Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/1039: "Landgrabbing" in Äthiopien (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 36 vom 9. September 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Wächst der Hunger mit dem Hunger nach Land?
"Landgrabbing" in Äthiopien

von Jördis Land


Äthiopien schaffte den Sprung in die Medien. Zwölf Millionen Menschen in Ostafrika leiden unter "der schlimmsten Dürre seit 60 Jahren" und es erschienen erschütternde Bilder aus Äthiopien. Die Finanzpresse dagegen titelt "Möglichkeiten in Äthiopien" (Financial Express 30.5.2011) und lässt den indischen Unternehmer Sai Ramakrishna Karuturi die Vorzüge seiner Investments mit Gewinnspannen über 30 Prozent schildern. Ist das mehr als ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen?

Karuturi ist nur eine Figur in einem Prozess, der inzwischen kurz, aber unscharf als "land grab(bing)" = Landraub bezeichnet wird und die Identität des Grabbers im Dunkeln lässt. Gemeint ist der großflächige Zugriff auf Boden durch Auslands- und nationales Kapital, dem Nahrungsmittelkrise, Energiekrise und Finanzkrise eine neue Akkumulationsrichtung geben. Agrar(handels)konzerne, Energieunternehmen und Finanzanleger setzen auf Gewinne aus Agrarproduktion und spekulieren auf steigende Bodenpreise unter Hilfestellung der beteiligten Regierungen und internationalen Organisationen.


Die Regierung als Steigbügelhalter ...

In Äthiopien, so groß wie Frankreich und Spanien zusammen, sind nach FAO-Angaben nur 13 Prozent der Fläche als Ackerland nutzbar. Von diesen 15 Millionen Hektar wurden 3,3 Millionen als Pachtland für Investoren ausgewiesen. Zur Förderung ausländischer Direktinvestitionen soll eine Investitionsbehörde "im Sinne eines "One-Step"-Verfahrens einem ausländischen Investor binnen zwei Tagen alle rechtlichen Schritte zur Etablierung seines Unternehmens - einschließlich Landzuteilung und Arbeitserlaubnis - ermöglichen" (Zitat: Auswärtiges Amt). Land zuteilen bedeutet in Äthiopien Land verpachten. Es ist nach der Verfassung unveräußerliches Gemeineigentum der Nationen, Nationalitäten und Völker Äthiopiens. Der Staat nutzt sein Eigentumsrecht zu Pachtverträgen über Jahrzehnte, während Bauern für drei bis fünf Jahre Nutzungsrechte für das Land bekommen, auf dem sie leben.

Neben niedrigen Pachtpreisen zwischen 5 und 10 Dollar/Hektar schafft ein Investitionsgesetz günstige Bedingungen und Steuervorteile, die heimischen Kleinbauern nicht gewährt werden: bevorzugter Zugang zu Krediten der äthiopischen Entwicklungsbank, vollständige Ausfuhr von Gewinnen, Befreiung von Einfuhrzöllen und Gewinnsteuern für fünf bis acht Jahre. Ein Förderprogramm für Agroenergie lädt seit 2007 zum kostengünstigen Anbau von Zuckerrohr, Jatropha und Ölpalmen vorzugsweise auf unbebautem Land, bei rentablerer Nutzung auch auf Ackerland, was für Ölpalmen wegen des hohen Wasserbedarfs zu erwarten ist. Ein Schlaglicht auf den Realitätsbezug derartiger Planungen und die ökologischen Auswirkungen wirft das britische Unternehmen Sun Biofuels mit dem Anbau von Jatropha, als genügsame giftige Pflanze angeblich ideal zur Biokraftstoffproduktion. Die Urbarmachung der gepachteten Waldfläche wurde durch Verkauf von Holzkohle zu einem einträglichen Geschäft, aber das Unternehmen beendete den Anbau von Jatropha nach vier Jahren, weil Wassermangel und schlechte Bodenqualität nicht die gewünschte Rentabilität erbrachten, und überließ das früher bewaldete Gebiet der Bodenerosion.


... unter der Regie der Weltbank

Diese intensive Förderung privater Investoren entwickelte die Regierung unter dem Einfluss eines Weltbank-Programms zur "Verbesserung des Investitionsklimas" (Private Development Program): Äthiopien, wo Bauern und Hirten noch überwiegend für den Eigenbedarf produzieren, soll in die kapitalistische Weltwirtschaft einbezogen werden und für den Export produzieren. Die Wasserstrategie der Weltbank sieht vor, dass Äthiopien durch kreditfinanzierte öffentliche Investitionen die Fläche für Bewässerungslandwirtschaft bis 2016 verdoppelt und zum größeren Teil der kommerziellen Landwirtschaft kostengünstig zur Verfügung zu stellt. Als Belohnung für die geforderte Privatisierung von Staatsbetrieben und die Orientierung auf private Produktion rentabler Exportprodukte wurde das Weltbank-Budget für Äthiopien 2009 auf 1,14 Milliarden Dollar verdoppelt.


Unübertroffen in Afrika

So kam Äthiopien in eine Top-Position im Landgrab-Ranking. Zahlenangaben zum Ausmaß der Verpachtungen fallen interessengeleitet und durch variierende Erhebungsgrundlagen sehr unterschiedlich aus. Nach Mitteilungen der Weltbank vom April 2011 wurden zwischen 2005 und 2010 mindestens 1,2 Millionen Hektar an in- und ausländische Unternehmen verpachtet. Nach Regierungsangaben gingen von 9 200 Lizenzen seit 1996 etwa 1 300 an ausländische Unternehmen, meist die flächenmäßig bedeutenderen. Die fünf größten Auslandsunternehmungen umfassen bereits die Hälfte des verpachteten Areals. Damit stiegen die Auslandsinvestitionen in den Agrarbereich von 135 Millionen Dollar im Jahr 2000 auf 3,5 Milliarden im Jahr 2008.


Die Investoren

Ausländische Investoren kommen meist aus den Golfstaaten und Indien. Sie nutzen Nahrungsmittel- und Energiekrise, um sich von den eigenen Regierungen Hilfestellung geben zu lassen. Staatliche Banken oder Fonds liefern zinsgünstiges Kapital, während bilaterale Abkommen und Freihandelsvereinbarungen günstige Investitionsbedingungen schaffen. Indische Investoren haben die größten Areale erworben und bisher 4,7 Milliarden Dollar investiert. Nach der eigenen Unabhängigkeit entwickelte Indien zunächst eine partnerschaftliche Entwicklungshilfe für Äthiopien und bildet noch heute Fachkräfte aus. Inzwischen nutzt die indische Regierung ihre guten Beziehungen zur Förderung eigener Unternehmen, die in Äthiopien neben Nahrungsmitteln für den indischen Markt auch Ölsaaten und Zuckerrohr für Biokraftstoffe anbauen. Äthiopien als Binnenstaat bekommt von der indischen Regierung einen 330-Millionen-DollarKredit für die Reaktivierung der alten Eisenbahnverbindung nach Djibouti als Meereszugang. Ein 640-Millionen-Dollar-Kredit und Ausbildung von Fachkräften soll die Zuckerproduktion modernisieren. Profitieren werden indische Agrarunternehmen wie Chadha Agro und BHO Agro. Insgesamt 127 000 Hektar Zuckerrohrplantagen bieten ihnen günstige Ausgangsbedingungen im Kampf um den durch Beimischungspflicht gesicherten Äthanolmarkt der EU. Auch Biodiesel soll aus Äthiopien kommen. Das indische Bauunternehmen Shapoorji Pallonji und der führende indische Sojahändler Ruchi schließen große Pachtverträge für den Anbau von Palmöl und anderen Ölsaaten. Der größte Produzent und Exporteur von Rosen, der Inder Karuturi, hat aktuell eine Konzession auf 100 000 Hektar für den Anbau von Nahrungsmitteln und Ölpalmen mit einer Option auf weitere 200 000, wenn diese innerhalb von zwei Jahren bebaut werden.

In Saudi-Arabien mit geringen Wasservorräten, aber steigender Nahrungsmittelnachfrage soll bis 2016 kein wasserintensives Getreide mehr angebaut werden. Allerdings ist Importabhängigkeit bei hohen Weltmarktpreisen keine attraktive Alternative. Deshalb ist die Regierung daran interessiert, dass eigene Unternehmen in geeigneten Ländern die Produktion übernehmen und am Weltmarkt vorbei importieren. So macht Scheich Amoudi, Platz 63 der Forbes-Liste der reichsten Personen, das Geburtsland seiner Mutter zu einer Goldgrube: 1997 durch den Kauf der einzigen staatlichen Goldmine des Landes, heute durch die Pacht von 200 000 Hektar Land mit einer Option auf weitere 300 000 Hektar. Bisher werden Weizen, Blumen, Gemüse und Reis für den saudischen Markt angebaut, mit Zuckerrohr und Ölsaaten soll auch die Produktion von Agrotreibstoffen aufgenommen werden. Für den Anbau von Gemüse baut er das größte Treibhaus Äthiopiens, voll computerisiert, betrieben mit niederländischer Technologie. Die von der Regierung gebauten Bewässerungsanlagen darf er kostenlos nutzen gegen den Bau von Straßen, Krankenstationen und Schulen. 40 Prozent der Amoudi-Produktion soll in Äthiopien verkauft werden, aber es ist unklar, ob dies eine vertragliche Regelung ist oder eine vorübergehende Besänftigungsmaßnahme gegenüber Protesten aus der Bevölkerung.


Vorteile für alle Seiten?

Die Regierung verspricht moderne Technologie, Arbeitsplätze und Exporteinnahmen. Die Weltbank müsste es besser wissen: 2010 untersuchte sie in einem eigenen Landnahmereport die ökonomischen, sozialen und ökologischen Folgen des "Land grab", allerdings ohne dass sich daraus eine grundsätzliche Änderung ihrer an Kapitalinteressen orientierten Strategie ergibt.

Aus Sorge um die politische Stabilität der Zielländer entwickelte sie lediglich freiwillige Prinzipien für "Verantwortliche Agrarinvestitionen".

Schon die Exporteinnahmen der Regierung sind nach diesem Bericht "nur gering" und schränken den Spielraum für eigene Förderprogramme ein. Die versprochene Entwicklung durch private Investitionen steht aber auf tönernen Füßen. Als Beispiel dient der Weltbank die Amhara-Region in Äthiopien, wo viele Investitionsversprechen nicht eingehalten wurden. Nur 16 von 46 Landwirtschaftsprojekten setzten die geplante Nutzung um. Da viele Verträge ohne Abschätzung der sozialen und ökologischen Folgen sowie der ökonomischen Tragfähigkeit abgeschlossen wurden, scheitern Projekte an unvorhergesehenen Schwierigkeiten, dienen nur der Abschreibung oder werden rentabler verwertet und hinterlassen ökologische Probleme wie Brandrodung für Holzkohle.

Auch die echten Investitionen lösen nach der Weltbank-Studie selten die unrealistischen Arbeitsplatzversprechen ein. Speziell für Äthiopien geht die Weltbank von durchschnittlich fünf Arbeitsplätzen pro 1 000 Hektar aus. Häufig werden nur Saisonarbeiter gesucht. Der Tageslohn von durchschnittlich 1,50 Dollar reicht nicht für die Lebenserhaltung ohne zusätzliche Lebensmittelhilfe. Auf den Karuturi-Farmen sollen Kinder für umgerechnet 83 Cent pro Tag jäten und damit billiger als Pflanzenschutzmittel sein. Nach Weltbankstudie sind auch die Untersuchungen zum Technologietransfer wenig ermutigend. Nur in Ausnahmefällen werden Investoren zu Trainingsmaßnahmen für die ansässigen Bauern verpflichtet und wenn sie Schulen und Krankenstationen bauen, fehlt die Einbindung in ein nationales Erziehungs- oder Gesundheitsprogramm.


Vertreibung der lokalen Bevölkerung

Das größte Problem der Landnahme ist die Vertreibung der lokalen Bevölkerung. Offiziell wird sogenanntes "ungenutztes" Land verpachtet. Tatsächlich wird es bewohnt von Bauern und Hirten, die keine formalen Eigentumstitel nachweisen können, sondern nach traditionellen Gewohnheitsrechten Wanderfeldbau betreiben oder als Nomaden Kamele, Rinder, Ziegen und Schafe halten. Im Wanderfeldbau sind oft lange Brachezeiten erforderlich, in denen die Flächen zur Erholung unbebaut bleiben und ungenutzt erscheinen. Für Hirtenvölker spielt scheinbar ungenutztes "Reserveland" in Dürrezeiten eine wichtige Rolle. Obwohl die Verfassung Hirtenvölkern das Recht auf freies Weideland und den Schutz vor Vertreibung zuerkennt, betreibt die Regierung eine aktive Umsiedlungspolitik. Betroffen sind Bauern und Hirten. Nach Weltbankbericht erfolgte der Entzug von Nutzungsrechten schon bis 2010 zu einem Drittel zugunsten von privaten Investoren. Inzwischen will die Regierung drei Viertel der Bevölkerung im wichtigsten Pachtgebiet Gambella "auf freiwilliger Basis" umsiedeln. Etwa 45 000 Haushalten wird in der Nähe großer Agrarfirmen offiziell besserer Zugang zu Wasser und Schulen geboten. Da die neuen Parzellen zur Existenzsicherung aber nicht ausreichen, wird sie zu einem Leben als billige Arbeitskraft gezwungen.


Die Nahrungsmittel(un)sicherheit der Zukunft

Nur selten enthalten die Pachtverträge Abmachungen über die Versorgung der lokalen Wirtschaft, so dass die besten Anbauflächen bald nicht mehr für die eigene Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung stehen und Äthiopien auf Importe zu genau den Weltmarktpreisen angewiesen sein wird, die die Investorenländer umgehen wollen. Außerdem ist zu befürchten, dass die empfindlichen Ökosysteme in Äthiopien durch eine kommerzielle Landwirtschaft mit hohem Einsatz von Dünger und Pestiziden zwar kurzfristig ertragreich bewirtschaftet werden können, längerfristig aber eine zunehmende Verschlechterung der Bodenqualität die Nahrungsmittelsouveränität weiter einschränkt.


Die aktuelle Verschärfung der Hungerkrise

Schon heute trägt die Umwandlung weiter Flächen in Pachtland zur Verschärfung der Dürrekatastrophe bei. Eine Studie des Internationalen Instituts für Umwelt und Entwicklung von 2009 vermittelt uns interessante Einsichten in das Zusammenspiel von Ökosystemen und Lebensweisen der Hirtenvölker in Afrika. Basis ist die Mobilität der Herden, wobei eine hohe Produktivität erreicht wird, wenn man immer die Orte mit den aktuell günstigsten Futterbedingungen aufsucht und eine Vielzahl von Pflanzen einbezieht. Voraussetzung ist allerdings, dass die Herden frei den ökologischen Bedingungen folgen können. Diese Freizügigkeit wurde schon durch Grenzen und Naturschutzgebiete eingeschränkt. Noch schwerer wiegt nun die Ausdehnung von Ackerland auf "ungenutzte" Weiden: verkleinerte Weidegebiete in Südäthiopien müssen nun unter Minderung ihrer Produktivität übernutzt werden, Wanderwege werden unterbrochen und hoher Wasserverbrauch in privat genutztem Pachtland reduziert die Wasserreserven für Dürrezeiten, so dass es immer schwerer wird, ausreichend große widerstandsfähige Herden zu erhalten. Die "größte Dürrekatastrophe seit 60 Jahren" geht nicht nur auf eine unabänderliche Naturerscheinung zurück. Häufigkeit und Ausmaß der Dürren werden durch Treibhausgase verstärkt, die in der internationalen Konkurrenz um die profitabelsten Anlagemöglichkeiten nicht eingeschränkt werden. Und die Zahl der Dürreopfer nimmt zu, weil die Lebensverhältnisse der Teile der Gesellschaft, die (noch) nicht dem Kapitalverhältnis unterworfen sind, immer weiter eingeschränkt werden.


*


Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 43. Jahrgang, 36 vom 9. September 2011, Seite 11
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
Telefon 0201 / 22 54 47
E-Mail: redaktion@unsere-zeit.de
Internet: www.unsere-zeit.de

Die UZ erscheint wöchentlich.
Einzelausgabe: 2,80 Euro
Jahresbezugspreise:
Inland: 126,- Euro, Ausland: 130,-
Ermäßigtes Abo: 72,- Euro
Förder-Abonnement: ab 150 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. September 2011