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AFRIKA/1007: Die Rolle Frankreichs in der Krise Madagaskars (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 2, März/April 2011

Die 'Grand Ile' und ihre 'reny malala'
Die Rolle Frankreichs in der Krise Madagaskars

Von Patrick Rakotomalala


In Madagaskar blockieren die Kontrahenten seit zwei Jahren eines Lösung des politischen Konfliktes. Alle Seiten können sich dabei auf Rückendeckung ausländischer Interessen verlassen. Vor allem die alte Kolonialmacht Frankreich spielt hier eine entscheidende Rolle. Der französische Daumen nach oben oder unten entscheidet immer noch für Ende oder Aufstieg der Gladiatoren in Madagaskar.


Historiker, aber auch politische Analytiker bewerten die nun schon zwei Jahre andauernde Krise im Inselstaat Madagaskar vornehmlich aus internem Blickwinkel, als eine zyklische Krise, genährt vom Kampf verschiedener politischer und wirtschaftlicher Interessengruppen um Macht und Privilegien. Das Kernproblem sehen sie darin, dass die sukzessiven Regierungen unfähig sind, ein Konzept für eine nachhaltige Entwicklung zu formulieren und umzusetzen, das die Menschen des Landes aus der Armut und chronischen Unterentwicklung herausführen könnte.

Ein anderer, aber ebenso wichtiger Aspekt ist das Verhalten der internationalen Gemeinschaft zu dieser Krise. Auf der einen Seite steht die prinzipielle Position, nach der ein Regime, das durch einen Putsch an die Macht gekommen ist, isoliert werden muss. Auf der anderen Seite stehen jene, die das Regime aus grundsätzlichen Erwägen oder aus politischer Opportunität unterstützen. Es gibt jene, die dem Ex-Präsidenten Marc Ravalomanana weiterhin die Stange halten, wie sie es vor seinem Sturz getan haben, und andere, die ihre Unterstützung für die Übergangsregierung, die Haute Autorité de la Transition (HAT), nicht verhehlen, deren Führer Andre Rajoelina im März 2009 die Macht nach allgemeiner Auffassung durch einen Staatsstreich übernommen hat.


Externe Interessen verhindern interne Konsensfindung

Es handelt sich hier nicht nur um einen einfachen Widerstreit zweier Meinungen. Es spiegelt sich hier vielmehr ein Konflikt zwischen externen Interessen wider, geopolitischen und anderen. Sie sind mächtig genug, die Hauptprotagonisten des madagassischen Dramas, Ravalomanana und Rajoelina, zu paralysieren und unfähig zu machen, sich von ihren auswärtigen Unterstützern und ihren Positionen zu lösen und einen eigenen Konsens zu suchen. Selbst wenn die Krise eine rein madagassische Lösung finden sollte, die von der Bevölkerung getragen wird, wäre es unmöglich, den Außeneinfluss und die divergierenden Interessen ausländischer Akteure zu ignorieren.

Eine Schlüsselrolle spielt dabei Frankreich. Eine unmittelbare Rolle beim Staatsstreich kann man Frankreich sicher nicht nachweisen, aber es gibt genügend Indizien für Forscher und politische Analytiker, dieser Rolle nachzugehen. Paris hat sich nie offiziell und dezidiert hinter das Regime gestellt, das 2009 die Macht an sich gerissen hat. Aber die konstante Einflussnahme des französischen Präsidentenamtes und seines Außenministeriums lassen wenig Zweifel an der Verwicklung Frankreichs, worauf nicht nur in Madagaskar immer wieder hingewiesen wird.

Die gelassene Art, mit der Frankreich auf den Staatsstreich reagierte, der vom afrikanischen Block rundweg verurteilt wurde, hat nicht nur das Außenamt der USA und andere europäische Regierungen irritiert. Auch als die internationale Besorgnis über die Krise in Madagaskar, die das Land offensichtlich selbst nicht in den Griff bekommt, ist ein Indiz dafür, dass die Krise weitere Mitspieler hat. Es ist nicht einfach eine wirtschaftliche Krise, es ist auch eine geopolitische und geostrategische, die in ihren Dimensionen wahrscheinlich von der Mehrheit in Madagaskar noch gar nicht erkannt worden ist.

Abgesehen von Frankreichs zögerlicher Verurteilung der illegalen Machtergreifung ergänzen weitere Fakten die besondere Einmischung Frankreichs in die Politik des Landes. Da gibt es die Bilder vom neuen französischen Botschafter in Antananarivo, wie er nur wenige Tage nach dem Putsch Rajoelina die Hand schüttelte, Bilder vom französischen Militärattaché, der sich am 26. Juni 2009 in mehreren Städten geradezu aufdringlich präsentierte. Da sind die Erklärungen von Alain Joyandet, Staatssekretär für Kooperation und Frankophonie, und von Ex-Außenminister Kouchner, die sich für Wahlen in Madagaskar ohne internationale Rückendeckung aussprachen. Robert Bourgi, ein enger Vertrauter von Präsident Nicolas Sarkozy und dessen Afrika-Emissär, versuchte mit Reisediplomatie Gutwetter in Afrika zu machen. Paris begrüßte Rajoelina ausdrücklich, bevor er vor der EU-Kommission in Brüssel erschien. Das Außenministerium antichambrierte hektisch bei afrikanischen Vertretungen, nachdem Frankreich bei den Vereinten Nationen in der Madagaskar-Frage aufgelaufen war. In Maputo, Mosambik, das von der Afrikanischen Union mit der Vermittlung beauftragt ist, und in Addis Abeba, dem Sitz der AU, unternahm Frankreich diplomatische Vorstöße zur wirtschaftlichen Stützung Madagaskars, auch um ausländischen Investoren Anreize zu geben.

Frankreich ist sicher nicht der Anstifter des Putsches, aber ebenso sicher nicht unzufrieden mit der neuen Lage. Die Machtübernahme Rajoelinas wurde jedenfalls nicht verurteilt wie noch der Wahlsieg Ravalomananas 2007, der zwar umstritten war, aber wohl doch den Willen der Mehrheit ausdrückte.

Hält man die Verurteilung der Machtbehauptung von Laurent Gbagbo an der Elfenbeinküste dagegen, fällt zumindest eine Doppelmoral ins Auge. Allerdings hat Frankreich in der Elfenbeinküste mehr zu verlieren. Das Land ist Spitzenpartner Frankreichs in der Franc-Zone und der viertgrößte Partner in Afrika südlich der Sahara.


Die Entsorgung von Ravalomanana

Frankreich hat mit seinem Interesse an und in Madagaskar nie hinter dem Berg gehalten. Dafür gibt es eine solide wirtschaftliche Grundlage, doch ist die Beziehung - vor allem emotional - nicht ohne Widersprüche. Selbst Madagassen nennen Frankreich häufig noch al reny malala, gute Mutter. Auf der Gegenseite hat Frankreich stets hochrangige Botschafter nach Madagaskar entsandt, um so die Bedeutung der Grande Ile für die geopolitische Strategie Frankreichs zu unterstreichen. Ein Botschaftsposten in Madagaskar ist immer noch ein Sprungbrett für eine Karriere. Nur sieben Staaten haben eine höhere personelle diplomatische Besatzung als Madagaskar.

Man muss sich nicht die ganze Geschichte der franko-madegassischen Beziehungen ins Gedächtnis rufen, von der Kolonisierung über die Unabhängigkeit bis zur neoliberalen Durchdringung der Insel, um die starken (und einseitigen) Bindungen zu verstehen. Ein flüchtiger Blick in das Rahmendokument zur bilateralen Partnerschaft 2006-2010 sagt genug. Dort bringt Frankreich (fast schon überschwänglich) seine Genugtuung über die Errungenschaften der Regierung Ravalomananas zum Ausdruck. Das taten auch andere internationale Institutionen. Doch das war 2006!

Ein Jahr später, 2007, kam in Frankreich eine neue Regierung an die Macht. Sie markierte einen Bruch mit der Vergangenheit, wenn auch nicht notwendigerweise so, wie mancher aufgrund der Versicherung des neu gewählten Präsidenten Nicolas Sarkozy erwartet hatte, dass er eine neue Afrikapolitik einleiten werde. Seither hat Realpolitik mit einem kräftigen Schuss Neoliberalismus alle noblen Erklärungen in den Papierkorb geworfen. Der damalige Staatssekretär für Kooperation und Frankophonie, Jean-Marie Bockel, sagte damals, er habe "die Todesurkunde für Francafrique" unterzeichnet. Auf Druck des damaligen Staatschefs von Gabun, Omar Bongo, musste Bockel 2008 seinen Posten räumen. Sein Nachfolger (bis 2010), Alain Joyandet, verkündete am 19. Juni 2008: "Frankreich muss seine Marktanteile in Afrika verteidigen und seine Rolle in Afrika behaupten."

Kaum saß Ravalomanana wieder im Sattel, suchten französische Wirtschaftsinteressen in Madagaskar seine Macht zu beenden. Sie sahen sich in einer unangenehmen ("illoyalen") Konkurrenz mit dem Unternehmensimperium, das sich Ravalomanana aufgebaut hatte. Diese Gruppe, vereint unter dem Slogan "jeder nur nicht Ravalomanana", wurde der natürliche Verbündete der politischen Gegner des Präsidenten, allesamt aus der politischen Elite des Landes. Zusammen begannen sie den Präsidenten zu dämonisieren. Die Hasskampagne, mit Rückendeckung des französischen Präsidentenamtes, wurde zur Grundlage für die "Position" der französischen Regierung, die sich dann nur allzu willig zeigte, die Legitimität des Staatsstreiches und ihrer Führer anzuerkennen.

Die franko-madagassischen Beziehungen verschlechterten sich 2002, als Frankreich die Machtübernahme Ravalomananas hinauszögerte, der gewiss nicht konfliktfrei ins Amt gekommen war. Das wechselseitige Misstrauen wurde durch die ungerechtfertigte Abberufung des wohl brillantesten diplomatischen Kopfes, Botschafter Gildas de Lidec, vertieft. Angesichts der Fehler und Forderungen wie der entsprechenden Analysen konnte die Entwicklung nur in einem totalen Bruch enden Präsident Sarkozy brachte es nach der Machtergreifung Rajoelinas auf den Punkt: "Es ist ein Staatsstreich, aber der ehemalige Präsident trägt daran sein gerüttelt Maß Schuld."

Was bleibt, sind Fragen: Warum hat Frankreich Ravalomanana fallengelassen? Warum misch sich Frankreich in die Krise Madagaskars ein? Sind es nicht die genannten geopolitischen Motive? Geht es darum, sich Optionen für die Zukunft zu sichern? Sollen lokale wirtschaftliche Interessen französischer Staatsbürger oder solche mit Doppelstaatsbürgerschaft geschützt werden? Hat hier die francafrique-Lobby die Hand im Spiel? Geht es vielleicht nur darum, die Opportunisten der HAT bei Laune zu halten? Oder ist es schlicht und einfach eine Folge des Wirtschaftskrieges konkurrierender transnationaler Konzerne im globalen Spiel? Die Antwort dürfte in einer Kombination all dieser Fragen liegen.


Der Autor betreibt unter dem Namen "Lalatiana Pitchboule" den Blog madagoravox.wordpress.com


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 2, März/April 2011, S. 18 - 19
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2011