick auf sportliche Großveranstaltungen nicht gibt. Wenn es die Gefahr einer terroristischen Bedrohung durch was auch immer vor den Stadien in Hannover, Leipzig oder in München gibt, gibt es ähnliche Mechanismen, die ablaufen. Der Unterschied zwischen den einzelnen Bundesländern ist ja relativ marginal. Die Frage ist deshalb: Kann man von einem erarbeiteten nationalen Reaktionsplan sprechen?

Plate: Das muss ich Ihnen überlassen, das ist nicht meine Wortwahl. Ein Dokument, das diese Überschrift trägt, gibt es nicht. Aber es gibt ja sehr wohl einen national etablierten Reaktionsmechanismus, den ich gerade beschrieben habe, der natürlich Nuancen zulässt, weil die Lage vor Ort eben sehr unterschiedlich sein kann. Wenn Sie aber meinen, ob der Bund Kraft Verfassungslage über ein Weisungsrecht verfügt, dann wissen Sie das sicher, aber die Antwort ist: Nein.

Frage : Weil Hannover gerade schon Thema war: Herr Plate, weiß das Innenministerium mehr als Sie jetzt sagen können, um uns und die Öffentlichkeit nicht zu verunsichern?

Plate: Ich bin mir nicht so sicher, ob das tatsächlich etwas zur Sache tut. Aber es ist natürlich so, dass das Bundesinnenministerium über aktuelle Ermittlungssachstände und Zwischenstände informiert wird, die auch über das hinausgehen, was ich hier berichtet habe, was allein schon daran liegt, dass ich schon gesagt habe: Die Exekutive kann in der Gewaltenteilung zu einem laufenden Ermittlungsverfahren allenfalls sehr an der Oberfläche sprechen, um eben die Ermittlungen nicht zu beeinflussen. Das ist gerade eine ganz wichtige rechtsstaatliche Errungenschaft. Insofern ist klar, dass ich mit meinen Äußerungen hier deutlich mehr an der Oberfläche bleiben muss, um eben genau diesen Grundsatz nicht zu verletzen.

Zusatzfrage : Möchten Sie eventuell "unter zwei" oder "unter drei" gehen?

Plate: Nein.

Vorsitzender Detjen: Es gibt, wie an jedem Mittwoch, von Herrn Seibert die Informationen aus dem Kabinett, die wir gerne hören wollen.

StS Seibert: Ich habe zunächst einen Termin anzukündigen, weil an diesem Freitag wegen des Karfreitags keine Regierungspressekonferenz stattfindet.

Ich wollte Ihnen für den übernächsten Sonntag, also den 23. April, ankündigen, dass die Bundeskanzlerin gemeinsam mit der polnischen Ministerpräsidentin Beata Szydlo die Hannover Messe 2017 eröffnet. Polen ist das Partnerland der Hannover Messe 2017 Die Eröffnungsveranstaltung beginnt um 18 Uhr. Die Bundeskanzlerin wie auch die polnische Ministerpräsidentin werden dabei eine Rede halten. Anschließend werden die beiden gegen 19.30 Uhr im Rahmen eines Abendessens ihr Gespräch fortführen.

Am Montag, dem 24. April, dann - das kennen Sie schon - ab 9 Uhr der traditionelle Eröffnungsrundgang gemeinsam mit der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidentin. Zunächst eröffnen sie den polnischen Gemeinschaftsstand, besichtigen dann einige Stände polnischer Unternehmen und besuchen dann eine Reihe von insbesondere deutschen Unternehmen auf der Messe. Gegen 11 Uhr findet ein kurzes gemeinsames Abschlussstatement der beiden statt.

Jetzt könnte ich - es war ein Tag der Berichte im Kabinett - zu den Kabinettsthemen kommen.

Hier ist zunächst einmal das Deutsche Stabilitätsprogramm 2017 zu nennen. Sie wissen, dass das Verfahren so ist: Die EU-Mitgliedstaaten legen der EU-Kommission und dem Ecofin-Rat bis Ende April jeden Jahres ihre mittelfristigen Finanzplanungen vor und damit kommen sie den Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts nach.

Für Deutschland sieht es nun so aus, dass der Staatshaushalt von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen in jedem Jahr dieser Legislaturperiode die europäischen Anforderungen eines annähernd ausgeglichenen Haushalts erfüllt hat und dass dies laut aktueller Projektion auch bis 2021 der Fall sein wird. Die deutsche Wirtschaft wächst im achten Jahr in Folge ununterbrochen. Seit dem Jahr 2014 wächst sie über dem sogenannten Produktionspotenzial. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nimmt seit 2010 zu, die Arbeitslosigkeit ist auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung und auch Löhne, Gehälter und Renten steigen deutlich. Gleichzeitig ist die gesamtwirtschaftliche Steuer- und Abgabenquote 2016 auf 40 Prozent des BIP gewachsen. Sie liegt damit über ihrem langfristigen Durchschnitt. Für eine wachstums- und beschäftigungsfreundliche Ausrichtung der Finanzpolitik ist daher ein hohes Maß an Einnahme- und Ausgabendisziplin erforderlich.

Anschließend wurde im Kabinett das Nationale Reformprogramm 2017 behandelt, das Teil des Europäischen Semesters ist und jährlich bis spätestens Ende April der Europäischen Kommission vorzulegen ist. Mit diesem Reformprogramm legen die Mitgliedstaaten dar, wie sie die länderspezifischen Empfehlungen der Europäischen Kommission umsetzen und bei der Umsetzung der Europa-2020-Strategie vorankommen.

Für Deutschland ergibt sich für 2017 folgendes Bild: Deutschland hat bei der Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen wichtige Fortschritte erzielt. Wir haben in der Bundesregierung weitreichende Beschlüsse für mehr Investitionen gefasst sowie die Kommunen umfangreich finanziell entlastet. Allein die Investitionen des Bundes sind seit Beginn dieser Legislaturperiode um über 40 Prozent angestiegen.

Außerdem zeigt das Nationale Reformprogramm 2017 weitere große Erfolge im Hinblick auf die Kernziele in Europa, so zum Beispiel bei der Erhöhung der Erwerbsquoten, der Verringerung der Langzeitarbeitslosigkeit, der Steigerung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung oder auch bei der Steigerung des Anteils der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch. Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer günstigen Lage: 43,6 Millionen Erwerbstätige Ende 2016 und - das hatte ich schon gesagt - die niedrigste Arbeitslosenquote seit 25 Jahren.

Die Bundesregierung teilt die Auffassung der Europäischen Kommission, dass der deutsche Leistungsbilanzüberschuss als hoch einzustufen ist, aber kein übermäßiges Ungleichgewicht darstellt. Er ist überwiegend durch Faktoren begründet, die nicht oder nicht direkt durch wirtschafts- und finanzpolitische Maßnahmen der Regierung beeinflusst werden können. Temporäre Faktoren wie der günstige Kurs des Euro und die niedrigen Ölpreise, aber auch strukturelle Faktoren wie die demografische Entwicklung und die hohen Auslandsinvestitionen deutscher Unternehmen in den vergangenen Jahren spielen dort hinein.

Die Bundesbauministerin hat dem Kabinett den Stadtentwicklungsbericht 2016 unter der Überschrift "Gutes Zusammenleben im Quartier" vorgelegt. Die Bundesregierung misst der Förderung der Städte große wirtschaftliche, soziale und kulturelle Bedeutung bei. In dieser Legislaturperiode sind die finanziellen Mittel für die Städtebauförderung erheblich erhöht worden. Im Jahr 2013 waren es 455 Millionen Euro, im Jahr 2017 stehen 790 Millionen Euro zur Verfügung.

Der Bund setzt sich dafür ein, nachhaltige städtebauliche Strukturen herzustellen und zu erhalten. Wir unterstützen deshalb Städte und Gemeinden bei der Bewältigung des wirtschaftlichen Strukturwandels, der demografischen Veränderungen und auch des Klimawandels. Es ist sehr wichtig, dass die Städte ihre soziale Integrationskraft bewahren.

Erstmalig stellt der Bund in diesem Jahr weitere 20 Millionen Euro für den neuen Investitionspakt "Soziale Integration im Quartier" bereit. Das ist Geld, das dazu verwendet werden kann, Integrationsmanager zu finanzieren, die in den Stadtquartieren für geeignete Integrationsangebote sorgen.

Die Bundesregierung hat heute Eckpunkte zum Kindergeld für im EU-Ausland wohnende Kinder beschlossen. Sie bekräftigt damit ihr gemeinsames Ziel, das Kindergeld zu indexieren, also eine Anpassung in der Höhe an die Lebenshaltungskosten im Wohnsitzmitgliedsstaat des Kindes vorzunehmen. Die Bundesregierung - das muss man ganz klar sagen - bekennt sich zur Personenfreizügigkeit in der Europäischen Union. Das ist ein Grundpfeiler unserer Gemeinschaft. Die konkrete Ausgestaltung dieser Freizügigkeit muss aber auch aktuellen Entwicklungen und tatsächlichen Umständen angepasst werden. Wenn Kindergeldhöhe und Lebenshaltungskosten im Wohnsitzmitgliedstaat des Kindes nicht zusammenpassen, kann das zu Ungleichgewichten führen.

Für eine solche Maßnahme ist eine EU-rechtliche Grundlage nötig. Daher wird die Europäische Kommission aufgefordert, einen entsprechenden Vorschlag vorzulegen, möglichst in dem schon laufenden Verfahren zur Änderung des europäischen Koordinierungsrechts betreffend die sozialen Sicherungssysteme. Das ist eine Forderung, die die Bundesregierung in den europäischen Gremien mit Nachdruck vertreten wird.

Sobald das europäische Recht entsprechend geändert wurde, wird die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen. Heute, wie gesagt, waren es nur Eckpunkte, auf die man sich geeinigt hat.

Dann noch - ich versuche es in aller Kürze - der 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Knappe zehn Jahre nach Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise in Deutschland kann man sagen, dass Deutschland heute wirtschaftlich und finanziell auf dem Arbeitsmarkt sehr solide aufgestellt ist. Ich habe gerade schon einige Zahlen genannt.

Die soziale Lage insgesamt hat sich positiv entwickelt. Das zeigt: Dieser 5. Armuts- und Reichtumsbericht, den die Bundesregierung heute beschlossen hat, umfasst grundsätzlich den Zeitraum von 2012 bis heute, aber er bezieht sich durchaus auch auf weiter zurückliegende Zeiträume, die er einbezieht.

Die positive Entwicklung wirkt sich maßgeblich auf die Lebenssituation der Bürgerinnen und Bürger aus. Das ist die Grundlage für Wohlstand, für faire Arbeitsplätze, für eine gute Lebensqualität in unserem Land. Ökonomische Stabilität und kontinuierliches Wirtschaftswachstum haben zur höchsten Beschäftigtenzahl und niedrigsten Arbeitslosigkeit seit der Einheit beigetragen. Seit 2005 hat sich die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um annähernd 6 Millionen Menschen erhöht. Im selben Zeitraum hat sich die Zahl der Arbeitslosen in etwa halbiert. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in diesem Zeitraum sogar um etwa 60 Prozent zurückgegangen, und erstmals seit 1993 haben wir heute eine Zahl der Langzeitarbeitslosen unter einer Million.

Die Arbeitnehmerentgelte - das ist ein wichtiger Indikator - steigen seit 2005 stärker als die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen, und auch die Reallöhne sind spürbar gestiegen - zuletzt vor allem für Geringqualifizierte.

Der Anteil derjenigen, die wegen eines vergleichsweise niedrigen Einkommens als armutsgefährdet gelten, ist in den vergangenen Jahren etwa gleich geblieben und hat sich zuletzt leicht erhöht.

Nun muss man die Armutsgefährdung allerdings trennen von dem Gedanken der absoluten Armut. Die Zahl der Menschen, die von absoluter Armut betroffen sind, ist weiter gesunken. Die Zahl der Menschen, die unter materiellen Entbehrungen leiden müssen - fehlende Mittel für Miete, Heizung, unerwartete Ausgaben, auskömmliche Mahlzeiten, Waschmaschine, Fernsehen -, liegt auf einem sehr niedrigen Niveau.

Der Bericht zeigt, dass über 65-Jährige seltener armutsgefährdet sind als die Gesamtbevölkerung. Ihre materielle Versorgung stellt sich sogar insgesamt günstig dar. Das deutsche Rentensystem ist mit den Reformen der vergangenen Jahre bis 2030 stabil und finanziell solide aufgestellt. Zum 1. Juli 2017 - also in etwa zwei Monaten - wird die gesetzliche Rente erneut steigen. Dass die öffentlichen Haushalte Finanzierungsüberschüsse erwirtschaften, ist zudem eine gute Voraussetzung für die Zukunft unserer Kinder und Enkel.

Eine Menge objektiv positiver Daten also - der Bericht nimmt aber auch subjektive Einschätzungen verstärkt in den Blick. Es stimmt, dass viele Menschen die Fragen nach dem Halten ihres sozialen Status, nach ihren Aufstiegschancen, nach den Aufstiegschancen ihrer Kinder, nach dem Maß von Sicherheit in ihrem Leben beschäftigen. Auch wenn Wahrnehmung und messbare Realität bei einigen dieser Punkte klar auseinandergehen, nimmt die Bundesregierung diese Sorgen ernst. Ich nenne Ihnen eine Reihe von Maßnahmen in dieser Legislaturperiode, die auf diese Sorgen auch eingehen und die insbesondere auch den unteren Einkommensgruppen zugutekommen: Mindestlohn, Stärkung der Tarifbindung, Bekämpfung des Missbrauchs bei Werkverträgen, Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre Kernfunktionen, höhere Erwerbsminderungsrenten, Rente mit 63, Mütterrente, Bundesteilhabegesetz, Wohngelderhöhung, Mietpreisbremse, Reform des Unterhaltsvorschusses, steuerliche Entlastung für Alleinerziehende, Ausbau der Kinderbetreuung.

Ein künftiger Schwerpunkt wird die noch stärkere Unterstützung von Kindern und ihren Familien sein - gerade von alleinerziehenden Müttern oder Vätern. Wir wissen auch, dass wir die Durchlässigkeit unseres Bildungssystems weiter verbessern müssen. Je besser wir Kinder mit ihren individuellen Begabungen fördern, desto besser sind deren Aufstiegschancen. Damit schaffen wir eine wichtige Voraussetzung für den besten Schutz, den es überhaupt vor Armut gibt: Der beste Schutz vor Armut ist auskömmliche Arbeit.

Viele Zahlen und Daten sind auf der Internetseite www.armuts-und-reichtumsbericht.de abzurufen. Dort sind auch alle Studien abrufbar, die diesem Bericht zugrunde liegen. Er wird nun dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat zugeleitet.

Schäfer: Ich möchte Ihnen sagen, dass Herr Gabriel in der kommenden Osterzeit und sogar am Ostermontag gleich zweimal in und auf den westlichen Balkan reisen wird: Heute Nachmittag geht es los Richtung Serbien und Richtung Kosovo, und am Ostermontag wird Herr Gabriel - auch für politische Gespräche - nach Albanien, nach Tirana reisen. Er trifft jeweils Außenminister und Regierungschefs, und in Serbien heute am späten Nachmittag dann auch den frisch gebackenen Staatspräsidenten Vučić der ja noch Ministerpräsident ist.

Der westliche Balkan ist nicht immer und nicht überall bei Ihnen und in den Medien im Fokus, gleichwohl ist er eine für die Sicherheit und die Stabilität in ganz Europa wichtige Region. Herr Gabriel reist auf den westlichen Balkan, um das Bekenntnis Deutschlands und Europas zu bekräftigen, eine europäische Perspektive für alle Länder des westlichen Balkans zu bieten, die bereit sind, die europäischen Werte zu übernehmen und die Gespräche mit uns nach den europäischen Vorgaben zu führen. Diesbezüglich hat es in Serbien in den letzten Jahren ja schon einige Fortschritte gegeben. Dennoch gibt es immer wieder Anlass zur Sorge, etwa angesichts der Lage in Mazedonien oder auch angesichts von Spannungen zwischen dem einen oder anderen Staat auf dem westlichen Balkan. Das sind alles Themen, die der Außenminister auf dem Schirm hat und in den drei Ländern in den nächsten Tagen zur Sprache bringen wird.

Frage (zum Nationalen Reformprogramm 2017): An das Wirtschafts­ministerium: Nachdem im Stabilitätsprogramm des BMF immer so schön steht "unterschreiten wir 2020 die Marke von 60 Prozent bei der Staatsverschuldung": Gibt es so etwas eigentlich auch im Wirtschaftsministerium in Sachen Leistungsbilanzüberschuss? Wann unterschreiten Sie die von der EU-Kommission als kritisch bewertete Marke von 6 Prozent Überschuss? Im Moment sind Sie über 8 Prozent; bleiben Sie auch in den nächsten Jahren noch oberhalb von 6 Prozent?

Wagner: Vielen Dank für die Frage. - Sie wissen ja, dass der Leistungsbilanzüberschuss in der Tat ein zentraler Schwerpunkt des Nationalen Reformprogramms war, das heute vom Kabinett beschlossen wurde. Die Bundesregierung hat jetzt noch einmal auf die Punkte der Kommission geantwortet, und Herr Seibert hat auch schon kurz angerissen, dass die Bundesregierung schon zahlreiche Maßnahmen ergriffen hat, die in Richtung einer Senkung des Leistungsbilanzüberschusses gehen. Wir haben gesagt: Wir haben allein die Investitionen des Bundes um 40 Prozent angehoben, und wenn es deutlich mehr Investitionen gibt, dann stärkt das natürlich auch die Binnennachfrage und trägt zu einem Abbau des Leistungsbilanzüberschusses bei. Darüber hinaus haben wir Entlastungen etwa im Bereich der Einkommenssteuer, wir haben den Mindestlohn; wir haben also viele Maßnahmen ergriffen.

Natürlich gibt es auch Probleme beziehungsweise Faktoren - Probleme ist das falsche Wort -, die hier hineinspielen, auf die die Bundesregierung keinen Einfluss hat. Das sind etwa der Energiepreis, die Ölpreise, oder auch der Eurokurs. Auf die haben wir natürlich keinen Einfluss, von daher kann man jetzt keinen genauen Fahrplan vorlegen, wie das mit dem Leistungsbilanzüberschuss weitergehen wird. Ganz klar ist aber: Die Bundesregierung hat schon einige Maßnahmen ergriffen, und wir gehen davon aus, dass der Leistungsbilanzüberschuss auch in diesem Jahr gegenüber dem letzten Jahr sinkt, also die Maßnahmen greifen. Man kann da jetzt aber keinen festen Fahrplan festlegen.

Frage (zum Armuts- und Reichtumsbericht): Herr Seibert, bedauert die Bundesregierung eigentlich, dass sie zwar über die Vermögensverhältnisse der Armen in Deutschland bis zum letzten Cent Bescheid weiß, wegen des Wegfalls der Vermögenssteuer aber keinen genauen Überblick über die Reichtumsverteilung und die Situation der Vermögenden in Deutschland hat? Falls sie es bedauern sollte: Welche Art von Abhilfe hat sich die Bundesregierung einfallen lassen, um den nächsten Bericht aussagekräftiger mit Blick auf die Situation der Reichen in Deutschland zu machen?

StS Seibert: Wenn ich ausnahmsweise einmal die Bundesarbeitsministerin zitieren darf: Sie hat heute im Kabinett darauf hingewiesen, dass es tatsächlich diesen Wissensunterschied, diesen Informationsunterschied gibt, und sie hat sich dafür ausgesprochen, weitere Mühe in die Erforschung sozusagen des Reichtums in Deutschland zu stecken. Ich habe da im Kabinett keinen Widerspruch gehört.

Zusatzfrage: Das war ja meine Frage. Das heißt, die Bundeskanzlerin oder das Kabinett schließen sich der Forderung nach der Einführung einer Vermögenssteuer an, weil die die Voraussetzung dafür böte, einen genauen Überblick zu bekommen? Oder wie stellt sich die Bundesregierung eine Alternativlösung vor, um mehr sachlich fundierte Informationen über die Vermögensverhältnisse zu finden?

StS Seibert: Vielleicht möchte die Kollegin des Arbeitsministerium etwas dazu sagen?

Zusatz: Wenn sie für die Bundeskanzlerin sprechen kann, klar. Ich dachte aber, die Bundeskanzlerin habe sich etwas einfallen lassen.

StS Seibert: Die Tatsache, dass die Bundesregierung einen sehr ausführlichen Armuts- und Reichtumsbericht vorlegt - dessen Lektüre im Internet ich Ihnen wirklich empfehle, weil er hochinteressant und faktenreich ist - -

Zusatz: Habe ich schon gemacht, vielen Dank. Es fehlen aber diverse Fakten, nämlich die über die Reichen.

StS Seibert: Darüber sprachen wir gerade, und die Arbeits- und Sozialministerin sprach sich dafür aus, auf die Erforschung da noch weiteren Wert zu legen. Ich sagte, dass es da keinen Widerspruch im Kabinett gab. Daraus sollten Sie keine Schlüsse ziehen, dass diese Bundesregierung die Einführung einer Vermögenssteuer vorhat.

Vorsitzender Detjen: Gibt es Ergänzungen vom Arbeitsministerium?

Schneider: Für die Bundeskanzlerin nicht. - Ich kann noch einmal unterstreichen, dass die Ministerin mehrmals deutlich gemacht hat, dass es hier eine Datenlücke gibt. Sie wissen, dass wir vor diesem Hintergrund bei der Erarbeitung des Armuts- und Reichtumsberichtes eine Studie in Auftrag gegeben hatten, um zumindest erste Erkenntnisse über das Thema Reichtum zu gewinnen. Diese Erkenntnisse und die ganze Studie sind online abrufbar - Herr Seibert hatte die Internetseite genannt. Die Studie betraf 150 Hochvermögende, die freiwillig an der Befragung - die eben ergeben hat, woher Reichtum rührt - teilgenommen haben. Wie gesagt, die Ergebnisse können Sie nachlesen. Das war ein erster Schritt. Die Ministerin hat gesagt, dass aus ihrer Sicht weitere Schritte folgen sollen. Insoweit wird sie da sicherlich dranbleiben.

Frage: Der Bericht ist ja erst ins Kabinett gegangen, und er ist dann ins Internet gekommen, nachdem er kräftig redigiert - man kann auch sagen: beschönigt - worden ist. So ist ja, glaube ich, die Klage des Arbeitsministeriums, dass Reiche mehr Einfluss auf Politik hätten als Arme, nicht mehr drin. Herr Seibert, warum hat man diesen Bericht so beschönigt? Ist das mit Blick auf die Wahl zu sehen? Für wie gravierend hält das Kanzleramt die Armut in Deutschland, sodass man da beschönigen muss?

An das BMAS: Der Bericht zeigt zwar viele Fakten auf - auch die Studien usw. -, aber keine Handlungsoptionen. Was passiert damit jetzt eigentlich? Landet das Ganze entweder im Internet oder in der Schublade, wird es Wahlkampfmunition für Ihre Ministerin und deren Partei?

StS Seibert: Ich dachte, ich hätte ganz gut dargestellt - aber vielleicht nicht gut genug -, dass diese Legislaturperiode ja eine Legislaturperiode mit einer Vielzahl von gemeinsam beschlossenen Maßnahmen war, die vor Armut schützen sollen - ich habe Ihnen eine ganze lange Liste genannt. Insofern ist das immer ein Aspekt der Wirtschafts- und Sozialpolitik und der generellen politischen Ausrichtung einer Bundesregierung; ganz sicherlich war es in dieser Legislaturperiode so.

Der Wortwahl, die Sie über die Ressortabstimmung - denn das war es in Wirklichkeit - finden, kann ich mich nicht anschließen. Es hat eine Ressortabstimmung gegeben. Über die Inhalte, Abläufe und verschiedene Sachstände von Ressortabstimmungen berichten wir hier grundsätzlich nicht. Die Länge der Ressortabstimmung lag komplett im Bereich des Normalen, und nun ist der Bericht heute gemeinsam im Kabinett beschlossen worden.

Schneider: Ich möchte vielleicht noch ein, zwei Punkte ergänzen. - Zum einen würde ich zumindest für das Bundesarbeitsministerium den Vorwurf des Beschönigens zurückweisen. Ich habe gerade eben darauf hingewiesen, dass alle Studien transparent auf unserer Homepage nachzulesen, herunterzuladen und auch nachzuvollziehen sind. Ich möchte auch noch einmal darauf hinweisen, dass es bei der Erarbeitung des Armuts- und Reichtumsberichtes einen sehr transparenten Prozess gegeben hat; das ist ein Anliegen der Ministerin selbst gewesen, und das hat sich auch durch ihre ganze Legislatur gezogen - Sie wissen, dass der Ministerin Dialogorientierung auch schon bei anderen Gesetzen wichtig war.

Ansonsten möchte ich noch ganz kurz darauf verweisen, dass die Ministerin selbst heute Morgen schon Stellung zum Armuts- und Reichtumsbericht genommen hat und dass sie bereits am 23. März im Rahmen einer Pressekonferenz ihre Erkenntnisse ganz ausführlich dargestellt hat. Diese Pressekonferenz können Sie auf unserer Homepage auch noch einmal nachschauen und nachhören. In diesem Zusammenhang hat sie durchaus auch Handlungsfelder identifiziert, die aus ihrer Sicht wichtig sind. Das betrifft vor allem Maßnahmen und Aktivitäten bei der Primärverteilung. Sie hat deutlich gemacht, dass es ihr vor allem darauf ankommt, bei der Primärverteilung Verbesserungen zu erzielen, insbesondere was das Thema Löhne anbelangt. Insofern hat sie durchaus Handlungsfelder erkannt und auch schon ihre Vorstellungen deutlich gemacht, wie dem zu begegnen ist. Herr Seibert hat auch schon dargestellt, dass die Bundesregierung bereits zahlreiche Maßnahmen umgesetzt hat. Der Mindestlohn war da sicherlich einer der wichtigsten Punkte, aber auch das Thema Tarifverträge, Tarifbindung und Tarifstärkung spielt eine ganz zentrale Rolle; das hat die Ministerin mehrfach betont.

Frage: Der Kollege hatte ja konkret das Thema demokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten angesprochen. Welche Erkenntnisse gibt es diesbezüglich denn im Arbeitsministerium? Haben ärmere Menschen in Deutschland wirklich weniger demokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten als Reiche, und hätte das nicht in den Bericht gehört?

Schneider: Auch dazu hat die Ministerin ja bereits mehrfach öffentlich und ausführlich Stellung genommen. Zum einen gibt es auch hierzu eine Studie, die ebenfalls abrufbar ist. Ich kann Sie nur einladen, sich diese Studie und die Befunde anzusehen. Insofern gibt es auch hier nichts zu beschönigen oder sonst irgendwas; vielmehr ist das alles transparent dargelegt, und das können Sie nachlesen.

Zusatzfrage: Herr Seibert, was denkt die Bundeskanzlerin genau zu diesem Thema? Sind ärmere Menschen weniger demokratisch durchsetzungsfähig in Deutschland als reichere?

StS Seibert: Sowohl die Kurzfassung als auch der Bericht insgesamt haben ja Abschnitte, die sich mit diesem Thema - demokratische Teilhabe und auch Akzeptanz demokratischer Werte - befassen. Dieses Thema wird also keinesfalls ausgespart, und das ist auch richtig so, weil uns das natürlich beschäftigen muss.

Frage: Herr Seibert, wie ist es denn nach Ansicht der Bundesregierung zu erklären, dass trotz dieser rosigen Zahlen, die Sie genannt haben, die Armutsgefährdung, wie Sie ja auch sagten, weiter angestiegen ist?

StS Seibert: Ich glaube - die Kollegin wird mir hinsichtlich der Details gleich sicherlich noch helfen -, der wichtige Unterschied, den man sich erst einmal im Kopf klar machen muss, ist: Das eine ist Armutsrisiko - Sie sprechen von Armutsgefährdung -, das andere ist absolute Armut. Das Armutsrisiko misst immer den Anteil der Personen, deren Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt. Wenn also diese Personengruppe plötzlich mehr Einkommen hat, aber vielleicht eine geringere Steigerung als das mittlere Einkommen, dann wüchse demnach ihr Armutsrisiko, obwohl sie de facto mehr Geld zur Verfügung hat. Das muss man erst einmal wissen. Das ist etwas ganz anderes als das, was in diesem Bericht die absolute Armut genannt wird, bei der es um Menschen geht, die wirklich materielle Entbehrungen erleben müssen. Deren Zahl hat nach der herrschenden Definition im Jahr 2013 bei 5,4 Prozent gelegen und im Jahr 2015 bei 4,4 Prozent - sie sinkt also.

Zusatzfrage: Wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe, hatten Sie gesagt, dass sich die Armutsgefährdung leicht erhöht hat. Darauf, wie das trotz dieser rosigen wirtschaftlichen Zahlen zu erklären ist, zielte meine Frage ab.

StS Seibert: Ich habe versucht, Ihnen zu erklären, dass Armutsgefährdung nicht das gleiche wie Armut ist. Wir müssen es jetzt aber nicht noch einmal machen. Der Bericht geht darauf sehr genau ein - vielleicht will die Kollegin das auch noch ergänzen. Der eine Begriff behandelt das Thema absolute Armut, konkrete Entbehrungen im Alltag, und der andere Begriff ist ein relativer, der sich auch relativ verändert - je nach Zuwachs an Einkommen, der der Bevölkerung insgesamt zukommt.

Schneider: Ich kann das vielleicht insoweit ergänzen, als Sie ja in der Tat auf die Armutsrisikoquote Bezug nehmen. Ich kann Herrn Seibert natürlich nur beipflichten, dass es sich dabei um eine relative Betrachtung handelt, und nicht um eine absolute. Die Armutsrisikoquote beschreibt: Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens hat, der gilt als armutsgefährdet. Dadurch, dass das sozusagen in Relation gesetzt wird, kann man die Armutsrisikoquote eigentlich nur dadurch senken, dass gerade im unteren Einkommensbereich überproportionale Lohn- und Einkommenszuwächse herbeigeführt werden.

Zusatzfrage: Dann möchte ich es noch einmal anders versuchen: Laut dem Statistischen Bundesamt sind 15,7 Prozent der Menschen in Deutschland von monetärer Armut bedroht. Wie ist das in Anbetracht der rosigen wirtschaftlichen Eckzahlen, die Herr Seibert vorhin ausgeführt hat, zu erklären?

Schneider: Ich kann es nur wiederholen: Soweit es sich um die Armutsrisikoquote handelt, sind das nicht Menschen, die in Armut sind, sondern Menschen, die von Armut bedroht sind. Das ist erst einmal ein wesentlicher Unterschied, auf den Herr Seibert auch hingewiesen hat. Da es sich hier um einen relativen Wert handelt, der sich auf die Einkommen und Löhne bezieht, heißt das: Sobald die Löhne und Einkommen im unteren Bereich steigen, sinkt damit die Armutsrisikoquote. Dass es im Bereich der Löhne Handlungsbedarf gibt - zumindest für die Ministerin -, hat die Ministerin sehr nachhaltig und nachdrücklich deutlich gemacht.

StS Seibert: Ich sage es noch einmal - die Kollegin hat natürlich völlig recht -: Wenn die Armutsrisikoquote ansteigt, dann heißt das nicht automatisch, dass die Bedürftigkeit ansteigt. Das muss man einfach verstehen, wenn man sich diesen Zahlen und Fakten zuwendet.

Frage : Herr Seibert, was wird die Bundesregierung konkret unternehmen, damit der Einfluss der Reichen in unserer Gesellschaft abnimmt und der Einfluss der ärmeren Menschen in der Gesellschaft zunimmt?

Eine zweite Frage: Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass die Zahl der Wohnungslosen in den letzten Jahren von 223 auf jetzt 335, also um 50 Prozent, gestiegen ist? Ist das ein Erfolg der Regierung Merkel?

StS Seibert: Man kann es natürlich auch einmal mit einer zynischen Frage versuchen, aber darauf möchte ich nicht eingehen. Vielleicht kann sich der Kollege aus dem Wohnungsbauministerium zur Zahl der Wohnungslosen äußern; die liegt mir jetzt nicht vor.

Ansonsten verweise ich auf die Erklärungen zum Thema demokratische Teilhabe, die in diesem Bericht stecken. Wir nehmen das als Bundesregierung insgesamt sehr ernst. Aber einer so pauschalen Aussage, wie Sie sie treffen, werde ich mich hier nicht anschließen.

Haufe: Ich kann dazu sagen, dass wir die Situation in den Städten in den letzten Jahren sehr genau in den Blick genommen haben. Vor allen Dingen hat sich die Bauministerin mit einer Wohnungsbauoffensive zum Ziel gesetzt, deutlich mehr Wohnraum in den Städten zu schaffen. Sie ist sich, als sie ihr Amt übernommen hat, sehr deutlich bewusst gewesen, dass in den Jahren zuvor zu wenige Wohnungen - vor allen Dingen zu wenige bezahlbare Wohnungen - gebaut wurden. Deswegen haben wir die Zuschüsse des Bundes für bezahlbare Wohnungen und vor allen Dingen für Sozialwohnungen in den letzten Jahren verdreifacht. Sie liegen jetzt bei 1,5 Milliarden Euro; bei Amtsantritt lagen sie bei 500 Millionen Euro. Die Städte beziehungsweise die Länder sind dazu aufgefordert, weitere Mittel zu mobilisieren, damit der Umfang für den Bau vor allen Dingen auch von Sozialwohnungen noch größer wird.

Wir haben in dem Stadtentwicklungsbericht, der heute vorgelegt worden ist, noch einmal dokumentiert, dass wir die Dringlichkeit sehen, dass in den Städten Mehrinvestitionen getroffen werden müssen, damit die Infrastruktur verbessert wird. Das betrifft den Zuzug von vielen Menschen in Ballungsräume, das betrifft die Zuwanderung in Ballungsräume - sei es durch Migranten oder durch Menschen, die aus ländlichen Gebieten kommen. Deswegen haben wir ja mehrere Programme aufgesetzt - Sie haben sie vorhin alle gehört -, damit die Städte besser reagieren können. Das ist insgesamt ein großes Maßnahmenpaket, das dazu beitragen soll, die Wohnungssituation in vielen Städten und vor allen Dingen in Ballungsräumen zu verbessern.

Zusatzfrage : Herr Seibert, die Frage war ja, wie die Bundesregierung den Einfluss der Reichen verringern will und den Einfluss der Armen mehren will. Ich weiß jetzt nicht, was daran pauschal war. Könnten Sie die Frage bitte beantworten?

StS Seibert: Ich könnte Ihnen jetzt - das werde ich aber nicht tun - lange, lange Listen von Gesprächen, die die Bundeskanzlerin und jeder der Minister hier mit Sozialverbänden, Gewerkschäften und anderen Vertretern von Bevölkerungsgruppen, die eben nicht zu den Reichen in diesem Land gehören, gehabt hat. Deswegen teile ich Ihre Grundaussage so nicht.

Frage: Stimmt es, dass die Bundesregierung diesen Bericht ursprünglich deutlich früher vorlegen wollte?

Teilen weitere Teile der Bundesregierung die Einschätzung der Bundesarbeitsministerin, was Handlungsbedarf anbelangt, und sei es nur, dass der nächste Bericht vielleicht früher vorgelegt wird?

StS Seibert: Ich kann mich nur wiederholen: Aus meiner Sicht war die Dauer der Ressortabstimmung völlig normal. Deswegen erübrigt sich, ehrlich gesagt, die Beantwortung Ihrer Frage.

Zusatzfrage: Sollte dann die Ressortabstimmung bei der nächsten Bundesregierung eher beginnen?

StS Seibert: Ich kann hier keine Aussagen über die nächste Bundesregierung machen. Das habe ich jedenfalls nicht vor.

Frage : Herr Schäfer, ich kann es überhört haben, aber: Trifft sich Herr Gabriel in Serbien auch mit Oppositionellen? Das ist in Serbien ja gerade ein riesengroßes Thema. Gegen Herrn Vučić wird demonstriert.

Schäfer: Jedenfalls werden die laufenden Demonstrationen im Anschluss an die Präsidentschaftswahlen eine wichtige Rolle bei den Gesprächen spielen. Ich habe das Programm jetzt nicht dabei. Ich gehe davon aus, dass es entsprechende Begegnungen gibt.

Frage : Ich möchte gern Sie, Herr Seibert, und auch das Bundeswirtschaftsministerium fragen. Im Moment gibt es Überlegungen über ein Zusammengehen der Bahntechnikhersteller Bombardier und Siemens. Der frühere Bundeswirtschaftsminister Gabriel hatte sich sehr heftig in Sachen Arbeitsplatzabbau bei Bombardier engagiert. Mich würde interessieren, ob es im Kanzleramt oder im Wirtschaftsministerium eine Befassung mit diesem Thema gibt. Spielt die Bundesregierung irgendeine Rolle, ist sie in irgendeiner Weise bei diesem Thema, das ja eine ziemliche Größenordnung hat, engagiert?

Wagner: Grundsätzlich ist das Thema Bombardier, wie Sie wissen, im Bundeswirtschaftsministerium natürlich ein Thema. Wir befinden uns in Gesprächen mit dem Unternehmen und auch mit den Betriebsräten und den Gewerkschaften. Denn natürlich ist die Sicherung der Arbeitsplätze bei Bombardier ein wichtiges Anliegen unseres Hauses. Das hat auch die Ministerin immer wieder deutlich gemacht.

Es hat auch schon verschiedene Gespräche gegeben. Anfang Januar gab es ein Arbeitsgespräch zu dem Thema im Bundeswirtschaftsministerium, zu dem sich die Beteiligten nachher auch geäußert haben.

Selbstverständlich sind wir dazu weiterhin im Austausch. Aber etwas Konkretes kann ich Ihnen dazu nicht berichten.

Zusatzfrage : Ich möchte die Frage wiederholen, weil auch das Kanzleramt öfters eine wirtschaftspolitische Rolle für sich in solchen Dingen reklamiert. Ist man im Kanzleramt oder ist man im Bundeswirtschaftsministerium konkret mit diesem Zusammenschlussvorhaben befasst? Spielt man dabei möglicherweise sogar eine aktive Rolle?

StS Seibert: Die Wirtschaftsabteilung im Bundeskanzleramt verfolgt natürlich die Unternehmenslandschaft in Deutschland, wie es ihre Aufgabe ist. Aber ich kann Ihnen zu konkreten Fällen hier keine Aussagen machen.

Wagner: Ganz konkret zu den von Ihnen angesprochenen Spekulationen: Auch wir können sie als Spekulationen nicht weiter kommentieren.

Frage: Zum Thema Sean Spicer: Wie hat die Bundesregierung ihrer Empörung über die ungeheuerliche Holocaustentgleisung des US-Regierungssprechers Luft gemacht, Herr Seibert?

StS Seibert: Das zeigt nur, was ohnehin die Haltung der Bundesregierung ist: Jeglicher Vergleich aktueller Situationen mit den Verbrechen des Nationalsozialismus führt zu nichts Gutem.

Zusatz: Die Frage zielte darauf ab, wie die Bundesregierung bis jetzt darauf reagiert hat.

StS Seibert: Ich habe mich gerade geäußert.

Zusatzfrage: Können Sie das vielleicht in andere Worte kleiden? Ich habe es nicht richtig verstanden.

StS Seibert: Aber wenn Sie es nachlesen, wird es, denke ich, sehr klar.

Frage: Eine Frage an das Innenministerium: Den Medien war zu entnehmen, dass die AfD Ihnen beziehungsweise dem Minister einen Brief geschrieben hat. Gibt es darauf bereits eine Reaktion in Ihrem Hause? Wenn ja, wie fällt sie aus? Wenn nein, warum wird es möglicherweise keine geben?

Plate: Ich habe gelesen, dass es solch einen Brief geben soll, und daraufhin nachgehört. In der Tat ist solch ein Brief heute im Bundesinnenministerium eingegangen. Deswegen ist es für die Frage, ob es eine Reaktion gibt, wie sie aussieht oder Ähnliches, ehrlich gesagt, zu früh. Der Minister selber war heute wegen anderer Termine noch gar nicht im Haus. Insofern hat er, denke ich, den Brief noch gar nicht gesehen.

Inhaltlich geht es ja darum, dass in diesem Brief für eine Art Streitkultur geworben werden soll. Ich kann dazu nur ganz grundsätzlich sagen, dass der Minister nun wirklich bei vielen Gelegenheiten immer dafür eintritt, dass man, auch wenn man unterschiedlicher Auffassung ist, diese unterschiedlichen Auffassungen hart in der Sache, aber fair im Umgang miteinander austrägt, und insofern immer, denke ich, wie wenige andere öffentlich für Streitkultur wirbt, ganz egal ob es um die AfD geht, um Gegner der AfD, Befürworter der AfD oder ganz andere Sachzusammenhänge. Der Minister sagt immer: In Deutschland gilt Meinungsfreiheit, in Deutschland gilt Versammlungsfreiheit, und in Deutschland gilt Pressefreiheit. - Das gilt natürlich ganz unabhängig von diesem Schreiben. Ebenso gilt, dass alle diese Dinge Grenzen in den Rechten anderer haben.

Insofern wage ich gar keine Prognose, ob eine ganz konkrete Reaktion auf diesen Brief kommt oder nicht. Wenn Sie wollen, können Sie diese Ausführungen aber auch als eine erste Reaktion jedenfalls auf die Inhalte des Briefs betrachten.

Frage : Ich habe noch zwei Themen. Bevor ich zu Herrn Yücel komme, zunächst zu Herrn Seibert: Da der Kanzleramtsminister jetzt ja auch ein eigenes Büro im CDU-Haus beziehen wird, wüsste ich von Ihnen gern, wann der Kanzleramtsminister im Kanzleramt arbeitet und ab wann er im CDU-Haus arbeitet. Kanzleramtschef ist ja jetzt anscheinend kein Fulltime-Job mehr.

StS Seibert: Ich denke, dazu ist in den vergangenen zwei Tagen wirklich alles Notwendige gesagt worden, auch vom Kanzleramtsminister selber. Ich als Regierungssprecher kann Ihnen nur sagen: Er ist Bundesminister, er ist Chef des Bundeskanzleramts, und diese Funktion füllt er mit allem, was dazu gehört, umfassend aus.

Zusatzfrage : Er ist ja auch Geheimdienstkoordinator. Wird Herr Altmaier sein Geheimdienstwissen im CDU-Wahlkampf einbringen können? Wird er die Geheimdienste im Sinne des CDU-Wahlkampfs einsetzen?

StS Seibert: Also, über bestimmte Grenzen der Absurdität möchte ich eigentlich nicht hinausgehen.

Frage : Eine Frage an Herrn Seibert: Heute tagt der Brexitausschuss. Könnten Sie uns sagen, welche Themen dort besprochen werden sollen?

StS Seibert: Schon besprochen worden sind. Er hat schon stattgefunden. Dieser Kabinettsausschuss hat heute in der Tat zum zweiten Mal getagt.

Er hat sich vor allem mit den Verhandlungsleitlinien der EU 27 befasst. Sie sollen ja am 29. April bei einem Sondertreffen der EU 27 beschlossen werden. Im Übrigen hat er über Abläufe und Aufgabenverteilungen in den kommenden Austrittsgesprächsprozessen gesprochen. Dazu wird sich die Bundesregierung auch weiterhin abstimmen und sich natürlich auch in die Diskussionen der EU 27 einbringen.

Zusatzfrage : Ist auch die Frage aufgekommen, inwiefern man Parallelverhandlungen mit Großbritannien - zum einen über den Austritt und zum anderen über das künftige Verhältnis - führen möchte?

StS Seibert: Dazu hat sich die Bundeskanzlerin schon neulich sehr klar geäußert. Es gibt jetzt keine andere Haltung.

Die Leitlinien sind im Übrigen kein öffentliches Dokument. Deswegen kann ich Ihnen jetzt zum Inhalt und zu den Verhandlungen keine Auskunft geben.

Frage : In Verbindung mit dem Brexit gibt es einen heftigen Standortwettbewerb zwischen den EU-Ländern um Unternehmen, die Großbritannien möglicherweise als Standort verlassen. Wird die Bundesregierung dabei in den nächsten Wochen und Monaten eine aktivere Rolle spielen, oder hält man sich mit Blick auf den Zusammenhalt der restlichen EU dabei erst einmal eher bedeckt?

StS Seibert: Sie haben recht, die Europäische Arzneimittel-Agentur, EMA, und die Europäische Bankenaufsichtsbehörde, EBA, werden mit dem Brexit in einen anderen EU-Mitgliedsstaat umziehen müssen. Die Bewerbung für die EBA, die Bankenaufsichtsbehörde, steht fest. Eine Bewerbung für die EMA wird zeitnah ausgestaltet werden. Dazu müssen noch letzte Gespräche geführt werden.

Zusatzfrage : Heißt das, dass dafür grundsätzlich auch eine Bewerbung von deutscher Seite zu erwarten sein wird?

StS Seibert: Ja.

Frage : Herr Schäfer, können Sie uns ein Update zur konsularischen Betreuung für Herrn Yücel geben? Gab es nach der bisher einmaligen eine neue oder regelmäßige konsularische Betreuung?

Wie sieht es damit für die anderen vier Inhaftierten aus?

Besteht die Ausreisesperre für den Deutschtürken, der vergangene Woche freigekommen ist, noch? Was tut die deutsche Botschaft für ihn?

Schäfer: Nachdem unser Generalkonsul in Istanbul - ich meine, es war Anfang vergangener Woche, am Dienstag - bei Herrn Yücel gewesen ist, hat es keinen weiteren Besuch gegeben. Das liegt nicht etwa an der mangelnden Bereitschaft vonseiten des Generalkonsulates oder der Botschaft, das zu tun. Es liegt an einer ausstehenden Genehmigung für eine dauerhafte konsularische Betreuung, wie sie aus unserer Sicht angemessen wäre. Da sind wir natürlich weiter dran. Das geschieht vonseiten der Botschaft im Kontakt mit dem türkischen Außenministerium, das hierfür der förmliche Ansprechpartner, aber wohl nicht die Institution ist, die dazu letztgültige und auch durchsetzbare Entscheidungen trifft.

Die Wahrheit ist: Wir müssen damit rechnen, dass es mindestens bis zu dem am Sonntag anstehenden Verfassungsreferendum und wahrscheinlich auch noch einige Zeit danach keine wesentliche Änderung im Fall Yücel geben wird.

Wenn Sie so wollen, ist die konsularische Betreuung ja nur ein akzessorisches Element unseres Engagements. Wenn ein deutscher Staatsangehöriger in der Welt in Haft ist, dann bemühen wir uns darum, ihn konsularisch zu betreuen. Das eigentliche Problem ist ja nicht die ausstehende konsularische Betreuung - das ist auch ein Problem -, sondern der Umstand, dass er aus unserer Sicht in unverhältnismäßiger Weise in Untersuchungshaft gehalten wird und Beschuldigungen im Raum stehen, die nicht nur für uns schwer nachvollziehbar sind. An diesem Grundproblem arbeiten wir natürlich weiter.

Zu Ihren anderen Fragen: Soweit ich weiß, besteht in dem einen angesprochenen Fall die Ausreisesperre fort. Auch da ist es selbstverständlich, dass wir uns darum kümmern. Aber das ist nicht der einzige Fall, in dem es solche Ausreisesperren wegen strafprozessualer Vorwürfe gibt, die von türkischer Seite erhoben werden. Das ist immerhin ein milderes Mittel als eine Untersuchungshaft. Das ist schon einmal nicht schlecht. Das ist ein Schritt vorwärts, aber auch nicht genug.

Zusatzfrage : Nur zum Verständnis: Bemüht sich die Bundesregierung um dauerhafte konsularische Betreuung auch für die anderen deutschtürkischen Inhaftierten neben Herrn Yücel?

Herr Fischer konnte uns vergangene Woche nicht sagen, ob Sie, da Sie ja die Freilassung von Herrn Yücel fordern, auch die Freilassung der anderen vier deutschtürkischen Inhaftierten fordern.

Schäfer: Antwort auf Ihre erste Frage: Na, logo!

Zu Ihrer zweiten Frage: Wir drängen darauf, dass es in allen Fällen, in denen deutsche Staatsangehörige im Ausland in Haft geraten oder von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren betroffen sind, rechtsstaatliche Verfahren gibt, in denen verhältnismäßige Entscheidungen getroffen werden. Dabei ist jeder Fall anders. Der Fall Yücel ist deshalb so besonders, weil er natürlich hohen politischen Symbolwert hat und das ganz offensichtlich auch von türkischer Seite so gesehen wird. Deshalb sprechen wir an dieser Stelle darüber. Es gibt Tausende deutscher Staatsangehöriger, die sich zurzeit im Ausland in Haft befinden. Man kann nicht pauschal eine Freilassung fordern.

Im Übrigen ist das vielleicht ein Anlass, noch einmal darauf hinzuweisen, dass eine konsularische Betreuung ausdrücklich nicht die Frage von Schuld oder Unschuld beinhaltet, sondern dabei geht es darum, die Haftbedingungen zu prüfen, unter denen deutsche Staatsangehörige in anderen Staaten möglicherweise zu leiden haben, und darum, sicherzustellen, dass es nach den Regeln der Rechtsstaatlichkeit zugeht, dass ein Anwalt Zugang zu einem deutschen Beschuldigten hat und vieles andere mehr. Es geht für denjenigen, der konsularisch betreut, für unseren Konsularbeamten, eben nicht darum, Fragen der Schuld oder Unschuld zu beantworten.

Das gilt auch für den Fall Yücel, der eben anders liegt. Darüber wird ja sehr öffentlich in der Türkei und in Deutschland debattiert. Die Haltung der Bundesregierung zu den strafrechtlichen Vorwürfen gegen Deniz Yücel haben wir an dieser Stelle schon wirklich ausführlich dargelegt. Sie ist Ihnen bekannt.

Mittwoch, 12. April 2017

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 12. April 2017
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2017/04/2017-04-12-regpk.html
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Telefon: 030 18 272-0, Fax: 030 18 10 272-25 55
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Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. April 2017

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