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SCHLESWIG-HOLSTEIN/2111: Freihandel kontra Verbraucherschutz - Henning Klodt beleuchtet TTIP (Landtag)


Der Landtag - Nr. 02 / Juli 2015
Die Parlamentszeitschrift für Schleswig-Holstein

Freihandel kontra Verbraucherschutz:
Wirtschaftsprofessor Henning Klodt beleuchtet TTIP


Soll das viel gescholtene amerikanische Chlorhühnchen auf Europas Mittagstischen landen? Bekommt die deutsche Exportwirtschaft im Gegenzug bessere Chancen auf dem US-Markt? Der Konflikt Freihandel kontra Verbraucherschutz ist ein zentraler Streitpunkt bei TTIP, dem geplanten Handelsabkommen zwischen EU und Vereinigten Staaten. Prof. Henning Klodt vom Kieler Institut für Weltwirtschaft gab Ende April im Landeshaus seine Einschätzung ab. Sein Fazit: Vieles ist noch unklar, vor allem bei den umstrittenen Schutzklauseln für Investoren. Aber: Die "Transatlantic Trade and Investment Partnership" dürfe nicht scheitern - das wäre "ein fatales Signal für den Welthandel".


Das deutsche Bruttoinlandsprodukt werde wegen TTIP pro Jahr zwar nur minimal steigen, sagte Klodt, Leiter des Zentrums Wirtschaftspolitik an dem Kieler Institut. Freihandel und der Abbau von Barrieren seien aber grundsätzlich "gut für alle Beteiligten". Ziel ist es, die weltweit größte Freihandelszone mit rund 800 Millionen Bürgern einzurichten.

Der Ökonom, der sich als "Neoliberaler" beschreibt, war auf Einladung der Juristischen Gesellschaft in den Landtag gekommen und stellte sich nach seinem Vortrag der Diskussion mit den rund 70 Gästen. Ein Kernpunkt der Debatte: die unterschiedlichen Schutzstandards diesseits und jenseits des Atlantiks. Europäische TTIP-Gegner befürchten Einschnitte beim Verbraucherschutz. Neben dem gechlorten Hühnchen stehen amerikanische Agrarprodukte aus gentechnisch verändertem Saatgut am Pranger. In der Tat biete die EU oft den höheren Schutzstandard, betonte Prof. Klodt. In einigen Bereichen, etwa bei der Bleikonzentration im Kinderspielzeug, habe Amerika allerdings die Nase vorn. Und vielfach seien die Vorgaben in den USA nicht besser oder schlechter, sondern einfach nur anders. So schreibt Europa klappbare Außenspiegel bei PKW vor, die USA hingegen bestehen auf starren Spiegeln: "Was besser ist, kann ich nicht sagen", bekannte Klodt. Auch beim Chlorhuhn sei es schwer, ein eindeutiges Urteil zu fällen. In den USA wird das Geflügel im Chlorbad desinfiziert, um Salmonellen abzutöten. In Europa gibt es zwar keine Chlor-Behandlung, aber dafür bleiben möglicherweise Bakterien im Fleisch.

Ein weiterer Angriffspunkt der TTIP-Skeptiker sind die geplanten Schiedsgerichte, vor denen Investoren ihre Interessen gegen einzelne Staaten durchsetzen könnten. Die Idee: Bei Streitigkeiten benennen beide Parteien ein Gremium aus drei Richtern. Das Verfahren soll hinter verschlossenen Türen ablaufen, eine Revision soll es nicht geben. Was als Schutz für ausländische Investoren vor staatlicher Willkür gedacht ist, könne "zweckentfremdet" werden, um nationale Gesetze auszuhebeln, mahnte Prof. Klodt. Als Beispiel nannte er die Klage des Vattenfall-Konzerns gegen die deutsche Energiewende. Der schwedische Energieriese verlangt von der Bundesrepublik 4,7 Milliarden Euro, weil er seine Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel abschalten musste. Eine solche Klage sei ein "Verstoß gegen das Rechtsempfinden der Bevölkerung", urteilte Klodt.

Seine Forderungen: Rechtsstreitigkeiten über TTIP müssten öffentlich verhandelt werden, und es müsse eine Revisionsinstanz geben. Idealerweise solle ein "Investitionsgerichtshof" nach Vorbild des Internationalen Strafgerichtshofs eingerichtet werden.

Dass es in näherer Zukunft dazu kommt, ist aber nach Prof. Klodts Einschätzung unwahrscheinlich: "Ich habe keinen Optimismus für einen schnellen Abschluss." Zwar sei Ende 2015 als Schlusspunkt der Verhandlungen ausgegeben, aber bereits jetzt hinken die Delegationen hinter ihrem Fahrplan her. Und wenn es dann einen TTIP-Text gebe, bleibe die Frage, wer alles zustimmen muss: das EU-Parlament, oder auch der Bundestag? Oder, da auch Länderinteressen berührt werden, der Bundesrat und die Landesparlamente? Wie groß der Kreis der Betroffenen ist, zeigt ein Beschluss des Kreistages von Nordfriesland. Dort haben die Abgeordneten im vergangenen September ein Papier verabschiedet, in dem sie ihre "große Sorge" über TTIP ausdrücken. Trotz Kritik an einzelnen Punkten: Prof. Henning Klodt beurteilt TTIP im Grundsatz als "eindeutig positiv".

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Quelle:
Der Landtag, Nr. 02 / Juli 2015, S. 28
Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers:
Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. September 2015

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