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PRESSEKONFERENZ/1635: Kanzlerin Merkel und der irische Premierminister Leo Varadkar, 20.03.2018 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz im Bundeskanzleramt - Dienstag, 20. März 2018
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem irischen Premierminister Leo Varadkar

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass ich heute den Premierminister Irlands, Herrn Leo Varadkar, begrüßen kann. Wir haben uns schon sehr häufig gesehen, aber der Taoiseach ist heute zum ersten Mal in Berlin zu seiner offiziellen Visite, zu der ich ihn natürlich ganz herzlich begrüße.

Wir haben sehr freundschaftliche Beziehungen, die von gegenseitigem Respekt, von Sympathie getragen sind. Es gibt auch viele Deutsche, die nach Irland reisen und sich an dem Land erfreuen. Deshalb mussten wir in unserem Gespräch auch nicht sehr viel Zeit mit unseren bilateralen Beziehungen verbringen, sondern haben uns im Wesentlichen mit der Vorbereitung des Europäischen Rates übermorgen und Freitag beschäftigt, und hier natürlich mit dem Thema, das Irland, aber auch Deutschland sehr in Beschlag nimmt, nämlich den Brexit-Verhandlungen.

Wir haben gestern mit großer Freude vernommen, dass es eine Übereinkunft zwischen Großbritannien und der Europäischen Union über die Übergangsphase gegeben hat. Wir wissen aber natürlich, dass noch sehr viele Probleme zu lösen sind und dass insbesondere auch die Frage der Grenze in Nordirland sehr sensibel und natürlich von zentraler Bedeutung ist. Hierfür muss eine Lösung gefunden werden, da sind sich alle Beteiligten einig. Deutschland unterstützt hier die irische Position vollkommen. Wir werden am 23. März, also jetzt am Freitag, auch diese Themen weiter vertiefen und auch entsprechende Leitlinien für die Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen der Europäischen Union zu Großbritannien beschließen. Es werden sicherlich noch viele intensive Gespräche geführt werden. Die Europäische Union der 27 Mitgliedstaaten hat hier bislang eine sehr einige Position eingenommen, und der Taoiseach und ich waren uns einig, dass diese Einigkeit auch in den jetzt kommenden Verhandlungsetappen gewahrt sein muss.

Wir haben dann über die Wirtschafts- und Währungsunion und die Bankenunion gesprochen. Hier sind wir uns im Großen und Ganzen sehr einig, was den weiteren Fahrplan anbelangt. Wir wollen hierzu im Juni auch die entsprechenden Entscheidungen treffen.

Darüber hinaus haben wir uns natürlich auch mit der Handelspolitik auseinandergesetzt. Irland und Deutschland sind Unterstützer eines freien Welthandels und wir wollen keine protektionistischen Maßnahmen, wir wollen uns entsprechend des multilateralen Systems der Welthandelsorganisation verhalten. Wir hoffen, dass wir nicht auf zusätzliche Zölle reagieren müssen; dazu gibt es ja auch laufende Gespräche der Kommissarin Malmström mit der amerikanischen Regierung. Unser neuer Wirtschaftsminister Peter Altmaier war bei dem US-Handelsbeauftragten, Herrn Ross, und die Finanzminister der G20-Staaten haben sich in Argentinien getroffen. Ich hoffe, dass daraus vielleicht auch Lösungen erwachsen können; ich würde es mir jedenfalls sehr wünschen.

Das waren die Themen, mit denen wir uns im Wesentlichen beschäftigt haben. Danke für den Besuch! Ich glaube, man muss es nicht extra aussprechen: Wir werden auch weiter sehr gute freundschaftliche Beziehungen haben.

PM Varadkar: (auf Deutsch) Vielen Dank, Angela! Ich freue mich, heute in Berlin zu sein, um Bundeskanzlerin Merkel persönlich zur Wiederwahl als Bundeskanzlerin - zum vierten Mal - gratulieren zu können. Ich habe seit vielen Jahren sehr große Hochachtung für die Bundeskanzlerin. Es war mir eine wirkliche Ehre, sie bei unserer Zusammenarbeit im Europäischen Rat kennenzulernen, in die sie ihre große Erfahrung und ihre Weisheit einbringt. Sie steht für Solidarität und Einigkeit; auch wenn sie den größten Mitgliedstaat der Union vertritt, hört und respektiert sie die Stimmen der kleineren Mitgliedstaaten und achtet stets auf deren Anliegen.

Deutschland und Irland sind und bleiben enge Partner in Europa. Meiner Meinung nach hat die Bundeskanzlerin großes Verständnis für unsere einzigartigen Sorgen wegen des Brexit gezeigt, insbesondere für die Notwendigkeit, das Karfreitagsabkommen zu schützen und sicherzustellen, dass es keine harte Grenze auf der Insel Irland geben wird. Ich möchte ihr im Namen des irischen Volks meinen aufrichtigen Dank überbringen.

(auf Englisch) Erlauben Sie mir, auf Englisch fortzufahren.

Ich muss sagen, dass wir das Ergebnis der Verhandlungen, die gestern von Michel Barnier geführt wurden, sehr zu schätzen wissen, vor allen Dingen was den Bereich der Übergangsphase angeht. Das ist für uns natürlich besonders wichtig. Unsere Geschäftsleute, unsere Industrie und auch unser Handel müssen natürlich planen können. Vor allen Dingen ist auch wichtig, was zu Irland und Nordirland gesagt wurde, auch von der Bundeskanzlerin, damit wir dann auf jeden Fall verhindern können, dass es da irgendeine Veränderung gibt. Auch die Backstop-Lösung wird Teil eines rechtlichen Textes des sogenannten "Withdrawal Agreement" sein. Es ist absolut notwendig, zu verhindern, dass hier etwa eine harte Grenze entsteht. Es muss irgendeine Möglichkeit geben, die wirklich auch in praxi funktioniert. Ich denke, dass wir gerade im Bereich der Brexit-Verhandlungen Fortschritte erzielt haben. Aber in den nächsten Monaten muss noch mehr getan werden, damit die Lücken zwischen der Position der EU und der Position des Vereinigten Königreiches geschlossen werden. Ich darf der Bundeskanzlerin hier für ihre Unterstützung danken, die sie uns immer gewährt hat.

Wir werden in Zukunft Michel Barnier in seiner sehr wichtigen Arbeit unterstützen. Ich denke, wir alle sollten uns vor Augen halten, dass wir auf der Grundlage weiterverfahren, dass nichts beschlossen ist, solange nicht in allen Punkten eine Einigung erzielt worden ist. Das sollte auf jeden Fall gewahrt werden.

Wir haben bei unserem Treffen auch über die Frage der digitalen Besteuerung gesprochen, auch über die Herausforderungen der Digitalisierung für unsere Wirtschaftssysteme. Wir erkennen an, dass es bislang noch keinen Konsens darüber gibt, wie man darauf am besten reagiert. Aber es ist natürlich auf jeden Fall richtig, dass die EU nicht allein handeln sollte. Denn wir sind ja international eingebunden. Es könnte auch negative Konsequenzen geben, wenn es solch eine Einzellösung seitens der EU gibt. Die irische Regierung ist daher der Ansicht, dass man sich auf jeden Fall darauf konzentrieren sollte, einen offenen Binnenmarkt - gerade auch im digitalen Bereich - zu haben, der dem freien Handel oder auch dem freien Datenfluss keinerlei Beschränkungen setzt.

Natürlich sollten auch die Unternehmen auf jeden Fall ihre Steuern zahlen. Sie sollten sie dort zahlen, wo sie gezahlt werden sollten. Aber man muss auf jeden Fall auch eine vernünftige politische Reaktion finden.

Was den Handel angeht, so machen wir uns große Sorgen über die direkten und indirekten Folgen der Vorschläge Präsident Trumps zu Zöllen auf Stahl und Aluminium und darüber, welche Folgen das für unsere Bevölkerung und unsere Wirtschaftsunternehmen hat. Wir möchten von der Kommission mehr hören, gerade was die Frage der Ausnahmeregelungen angeht, und hoffen, dass wir das bei dem Treffen der EU auch bekommen. Vergangene Woche habe ich mit Präsident Trump darüber gesprochen, auch darüber, wie wichtig die Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA sind. Ich habe gesagt, dass wir versuchen sollten, unsere verschiedenen Differenzen gemeinsam miteinander zu besprechen und vielleicht darauf abzuzielen, ein Freihandelsabkommen abzuschließen.

Ich freue mich sehr, dass ich diese Themen heute hier mit der Bundeskanzlerin besprechen konnte. Ich freue mich auch, dass wir uns beim EU-Rat Ende der Woche wieder treffen. Ich hoffe, dass Sie mich bald auch in Irland besuchen werden.

Frage: Taoiseach, Sie haben über Datenschutz gesprochen. Der irische Kommissar für Datenschutz ist hier dafür kritisiert worden, dass er, im Grunde genommen, mindestens drei Jahre lang eine Lücke beim Datenschutz gelassen hat, die vielleicht von Cambridge Analytica ausgenutzt wurde. Für wie ernsthaft sehen Sie das an?

Frau Bundeskanzlerin, im Koalitionsvertrag haben Sie sich dazu verpflichtet, gegen Steuerdumping vorzugehen. Sie nennen Firmen wie Google, Facebook oder Apple, Firmen, die alle ihren Sitz in Irland haben. Meinen Sie es dieses Mal ernst, und sollen sich die Iren warm anziehen?

PM Varadkar: Diese Lücke ist, soweit ich weiß, 2015 geschlossen worden. Seitdem haben wir gerade die Rolle des Datenschutzbeauftragten wirklich sehr gestärkt. Ich denke, das wird auch weiter so gehen. Ein robuster Datenschutz ist natürlich wichtig. Das haben wir, denke ich. Aber auf gar keinen Fall sollten wir uns zurücklehnen und mit dem zufrieden sein, was an Risiken noch besteht, vor allen Dingen was den Einfluss auf Wahlen angeht.

Bisher ist es so, dass wir - zumindest was unsere Wahlen, unser Referendum angeht - noch nicht Beweise dafür haben, dass es darauf Einfluss gegeben hat, aber das kann natürlich in der Zukunft durchaus möglich sein. Es kann durchaus sein, dass Menschen da private Daten für sich ausnutzen. Das ist auf jeden Fall nichts, hinsichtlich dessen man sich einfach so zurücklehnen und zufrieden sein kann.

Ich denke, diese neuen Technologien entwickeln sich ja sehr schnell. Sie entwickeln sich fast noch schneller als unsere Gesetzgebung; die kann kaum Schritt halten. Aber natürlich ist es wichtig, dass man diese Lücken schließt. Das Büro des Datenschutzbeauftragten ist gestärkt worden, es sollte auch weiter gestärkt werden, und wir sollten uns dabei auf keinen Fall der Selbstzufriedenheit hingeben.

Zuruf: (ohne Mikrofon; akustisch unverständlich)

PM Varadkar: Das trifft zu, aber diese Lücke ist ja vor drei Jahren geschlossen worden.

BK'in Merkel: Wir erwarten jetzt Vorschläge der Kommission. Wir glauben, dass wir ein in sich konsistentes Steuersystem brauchen. Wir werden uns darüber auch sehr eng abstimmen.

Ich weiß nicht, ob in der deutschen Übersetzung die Frage enthalten war, ob sich die Iren warm anziehen müssen. - Wenn, dann nur aus Witterungsgründen, aber nicht, weil es Deutschland gibt.

Frage: Ich habe eine Frage an die Frau Bundeskanzlerin und den Herrn Premierminister im Zusammenhang mit dem Zollkonflikt, dem Grenzkonflikt. Haben Sie konkrete Überlegungen angestellt, was die Mindeststandards, die Mindestbedingungen für einen Kompromiss in dieser Frage sein sollten? Ist der Vorschlag Großbritanniens bezüglich einer Zollpartnerschaft mit der EU vielleicht ein gangbarer Weg?

BK'in Merkel: Ich kenne einen Vorschlag Großbritanniens hinsichtlich einer Zollpartnerschaft, also einer Zollunion, jedenfalls vonseiten der britischen Regierung nicht, oder mir ist da etwas entgangen. Wir haben die letzte Rede von Theresa May sehr aufmerksam verfolgt. Darin ging es um verschiedene Körbe. Aber die Verhandlungen haben ja noch gar nicht begonnen. Wir werden ja jetzt erst einmal unsere Leitlinien für unsere Verhandlungen verabschieden.

Was die Frage der Zölle anbelangt, so glauben wir, dass das WTO-Regime ein faires Regime ist, und wenn man es verhandelt, dann muss man es gemeinsam tun und dabei nicht im Rahmen einseitiger Veränderungen vorgehen.

PM Varadkar: Nur zu dieser letzten Frage: Ich glaube, eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland kann vermieden werden und sollte vermieden werden. Es gibt mindestens zwei Mechanismen dafür, wie man das schaffen kann. Zunächst einmal - das haben wir ja schon im Detail dargelegt - steht im irischen Protokoll, das ja dem Entwurf angefügt ist, dass man akzeptiert, dass es einen "backstop" für dieses "withdrawal agreement" geben muss - der Text selbst wird ja noch abgestimmt werden -, und dann könnte man eine sehr enge Handelsbeziehung zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU vorsehen. Einige dieser Papiere, die die britische Regierung ja vorgelegt hat, sprechen über eine solche Zollpartnerschaft. Aber man muss natürlich noch im Detail verstehen, was sie damit eigentlich wirklich meint. Das muss auch mit ihr verhandelt werden. Irgendetwas, das relativ nahe an einer Zollunion ist, könnte durchaus Probleme an der irischen Grenze lösen, aber wenn es weniger ist, dann wird das natürlich schwierig sein, dann wird es das eben nicht tun. Es ist, denke ich, so, dass wir einfach mehr Details seitens der britischen Regierung in Bezug darauf brauchen, wie sie das meint. Das muss dann ja auch rechtlich verbindlich gestaltet werden.

Frage: Taoiseach, sind Sie nach diesem Treffen zuversichtlich, dass Sie in Zukunft absolut auf die Deutschen zählen können, wenn es schwierige Diskussionen gibt, was vor allen Dingen die Details dieses rechtlichen "backstop" angeht, wenn der notwendig sein sollte?

An Sie, Frau Bundeskanzlerin, gerichtet: Würde es Ihr Leben politisch einfacher machen, wenn Irland sehr schnell in Bereichen wie zum Beispiel der digitalen Besteuerung voranschreiten würde?

PM Varadkar: Wir hatten ein sehr gutes Treffen von mehr als einer Stunde. Ich muss sagen, dass ich angesichts der Zusicherungen der Bundeskanzlerin absolut zufrieden bin. Man versteht hier sehr, sehr gut, was die irischen Themen sind und dass die irischen Themen eben nicht nur irische Themen, sondern auch europäische Themen sind. Da ist unser Ansatz sehr, sehr ähnlich. In den nächsten Wochen und Monaten werden wir weiter darüber sprechen. Ich weiß aber auf jeden Fall, wenn ich von hier weggehe: Hier habe ich einen sehr guten Freund.

BK'in Merkel: Irland kann sich auf uns verlassen, und das ist auch an keinerlei andersartige Bedingungen geknüpft. Das gilt für sich.

Dienstag, 20. März 2018

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem
irischen Premierminister Leo Varadkar, 21.03.2018
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2018/03/2018-03-20-pk-merkel-varadkar.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2018

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