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NORDRHEIN-WESTFALEN/2172: Landtag gedenkt der Opfer des Holocaust (Li)


Landtag intern 1/2015
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Gegen das Vergessen
Landtag gedenkt der Opfer des Holocaust

Von Wibke Busch


27. Januar 2015 - Es war eine Rede, die berührte und zugleich aufrüttelte. "Ich möchte nicht, dass die Holocaust-Leugner ohne Widerspruch ihre Lügen verbreiten können." Mit diesen Worten begründete der Auschwitz-Überlebende Harry Radzyner, warum er nach langem Schweigen über seine Erlebnisse im Vernichtungslager berichte. Der 81-Jährige sprach bei einer großen Veranstaltung, mit der der Landtag 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz-Birkenau durch sowjetische Soldaten der Opfer des Nationalsozialismus gedachte.


Zu der Feierstunde mit mehr als 450 Gästen hatten Landtagspräsidentin Carina Gödecke und die Direktorin des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR), Ulrike Lubek, eingeladen. Einen besonderen Schwerpunkt legten sie mit einer Ausstellung zur Verfolgung und Ermordung Kranker und Behinderter während der NS-Zeit, die während der Veranstaltung eröffnet wurde.

Das Schweigen aufbrechen und erinnern - dieses Leitmotiv zog sich durch den Abend. Radzyner erläuterte, dass er seit 54 Jahren in Düsseldorf lebe, aber nie über Auschwitz gesprochen habe. Jetzt sei der Zeitpunkt dafür gekommen, weil er zur letzten Generation der Überlebenden gehöre. "Heute höre ich mit Abscheu die Parolen der Neonazis und werde sie bis aufs Letzte bekämpfen."

Radzyner, geboren in Lodz, war im August 1944 in das Vernichtungslager gekommen. "Es war eine grausame Zeit, Überleben war reine Glückssache." In ihrer Begrüßungsrede hatte die Landtagspräsidentin zuvor betont, die Deutschen seien dankbar und froh, dass "trotz des dunkelsten Kapitels unserer Geschichte Juden in stetig wachsenden Gemeinden wieder mit uns leben". Umso tiefer hätten sie die Attacken auf Juden und jüdische Einrichtungen in jüngster Zeit erschüttert. Sie mahnte: "Wie auch immer Antisemitismus sich tarnt - er bleibt bösartig und hässlich. Und es bedarf unseres Widerspruchs."

Hauptredner des Abends war der Historiker und Journalist Prof. Dr. Götz Aly. Er betonte die Mitverantwortung der "allermeisten Deutschen", die Profiteure der Enteignung von Juden gewesen seien, die angesichts der Verbrechen stillgehalten hätten. "Wir Heutigen wissen: Unseren Wohlstand, unsere Freiheit, sieben Jahrzehnte des Friedens, das Glück unserer Kinder und Kindeskinder verdanken wir allein dem mit harter militärischer Gewalt erzwungenen Ende des deutschen Vernichtungs-, Raub- und Rassekriegs."


Ein Bild von Benjamin

Die Ausstellung "erfasst, verfolgt, vernichtet" der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) erinnert an die bis zu 400.000 kranken und behinderten Menschen, die ab 1934 gegen ihren Willen sterilisiert wurden; mehr als 200.000 Menschen wurden ermordet. Für die Landeshauptstadt Düsseldorf dankte Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD), dass der Landtag die Ausstellung zeige. Die Erinnerung an die Verbrechen schulde man den Opfern.

Prof. Dr. Wolfgang Gaebel, ärztlicher Direktor des LVR-Klinikums Düsseldorf und Beisitzer im Vorstand der DGPPN, betonte, den Opfern sei nach 1945 viel zu wenig oder keine Aufmerksamkeit zuteil geworden. Eines dieser Opfer war Benjamin Traub, der in der Tötungsanstalt Hadamar ermordet wurde. An ihn erinnerte sein Neffe Dr. Hartmut Traub, der während seiner Rede ein Bild von Benjamin in den Plenarsaal gestellt hatte. Auf seine Bitte hin erhoben sich die Gäste der Veranstaltung schweigend, um der Opfer zu gedenken.

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Quelle:
Landtag intern 1 - 46. Jahrgang, 29.1.2015, S. 7
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2015

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