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AFRIKA/1017: Äthiopien - Landraub im Südwesten gefährdet Überleben indigener Völker (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. August 2011

Äthiopien: Landraub im Südwesten gefährdet Überleben indigener Völker

Von Jerome Mwanda


Nairobi, 2. August (IPS/IDN*) - Die Dürre in Ostafrika, die Millionen Menschen bedroht, hat ihre Tentakel auch nach Äthiopien ausgestreckt. Dort bemächtigt sich die Regierung in Addis Abeba der produktiven Ländereien lokaler Volksgruppen, um sie ausländischen Unternehmen für den exportorientierten Nahrungsmittelanbau zu überlassen.

Wie aus einer neuen Untersuchung von 'Survival International' hervorgeht, wurden riesige Flächen Land im Umfeld des Omo-Flusses im Südwesten Äthiopiens an malaysische, italienische und koreanische Firmen verpachtet. Zudem hat der Staat weite Gebiete freigegeben, um dort Agrarerzeugnisse anzubauen und zu exportieren. Dabei können etwa 90.000 Ureinwohner ohne das Land nicht überleben.

Die Untersuchung weist ferner darauf hin, dass die Regierung diese Plantagen auf eine Gesamtfläche von mindestens 245.000 Hektar erhöhen will, um dort vor allem Zuckerrohr anzupflanzen.

"Die schlimmste Dürre der letzten 60 Jahre lässt Millionen Menschen hungern. Die Volksgruppen, die im Omo-Tal leben, sind bis jetzt vor dieser Gefahr weitgehend sicher. Doch die Regierung betrachtet die Menschen als 'rückständig' und ist entschlossen, sie zu 'modernisieren': Sie will aus den selbstgenügsamen Bauern, Viehhirten und Jägern Plantagenarbeiter machen", schreibt Survival International, die sich für die Rechte indigener Völker einsetzt, in ihrer neuen Untersuchung.

Das untere Omo-Tal im Südwesten Äthiopiens ist eine Region von außergewöhnlicher Schönheit. Es vereinigt eine Vielzahl diverser Ökosysteme wie Grasland, Vulkangebirge und einen der letzten intakten und artenreichen Flusswälder im semi-ariden Afrika. Angenommen wird, dass die Region tausende von Jahren eine Art Kontaktstelle für die vielen unterschiedlichen Kulturen und ethnischen Gruppen war.

Wie aus dem Bericht von Survival International hervorgeht, leben die Bodi (Me'en), Daasanach, Kara (oder Karo), Kwegu (oder Muguji), Mursi und Nyangatom an den Ufern des Omo. Sie haben eine komplexe sozioökonomische und ökologische Landwirtschaft entwickelt, die dem oftmals unvorhersehbaren Klima der semi-ariden Region gewachsen ist.


Angepasste Landwirtschaft

Der Omo tritt einmal im Jahr über seine Ufer und bringt den Menschen den Schlick, den sie für ihre Landwirtschaft so dringend brauchen. Er garantiert den Ureinwohnern in der niederschlagsarmen Region Ernährungssicherheit. Die Indigenen praktizieren den Fruchtwechsel. Einige Ethnien, insbesondere die Kwegu, leben zudem von der Jagd und der Fischerei.

Für die meisten Gemeinschaften sind auch Rinder, Ziegen und Schafe entscheidend für ihr Überleben. Besonders geschätzt sind Rinder, die auch als Brautpreis akzeptiert werden. Wenn nur wenig Regen fällt und die Felder vertrocknen, ist das Vieh der letzte Schutz vor dem Hunger. In bestimmten Jahreszeiten begeben sich die Familien in Übergangslager, um dort ihre Herden weiden zu lassen. Dann leben sie fast ausschließlich von der Milch und dem Blut ihrer Kühe. Die Bodi besingen ihre Lieblingsrinder in Liedern.

Andere Völker wie die Hamar, Chai und Turkana leben zwar weiter weg vom Fluss, doch haben sie sich durch interethnische Allianzen den Zugang zu den Flusslandschaften gesichert. Doch seitdem die Regierung den Ethnien immer mehr Land wegnimmt, kommt es zu Kämpfen um die spärlicher werdenden Naturressourcen. Die Einführung von Schusswaffen in der Region mache die interethnischen Auseinandersetzungen nur noch gefährlicher, betont Survival International.


Fesseln für den Omo, Wassermangel für die Menschen

Als Teil der geplanten Maßnahmen sollen zahlreiche Staudämme einschließlich 'Gibe III' entstehen, das größte afrikanische Dammprojekt. Hinzu kommen hunderte Kilometer lange Bewässerungskanäle, die dem Leben spendenden Fluss das Wasser abzapfen werden. "Dann werden die Volksgruppen ohne das Flutwasser dastehen, von dem ihre landwirtschaftlichen Produkte abhängen", warnt die Organisation.

Im Juli 2006 hatte die äthiopische Regierung das italienische Unternehmen 'Salini Costruttori' mit dem Bau von Gibe III beauftragt. Der Vertrag stellt einen Verstoß gegen äthiopisches Recht dar, das eine Ausschreibung öffentlicher Aufträge vorschreibt. Die Bauarbeiten wurden 2006 aufgenommen, für die ein Etat von 1,4 Milliarden Euro bereitstand. Ein Drittel des Damms ist inzwischen fertig gestellt, doch die Kosten eskalieren.

Der Staudamm wird den südwestlichen Teil des Omo blockieren. Der 760 Kilometer lange Fluss entspringt im Shewan-Hochland und mündet im Turkana-See, dessen nördlichster Teil an Äthiopien anstößt. Das untere Omo-Tal hat die Weltkulturorganisation UNESCO in Anerkennung seiner archäologischen und geologischen Bedeutung zum Weltkulturerbe erklärt. Hier fließt der Fluss durch die Nationalparks Mago und Omo, in denen etliche indigene Gemeinschaften beheimatet sind.


Rechtsbrüche

Nach dem äthiopischen Umweltrecht hätte vor jeder Zustimmung zu dem Projekt eine ökologische und soziale Umweltverträglichkeitsstudie (ESIA) erstellt werden müssen. Doch tatsächlich wurde die ESIA im Juli 2008 rückwirkend beschlossen - zwei Jahre nach Beginn der Bauarbeiten. Mit der ESIA wurde das italienische Unternehmen CESI beauftragt. Für die Kosten kamen das äthiopische Stromunternehmen EEPCo und Salini auf. Die im Januar 2009 vorliegende Studie sprach sich für das Staudammvorhaben aus und verharmloste die Auswirkungen auf die betroffenen Volksgruppen als "unbedeutend" wenn nicht gar "positiv".

Nach Angaben unabhängiger Experten wird Gibe III erhebliche Folgen für die empfindlichen Ökosysteme der Region haben, da sich der Umfang der alljährlichen Überschwemmungen verringern und flussabwärts eine viel geringere Wassermenge ankommen wird. Dies wiederum führt dazu, dass ein Teil des Flussgebietes austrocknen und die Flusswälder sterben werden.

"Wenn die natürlichen Überschwemmungen ausbleiben und kein Schlick mehr angespült wird, bricht die gesamte Subsistenzwirtschaft von mindestens 100.000 Ureinwohnern zusammen und konfrontiert sie mit Nahrungsmittelengpässen", prognostiziert Survival International.


Proteste gewaltsam unterdrückt

Survival International zufolge werden die Menschen vor Ort massiv eingeschüchtert, damit sie nicht mit Journalisten und anderen Außenstehenden über die umstrittenen Vorhaben sprechen. Ein Besucher, der sich unlängst in der Region aufhielt, berichtete der Organisation, dass Regierung und Polizei mit Festnahmen, Folter und Vergewaltigungen den Widerstand der Ureinwohner gegen den Landklau zu brechen versuchten. Ein Indigener erklärte: "Nun haben die Menschen Angst, sie haben Angst vor der Regierung. Bitte helfen Sie den Hirten im Süden Äthiopiens, sie sind in großer Gefahr."

Wie der Direktor von Survival International, Stephen Corry, betonte, sind die Volksgruppen im Omo-Tal weder 'rückständig' noch müssen sie 'modernisiert' werden. "Sie gehören ebenso ins 21. Jahrhundert wie die Multis, die versuchen, sich ihrer Ländereien zu bemächtigen." Diese Menschen zu einem Dasein als Landarbeiter zu zwingen, bedeute sie Hunger und Elend preiszugeben. Diese Erfahrungen hätten schon viele ihrer Landsleute machen müssen. (Ende/IPS/kb/2011)

* Der von 'Global Cooperation Council' und 'Globalom Media' erstellte IDN-InDepthNews ist Partner von IPS-Deutschland unter dem Dach von GlobalNewsHub.Net


Links:
http://www.survivalinternational.org/
http://www.arwg-gibe.org/
http://www.slidespost.com/zoom.php?id=2326
http://www.worldheritagesite.org/sites/omo.html
http://www.indepthnews.info/index.php/global-issues/292-ethiopias-world-heritage-site-tribes-threatened

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. August 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. August 2011