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AFRIKA/1099: Äthiopien - Wirtschaft wächst, Leben der Bevölkerungsmehrheit nicht verbessert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Februar 2012

Äthiopien: Wirtschaft wächst - Doch Leben der Bevölkerungsmehrheit hat sich nicht verbessert

von Mekonnen Teshome

Das African-Union-Gebäude in Addis Abeba - Bild: © Mekonnen Teshome/IPS

Das African-Union-Gebäude in Addis Abeba
Bild: © Mekonnen Teshome/IPS
Addis Abeba, 22. Februar (IPS) - Nach Angaben der äthiopischen Regierung zahlt sich das seit sieben Jahren erzielte Wirtschaftswachstum allmählich für die Mehrheitsbevölkerung aus. Auch sei man auf dem besten Wege, zu den Staaten mittlerer Einkommen aufzusteigen. Kritischen Stimmen zufolge kann von einer Verbesserung der Lebensbedingungen für die meisten Äthiopier jedoch noch keine Rede sein.

Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) schätzen das Wirtschaftswachstum des ostafrikanischen Landes auf 8,7 Prozent. Die Behörden in Addis Abeba beziffern es mit 11,4 Prozent. Die UN-Wirtschaftskommission für Afrika (ECA) hat Äthiopien im letzten Jahr als schnellstwachsende Wirtschaft Afrikas nach Ghana bezeichnet.

Bisher und auch erst kürzlich sorgte Äthiopien vor allem als Hungerland für Schlagzeilen. So hat das Land einige der schlimmsten Hungerkatastrophen des Kontinents erlebt. Auch im Gesundheitsbereich war Äthiopien schlecht aufgestellt. So war die Müttersterblichkeitsrate 2005 mit 871 pro 100.000 Lebendgeburten extrem hoch. Doch offenbar zahlen sich Fortschritte beim Zugang zu sozialen Dienstleistungen wie Gesundheit, Bildung und Infrastrukturen aus.

"2010 setzte sich das schnelle Wachstum der letzten fünf Jahre weiter fort. Die Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) war mit 8,8 Prozent weiterhin stark. Motor der Entwicklung ist der Dienstleistungssektor (14,5 Prozent), gefolgt von Industrie (10,2 Prozent) und Landwirtschaft (sechs Prozent)", heißt es in dem ECA-Bericht.

Wie Alemayehu Ejigu, Staatsminister im Presseamt der Regierung, gegenüber IPS erklärte, verzeichnet Äthiopien in den letzten Jahren einige beachtliche Erfolge. Die Lebensbedingungen der Menschen hätten sich in den Städten und ländlichen Gebieten gleichermaßen durch die Entwicklung der Gesundheitsdienste und der Infrastruktur zum Besseren gewendet.


Aufstieg in die Länder mittleren Einkommens angestrebt ...

Ejigu führt den Erfolg auf eine effektive Umsetzung des fünfjährigen Wachstums- und Transformationsplans (GTP) zurück. Der GTP für 2011 bis 2016 werde Äthiopien helfen, in die Gruppe der Länder mittlerer Einkommen aufzusteigen. Der Bau von 73.000 Kilometer Straße werde Arbeitsplätze schaffen und den Bauern die Möglichkeit geben, ihre Agrarerzeugnisse zu den Märkten zu transportieren.

Dem Wirtschaftsberater Abeba Bezu zufolge hat die Regierung im Rahmen ihres ehrgeizigen Programms zugunsten einer beschleunigten und nachhaltigen Entwicklung die Armut in dem Land von 38,7 Prozent 2005 auf 31 Prozent 2010 verringern können. "Trotz der hohen, auf 82 Millionen Menschen geschätzten Bevölkerung, die es zum zweitbevölkerungsreichsten Land Subsahara-Afrikas macht, haben sich bemerkenswerte Fortschritte bei der Verbesserung der Lebensbedingungen eingestellt", sagte er.

Allerdings hält Teshome Adugna, beigeordneter Professor am Wirtschaftsinstitut der Äthiopischen Universität für öffentliche Verwaltung, das BIP, das nur den Marktwert von Gütern und Dienstleistungen berücksichtigt, als verlässlichen Wachstumsindikator für ungeeignet. Solange unklar sei, wer wie viel produziert, lasse sich nicht abschätzen, inwieweit der einzelne Bürger vom Wachstum profitiere.

Adugna zufolge ist das äthiopische Wachstum generell auf ein Plus in den Bereichen Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistungen zurückzuführen. Von einem baldigen Rückgang der städtischen Arbeitslosigkeit könne nicht ausgegangen werden. "Dass viele Menschen von dem Wirtschaftswachstum profitieren, heißt nicht, dass sich das Leben der Bevölkerungsmehrheit verbessert hat. Eine solche soziale Entwicklung braucht Zeit."


Gesundheitsversorgung verbessert

Wie Amanuel Ayalew, ein ehrenamtlicher Helfer im Norden Äthiopiens, berichtet, hat das Gesundheitsministerium mit Hilfe des staatlichen Programms zur Ausweitung der Gesundheitsversorgung (HEP) mehr Menschen den Zugang zu einer medizinischen Versorgung ermöglicht. Auch nach Angaben des britischen Entwicklungsministeriums (DFID) hat sich die Gesundheitsversorgung in Äthiopien merklich verbessert. So erreiche HEP inzwischen neun Millionen Haushalte. Bis 2015 wird DFID jährlich 524 Millionen Dollar für Entwicklungszwecke bereitstellen.

Mit mehr als 35 Millionen insektizidbehandelten Malarianetzen konnten die Malaria-Infektionen um 73 Prozent gesenkt werden. Dieser Erfolg, verbunden mit einem Impfprogramm für Kinder unter fünf Jahren gegen tödliche Krankheiten hat die Kindersterblichkeit in dieser Altersgruppe in den Dörfern mit Zugang zu HEP um 62 Prozent gesenkt.

Inzwischen haben zudem rund 1,4 Millionen Frauen Zugang zu Verhütungsmitteln, und die Einschulungsrate ist von 91,3 2005 auf 96 Prozent 2010 gestiegen.

Doch trotz aller Erfolge steht das Land am Horn vor Afrika noch vor etlichen Schwierigkeiten. Die Mehrheit der ländlichen Armen leidet nach wie vor unter den Folgen von Klimawandel und Dürren. "Wenn wir von einem nationalen Wachstum sprechen, heißt das nicht, dass die Menschen keine Probleme mehr haben", meinte Staatssekretär Ejigu. "Auch in den USA gibt es Menschen, die Nahrungsmittelhilfe benötigen." Verhungern werde niemand mehr, weil es keine Nahrungsmittelknappheit mehr gebe.


... Doch Chancen stehen schlecht

Eine Meinung, die Mushe Semu von der oppositionellen Partei nicht nachvollziehen kann. In Äthiopien gebe es viele hungernde Menschen, und das habe nichts damit zu tun, ob sich die Menschen zwei oder drei Mal am Tag eine Mahlzeit leisten könnten. Äthiopien werde sich darüber hinaus auch nicht in nächster Zeit in ein Land mittleren Einkommens verwandeln. "Wenn wir von der Mehrheit der äthiopischen Bevölkerung sprechen, meinen wir unsere Bauern und ländlichen Gemeinschaften, die 85 Prozent der Bevölkerung stellen. Solange den Menschen nicht genügend Farmland überlassen und die Bodenerosion nicht bekämpft wird, ist Entwicklung nicht in Sicht."

Bezu schließt aus, dass das Land vom Wachstum des Privatsektors profitieren wird. "Obwohl die Regierung eine vom Privatsektor geführte Entwicklung anstrebt, ist das Klima für ein solches Wachstum nicht gegeben. Stattdessen ist der Anteil privater Investitionen am BIP seit 2004 rückläufig."

In der Weltbankuntersuchung 'Ease of Doing Business' hat Äthiopien 2010 und 2011 den 103. und 104. Platz von insgesamt 183 Ländern belegt.


Geringe Löhne, hohe Kosten

Wie der Staatsbedienstete Abiy Getahun berichtet, hat das Wirtschaftswachstum sein Leben nicht verbessert. Die in Äthiopien gezahlten Löhne und Gehälter seien im regionalen Vergleich niedrig, erläutert er. Auf dem Index für menschliche Entwicklung des UN-Entwicklungsprogramms belegt das ostafrikanische Land den 174. Platz von 187 Ländern.

Die meisten Menschen, vor allem die städtischen Armen, könnten mit den exorbitanten Preisen für Güter und Dienstleistungen nicht mithalten. "Mein Gehalt hat sich in den letzen zehn Jahren um nur 400 äthiopische Birr (weniger als 25 Dollar) erhöht. Die Preise für Güter und Dienstleistungen hingegen sind unglaublich gestiegen." (Ende/IPS/kb/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2012