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WIRTSCHAFT/2397: Rede von Peer Steinbrück auf der CeBIT - Wirtschaftspolitik im digitalen Zeitalter


SPD-Pressemitteilung 091/13 vom 6. März 2013

Rede des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück:
"Welche Wirtschaftspolitik brauchen wir im digitalen Zeitalter?"

auf der CeBIT am 6. März 2013 in Hannover



- Es gilt das gesprochene Wort -

Die CeBIT ist weit mehr als eine Messe. Sie ist das wichtigste internationale Ereignis der digitalen Wirtschaft und Impulsgeber für Innovation. Sie macht Hannover jedes Jahr für einige Tage zum Silicon Valley an der Leine.

Die CeBIT ist der Gradmesser für die großen Umwälzungen, die in unserer Wirtschaft und in unserem Alltag passieren. Als ich die ersten Male auf der CeBIT war, hatte mein Mobiltelefon noch die Größe einer Damenhandtasche und ich hätte vermutet, dass 'Facebook' der amerikanische Ausdruck für das Familienfotoalbum im Wohnzimmer der Schwiegereltern ist.

Zum Glück habe ich da mittlerweile dazu gelernt. Als Wahlkämpfer finde ich es unglaublich spannend und reizvoll, sich direkt mit vielen und sehr verschiedenen Menschen vernetzen zu können. Was ist das für ein riesiger Unterschied zu den klassischen Zeitungsinterviews und Fernsehshows. Denn die sind ja kommunikative Einbahnstraßen. Jetzt aber kann ich als Politiker meine Vorstellungen direkt und unmittelbar mit vielen Menschen diskutieren. Und das Feedback sieht da so oft ganz anders aus als es sonst durch Leitartikel und Kommentarseiten bei mir ankommt.

Gerade an diesem Wochenende zum Beispiel haben wir als SPD mit einem großen Bürgerkonvent den Prozess unseres Bürgerdialogs abgeschlossen. Auch der lief zum großen Teil online.

Das ist nur ein Beispiel, aus dem mir vertrauten Metier, wie die Digitalisierung unser Leben verändert. Sie betrifft uns alle. Sie verändert die Art, wie wir arbeiten, uns informieren, mit Freunden kommunizieren, unsere Freizeit gestalten, verreisen, einkaufen, Kunst schaffen, Musik hören, Medien nutzen oder uns an politischen Prozessen beteiligen.

Und die Digitalisierung hat nicht zuletzt unsere Wirtschaft grundlegend verändert. Die digitale Marktwirtschaft ist geprägt von extrem kurzen, disruptiven Innovationszyklen. War es in der Vergangenheit möglich, mit einer Innovation jahrelang gute Geschäfte zu machen, befinden sich Unternehmen nun in einem Dauerinnovationszustand. Ebenso wie sich die Geschäftsmodelle von Unternehmen in einem permanenten Erneuerungsprozess befinden, müssen sich auch die Beschäftigten auf neue Anforderungen einrichten.

Natürlich geben Unternehmen und Verbraucher maßgeblich das Tempo der Digitalisierung der Wirtschaft an. Aber der Staat wird gebraucht, um mit einer klugen Wirtschaftspolitik die Grundlagen bereitzustellen, sozusagen die Hardware zu liefern, auf der Unternehmen, Programmierer, Verbraucher, Kreative den digitalen Wandel gestalten können.

Für mich stehen für die Politik drei Fragen im Vordergrund und die möchte ich heute mit Ihnen diskutieren:

  • 1. Wie werden wir in Deutschland zum Mitgestalter der vierten industriellen Revolution, der digitalen Revolution?
  • 2. Wie befeuern wir den Unternehmergeist und schaffen eine "neue Gründerzeit"?
  • 3. Und mir als Sozialdemokratien liegt eine dritte Frage besonders am Herzen: Wie nutzen wir die Digitalisierung als neue Chance für sozialen Aufstieg, für die Arbeitswelt und das Zusammenwachsen dieser Gesellschaft?

1. Die vierte industrielle Revolution

Wir erleben ein neues Zeitalter, in dem die Chancen von Digitalisierung, Vernetzung und IT in die klassischen wirtschaftlichen Kernbranchen der Industrie und Produktion eindringen und ganz neue Prozesse und Produkte hervorbringen. Das ist die vierte industrielle Revolution. Kein anderes Land ist prädestiniert wie wir, der Vorreiter dieser Industrie 4.0 zu sein.

Die erste industrielle Revolution ging los mit James Watt & Co., mit Dampfmaschinen und Eisenbahnen. Bei der zweiten industriellen Revolution denke ich an Thomas Edison und die Elektrizität, und an Fredrick Winslow Taylor und seine Arbeitstheorie, die an den Fließbändern von Henry Ford in Detroit ihren legendären Ausdruck fand. Die dritte industrielle Revolution begann mit Konrad Zuse und seinem Z3-Computer. Für die Industrie nahm sie ihren Lauf mit dem Durchbruch der Automatisierung, mit den ersten Großrechnern und Mikroprozessoren.

Die erste Revolution kam aus England, die zweite und dritte vor allem aus den USA. Die vierte hat begonnen mit Namen wie Bill Gates und Microsoft, Steve Jobs und Apple, Larry Page und Sergey Brin und Google, und natürlich Mark Zuckerberg und Facebook. Aber ich bin überzeugt: Zur vierten industriellen Revolution wird sie in Deutschland. Warum?

Deutschland hat sich Industrie und Produktion als Rückgrat seiner Volkswirtschaft bewahrt und steht an der Spitze von Innovation, Qualität und Exportstärke. Nur einige Beispiele: Wir produzieren 17% der weltweiten Wertschöpfung in der Automobilbranche und 16% im Maschinen- und Anlagenbau und in der Elektrotechnik - mit einer Volkswirtschaft von weniger als 5% der Weltwirtschaft.

Deutsche Unternehmen sind deshalb Weltklasse, weil sie Produktions- mit Prozess-Know-How verbinden und weil wir Kompetenzen entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Grundstoffen bis zur Hochtechnologie besitzen. Kein Wunder, dass gerade für den Mittelstand produktionsnahe Dienstleistungen einen immer größeren Anteil der Umsätze ausmachen.

Diese Unternehmen sind jetzt auch globale Trendsetter bei der Digitalisierung von Wertschöpfungsketten. Jeder Bestandteil einer Produktionskette erhält dabei eine digitale Identität, die es erlaubt, Prozesse noch besser abzustimmen und flexibel auf neue Anforderungen zu reagieren. Nach Facebook zu Hause und Outlook im Büro wird genau das die neue "S-Kurve" der Digitalisierung: der strategische Einsatz von IT etwa im Automobilbau, in der Logistik oder der Gesundheitswirtschaft.

Die unternehmensnahe Software ist dafür die entscheidende Querschnittstechnologie. Mit SAP und Co. sind wir in einer guten Startposition. Und die Software-Branche besitzt ein enormes Wachstumspotenzial: Erwartet werden in Deutschland 450.000 neue Arbeitsplätze bis 2030.

Die Politik hat nach meinem Verständnis die Aufgabe, für die Hardware zu sorgen, damit die deutsche Wirtschaft diese gute Startposition nutzen kann und Vorreiter der vierten industriellen Revolution wird. Zwei Größen sind dafür entscheidend: Infrastrukturen und Fachkräfte.

Infrastruktur

Wenn wir digitale Geschäftsmodelle und Märkte erschließen wollen, brauchen wir dringend flächendeckenden Anschluss an breitbandiges Internet. Kanzlerin Merkel hat hier auf der CeBIT vor zwei Jahren ihr Ziel verkündet, dass bis 2014 drei Viertel der Deutschen mit 50 Megabit-Netzzugängen versorgt sein sollen. Kleiner Realitätscheck 2013: Deutschland beim liegt Breitband-Ausbau dramatisch zurück - in der EU rangieren wir hinter Rumänien. Letzte Woche wurde der Ausbaustand des Glasfasernetzes in der EU vorgestellt. Schweden und Norwegen wie so oft ganz vorn, aber Deutschland so dermaßen hinterher, dass wir nicht einmal in die Statistik aufgenommen wurden. Die vor zwei Jahren verkündete "Breitbandstrategie" ist folgenlos geblieben.

Das muss sich dringend ändern. Wie würden denn heute BMW, Mercedes und Volkswagen aus Deutschland kommen, wenn wir hier nur Schotterpisten und Waldwege hätten? Auch für den Mittelstand und für ländliche Regionen ist die digitale Diaspora ein riesiges Problem. In vielen Gebieten haben zum Beispiel Handwerker immer noch kein DSL, obwohl die Ausschreibungen nur noch online reinkommen.

Ich fordere politisch zwei neue Ansätze:

Einerseits können wir mit smarter Regulierung mehr private Investitionen in neue Netze anregen. Zum Beispiel könnten sich Bürger durch "Kommunal-Anleihen" an ganz konkreten, wichtigen Projekten vor Ort, wie dem Breitbandausbau, beteiligen.

Andererseits werden gerade in ländlichen Regionen wettbewerbliche Lösungen nicht reichen. Dann darf der Ausbau nicht an der Sprachlosigkeit zwischen Regulierer und Netzbetreibern scheitern. Daher werden wir die Unternehmen auch durch einen gesetzlichen, technologieneutralen Universaldienst in die Pflicht nehmen.

Fachkräfte

Wir organisieren die vierte industrielle Revolution nur dann erfolgreich, wenn es Fachkräfte gibt, die auf der digitalen Werkbank genauso geschickt sind wie auf der Drehmaschine. Doch schon heute können viele offene IT-Stellen nicht besetzt werden. Unsere Grundausbildung im Bereich MINT ist in den Schulen und Hochschulen nach wie vor nicht ausreichend. Aus- und Weiterbildungsangebote sind auf diesen Wandel nur unzureichend vorbereitet.

Und das wird sich durch den demographischen Wandel noch massiv verschärfen. Denn wir werden weniger und älter. Heute sind 41 Millionen Menschen in Deutschland erwerbstätig. 2050 werden wir überhaupt nur noch 36 Millionen Deutsche im erwerbsfähigen Alter sein.

Politisch muss das vier ganz klare Konsequenzen haben:

Erstens, wir dürfen keinen einzigen jungen Menschen zurücklassen. Jedes Jahr gehen 50.000 Menschen ohne Abschluss von der Schule. Das ist ein Vergehen an der Gerechtigkeit und an unserer wirtschaftlichen Zukunft. Deshalb will ich ein Recht auf das Nachholen eines Schulabschlusses, ein Recht auf einen Ausbildungsplatz und ich will das Kooperationsverbot abschaffen, damit der Bund die Ausbildungsträger, zum Beispiel die Kommunen, finanziell dabei unterstützen kann, diese Rechte auch einzulösen. Und wir brauchen ein Steuersystem - und ja: auch einige Steuererhöhungen -, um unsere Bildungsinvestitionen massiv zu erhöhen.

Zweitens, wir müssen Frauen eine höhere Erwerbsbeteiligung ermöglichen. Auch dafür sind die politischen Notwendigkeiten ganz eindeutig - aber die Regierung Merkel tut das Gegenteil. Zuallererst müssen wir gesetzlich sicherstellen, dass Frauen für die gleiche Arbeit genauso bezahlt werden wie Männer. Zweitens, ich will das Betreuungsgeld abschaffen und jeden Euro davon in den quantitativen und qualitativen Kita-Ausbau stecken. Und wir brauchen ein Steuerrecht, das Frauen nicht von der Arbeit abhält, sondern sie zum Einstieg und zum Wiedereinstieg in Arbeit ermutigt. Deshalb werde ich das Ehegattensplitting in seiner jetzigen Form für neu geschlossene Ehen abschaffen.

Drittens, wir brauchen qualifizierte Zuwanderung. Dafür will ich zusammen mit den Ländern einen "Lotsendienst" für ausländische Fachkräfte etablieren und die Bundesagentur für Arbeit in ihrer Auslands- und Fachvermittlung stärken. Und ich will eine schnellere und unbürokratische Anerkennung von Qualifikationen und Studienabschlüssen einsetzen.

Viertens, ich gehöre, wie viele andere Entscheidungsträger, zur Generation Plattenladen. Doch die Jungen heute sind die Generation YouTube. Das muss unser Bildungssystem endlich kapieren. Wir brauchen einen radikalen Wandel von Schule, von Ausbildung, von Universitäten. Die Vermittlung von technischer und digitaler Kompetenz muss integral verankert werden. Der Laptop ist die Werkbank des 21. Jahrhundert. Jeder Schüler, jede Schülerin braucht einen Laptop oder Tablet, wir müssen die Lehrerausbildung verändern, die Bildungsmaterialien digitalisieren, die naturwissenschaftlichen und technischen Studiengänge stärken. Und wir müssen erkennen, welche Riesenchance die Digitalisierung für sozialen Aufstieg und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft bedeutet - darauf will ich am Ende meiner Bemerkungen noch einmal zurückkommen.


2. Unternehmergeist und "Neue Gründerzeit"

Von den über 4.000 Unternehmen aus 70 Nationen, die dieses Jahr wieder auf der CeBIT ausstellen, haben viele erst vor wenigen Jahren als mutige Unternehmerinnen und Unternehmer begonnen. Die CeBIT ist immer wieder ein Anlass, einen kritischen Blick zu werden auf Entrepreneuership und Unternehmergeist in Deutschland.

Wissen Sie, was derzeit die wertvollsten deutschen Unternehmen sind? Sie werden nicht überrascht sein. Nummer eins: Siemens AG ist mit ca. 85 Milliarden Euro. Nummer zwei und drei: Daimler und Volkswagen mit je über 50 Milliarden Euro. Sie sind - zurecht - Aushängeschilder für Deutschland.

Im Vergleich ein Blick über den Atlantik. Apple: über 380 Milliarden Euro Börsenwert. Microsoft über 200 Milliarden Euro. Google über 120 Milliarden Euro. Alles Unternehmen, die erst vor wenigen Jahren gegründet wurden. In astronomischer Geschwindigkeit sind aus Garagen-Klitschen globale Konzerne geworden.

Warum haben wir in Deutschland weniger digitale Gründerinnen und Gründer? Wie können wir in Deutschland eine "neue Gründerzeit" entfachen? Auch darüber möchte ich mit Ihnen diskutieren.

Zwei Symptome fallen mir besonders auf:

Erstens, bevor ein Produkt an den Markt gebracht werden darf, soll es möglichst zu 100% entwickelt und am besten auch noch gleich vom TÜV geprüft sein. Klingt irgendwie typisch deutsch. Dieser Ansatz funktioniert aber nur, wenn man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen kann, dass die Innovation erfolgreich sein wird. Das hat sich in Branchen wie der Automobilbranche bewährt. Und da wollen wir auch weiterhin mit Unternehmen aus Deutschland zu Weltmarktführern gehören.

Aber im Digitalen Zeitalter müssen wir neue Wege gehen. Denn gerade im Online-Sektor digitalen Entrepreneuership hat sich der Ansatz etabliert, ein Produkt schon sehr früh und kontinuierlich in erweiterten Gruppen zu testen. Durch diesen "Beta-Ansatz" kann man schon sehr früh Feedback von der Zielgruppe einholen und in die Entwicklung einfließen lassen. International ist dies längst weit verbreitet, auch weil die Entwicklung der "letzten 20%" eines Produktes bis zur Marktreife ungefähr genauso lange dauert und genauso viel kostet wie die ersten 80%. Trotzdem wird dieser Ansatz, digitale Produkte vorab als "Beta-Version" anzubieten, in Deutschland immer noch als Kulturbruch empfunden.

Zweitens: Wenn ich mit Entrepreneurs, die in der Welt rumgekommen sind, unterhalte, sagen viele: Deutschland fehlt eine Kultur des Scheiterns. Wer einmal als Unternehmer gescheitert ist, bekommt nur schwer weitere Fördergelder und gilt bei Geschäftspartnern und im weiteren sozialen Umfeld schnell als Verlierer. In den Medien hören wir fast nur Erfolgsgeschichten.

Dabei kommen auf ein erfolgreiches Startup unzählige missglückte Versuche. Gründer, die schon mal gescheitert sind und die Chance bekommen haben, weiterzumachen, sind diejenigen, die wirklich wertvolle Erfahrungen gemacht haben, die Risiken besser kalkulieren können, die die einschlägigen Hürden kennen. Wer mit diesem Erfahrungsschatz durchhält und sein Ziel verfolgt, der kommt am Ende zum Ziel.

Steve Jobs hat gesagt: "You've got to be willing to fail. You've got to be willing to crash and burn." Sie kennen diesen Grundsatz schon ganz gut von mir als Kanzlerkandidaten...
Denn auch damit hatte Steve Jobs recht: "If you are afraid of failing, you won't get very far." Entrepreneurship ist ein großes Experiment. Ich will die politischen Weichen stellen für mehr Experimentierfreude.

Was sind diese Weichenstellungen für eine neue Gründerzeit?

Erstens, wir müssen Unternehmensgründungen erleichtern und entbürokratisieren. Die Weltbank stellt jedes Jahr 185 Ländern ein Zeugnis über ihr Geschäftsklima aus. In der Kategorie "starting a business" landet Deutschland sage und schreibe auf Platz 106 von 185. In praktisch allen entwickelten Volkswirtschaften ist es leichter und schneller, ein Unternehmen zu gründen. Und wir wissen: Jeder einzelne Tag zählt im digitalen Geschäft. Wir Deutschen mögen es zwar gern gründlich, vor allem in Amtsstuben. Aber eine zähe und langsame Verwaltung hemmt Entrepreneurship enorm. Ich will einen Kulturwandel im öffentlichen Sektor. Ich will in Richtung einer Kundenorientierung, wie sie Unternehmen zu eigen ist. Mehr "E-Governance" zum Beispiel macht Verwaltungsprozesse auch für Gründer einfacher, flexibler und transparenter.

Zweitens, junge Menschen mit guten Ideen brauchen Startkapital. Wir müssen mehr Venture Capital mobilisieren - diese Branche hat sich seit der Dotcom-Blase nicht mehr erholt. Der Staat kann hier als Vermittler dienen, zum Beispiel einen Teil der enormen Kapitalbeträge in Versicherungen und Rentenfonds in die guten Ideen junger Menschen zu lenken. Und ich will den von Schwarz-Gelb gestrichenen Existenzgründerzuschuss wiedereinführen.

Drittens, eine Kultur des Experimentierens und des Scheiterns etablieren wir nur dann, wenn wir Selbstständigen die nötige Soziale Sicherheit bieten können.

"Springen können, sicher fallen" heißt das Prinzip, unter dem Frank-Walter Steinmeier gemeinsam mit der Kreativbranche Vorschläge zu einer Reform und Erweiterung der Künstlersozialversicherung vorgelegt hat. Diese unterstütze ich ausdrücklich. Wir müssen auch die allgemeinen Sozialversicherungssysteme so anpassen, dass wir den besonderen Lebens- und Arbeitswirklichkeiten von Selbständigen, Kreativen und Gründern Rechnung tragen.

Und zuletzt will ich ein Detail ansprechen, das aber für Online-Geschäftsmodelle unglaublich wichtig ist. Das schwarz-gelbe Leistungsschutzrecht ist Unfug. Das funktioniert ungefähr so, als ob du jemandem ein Restaurant empfiehlst und dafür dann nachher sein Essen zahlen musst. Dumme Idee, oder? Dieses Gesetz muss weg.


3. Arbeitswelt und sozialer Aufstieg

Die Digitalisierung verändert unsere Gesellschaft und unsere Arbeitswelt radikal. Wie gestalten wir diesen Prozess? Wie sorgen wir dafür, dass wir neben der Flexibilität, die das Arbeiten in der Cloud zum Beispiel für Heimarbeit und familienfreundliche Arbeitszeiten bedeutet, auch Entschleunigung und Ruhezeiten hinkiegen, damit das Blackberry nicht zur Fußfessel wird und ein moderner Job nicht Dauer-Erreichbarkeit bedeutet?

Und wie kann die digitale Welt Chancen für sozialen Aufstieg bieten? Vielleicht wissen Sie, dass meine Partei dieses Jahr 150. Geburtstag feiert. Damals war eine Parole der Emanzipation und des Aufstiegs: Gebt den Arbeitern Büchern! Heute müsste die Parole sein: Gebt jedem digitale Kompetenzen!

Denn Internet- und Computer-Fertigkeiten sind der Schlüssel zur Arbeitswelt von morgen und zur Teilhabe an der Gesellschaft von morgen. Ich glaube, dass Programmieren die neue zweite Fremdsprache wird, so wie Alt-Griechisch die zweite Fremdsprache war, als ich jung war. Mit 13 Jahren bin ich übrigens wegen Alt-Griechisch sitzengeblieben, aber das hat mit meinen politischen Forderungen nichts zu tun.

Wir müssen dafür sorgen, dass digitale Fähigkeiten kein Exklusiv-Produkt sind, sondern ein Allgemeingut. Jeder Schüler braucht einen mobilen Computer. Jeder Schüler braucht digitale Lehrmittelfreiheit. Jeder Schüler verdient Lehrpersonal, das online-kompetent ist. Ich will, dass wir die Möglichkeiten digitaler Bildung ausschöpfen, wie die "Massively Open Online Courses", mit dem Menschen kostenlos Vorlesungen der besten Universitäten am Bildschirm miterleben könne, oder indem wir ein Freiwilliges Digitales Jahr einrichten, in dem sich junge Menschen Projekten und Arbeitsplätzen der digitalen Welt annähern können.

All das sind die Themen, mit denen die Digitale Revolution nicht nur unsere Wirtschaft stärker macht, sondern auch unsere Gesellschaft gerechter, integrativer und spannender macht. Und Sie haben zu all dem bestimmt noch mehr und bessere Ideen als ich - lassen Sie uns in der verbleibenden Zeit darüber diskutieren.

Vielen Dank.

*

Quelle:
SPD-Pressemitteilung 091/13 vom 6. März 2013
Herausgeber: SPD Parteivorstand, Pressestelle
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2013