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AUSSEN/1373: Verantwortungsvolle Friedenspolitik in einer Zeit neuer Herausforderungen


SPD-Pressemitteilung vom 20. September 2014

Beschluss des 5. Parteikonvents: Verantwortungsvolle Friedenspolitik in einer Zeit neuer Herausforderungen

Auf seiner heutigen Sitzung hat der SPD-Parteikonvent folgenden Beschluss gefasst:



Die Welt ist von Krisen gezeichnet. Nahezu täglich erreichen uns Nachrichten über Gewalt, über territoriale, ethnische oder religiöse Konflikte, den Vormarsch fanatischer Terroristen, den Zusammenbruch staatlicher Strukturen, die Verletzung von Menschenrechten und den Bruch des Völkerrechts. Für keine dieser Krisen gibt es einfache Lösungen. Die Anforderungen an eine aktive Friedenspolitik sind daher komplex und stellen uns vor schwierige Entscheidungen.

Angesichts dieser komplexen Herausforderungen braucht verantwortungsvolle Außenpolitik heute vor allem zweierlei: Eine klare Grundausrichtung an den Werten und Zielen einer umfassenden, vorausschauenden Friedenspolitik. Diese setzt auf Krisenprävention, den Schutz der Menschenrechte, Armutsbekämpfung und die Kooperation im Rahmen von EU, NATO, OSZE sowie den Vereinten Nationen. Zugleich tritt sie für Abrüstung und Rüstungskontrolle mit dem langfristigen Ziel ein, mehr Sicherheit durch weniger Waffen in der Welt zu erreichen.

Ebendiese Grundausrichtung ist bewährte Tradition sozialdemokratischer Außenpolitik. Sie entbindet uns aber nicht davon, in einer konkreten Konflikt- und akuten Notsituation wie aktuell der dramatischen Lage im Norden Iraks unsere Ziele und Politik abzuwägen. Wir tragen Verantwortung für unser Handeln genauso wie für unser Nicht-Handeln. Und wir müssen die Spannungen zwischen unseren langfristigen Zielen und kurzfristigen Notwendigkeiten aushalten. Auch das verlangt verantwortungsvolle Außenpolitik von uns. Sie ist immer auch Abwägung.


Humanitäre Hilfe hat oberste Priorität

Die aktuellen Nachrichten aus dem Norden Iraks erschüttern uns zutiefst. Mit unfassbarer Brutalität ist die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) auf dem Vormarsch, ermordet Frauen, Männer und Kinder. Zu Hunderttausenden sind Menschen auf der Flucht. Wir können und dürfen diesem unsäglichen Leid so vieler Menschen nicht tatenlos zuschauen. Wir müssen, wo immer dies möglich ist, helfen.

An erster Stelle steht für uns die humanitäre Hilfe. Vor allem die Not der Flüchtlinge muss gelindert werden - durch Notunterkünfte, Lebensmittel, Medikamente und andere Hilfsgüter. Deshalb ist die angelaufene humanitäre Nothilfe durch viele Hilfsorganisationen auch aus Deutschland so ungemein wichtig. Die Bundesregierung hat ihrerseits bislang 50 Millionen Euro für Hilfsgüter zur Verfügung gestellt, weitere Mittel sind in Aussicht gestellt. Diese humanitäre Hilfe muss intensiv fortgeführt und angesichts des Ausmaßes der menschlichen Katastrophe in ein nachhaltiges Engagement überführt werden, auch um Lebensperspektiven vor Ort zu erhalten und neu zu schaffen. Zugleich sollte Deutschland zusammen mit seinen europäischen Partnern zu einer großzügigen Aufnahme für Flüchtlinge aus der Region bereit sein.

Letztlich setzt die Wirksamkeit unserer humanitären Hilfe jedoch ein sicheres Umfeld voraus. Dazu muss der brutale Vormarsch der Terrorgruppe IS gestoppt werden. Die kurdischen Peschmerga stehen im Kampf gegen den IS vor einem äußerst brutalen Gegner, der ihnen an technologischer Ausrüstung überlegen ist. Um sich diesem Feind entgegenzustellen haben die Kurden nicht nur humanitäre, sondern auch militärische Unterstützung erbeten. Die irakische Zentralregierung unterstützt diese Bitte.


Kluge Außenpolitik ist Abwägung

Für einen Konflikt wie diesen gibt es keine Schwarz-Weiß-Lösungen. Er zwingt uns zu schweren und raschen Entscheidungen. Das Tempo des Vormarsches der IS erlaubt kein Zögern und Abwarten. Auf der einen Seite steht unser Prinzip, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern. Waffen, einmal in den falschen Händen, können Konflikte anheizen. Andererseits gilt der Grundsatz, Menschenleben zu schützen, Völkermord und eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Und es geht darum, die Stabilität einer Region zu festigen, die bis an die Grenzen Europas und der NATO heranreicht und somit unsere eigene Sicherheit unmittelbar berührt.

In Krisengebiete wie Ukraine, Syrien, Libyen liefert Deutschland keine Waffen - und das aus guten Gründen. Doch vieles spricht dafür, dass die Krise im Nord-Irak anders gelagert ist. Einerseits ist der IS eine neuartige Form der Bedrohung, eine rücksichtslose, fanatische und extrem brutale Terrororganisation, die ein wachsendes Territorium kontrolliert und das Ziel verfolgt, einen islamistischen Gottesstaat zu errichten. Der IS will mit barbarischen Mitteln Fakten schaffen und seinen Machteinfluss in der Region weiter ausdehnen. Andererseits steht ihr mit der kurdischen Regionalbehörde eine relativ stabile Struktur gegenüber. Die Kurden in der Region stellen sich mit aller Kraft gegen die Mörderbanden des IS. Werden sie überrannt, sind nicht nur tausende Menschenleben, sondern die Stabilität der gesamten Region in akuter Gefahr - verbunden mit erheblichen Sicherheitsrisiken auch für uns in Europa.


Handeln in einer akuten Notsituation - als Teil einer politischen Gesamtstrategie

Vor diesem Hintergrund hat die deutsche Bundesregierung in enger Abstimmung mit unseren europäischen und internationalen Partnern beschlossen, als Teil einer politischen und humanitären Gesamtstrategie neben Ausrüstungsgütern auch Waffen an die Kurden im Nord-Irak zu liefern.

Unsere strengen Grundsätze bei Rüstungsexporten gelten selbstverständlich weiter. Wir Sozialdemokraten waren es, die unter rot-grüner Bundesregierung im Jahr 2000 die äußerst restriktiven Politischen Grundsätze für die deutsche Rüstungsexportpolitik durchgesetzt haben. In einer Welt, die durch Instabilität und komplexe Konfliktlagen gekennzeichnet ist, ist Zurückhaltung beim Export von Waffen ein Gebot der sicherheitspolitischen Vernunft. Doch die Richtlinien für Rüstungsexporte fordern die Politik in einem konkreten Krisenfall auch zur Abwägung und zur Entscheidung auf. Sie sagen: eine Genehmigung kann ausnahmsweise erteilt werden, wenn "besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung der Bündnisinteressen" dafür sprechen. Bei den Waffenlieferungen an die Kurden im Nord-Irak geht es um Nothilfe in einer akuten Krisensituation, die dem Schutz und dem Leben der Flüchtlinge und der Stabilisierung einer Region dienen soll, die nahe an Europa heranreicht. Es ist eine Einzelfallentscheidung in einer Ausnahmesituation. An den bewährten Grundsätzen der deutschen Außenpolitik ändert die Entscheidung nichts. Sie ist kein Paradigmenwechsel.

Zugleich ist klar: Militärische Ausrüstung allein ist noch keine Strategie. Auf längere Sicht kommt es darauf an, der Terrormiliz IS den Nährboden zu entziehen. Das erfordert mindestens dreierlei: Erstens, eine Zentralregierung in Bagdad, die alle ethnischen und religiösen Gruppen des Landes repräsentiert. Zweitens, muss der Konflikt in Syrien eingedämmt und, drittens, der Zufluss von Geld und Kämpfern an den IS aus dem Ausland gestoppt werden. Die direkte wie indirekte Unterstützung und Förderung des IS muss von der internationalen Gemeinschaft unterbunden werden. An allen drei Zielen muss die deutsche und europäische Diplomatie weiter intensiv arbeiten.

Auch sollten die gegenwärtigen Bemühungen um einen anhaltenden Waffenstillstand im Nahost-Konflikt in eine umfassende regionale Initiative für Sicherheit und Abrüstung im Nahen Osten münden. Darüber hinaus müssen wir, um langfristig Handlungsfähigkeit im politischen Krisenmanagement zu gewinnen, die gemeinsame europäische Außenpolitik weiter voranbringen. Ebenso ist es Ziel unserer umfassenden friedenspolitischen Bemühungen, die Vereinten Nationen so zu stärken, dass sie die tragende Rolle bei der Lösung internationaler Konflikte spielen. Vor allem muss auch das UN-Flüchtlingshilfswerk gestärkt werden.

Die SPD ist und bleibt den Grundsätzen einer verantwortungsvollen Friedenspolitik verpflichtet. Für uns sind Diplomatie, Dialog und humanitäre Hilfe immer die ersten Mittel der Wahl. Und mit unserer Politik für Abrüstung und Rüstungskontrolle folgen wir der Überzeugung, dass langfristig weniger Waffen in der Welt mehr Frieden und Sicherheit schaffen können. Doch wenn eine akute Krise uns vor schwierige Entscheidungen stellt, weichen wir ihnen nicht aus. Stattdessen vertrauen wir auf unsere Grundsätze und wägen ab, welcher Weg uns unseren übergeordneten Zielen von Frieden, dem Schutz von Menschenleben und Menschenrechten und unserer eigenen Sicherheit am nächsten bringt.

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Quelle:
SPD-Pressemitteilung 281/14 vom 20. September 2014
Herausgeber: SPD Parteivorstand, Pressestelle
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2014