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NORDRHEIN-WESTFALEN/1893: Missbrauch von Antibiotika in der Tierhaltung (Li)


Landtag intern 13/2011
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Im Fokus: Mast und Medikamente
Missbrauch von Antibiotika in der Tierhaltung - Debatte über Konsequenzen

Von Florian Horstmann / Christoph Weißkirchen


9. Dezember 2011 - Der Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht könne bei Verzehr dazu beitragen, dass im Falle einer Krankheit solche Medikamente beim Menschen nicht mehr wirkten, da die Krankheitskeime gegen sie resistent würden. Mögliche Folgen: lebensgefährliche Infektionen. So SPD und Grüne in einem Antrag, den sie auf Basis einer Studie des NRW-Landwirtschaftsministeriums vorlegten (Drs. 15/3393). Antibiotika dürfen nicht zu Mastzwecken eingesetzt werden, darüber waren sich alle Fraktionen einig. Über konkrete Maßnahmen gingen die Meinungen dann aber auseinander.


Es handele sich um das Vergehen eines ganzen Systems, nicht den Fehler eines Einzelnen, betonte Frank Sundermann (SPD). Beim Einsatz von Antibiotika als Mastbeschleuniger nähme die Landwirtschaft in Kauf, dass sich Keime bildeten, die gegen dieses Medikament resistent seien. Dies wirke sich auf die Humanmedizin aus. Sundermann forderte eine optimierte Datenerhebung, mehr Transparenz sowie verstärkte Kontrollen seitens der Amtstierärzte. Notwendig seien des Weiteren Sonderdezernate für Lebensmittelkriminalität, aber auch ein bundesweiter Antibiotikaplan mit konkreten Reduktionszielen und Anreizen für einen geringeren Medikamenteneinsatz.

"Dieses System krankt", kommentierte Norwich Rüße (Grüne) den flächendeckenden Einsatz von Antibiotika. Er forderte, die agrarindustriellen Produktionsmethoden kritisch zu hinterfragen, da bei extrem dichter Tierhaltung Krankheiten unausweichlich seien. Es gebe Hinweise auf einen Zusammenhang von Betriebsgröße, Art der Tierhaltung und Intensität des Antibiotikaeinsatzes. Der CDU warf er vor, der Landwirtschaft in der Vergangenheit Persilscheine ausgestellt und so "eine wirkliche Aufarbeitung" verhindert zu haben. Notwendig seien eindeutige Regeln, damit Antibiotika nicht mehr für die Mast, sondern nur noch therapeutisch eingesetzt würden.

Ein massiver und falscher Antibiotikaeinsatz sei "in keiner Weise akzeptabel", so Christina Schulze Föcking (CDU), und Nachsicht deshalb fehl am Platz. Sollten der Landesregierung konkrete Fälle bekannt sein, müsse sie sofort handeln, die Menschen informieren und die Staatsanwaltschaft einschalten. Der vorliegende Antrag sei allerdings irreführend, kritisierte die CDU-Sprecherin. Er verschweige, dass Hähnchenfleisch rückstandsfrei sei und unbedenklich verzehrt werden könne. Außerdem seien die resistenten Keime bei Mensch und Tier unterschiedlich. Eine wirksame Minimierung von Antibiotika ließe sich nur über grenzüberschreitend abgestimmte Maßnahmen erreichen.

Es seien sich alle einig, dass die Ergebnisse der Studie inakzeptabel seien, unterstrich Dr. Stefan Romberg (FDP). NRW schneide aber deutlich schlechter ab als etwa Niedersachsen, wo eine vergleichbare Studie vorliege. Insofern sei der massive Antibiotikaeinsatz ein nordrhein-westfälischer Skandal, diese Verantwortung könne Minister Remmel nicht einfach wegschieben. Im Übrigen lasse sich aus der Studie kein genereller Zusammenhang zwischen Antibiotikaeinsatz und Betriebsgröße erkennen. Rot-Grün instrumentalisiere die unzureichende Datenlage für ihre Vision einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft und gefährde damit viele bäuerliche Familienbetriebe.

Innerhalb von 35 Tagen würden bei der Zucht bis zu acht verschiedene Antibiotika verabreicht, häufig nur für jeweils ein bis zwei Tage, kritisierte Hamide Akbayir (Linke). Dies sei medizinisch sinnlos und diene nur der Wachstumsförderung. Damit Keime keine gefährlichen Resistenzen bildeten, müssten solche Medikamente mindestens fünf bis sechs Tage lang verabreicht werden. In Deutschland stürben jährlich mehr als 15.000 Menschen an multiresistenten Krankheitskeimen. "Für Missstände in der Fleischwirtschaft, für billige Lebensmittel bezahlen wir alle einen hohen Preis", forderte Akbayir eine artgerechte Tierhaltung mit entsprechender Vermarktung.

Da Antibiotika zur Wachstumsförderung seit dem Jahr 2006 verboten seien, habe man nicht mit einem solchen Umfang gerechnet, so Umweltminister Johannes Remmel (Grüne). Es handele sich um Probleme in der gesamten Masttierhaltung. Er kündigte an, die wissenschaftlichen Untersuchungen auszuweiten und dem Parlament zukünftig jährlich Bericht zu erstatten. Auch bei der Übertragbarkeit resistenter Keime von Tier zu Mensch sei weitere Forschung nötig. Er kritisierte, dass Hähnchen, anders als Schweine und Rinder, von der Transparenz ausgenommen seien. Um das Ziel einer antibiotikafreien Mast zu erreichen, seien bundeseinheitliche Regelungen notwendig.


WEITERE BERATUNG
Der Antrag wurde an den Landwirtschaftsausschuss überwiesen, der darüber in öffentlicher Sitzung beschließen soll. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales ist mitberatend tätig.


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Quelle:
Landtag intern 13 - 42. Jahrgang, 21.12.2011, S. 8
Herausgeber: Der Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Januar 2012