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NORDRHEIN-WESTFALEN/2100: Verfassung im Wandel (Li)


Landtag intern 4/2014
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Verfassung im Wandel
Der Landtag Nordrhein-Westfalen und die Landesverfassung

Von Dr. Wolfgang Gärtner



Auch nach über sechzig Jahren ist eine Verfassungsänderung ein außergewöhnliches Ereignis. Letztlich ist der Respekt vor dem Verfassungswerk ungebrochen, auch wenn heute die Dinge nüchterner und distanzierter angegangen werden, während in Äußerungen der 60er-Jahre noch Emotion und Pathos durchscheinen. Ein Rückblick auf bisherige Änderungen der Landesverfassung (LV).


Die bisher 20 Verfassungsänderungen gruppieren sich zu drei Komplexen: Reaktion auf bundesrechtliche Entwicklungen, Abgeordneten- und Parlamentsrecht sowie Verarbeitung politischer Grundsatzfragen.

Für die Reaktionen auf bundesrechtliche Veränderungen stehen auf der einen Seite Wahlrechtsfragen, wobei NRW bei der Ankoppelung des Wählbarkeitsalters an die Volljährigkeit eher ein Nachzügler war. Weiter zu nennen ist die Finanzreform von 1966 bis 1969, insbesondere die Etablierung der "Gemeinschaftsaufgaben", was in der Landesverfassung nachzuvollziehen war.

In den späten 80er-Jahren war das Thema "Verschuldungsgrenze" (Artikel 83) erstmals in die Debatte gekommen. Unter dem Stichwort "Schuldenbremse" ist es aktueller denn je. Zur zweiten Gruppe (Abgeordneten- und Parlamentsrecht) gehören die Beratungen zum Regelungsbereich des Artikels 46, insbesondere zum Problemfeld der Vereinbarkeit von Amt und Mandat. Ihm galt die erste Verfassungsänderung überhaupt, und bis im Jahre 1972 die heute geltende Fassung dieser Bestimmung erreicht war, hatte sich das Parlament insgesamt viermal mit Artikel 46 befasst. Erst mit der seither gültigen Fassung des Artikels 46 (3) konnte eine klare Trennungslinie zwischen Amt und Mandat gezogen werden.

Zu dieser Gruppe gehören auch die mit der Wahlperiode zusammenhängenden Fragen (Artikel 34 und 37). NRW war Vorreiter bei der Ausdehnung der Wahlperiode von vier auf fünf Jahre, eine Diskussion, die inzwischen auch den Bund erreicht hat.

Die Einfügung des Artikels 41a über das Petitionswesen führt in das Gebiet der Gewaltenteilung, erkennbar an der Einräumung des Zutrittsrechts zu Landeseinrichtungen, des Rechts auf Auskunfterteilung und auf Akteneinsicht.

Das bei der 1965 erfolgten Ergänzung des Artikels 45 dem Landtag zugestandene Recht, die Vertreterinnen und Vertreter der Landesregierung von der Teilnahme an Sitzungen von Untersuchungsausschüssen auszuschließen, nahm die Exekutive verständlicherweise reserviert auf.

1984 wurde durch Änderung des Artikels 41 die Erarbeitung parlamentsinterner Verfahrensregelungen für Untersuchungsausschüsse durch ein Spezialgesetz ermöglicht, womit praktikablere Verfahren an die Stelle der Anwendung der allgemeinen Geschäftsordnung des Landtags und der Strafprozessordnung treten konnten.

Veränderungsprozesse

Schließlich tangiert auch eine Verfassungsänderung für das Gebiet des Datenschutzes parlamentsrechtliche Fragen: Der Datenschutzbeauftragte wird auf Vorschlag der Landesregierung vom Parlament gewählt - ein Kompromiss mit der Exekutive im Hinblick auf das Ernennungsrecht der Landesregierung in Artikel 58.

Die dritte Gruppe der Verfassungsänderungen bewegt sich um politische Inhalte und bestimmte Politikfelder. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit hat dabei zu dem durchaus erwünschten Effekt geführt, dass meist Initiativen zur Novellierung von Verfassungsartikeln erst dann eingebracht wurden, wenn die Zielsetzung allgemein akzeptiert war.

Zunächst ist das Feld der Schulpolitik zu nennen. Dass die Bestimmungen über die Volksschule und in Konsequenz auch die Lehrerausbildung revisionsbedürftig geworden waren, hatte sich als Erkenntnis im Laufe der 60er-Jahre bei allen Fraktionen mehr oder weniger festgesetzt. Der Regierungswechsel zur sozialliberalen Koalition 1966 brachte den Schwung mit sich, der die verfassungsrechtlichen Veränderungen umsetzen ließ. Zuletzt wurde durch den "Schulkompromiss" von 2011 die institutionelle Garantie der Hauptschule aus der Verfassung entfernt und zugleich ein öffentliches Schulwesen garantiert, das ein gegliedertes Schulsystem, integrierte sowie andere Schulformen umfasst.

Die Verfassungsbestimmungen zu Volksbegehren bzw. Volksinitiativen wurden zu Beginn des neuen Jahrtausends im Sinne einer Absenkung der Hürden für solche Initiativen novelliert.

Eine weitere Verfassungsänderung betraf die Verankerung des Konnexitätsprinzips in dem Sinne, dass den Kommunen alle Kosten für die ihm vom Land übertragenen Aufgaben zu erstatten sind.

Die Aufnahme von Datenschutz und Umweltschutz sowie Tierschutz als Staats- bzw. Erziehungsziele in die Verfassung erfolgte, als diese Themen im Laufe der Jahre im Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger einen derartigen Rang eingenommen hatten, dass ihre Verankerung in der Verfassung den Landtagsfraktionen angezeigt erschien.

Ähnliches ist im Blick auf die Novellierung von Artikel 5 (Familien- und Erwerbsarbeit) zu erkennen: eine unumstrittene Verfassungsbestimmung wurde in der Formulierung den gewandelten Verhältnissen angepasst. In diesen Zusammenhang gehört auch die Verankerung der Kinderrechte in Artikel 6.

Im Rahmen einer Neufassung des Artikels 18 wurde schließlich auch die Pflege und Förderung des Sports in die Verfassung aufgenommen.

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Quelle:
Landtag intern 4 - 45. Jahrgang, 9.4.2014, S. 10
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2014