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AFRIKA/1224: Somalia - Regierungsvertreter in Anschläge auf Hilfsorganisationen involviert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. August 2013

Somalia: Regierungsvertreter in Anschläge auf Hilfsorganisationen involviert

von William Lloyd-George


Bild: © Omar Faruq/IPS

Al-Shabaab hat ihre Anschläge in der somalischen Hauptstadt wiederaufgenommen. Hilfsorganisationen und ihre Mitarbeiter werden zunehmend zu Zielscheiben von Extremisten und korrupten Regierungsbeamten
Bild: © Omar Faruq/IPS

Addis Abeba, 19. August (IPS) - In Somalia gehen korrupte Regierungsvertreter und die islamistische Extremistengruppe 'Al-Shabaab' gewaltsam gegen Mitarbeiter ausländischer Hilfsorganisationen vor.

Wie der politische Analyst Hassan Abukar gegenüber IPS erklärte, "ist die Regierung voll von korrupten Beamten und verbündeten Clan-Milizionären, die fest entschlossen sind, die Helfer ihren eigenen Zielen zu opfern." So hätten sie die Entführung der Helfer mit anschließender Lösegelderpressung als lukratives Geschäft entdeckt. Die Al-Shabaab wiederum misstraut den NGOs und hält sie für Spione.

Abukars Kommentar erfolgte in etwa zeitgleich mit der Ankündigung der unabhängigen Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF), sich nach 20 Jahren Präsenz aus Somalia zurückzuziehen. Die Übergriffe und Mordanschläge auf die MSF-Mitarbeiter machten jeden Einsatz der Hilfsorganisation unmöglich, erklärte der internationale MSF-Vorsitzende Unni Karunakara am 14. August auf einer Pressekonferenz in Kenia.

MSF gehörte zu den wenigen Organisationen, die den Menschen des ostafrikanischen Landes eine Basisgesundheitsversorgung ermöglicht hatte: während des Bürgerkriegs ebenso wie während der Kämpfe zwischen lokalen Clans und den Umtrieben der Piraten. Seit 1991 haben MSF-Mitarbeiter monatlich 50.000 Menschen medizinisch versorgt.

"Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war die Erkenntnis, dass die Behörden, bewaffneten Akteure und Gemeindeführer die Angriffe, Entführungen und Mordanschläge auf unsere Mitarbeiter entweder aktiv unterstützt oder zumindest gebilligt hatten", so Karunakara.

In einigen Fällen hätten sich die Akteure, die MSF eine sichere Durchfahrt ihrer Mitarbeiter versprochen hatten, als die gleichen herausgestellt, die bei den Übergriffen auf MSF-Mitarbeiter eine Rolle gespielt hätten. Ihren illegalen Aktivitäten sei es zu verdanken, dass hundertausende Somalier von jeder medizinischen Versorgung abgeschnitten würden.


Anschläge auf Mitarbeiter

Im Verlauf der letzten 20 Jahren sind 16 MSF-Mitarbeiter getötet worden. Hinzu kommen Dutzende Anschläge auf das Personal, auf Krankenwagen und medizinische Einrichtungen.

Der MSF-Rückzug kommt für die somalische Übergangsregierung ungelegen, die sich derzeit eifrig darum bemüht, ihr negatives Image als Kriegs- und Hungerland abzustreifen. Viele Beobachter halten einen Rückschlag für die jüngsten Bemühungen um ausländische Hilfsgelder für sehr wahrscheinlich.

"Der MSF-Abzug zeigt im Grunde die Unfähigkeit der neuen Regierung, vor Ort für Sicherheit zu sorgen", meint Jabril Ibrahim Abdulle, Leiter des Forschungs- und Dialogzentrums in Mogadischu. Ungünstig sei auch, dass er sich wenige Wochen vor der großen Konferenz in Brüssel vollziehe, von der sich die Regierung Hilfszusagen in Millionenhöhe erwartet hätte.

Der Abruf der Helfer beweist ebenfalls, dass die Extremistengruppen, obwohl sie von der Somalia-Mission der Afrikanischen Einheit (AU) und einer unabhängigen äthiopischen Truppe aus den großen Städten des Landes vertrieben werden konnten, noch immer in der Lage sind, für weitreichende Gewalt zu sorgen. Analysten weisen ferner darauf hin, dass sich die Taktik der Al-Shabaab geändert hat, zumal sie wieder die Hauptstadt mit einer Anschlagsserie überzieht. Etliche Regierungseinrichtungen und Flughäfen wurden angegriffen oder bombardiert und Regierungsvertreter, Bezirkskommissare und Verwaltungsbeamte ermordet.

Am 27. Juli hatte die Islamistengruppe die türkische Botschaft in Mogadischu attackiert und dabei drei Menschen getötet. Am 17. Juni war ein Gebäude der UN in der Stadt unter Beschuss genommen worden. Dabei kamen 15 Menschen ums Leben.

"Angesichts solcher Realitäten und einer Regierung, die sich noch nicht einmal selbst schützen kann, sind die Anschläge auf Hilfsorganisationen und Helfer nicht wirklich verwunderlich", meint Ahmed Soliman vom 'Chatham House', einem unabhängigen Politikinstitut mit Sitz in London." MSF hätte sich gewünscht, dass die Zivilbehörden diese Übergriffe stärker verurteilt hätten. Die Regierung könnte dies noch nachholen."


Anhaltende Gewalt befürchtet

MSF ist nicht die einzige Organisation, die ihre Mitarbeiter zurückordert. In den letzten Wochen hat die zunehmende Gewalt die meisten internationalen Organisationen zur Abberufung von Mitarbeitern veranlasst. In der Regel nimmt die Gewalt während des Ramadans zu und danach wieder ab. Da die Al-Shabaab jedoch derzeit in Grabenkämpfe verwickelt ist, wird sich die Gewalt nach Ansicht von Analysten diesmal fortsetzen, weil sich die Al-Shabaab-Fraktionen im Kampf um die territoriale Kontrolle gegenseitig umbringen werden.

Die Anzeichen für die internen Machtkämpfe und der Abfall des alten Al-Shabaab-Veteranen Sheikh Hassan Dahir Aweys im Juli könnten Signale dafür sein, dass es noch mehr Gewalt geben könnte. Aveys galt lange als erfahrener Staatsmann der Gruppe, hat sich aber den Regierungstruppen ergeben.

Die Macht wurde inzwischen dem Afghanistan-erfahrenen Führer Ahmed Abdi Godane übertragen. Seine Berufung wird noch mehr Öl ins Feuer gießen, zumal seine Fraktion bekannt dafür ist, noch entschiedener für einen islamischen Staat einzutreten. Auch wird ihr daran gelegen sein, gerade nach dem Absprung von Aveys ihre Schlagkraft unter Beweis zu stellen.

"Das Auftauchen von Stammesmilizen, die der somalischen Regierung loyal verbunden sind, weil sie Macht haben wollen, die vielen politischen Morde, die nie strafrechtlich verfolgt werden, und die zunehmende Unfähigkeit der Regierung, ihre Kontrolle außerhalb Mogadischus auszuweiten, deuten im Grunde auf noch mehr Gewalt hin", meinte Abukar und wies auf den letzten Bericht der UN-Kontrollgruppe hin, dem zufolge die somalische Regierung ohne internationale Hilfe kein Gebiet kontrollieren kann.

Während sich die Al-Shabaab-Kämpfer gegenseitig bekriegen, die MSF-Mitarbeiter abgezogen werden und die Gefahr besteht, dass andere NGOs diesem Beispiel folgen werden, sehen sich die Somalier ihrer grundlegenden und dringend gebrauchten Gesundheitsversorgung beraubt.

"Den höchsten Preis hat das somalische Volk zu zahlen", sagte Karunakara. Es gebe viele Somalier, die ihr Land nie ohne Krieg oder Hunger erlebt hätten. Schon jetzt erhielten sie viel weniger Hilfe, als sie benötigten, und an einigen Orten sei MSF die einzige Organisation gewesen, die eine qualifizierte medizinische Versorgung habe leisten können. (Ende/IPS/kb/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/08/somali-officials-back-terrorists-against-aid/

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IPS-Tagesdienst vom 19. August 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2013