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SCHLESWIG-HOLSTEIN/2047: Vorstoß gegen NS-Überbleibsel im Strafrecht (Landtag)


Der Landtag - Nr. 01 / März 2014
Die Parlamentszeitschrift für Schleswig-Holstein

Plenum
Vorstoß gegen NS-Überbleibsel im Strafrecht



"Mörder ist, wer...": So heißt es noch heute in Paragraf 211 des Strafgesetzbuches (StGB). Der Passus geht auf ein "Führergesetz" aus dem Jahr 1941 zurück. Darin werde nicht die Straftat, sondern ein angeblicher Tätertyp beschrieben, sagte Justizministerin Anke Spoorendonk (SSW) in der Februar-Sitzung. Sie will die Überbleibsel von NS-Gedankengut im Rechtssystem der Bundesrepublik streichen.


Spoorendonk will über den Bundesrat erreichen, dass die Paragrafen für Mord und auch für Totschlag im StGB sprachlich überarbeitet werden. Dafür gab es Zuspruch von der Koalition. CDU, FDP und Piraten hielten den Vorstoß hingegen für wenig durchdacht: Es gebe noch viele weitere NS-Spuren im Strafrecht, die Spoorendonk aber nicht beachte.

Die Formulierungen im StGB wurden maßgeblich von Juristen der sogenannten "Kieler Schule" geprägt (s. Kasten). Regelungen nach dem NS-Motto "Mörder wird man nicht, Mörder ist man" hätten "in einem modernen Gesetzestext nichts zu suchen", so Spoorendonk. Sie sei froh, dass Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) das Thema inzwischen ebenfalls aufgegriffen habe und eine Expertenkommission einrichten wolle.

"Das Thema ist komplex", mahnte Barbara Ostmeier (CDU). So gebe es neben dem "Mörder" und dem "Totschläger" im Strafrecht noch weitere Beispiele für die "heute nicht mehr vertretbare Tätertypenlehre" - etwa den "Räuber" oder die "Abartigkeit". "Entweder man macht eine komplette Reform oder man lässt es", meinte auch Wolfgang Kubicki (FDP). Begriffe wie "Heimtücke" oder "Verwerflichkeit" gehörten ebenfalls auf den Prüfstand. Ohne einen umfassenden Änderungsvorschlag werde sich Schleswig-Holstein "blamieren", so Kubicki. Patrick Breyer (Piraten) regte an, bei der Reform der Paragrafen auch die lebenslange Haftstrafe für Mord zu überprüfen, zumal kaum noch ein Straftäter den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringe.

Die Koalitionsfraktionen stellten sich voll hinter die Ministerin. "Nun wird das dunkelste Kapitel der deutschen Justizgeschichte aufgeschlagen und angegangen", sagte Lars Harms (SSW). Derzeit scheine "eine Säule unseres demokratischen Rechtsstaats irgendwie schief zu sein". Auch Thomas Rother (SPD) forderte, "Altlasten im Strafgesetzbuch" zu beseitigen. Dafür sei es höchste Zeit, frühere Anläufe seien nicht weiter verfolgt worden. Und Burkhard Peters (Grüne) wies darauf hin, dass andere Beispiele der "völkischen Rechtserneuerung", etwa die Begriffe des "Volksschädlings" und des "Plünderers" bereits gestrichen worden seien. (Drucksache 18/1559)


Kasten
 
"KIELER SCHULE"

Die juristische Fakultät der Christian-Albrechts-Universität wurde nach der "Machtergreifung" 1933 zur nationalsozialistischen "Stoßtruppfakultät" umgestaltet. Wie in keiner anderen deutschen Rechtsfakultät wurden Professoren und Lehrbeauftragte aus "rassischen" und politischen Gründen entlassen. Die Stellen fielen an treue Nazis. Deren Ansichten prägten in den folgenden Jahren Gesetzgebung und Rechtsprechung. Ein Verbrechen wurde fortan als "Verrat" und "Pflichtverletzung gegenüber der völkischen Gemeinschaft" betrachtet. Laut der Tätertypenlehre der "Kieler Schule" war das "Wesen" des Täters für die Beurteilung entscheidend, und nicht die konkreten Umstände der Tat.

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Quelle:
Der Landtag, Nr. 01 im März 2014, S. 18
Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers:
Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2014