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NORDRHEIN-WESTFALEN/1896: Anhörung über das Ob und Wie einer Schuldengrenze in der Landesverfassung (Li)


Landtag intern 13/2011
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Bremswirkung
Anhörung über das Ob und Wie einer Schuldengrenze in der Landesverfassung

Von Christoph Weißkirchen


15. Dezember 2011 - "In Artikel 83 der Verfassung für Nordrhein-Westfalen wird der Grundsatz eines ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichenden Haushalts festgeschrieben", fordert die CDU die Aufnahme einer sogenannten Schuldenbremse in die Landesverfassung, analog zum Artikel 109, Absatz 3 des Grundgesetzes. Eine Kreditaufnahme soll danach nur noch in eng begrenzten Ausnahmesituationen zulässig sein. Diese Forderung stieß in einer gemeinsamen Anhörung von Hauptausschuss (Vorsitz Wolfram Kuschke, SPD) und Haushaltsausschuss (Vorsitz Manfred Palmen, CDU) auf Lob, Ergänzungsvorschläge und Kritik. In seiner Plenarsitzung vom 9. Dezember hatte der Landtag zum gleichen Thema eine Kommission eingesetzt.


Man befürchte, am Ende als "Sparstrumpf" der Landesregierung missbraucht zu werden, betonte Andreas Wohland (Kommunale Spitzenverbände). Bereits heute existiere bei den Städten und Gemeinden eine strukturelle Finanzierungslücke. Vor diesem Hintergrund könne man aus deren Sicht der Einführung einer Schuldenbremse nur zustimmen, wenn gleichzeitig in der Landesverfassung eine Mindestfinanzierung der Kommunen, unabhängig von der Leistungsfähigkeit des Landes, festgeschrieben würde.

Den Eingriff der grundgesetzlichen Regelung in die Verfassungs- und Haushaltsautonomie der Bundesländer problematisierte Professor Lothar Michael (Universität Düsseldorf). Aus seiner Sicht wäre es wünschenswert, wenn die Länder über landesrechtliche Regelungen eigene Ansätze zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik festlegten. Nur eine Regelung in der Landesverfassung ermögliche die Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof des Landes, ergänzte Dr. Henning Tappe (Universität Münster). Eine rein grundgesetzlich geregelte Kreditgrenze könne nur über das Bundesverfassungsgericht durchgesetzt werden. Hier aber sei die Opposition im Düsseldorfer Landtag nicht klageberechtigt. In einem Ausführungsgesetz könne man dann die zukünftigen Spielräume konkretisieren. Das Land solle die Möglichkeit nutzen, eigene Kriterien für einen soliden, schuldengrenzenkonformen Haushalt festzulegen, meinte auch Dr. Thilo Schaefer (Institut der deutschen Wirtschaft).

Ursachen und Massnahmen

"Wenn der politische Wille fehlt, hält keine Schuldengrenze", unterstrich Dr. Kai von Lewinski (Humboldt-Universität Berlin). Daher müsse Schuldenaufnahme zukünftig für die Wählerinnen und Wähler fühlbar sein, plädierte er für eine "Demokratisierung der Staatsverschuldung". Dies könnte zum Beispiel über automatisch einsetzende Tilgungsabgaben erfolgen, um ein Anwachsen der Schulden zu vermindern.

"Die Messe ist gesungen", kommentierte Professor Heinz-J. Bontrup (Fachhochschule Gelsenkirchen) mit Verweis auf die bundesrechtliche Regelung. Nun bleibe den Ländern nur, in Berlin gegen die "falsche Entscheidung" zu protestieren. Denn die Schuldenbremse werde die derzeitige massive Wirtschaftskrise, die aufgrund einer verfehlten Steuerpolitik im Kern eine Umverteilungskrise sei, noch verschärfen. Der Staat müsse - notfalls über Schulden - gegensteuern, "sonst stürzt die Welt ein".

Die Schuldengrenze löse nicht das Problem der Staatsverschuldung, betonte Professor Stefan Bajohr (Universität Düsseldorf). Denn von den bestehenden Schulden werde durch sie kein Cent abgebaut. Insofern setze die Schuldenbremse einen Staat mit solider Steuersituation voraus. In der aktuellen Lage müsse man die Kredite zukünftig durch ordentliche Einnahmen ersetzen. Eine Konsolidierung sei daher nicht ohne eine andere Steuerpolitik möglich, meinte auch Dr. Achim Truger (Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung). Man dürfe in den Ausführungsregelungen jetzt nicht zu konkrete Ziele festzuschreiben, warnte er. Ansonsten drohe, dass aus konjunkturellen dann strukturelle Schwächen würden.

Die Schuldengrenze bedeutet aus Sicht von Professor Mechthild Schrooten (Hochschule Bremen) einen Paradigmenwechsel: Statt Einnahmen und Ausgaben stünden zukünftig die Schulden im Mittelpunkt der Haushaltspolitik. Und da man die Einnahmen nur begrenzt beeinflussen könne, werde man die gesetzten Ziele nicht ohne Ausgabenkürzungen erreichen können. Dies setze aber ein bestimmtes Staatsverständnis voraus, verwies Schrooten auf durchaus notwendige Aufgaben der öffentlichen Hand. Mit der Frage, welche Spielräume und Ausnahmen zukünftig möglich sein sollten, beschäftigte sich Dr. Michael Thöne (Universität Köln). Die Herausforderung sei, eine "Konjunkturregel" für entsprechende Handlungsmöglichkeiten des Staates zu etablieren. Von einer Finanzierung über Nebenhaushalte riet Thöne aber dringend ab. Die Schuldengrenze müsse daher auch Körperschaften des öffentlichen Rechts, Beteiligungen des Landes, Sondervermögen und Landesbetriebe mit einschließen, so Elmar Clouth (Landesrechnungshof NRW).

"Wer Vorrangigkeit setzt, muss auch Nachrangigkeit setzen", forderte Heinz Gebhardt (Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsinstitut) eine Überprüfung aller Ausgaben des Landes. Die Staatsverschuldung sei kontinuierlich bis auf nun 83 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angestiegen. Ein konsequenter Sparkurs bedeute eine sinkende Zinslast und steigende finanzielle Spielräume. "Die Steuerzahler warten auf ein Signal für solide Staatsfinanzen", hob Heiner Cloesges (Bund der Steuerzahler) hervor.


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Quelle:
Landtag intern 13 - 42. Jahrgang, 21.12.2011, S. 15
Herausgeber: Der Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2012