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AFRIKA/1287: Wahlen in Südafrika - Kein Grund zum Feiern (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 3, Mai/Juni 2014

Kein Grund zum Feiern
Am 7. Mai fanden in Südfrika Parlamentswahlen statt

von Henning Melber (Pretoria and Uppsala)



Nach dem offiziellen Wahlergebnis, das am 10. Mai feststand, werden 13 Parteien die 400 Sitze der Nationalversammlung füllen. Der ANC ist als stärkste Partei bestätigt worden, doch die heimlichen Wahlsieger sind die Nichtwähler.


Zwischenzeitlich sorgte die langsame Auszählung der Stimmzettel in der Provinz Gauteng für Irritationen. Auch ausgefüllte Wahlscheine, die in einem Park in Pretoria gefunden wurden, und Unstimmigkeiten in zwei Wahllokalen in Pretoria und Johannesburg waren ein Ärgernis. Letztlich akzeptierten aber alle 29 auf nationaler Ebene angetretenen Parteien die Resultate.


Stimmenverteilung

Der ANC wurde als Regierungspartei mit geringen Verlusten in der Wählergunst bestätigt: 11,5 von 18,6 Millionen gaben ihm ihre Stimmen. Das entsprach 62,15 Prozent und damit 249 Parlamentssitzen. 4,1 Millionen Wahlberechtigte entschieden sich für die Democratic Alliance (DA), die mit 22,23 Prozent bzw. 89 Sitzen als stärkste Oppositionspartei Gewinne verbuchte. Die Economic Freedom Fighters (EFF) wurden mit 1,2 Millionen Stimmen (6,35 Prozent) zur drittstärksten Kraft. Unterstützer in den Provinzen Limpopo, Nord West und Gauteng verschafften ihr 25 Parlamentsmandate; bei den parallelen Provinzwahlen erzielte die EFF in Limpopo und Nord West den Status als offizielle Opposition.

Dagegen verschwand der Congress of the People (Cope) in der Bedeutungslosigkeit. Die von Mamphele Ramphela neu gegründete Partei Agang wird trotz ursprünglich großer Aufmerksamkeit nur mit zwei Sitzen ins Parlament einziehen. Unbedachte politische Manöver im Vorfeld, insbesondere der Flirt mit der DA, unterminierten letztlich das Vertrauen der Wählerschaft. Obwohl der United Democratic Movement (UDM) unter Bantu Holomisa die Bedeutungslosigkeit prognostiziert wurde, machte sie Stimmen gut und bleibt im Parlament.

Der DA gelang es nicht, den ANC in der Provinz Gauteng zu verdrängen. Aber sie wurde offizielle Oppositionspartei in KwaZulu-Natal, wo sie sogar zwei Prozent mehr als die Inkatha Freedom Party (IPF) erzielte. Deren Verluste sind durch die Abspaltung der National Freedom Party (NFP) begründet, die in der Provinz die viertwichtigste Partei wurde. Im Western Cape konnte die DA ihre Machtstellung mit 56 Prozent zementieren. Im Eastern Cape legte sie deutlich zu, so dass die nächsten Kommunalwahlen in Städten wie Port Elizabeth spannend werden.


Perspektiven

Auch wenn der ANC seine relative Dominanz beibehalten hat, sind die Stimmengewinne für die DA und die EFF ein deutliches Signal für Veränderungen. Die EFF wird mit dem geschaffenen parlamentarischen Forum versuchen, den Zuspruch bei frustrierten Arbeitern und Arbeitslosen auszubauen. Zudem könnte deren Rolle und Wirkungsgrad Hinweise darauf geben, welche Chancen eine neue linke Partei hätte. Jedenfalls hat der ANC, der meint, erfolgreich alle Skandale und internen Auseinandersetzungen überstanden zu haben, keinen Anlass zur Selbstgerechtigkeit. Die Opposition an der Basis ist lauter und radikaler als je zuvor. Zwar darf sich Südafrika angesichts der bemerkenswert friedlichen Durchführung der Wahlen rühmen, internationale Standards einzuhalten, aber das kann nicht über große soziale Ungleichheiten und die Selbstbereicherung der alten und neuen Eliten hinwegtäuschen. Da die Wahlen keine Lösung der Probleme ergeben haben, ist diese dringlicher denn je.

Trotz all dieser Herausforderungen bewiesen die Wählerinnen und Wähler große demokratische Reife. Ist der eigentliche Sieger somit die Wählerschaft oder sind es sogar die Nichtwähler? Deren Zahl stieg in den letzten zwanzig Jahren um 16 Prozent. Während sich 1999 noch 89,3 Prozent registrieren ließen, waren es 2014 nur knapp 60 Prozent der mittlerweile eigentlich über 31 Millionen Wahlberechtigten. Von diesen 18,65 Millionen registrierten Stimmberechtigten kamen nur drei Viertel zu den Urnen. Geschätzte 10 Millionen Wahlberechtigte insbesondere der jungen Generation ließen sich erst gar nicht registrieren. Welches Mandat vom Volk hat also der ANC, wenn über 40 Prozent von ihrem Stimmrecht keinen Gebrauch machten und damit genau besehen nur knapp mehr als 36 Prozent der Wahlberechtigten für die Regierungspartei stimmten? Die "Vote No"-Kampagne frustrierter ehemaliger ANC-Aktivisten verbuchte das als Erfolg. Doch in der Parteienlandschaft hat das abgesehen von der Geburt der EFF nicht viel verändert.

Dennoch hat der ANC keinen Grund zum Feiern. Der Wahlerfolg wird von der graduellen Erosion seiner Legitimität durch eine stärkere Opposition und die Zahl derjenigen, die sich den Wahlen verweigern, getrübt. Das Wahlergebnis hat genauer besehen die tiefe Spaltung in der südafrikanischen Gesellschaft deutlicher zutage treten lassen.

Details zu den Wahlergebnissen:
http://www.elections.org.za/resultsNPE2014/

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
43. Jahrgang, Nr. 3, Mai/Juni 2014, S. 8
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2014