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AFRIKA/1047: Swasiland - Der Weg in die Krise (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 4, Juli/August 2011

Der Weg in die Krise

von Anna Lena Schmidt


Swasiland steuert immer weiter in die Notlage. Gründe dafür sind vor allem die neoliberalen Wirtschaftskonzepte der letzten Jahrzehnte, Korruption und fehlende demokratische Strukturen. Doch während sich die Situation im Land immer weiter verschlechtert, kommt Hoffnung bei den zivilgesellschaftlichen Organisationen im Land auf: Könnte die Wirtschaftskrise der Auslöser für einen Prozess werden, der Swasiland endlich mehr Demokratie und Freiheit bringt?


Schon mit der Unabhängigkeit 1968 erbte die swasische Regierung eine Wirtschaft mit erheblicher Schräglage, eine vernachlässigte traditionelle Landwirtschaft, von der bis heute die Mehrheit der Bevölkerung lebt, und eine auf Export ausgerichtete Plantagenwirtschaft mit Zuckerrohr und Holz für die Papierindustrie. Doch anstatt gegen dieses Ungleichgewicht anzugehen, ließ das Königshaus über Jahrzehnte den Reichtum des Landes in die eigenen Taschen fließen und die Probleme der Bevölkerung immer größer werden.

Das ganze Ausmaß der Krise lässt sich in wenigen Zahlen zusammenfassen: Die Lebenserwartung beträgt 31,8 Jahre und ist damit die niedrigste weltweit, ein Drittel der Menschen sind (allein nach offiziellen Schätzungen) HIV-positiv, nur sechs Prozent des nationalen Budgets werden für Gesundheitsleistungen aufgebracht und 2,4 Prozent für soziale Dienstleistungen. Fast drei Viertel der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, ein Viertel der Bevölkerung ist abhängig von Lebensmittelhilfen und die Arbeitslosigkeit beträgt offiziell 40 Prozent. König Mswati III besitzt ein geschätztes Privatvermögen von 200 Mio. US-Dollar, einen Fuhrpark mit Luxusautos und lässt für seine 13 Frauen Paläste bauen.

Swasiland ist statistisch kein armes Land: Es gilt seit Jahrzehnten als sogenanntes "middle income country". In dieser Einschätzung offenbart sich allerdings eine Schwäche der neoliberalen Wirtschaftsmessung: Ein hohes BIP garantiert noch lange keinen hohen Lebensstandard für die Bevölkerung. Das United Nations Development Programme (UNPD) charakterisiert die swasische Wirtschaft durch "große Ungleichheit in den Einkommens- und Besitzverhältnissen, regionale Disparitäten, ungleiche Aufstiegschancen und massive Armut in den ländlichen Gebieten". Der Grundbesitz befindet sich zu großen Teilen in den Händen einer kleiner Elite, die das Land nicht produktiv nutzt, und das bei einer nationalen Wirtschaft, die fast vollkommen vom Export ihrer landwirtschaftlichen Güter abhängig ist. Die semi-feudalen Strukturen schmälern das Entwicklungspotenzial, da die Menschen oft erst für ihren Grundherren produzieren müssen, bevor sie sich selbst versorgen dürfen.

Dabei sah die ökonomische Situation Anfang der 1980er Jahre alles andere als schlecht aus: Die Wirtschaft des Apartheid-Südafrikas litt unter Sanktionen, in Mosambik herrschte Bürgerkrieg. Vielen Unternehmern erschien Swasiland damals als die sicherere und stabilere Investition. Nicht zufällig war Swasiland bis in die Wendezeit der ersten Hälfte der 1990er Jahre das Vorzeigeland der Lobbygruppe SAFRI der deutschen Wirtschaft. Auch von der Abschottung der südafrikanischen Wirtschaft konnte die Regierung profitieren; sie vertrieb südafrikanische Produkte über das eigene Land und half so mit viel Eigen profit, die Sanktionen zu umgehen.

Die Situation änderte sich allerdings mit dem politischen Wandel in den Nachbarländern: Mosambik und Südafrika waren als Investitionsstandorte vor allem wegen der besseren Strukturen und des einfacheren Zugangs nach Ende des Krieges und der Apartheid plötzlich wieder stark gefragt und hängten Swasiland schnell ab. Als Folge dieser Entwicklung markierte der Beginn der 90er Jahre einen stetigen Rückgang der Wachstumsraten der nationalen Wirtschaft, ein Prozess, dem sich die Ausgaben der königlichen Familie allerdings nicht anpassten. Diese versäumte - aus Unfähigkeit genauso wie aus Unwillen - , die Jahre des Wachstums in eine effektive Entwicklung umzusetzen, von der auch die Bevölkerung profitiert hätte. Doch statt aus der Geschichte zu lernen und auf Nachhaltigkeit und langfristige Stabilität zu setzen, verfolgte König Mswati III als Reaktion auf den Niedergang im Rahmen der Reformen der "medium-term-intervention" eine neoliberale Wirtschaftsstrategie, die eine komplette Öffnung der nationalen Märkte beinhaltete. Das öffnete Tür und Tor für die Großkonzerne, die niedrige Löhne und fehlende gewerkschaftliche Strukturen zu ihrem Vorteil nutzen wollten. Wieder einmal ging der Profit am swasischen Volk vorbei, wieder einmal waren die einzigen Nutznießer Mswati III und die Eliten, die von den gewinnbringenden Verträgen mit den Firmen und der Verpachtung großer Landflächen profitierten.

Prekär wurde die Situation in Swasiland allerdings erst mit der internationalen Wirtschaftskrise 2008: Abnehmende Investitionen und verringerte Einnahmen aus der Southern African Customs Union (SACU), die bis zu 60 Prozent des nationalen Budgets generieren, machten dem Land stark zu schaffen. Als Folge sah sich die Regierung Mitte diesen Jahres erstmals nicht mehr in der Lage, die Renten auszuzahlen. Auch drohen weitere Kürzungen im öffentlichen Sektor; der IWF sagte finanzielle Hilfe nur bei Reduzierung der Staatsausgaben zu.

Nun will die Regierung die Löhne im öffentlichen Sektor um fünf Prozent kürzen und 7.000 Mitarbeiter entlassen. Die Einsparungen wären allerdings gering, während die Entlassungen die hohen Arbeitslosigkeit und das soziale Problem weiter verstärken werden. Darüber hinaus wäre ein großer Teil der Bevölkerung indirekt betroffen, da ein Angestellter geschätzte zehn weitere Menschen mit seinem Lohn mitversorgen muss.

Der Regierung hat keinen Plan, um der Krise etwas entgegenzusetzen. Statt auf langfristige Wachstumsstrategien und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu setzen, versucht das swasische Königshaus, diejenigen zu schröpfen, die sowieso fast nichts mehr besitzen. Beispiele dafür sind die Einführung einer neuen Steuer von drei Prozent auf die Ein nahmen von Geringverdienern, die verpflichtende Einführung neuer Nummernschilder für alle motorisierten Fahrzeuge oder die exorbitanten Strafen für Verkehrsvergehen.

All diese Maßnahmen wirken negativ auf die Bevölkerung, sind aber keine Antwort auf die Frage, wie man die Wirtschaft des Landes retten kann. Sollte es nicht bald zu Reformen kommen, droht neben Lohnkürzungen auch die Schließung von Krankenhäusern und Schulen. Der Unmut über diese Verhältnisse wächst zusehends, im April kam es in Manzini zu den größten Protesten seit Jahren. All das sind schwierige Verhältnisse, wenn man auch noch einen Polizeistaat aufrecht erhalten muss, insbesondere, wenn die Kürzungen auch die Löhne von Armee, Polizei und Justizbeamten betreffen.

Zivilgesellschaftliche Organisationen sehen in der desolaten Lage eine Chance, dass große Teile der noch loyal zum Königshaus stehenden Bürger auf Veränderung setzen. So, wie es Mario Masuku, Präsident einer pro-demokratischen Gruppe, betont: "Swasiland darf nicht länger eine Insel der Diktatur in einem Meer der Demokratie bleiben."


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 4, Juli/August 2011, S. 25
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2011