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AFRIKA/1104: Südafrika - Enttäuschung und Frust bei der Bevölkerung (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 1, Januar/Februar 2012

Sekwanele! Genoeg! Enough!
Enttäuschung und Frust bei der Bevölkerung

von Ayanda Kota



Überall in der Welt wird der 100. Jahrestag der Gründung des ANC gefeiert. Eine Ablenkung von der Misere, die er in der Regierung zu verantworten hat. Für die im Dunkeln gibt es nichts zu feiern!


Die Jahrhundertfeiern des African National Congress sollen uns darüber hinwegtäuschen, dass eine Bewegung, die das Volk betrogen hat, nun unsere Regierung ist, die nicht dem Volke dient, sondern der Elite. Nun haben wir ein teures Spektakel, das uns betäuben soll, eine Droge gegen unsere Unterdrückung und Entmächtigung.

Im Kommunistischen Manifest schreibt Karl Marx: "Jede dieser Entwicklungsstufen der Bourgeoisie war begleitet von einem entsprechenden Fortschritt dieser Klasse. Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisie verwaltet." Marx bezieht sich hier auf die Fähigkeit der Bourgeoisie, ökonomische Macht in politische umzusetzen. Insofern reduziert sich unsere Regierung auf eine bloße Verwaltung der Interessen des Kapitals und nicht des Volkes. Doch unsere Politiker sind mehr als bloße Verwalter. Sie sind eine plündernde Elite mit eigenen Klasseninteressen.

Sie fördern das Kapital und unterdrücken die Bevölkerung, solange sie daraus eigenen Nutzen ziehen können.

Nach dem Machtwechsel von 1994 hat es keine Umstrukturierung der Wirtschaft gegeben. Die Kommandohügel der Wirtschaft werden weiter von einer schmalen, meist weiten Elite beherrscht. Die Arbeitslosigkeit ist in schwindelerregende Höhen geklettert. Die meisten jungen Menschen hatten nie eine feste Anstellung. Die verheerende Armut in Südafrika ist für jedermann mit den Händen zu greifen. Die Blech- und Papphütten überall sind nicht zu übersehen. Armut rangiert ganz oben in unserem Land. Jahr für Jahr verspricht Jacob Zuma neue Jobs, und jedes Jahr wächst die Arbeitslosigkeit.

Liefen die Dinge besser - wenn auch noch so langsam -, wären die Menschen bereit, Geduld zu üben. Doch sie laufen jedes Jahr schlechter. Armut und Ungleichheit haben erschreckende Ausmaße erreicht. Die Regierung jedoch kriminalisiert mehr und mehr die Armen statt Armut als ein politisches Problem anzugehen. Wenn die Menschen sich zu organisieren versuchen, tritt stets eine Dritte Gewalt in Aktion, die Demokratie zur Farce macht und den Rassismus zurückbringt. Es ist der ANC, der keine Vorstellung einer demokratischeren Wirtschaft entwickelt. Es ist der ANC, der nicht die geringsten Schritte unternommen hat, die Medien zu demokratisieren. Es ist der ANC, der die Menschen im Sinne der Bourgeoisie diszipliniert - eine Rolle, die er sehr genüsslich spielt! Es ist der ANC, der auf die Linie von Weltbank und Internationalem Währungsfonds eingeschwenkt ist. Es ist unsere eigene Führung, die den alten Bossen einen Vertrauensvorschuss gewährt und nicht uns, die uns mit Missachtung behandelt, sich verhält wie die ehemaligen Kolonialmächte und uns unterdrückt.

Während des Kampfes verkörperten unsere Führer die Hoffnungen des Volkes. Doch seit sie die Macht haben, brauchen sie uns nicht mehr. Wir wurden nach Hause geschickt. Man ruft uns nur noch zu Wahlen und Veranstaltungen. Doch werden währenddessen die Menschen von den Farmen verjagt, um Platz zu schaffen für Tierparks für die Touristen. Sie werden aus den Städten vertrieben. Bildung wird ihnen verweigert. Die Partei ist ein Mix geworden aus dem, was Marx ein Machtinstrument in den Händen der Bourgeoisie nennt und Frantz Fanon ein Mittel zum privaten Fortkommen.

Steven Biko schrieb: "Dies hier ist das einzige Land, das eine kapitalistische schwarze Gesellschaft schaffen könnte, wenn die Weißen klug genug wären, wenn die Nationalisten klug genug wären. Und eine schwarze kapitalistische Klasse, eine schwarze Mittelklasse wäre in hohem Maße effektiv. Südafrika könnte weltweit ein eindrucksvolles, gediegenes Bild bieten - nur: 70 Prozent der Bevölkerung wären underdogs."

Wir, die Arbeitslosen, zählen zu jenen 70 Prozent. Wir haben das Ende der Apartheid begrüßt, und wir werden jedem Rassismus entgegentreten, wo immer er sein Haupt erhebt. Doch frei sind wir nicht. Freiheit genießen nur die 30 Prozent. Wie kann jemand frei sein, der keine Arbeit, kein Dach überm Kopf hat und keine Hoffnung auf ein angemessenes Leben?

Über 100 Mio. Rand werden für die Feiern aufgebracht - ausgegeben, um die Eliten zu unterhalten, für ein Golf-Benefizspiel, für hochpreisigen Whiskey. Die Golfspieler lassen sich von jungen Frauen massieren, die von den South African Breweries gesponsert werden. So sieht keine Feier des Volkes aus. Wir kommen nicht vor! Manch einer von uns wünscht, dass das Geld für Häuser ausgegeben wird, für neue Arbeitsplätze, für Sporteinrichtungen und Schulen für die Kinder, die immer noch unter Bäumen lernen müssen! Biko hatte recht. Wenn die Welt heute mit dem ANC feiert, dann weil er ihr dieses eindrucksvolle Bild von Freiheit präsentiert, während im Lande die Menschen unter der Last der Armut stöhnen.

Frantz Fanon schreibt in Die Verdammten dieser Erde im Kapitel Die Mißgeschicke des nationalen Bewußtseins (zitiert nach der rororo-Ausgabe 1976):

"Der Führer beruhigt das Volk. Unfähig, es zu einem konkreten Werk aufzufordern, ihm wirklich die Zukunft zu öffnen, es auf den Weg des nationalen Aufbaus, also seines eigenen Aufbaus zu führen, wird er noch Jahre nach Erringung der Unabhängigkeit nur immer die Geschichte der Unabhängigkeit wiederkäuen, an die heilige Vereinigung des Befreiungskampfes erinnern. Weil er sich weigert, die nationale Bourgeoisie zu vernichten, verlangt er vom Volk, zur Vergangenheit zurückzukehren und sich an dem Epos zu berauschen, das zur Unabhängigkeit geführt hat. Er bremst das Volk, objektiv, und bemüht sich eifrig, es entweder aus der Geschichte zu vertreiben oder nicht in ihr Fuß fassen zu lassen. Während des Befreiungskampfes hatte er das eigene Volk wachgerüttelt, ihm einen heldenhaften und radikalen Vormarsch versprochen. Heute vermehrt er die Bemühungen, es einzuschläfern, und fordert es drei- oder viermal im Jahr auf, sich der Kolonialzeit zu erinnern und den ungeheuren Weg zu ermessen, den es schon zurückgelegt hat."

Ich habe nichts gegen die Jahrhundertfeiern des ANC. Doch wäre er eine progressive Bewegung, dann hätte er die Feiern mit dem Volk organisiert und unser Engagement gefördert. Er hätte die Menschen auffordern können, sich überall im Lande zu versammeln und darüber zu diskutieren, wie weit wir gekommen sind, wie weit wir noch zu gehen haben, und eine neue Freiheitscharta für eine neue Zeit zu erarbeiten. Doch die Feier ist lediglich ein bloßes Spektakel, das wir uns im Fernsehen ansehen sollen. Genau davon redet Fanon. Die Feiern dienen dazu, uns trunken von der Erinnerung an vergangenen Kampf zu machen; der ist nun zu Ende und wir haben in unseren Löchern zu bleiben.

Ähnliches geschah und geschieht bei anderen Protesten. Die Botschaft ist klar: "Zurück in eure Löcher!" Die Staatsmacht zeigt ihre Gewalt. Wie Fanon sagt, eine Partei, die nationales Bewusstsein nicht mit sozialem Bewusstsein vermählen kann, desintegriert. Es bleiben nur der Name der Partei, sein Wappen und seine Parolen. Er sagt: "Die organische Partei, die den Massen die freie Zirkulation eines auf der Basis ihrer realen Bedürfnisse entstandenen Denkens ermöglichen sollte, hat sich in ein Syndikat für individuelle Interessen entwickelt."

Genau dahin ist die Partei verkommen. Institutionen wie Parlament und Lokalvertretungen sind durch diese individuellen Interessen schwer kompromittiert. Korruption wuchert zügellos.

Eine Befreiungsbewegung, die ihren Namen zu Recht trägt, greift keine Aktivisten der sozialen Bewegung an und schickt sie hinter Gitter. Sie wird nicht versuchen, die Menschen einzulullen - sie würde die Menschen ermutigen, sich gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung zu organisieren und zu mobilisieren. Progressive Führer wissen, dass sie sich nicht an die Stelle des Volkes setzen können. Eine progressive Partei würde die Regierung nicht bei rüden Attacken auf die Medien unterstützen. Eine demokratische Partei würde sich nicht an Angriffen auf Protestierer beteiligen.

Im Kongo, in Nigeria, in Arabien kehren Menschen der Verherrlichung von Flagge und ihren politischen Führern den Rücken zu, die vorgeben, die Nation zu repräsentieren. Manche wenden sich einem religiösen oder ethnischem Chauvinismus zu, andere einer demokratischen Rebellion. In Südafrika kehren mehr und mehr Menschen einer Partei den Rücken, die Geld rausschmeißt, um die Menschen trunken macht von Erinnerung an den vergangenen Kampf, der ihr Kampf war, derselbe Kampf, den die regierende Partei privatisiert und verraten hat. Es gibt Besetzungen, Straßenblockaden und Proteste. Die Botschaft ist unmissverständlich: Sekwanele! Genoeg! Enough!


Der Autor ist Vorsitzender der Unemployed People's Movement und Mitgründer der Democratic Left Front. Pambazuka News 565; 12.1.2012


Bildunterschrift einer nicht im Schattenblick veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Ayanda Kota wurde am 12. Januar unter fadenscheinigen Gründen verhaftet und von der Polizei zusammengeschlagen. Gegen eine Kaution von 500 Rand kam er wieder frei.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
41. Jahrgang, Nr. 1, Januar/Februar 2012, S. 30 - 31
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2012