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INNEN/2558: Rede von Yasmin Fahimi beim außerordentlichen SPD-Bundesparteitag am 26.1.2014


SPD-Pressemitteilung vom 26. Januar 2014

Rede der Generalsekretärin der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Yasmin Fahimi beim außerordentlichen SPD-Bundesparteitag am 26. Januar 2014 in Berlin



Lieber Ralf, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu deiner Wahl! Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit dir.

Liebe Genossinnen und Genossen! Ich freue mich auch, dass ich mich heute endlich bei euch persönlich vorstellen kann. Meine Wahl ist ja schon seit ein paar Tagen öffentlich. Selbst wenn ich mir bis zur Wahl eine gewisse mediale Zurückhaltung verordnet habe, konnte ich doch so einiges über mich hören und lesen.

Meine Biografie scheint ein bisschen zur Verwirrung beizutragen. Jedenfalls erreicht mich eine Vielzahl von seltsamen Fragen und eigenartigen Spekulationen: Wie eine linke Ideologin eigentlich bei einer ultrapragmatischen Gewerkschaft arbeiten konnte und ob ich einen türkischen Pass habe - weil man Vater ja Iraner war!

Und wie es mich dann letztlich in die Arme der Niedersachsen-Connection getrieben hat, wo ich doch eine so kluge Frau sein soll!

Eines scheint aber inzwischen sehr normal zu sein: eine Frau und Naturwissenschaftlerin in der Politik. Da geht keine Augenbraue mehr hoch. Das ist auch gut so.

Ich bin froh, dass ich also endlich als diejenige vor euch stehen kann, die ich wirklich bin. Das empfinde ich wirklich als großes Privileg. Daran habe auch ich mit Sicherheit nicht gedacht, als ich vor 28 Jahren in der SPD Mitglied geworden bin.

Und ja, ich habe die vergangenen 14 Jahre insbesondere auch der hauptamtlichen Gewerkschaftsarbeit gewidmet. Ich habe dort vieles gelernt, das ich heute mitbringen möchte. Ich habe gelernt, dass die Vertretung von Arbeitnehmerrechten nicht nur Kampfgeist braucht, sondern auch wirtschafts- und industriepolitischen Sachverstand. Ich habe gelernt, dass Organisationsentwicklung immer etwas sehr Konkretes sein muss und dass Bindung und Nähe zu den Menschen nur vor Ort passiert. Und ich habe bei Partei und Gewerkschaft erlebt, dass man mit Idealen und Leidenschaft die Herzen der Menschen erreicht, aber auch Pragmatismus braucht, damit der eigene Verstand den Weg in die Herzen nicht versperrt. Diese Erfahrungen, die möchte ich mitbringen, an die möchte ich anknüpfen.

Ich sehe für mich als Generalsekretärin dabei drei Kernaufgaben: Erstens: Ich will die SPD nach innen stark machen.

Zweitens: Ich will mithelfen, dass das Vertrauen, das unsere Mitglieder und Millionen von Wählerinnen und Wählern bei der vergangenen Bundestagswahl in uns gesetzt haben, gerechtfertigt wird durch eine gute Regierungsarbeit.

Und drittens: Ich will die SPD nach außen als moderne Volkspartei repräsentieren, die den Menschen nahe ist, die Menschen begeistern und mitreißen kann. Ich will dazu insbesondere den bisherigen Weg der Parteireform evaluieren und fortsetzen. Die Beteiligung der Mitglieder und der Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern sind unsere Verwurzelung in die Gesellschaft. Daraus gewinnt die Partei Kraft nach innen und nach außen, Vitalität und auch Standfestigkeit. Und es ist am Ende unsere Heimat, unser Selbstverständnis, unsere historische Stärke nach 150 Jahren SPD.

Die Wirkungsmacht einer politischen Organisation - ich sagte es schon - entsteht nicht allein in der Zentrale, sondern vor Ort. Was vor Ort nicht funktioniert, ist für die Organisation nicht tauglich. Was vor Ort nicht stattfindet, findet gar nicht statt. Deswegen bin ich der Überzeugung, dass wir die Regionen stark machen müssen. Das ist eine Aufgabe der ganzen SPD.

Das Willy-Brandt-Haus ist daher auch nicht nur der Apparat des Parteivorstands. Das Willy-Brandt-Haus muss die lebendige Ader für die ganze Partei und alle Aktiven sein.

Darum habe ich mir vorgenommen, den Austausch zwischen den Ebenen in der SPD zu intensivieren. Wir sollten den Schatz heben, der in unseren eigenen Erfahrungen steckt, und in uns entdecken, was für die ganze Partei lernenswert ist. Die Ortsvereine, Unterbezirke und Arbeitsgemeinschaften können sich doch gegenseitig anregen. Und ich glaube auch, dass die Beschäftigten der SPD die Arbeit der anderen Kolleginnen und Kollegen aus den Ebenen besser kennenlernen müssen, um besser zusammenzuarbeiten.

Und um mehr voneinander zu lernen, müssen wir natürlich auch neue Wege gehen: Onlinebefragungen, Themenlabore, alles, was dabei hilft, das Wissen und die Kompetenzen unserer Mitglieder zu nutzen.

Mit den Bürgerdialogen und dem Mitgliedervotum im vergangenen Jahr haben wir es vorgemacht. Wir haben gezeigt, was eine moderne Volkspartei ausmacht:

Dialog statt Propaganda, Offenheit statt Arroganz, Neugier statt Besserwisserei. Das ist die SPD, auf die ich stolz bin: modern, nah am Menschen, aufgeschlossen. So muss auch unsere zukünftige Regierung sein.

Ja, wir koalieren mit unserem politischen Gegner. Manche finden das schizophren. Ich sage: Es ist verantwortungsbewusst. Ja, diese Regierungsbeteiligung hat Risiken für uns, aber auch große Chancen für Deutschland. Deswegen ist sie ist richtig. Sie ist ein Instrument mit Grenzen, ja. Aber lasst uns doch innerhalb dieser Grenzen für den Fortschritt kämpfen und unser Versprechen einlösen, das Leben für Millionen von Menschen ein klein wenig besser zu machen.

Wir haben in der Regierungsarbeit für eine ganze Reihe von zentralen Projekten Verantwortung übernommen. Das ist unsere Chance. Mit der Energiewende haben wir ein Projekt von fundamentaler Bedeutung für die Gesellschaft übernommen, ökologisch sowieso, aber insbesondere auch ökonomisch und in sozialen Aspekten - ein Fortschrittsprojekt von historischem Ausmaß, das uns über die Legislaturperiode hinaus beschäftigen wird.

Deswegen ist es gut, dass dieses wichtige Projekt des Fortschritts von unserem Vorsitzenden gemanagt wird. Da ist es in den richtigen Händen. Dort ist es aus dem Stillstand geholt worden. Vielen Dank, Sigmar.

Andrea Nahles hat den ersten Gesetzentwurf dieser Regierung vorgelegt: die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren. Das haben wir versprochen und Andrea hat für uns Wort gehalten.

Mit Frank-Walter Steinmeier hat unser Land endlich wieder einen Außenminister, der im Ausland ernst genommen, geschätzt und gehört wird.

Ohne Barbara Hendricks würde über die Mietpreisbremse immer noch "nur geredet" werden. Jetzt wird sie endlich gemacht.

Die kleingeistige Staatsbürgerschaftsdebatte wird Aydan Özo?uz nun endlich beenden und Ordnung in das derzeitige Chaos bringen. Damit kommen wir endlich auch in dieser Frage im 21. Jahrhundert an.

Und ohne Manuela Schwesig und Heiko Maas wäre die gläserne Decke in den Unternehmen für Frauen weiterhin fest verschlossen. Mit diesem unerträglichen Zustand der "Frauenverhinderungskultur" ist jetzt Schluss. Diese Decke wird jetzt eingerissen.

Das sind doch gemeinsame Fortschrittsideen, für die es sich lohnt, zu kämpfen. Lasst uns zeigen, dass die Menschen sich auf uns verlassen können und dass wir Verantwortung für Deutschland übernehmen. Lasst uns die jungen Frauen und Männer gewinnen, die Menschen mit Familien aus anderen Ländern der Welt. Lasst uns alle Menschen mitnehmen, die in einer offenen und inklusiven Gesellschaft leben wollen, die Perspektiven suchen und die Stabilität für ihre Lebensplanung brauchen.

Wir koalieren mit unserem politischen Gegner, aber die Koalition ist nicht unser Gegner. Wir sorgen dafür, dass Deutschland jetzt seine Potenziale endlich besser ausschöpfen kann.

Dennoch: Eine Vernunftehe in der Politik ist bekanntermaßen zeitlich befristet. Das ist auch gut so. Aber um im Bild zu bleiben: Das ist keine Zugewinngemeinschaft. Bei der Trennung darf nicht geteilt werden, was wir geschaffen haben. Und wir haben es erlebt, nach einer solchen Ehe den Kürzeren zu ziehen. Dieses Mal werden wir die sozialdemokratischen Erfolge auch offensiv für uns beanspruchen. Als Generalsekretärin der SPD werde ich dafür gerne die Anwältin sein.

Die SPD muss ihre eigenständige Rolle behalten. Wir müssen erkennbar bleiben. Was ist SPD pur? Was sind notwendige Kompromisse? Und wo soll einfach nur weiter rumgemerkelt werden?

Es ist aber auch klar: Die Partei muss weiterdenken. Sie muss über die Große Koalition hinausdenken. Daher bleiben wir natürlich im Meinungsstreit und in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Wir werden deutlich machen, dass wir auch mit anderen Parteien ins Gespräch gehen, aber insbesondere auch, dass die Parteien der Großen Koalition sehr unterschiedliche Parteien sind.

Denn eines will ich nicht: Trotz gemeinsamer Regierung will ich mich nicht mit denen gemein machen, die von einem Raubzug gegen die junge Generation sprechen. Kein Kind will, dass seinen Eltern droht, nach einem langen Arbeitsleben in die Armut abzurutschen. Jetzt unternehmen wir endlich den ersten Schritt dagegen.

Und trotz gemeinsamer Regierung will ich mich nicht mit denen gemein machen, die mit Betrugsvorwürfen Stimmung gegen Menschen aus Osteuropa machen, selber aber keine ehrliche Doktorarbeit zustande bringen.

Platter Populismus vergiftet das gesellschaftliche Klima. Dieser Auseinandersetzung werde ich nicht aus dem Weg gehen, das kann ich euch versprechen. Dennoch ist mir völlig klar, dass uns dieses Gespenst des Populismus bereits zur Europawahl wieder heimsuchen wird.

Heute haben wir unseren Spitzenkandidaten für Europa gewählt: Martin Schulz, ein Mann, der die europäische Idee vertritt wie kaum ein anderer, ein Europa der Bürgerinnen und Bürger. Deswegen bin ich nicht nur zuversichtlich, dass wir den Demagogen Einhalt gebieten können, sondern auch, dass der neue EU-Kommissionspräsident Martin Schulz heißen wird.

Wie gesagt: Ich habe viel darüber gelesen, warum ich heute vor euch stehe, wegen des Frauenbonus, wegen des Migrantenbonus oder wegen des Niedersachsenbonus. Auf keines dieser Attribute hatte ich Einfluss. So bin ich auf die Welt gekommen. Ich werde ungern danach beurteilt, was mir in die Wiege gelegt ist, sondern lieber danach, was ich aus mir gemacht habe und wofür ich eintrete.

Ich kann euch zusagen: Ich arbeite hart, immer an der Sache orientiert, bin eine Teamplayerin, aber politisch auch gerne streitbar. Ich bin ein Mensch, der über den Kopf den Weg in die Politik und über das Herz in die SPD gefunden hat. In beides - Kopf und Herz - konnte ich euch heute nur einen kurzen Einblick geben. Aber beides möchte ich in die gemeinsame Zusammenarbeit mit euch für unsere Partei einbringen, damit unsere Sache gedeiht und unsere Partei wächst. Wenn ihr mir daher heute euer Vertrauen schenkt, bekommt ihr kein Bonusheft, sondern nur mich, wie ich eben bin, aber das mit klarem Kopf und ganzem Herzen.

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Quelle:
SPD-Pressemitteilung 027/14 vom 26. Januar 2014
Herausgeber: SPD Parteivorstand, Pressestelle
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2014