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NORDRHEIN-WESTFALEN/2003: Kinder mit und ohne Behinderungen sollen künftig gemeinsam lernen (Li)


Landtag intern 5/2013
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Gemeinschaft macht stark
Kinder mit und ohne Behinderungen sollen künftig gemeinsam lernen. Der Landtag streitet über Rahmenbedingungen
Plenarbericht

Von Sonja Wand



24. April 2013 - Die Landesregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt (Drs. 16/2432) und versteht diesen als Baustein zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Danach sollen Kinder mit und ohne Behinderungen regulär gemeinsam lernen, wofür eine Änderung des Schulgesetzes erforderlich ist. Perspektivisch bedeutet dies ein Ende der Förderschulen. Außerdem kostet Inklusion Geld. Um diese Punkte drehte sich in der Landtagsdebatte das Für und Wider.


"Der Weg zu einem inklusiven Schulsystem ist kein gemütlicher Spaziergang, sondern eine anspruchsvolle Bergwanderung", erklärte Schulministerin Sylvia Löhrmann (GRÜNE). Allerdings starte man auch nicht ganz unten im Tal, sondern auf einem Hochplateau. Der Anspruch des generell gemeinsamen Lernens erfordere eine entsprechende Finanzierung und 2.000 zusätzliche Lehrerstellen. Es gebe keinen Zwang zur Inklusion, betonte die Schulministerin. Je mehr Eltern sich aber für das gemeinsame Lernen entschieden, umso weniger Bedarf gebe es an Förderschulen, erinnerte sie an den Schulkonsens. Außerdem sei die Situation in den Kommunen unterschiedlich.

Eva Voigt-Küppers (SPD) verwies auf den einstimmigen Beschluss des Landtags, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. "Wir gehen diesen Weg nicht alleine", fügte sie hinzu, sondern man habe Betroffene zu Beteiligten gemacht. Alle seien der Meinung, dass der Weg der richtige sei. Es gelte aber, weder Kinder noch Eltern, Lehrkräfte oder Kommunen zu überfordern. Neue Aufgaben brächten auch Ängste mit sich. Den großen Schritt sah die Abgeordnete darin, dass Eltern von behinderten Kindern erstmals die freie Wahl zwischen Regel- und Förderschule hätten - und damit auch alle Rechte in der Gestaltung der Lebensperspektive ihrer Kinder.

Für Klaus Kaiser (CDU) war der Gesetzentwurf eine große Enttäuschung. Der Rechtsanspruch zur Inklusion werde ebenso wenig festgeschrieben wie eine Aufteilung der finanziellen Verantwortung. Die Kosten würden auf die Kommunen abgewälzt. Er befürchtete in der Folge Inklusion nach Kassenlage. Ebenso vermisste Kaiser eine unabhängige Beratung der Eltern, einen Stufenplan und Etappenziele. "Inklusion kann nur gelingen, wenn die Kommunen aktiv dabei sind", betonte er. Der Gesetzentwurf sei aber alles andere als eine Einladung an diese, den Prozess aktiv mitzugestalten. Stattdessen wehe Seite für Seite der "Wind des Von-oben-Durchdrückens".

Es lägen offensichtlich Missverständnisse vor, antwortete Sigrid Beer (GRÜNE) ihrem Vorredner. Sie verwies auf unterschiedliche Geschwindigkeiten und Ausgangslagen vor Ort, weswegen es flexible Instrumente brauche, die eben keine starren Vorgaben machten. Ängste zu schüren, schade dem Prozess, kritisierte sie Kaiser. Sie erinnerte ihn zudem an einen Entschließungsantrag der CDU, der den nun vorliegenden Gesetzentwurf inhaltlich vorweggenommen habe. Die im Antrag enthaltene Finanzierungsforderung habe die Landesregierung sogar deutlich übertroffen. Die Moderatoren seien so gut wie fertig ausgebildet, Koordinatoren vor Ort aktiv.

"Über das gemeinsame Ziel der Inklusion brauchen wir an dieser Stelle nicht mehr zu sprechen", stellte Yvonne Gebauer (FDP) fest. Jedoch sah sie im vorgelegten Gesetzentwurf einen Angriff auf die Kommunalfinanzen, auf das Wahlrecht der Eltern und auf die Qualität der sonderpädagogischen Förderung. Die Landesregierung verweigere den Kommunen die Anerkennung der Konnexität, aus Gründen der Konnexität verbindliche Vorgaben und den Eltern letztlich doch die freie Schulwahl, wenn Förderschulen schließen müssten. "Setzen Sie auf Qualität statt auf Tempo!", forderte die Abgeordnete die Landesregierung auf, den Gesetzentwurf zurückzuziehen.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) fand, die Regierung werde ihrem eigenen Anspruch auf einen vertrauensvollen Umgang mit diesem Thema nicht gerecht. Der Gesetzentwurf berge mehr Fragen als Antworten. Beispielsweise fragte Paul, ob Ressourcen für durchgängige Doppelbesetzungen in inklusiven Schulen bereitgestellt würden und ob allgemeine Schulen auch die zusätzlichen Aufgaben der Förderschulen wie etwa die Vermittlung in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt übernähmen. Wichtig war ihm beim schrittweisen Rückbau der Förderschulen ein gleichzeitiger Ausbau des inklusiven Unterrichts an Regelschulen. Zudem warnte er vor einer "Inklusion light" in klammen Kommunen.


WEITERE BERATUNGEN
Zur weiteren Beratung hat der Landtag den Gesetzentwurf (Drs. 16/2432) einstimmig an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung überwiesen. Fünf weitere Fachausschüsse sollen mitberatend tätig werden.

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Quelle:
Landtag intern 5 - 44. Jahrgang, 15.5.2013, S. 6
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2013