afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 2, März/April 2015
Singend Grenzen überschreiten
DER ROSA CHOR DES CAPE CULTURAL COLLECTIVE
von Rita Schäfer
Freitagabends herrscht Feierstimmung in Kapstadts Longstreet. Über einen Kilometer erstrecken sich Kneipen und Tanzcafes mit vielen tausend Besuchern. Am unteren Ende der Strasse Richtung Hafen erwartet ein Gebäude seine Gäste, das wie ein Fremdkörper im hippen Partygeschehen wirkt: Die alte Sklavenkirche - ein Erinnerungsort an düstere Zeiten. Hier organisiert das Cape Cultural Collective an jedem letzten Freitag im Monat einen offenen Kulturabend, der Künstlerinnen und Künstlern unterschiedlicher Herkunft eine Plattform bietet. Das Spektrum reicht von professionellen Opernsängern, die mit italienischen Arien den großen Kirchenraum erfüllen, über ausdrucksstarke Poetinnen bis zu Hiphop Wortkünstlern. Ein Highlight ist Jitsvinger, alias Quintin Goliath, der im Slang der Kapstadter Coloured-Bevölkerung - einem kritischen Afrikaaps - mit witzigen Texten großen Zuspruch findet. In seinen Stücken für und über Frauen läuft Jitsvinger mit Sprachakrobatie, Mimik und Gestik zur Höchstform auf. Dieses Durchkreuzen von künstlerischen Gattungen und Zuschreibungen zeichnet die Kulturabende des Cape Cultural Collective aus, das zu einer nicht-sexistischen und nicht-rassistischen Gesellschaft beitragen will.
Ein weiterer Höhepunkt ist der Auftritt des 2012 gegründeten Rosa Chors. Seine Mitglieder kommen aus ganz verschiedenen Stadtteilen, Bevölkerungsgruppen und Religionsgemeinschaften: Zu den Sängern zählen ein weißer Marathonläufer, ein schwarzer und ein indisch-südafrikanischer Universitätsdozent sowie etliche Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen Townships, etwa Mitglieder der Umbon'omhle Community Youth Group in Langa. Studierende aus allen sozialen Gruppen wirken ebenso mit wie Coloured Profimusiker, die zuvor als Bayestars bekannt wurden.
Der Rosa Chor singt Lieder auf Afrikaans, Xhosa und Englisch. Sein Name geht auf das kap-malayische Hochzeitslied Rosa zurück, das über Generationen hinweg auf Afrikaans gesungen wurde. Das musikalische Repertoire wurde rasch erweitert und alle Sänger erlernen die Lieder in den Sprachen, die nicht ihre Muttersprachen sind. Samstagnachmittags treffen sie sich in Langa zum Proben, Komponieren und Ideenaustausch. Das Einstudieren eines Liedes in verschiedenen Sprachen dauert mehrere Monate.
Jeder öffentliche Auftritt beginnt mit der dreisprachigen Ankündigung: "Wir singen heute mit Respekt und Toleranz, um unsere gemeinsame Menschlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Wir singen, um uns mit den Wurzeln unserer Vorfahren zu verbinden und Freundschaften aufzubauen. Wir wertschätzen jede Person." Starke Worte angesichts der Tatsache, daß in Kapstadt über Jahrhunderte mehr importierte Sklaven als weiße Siedler und Verwaltungsmitarbeiter lebten - und wenn man die Fortsetzung rassistischer Demütigungen nach der offiziellen Abschaffung der Sklaverei 1838 und während der Apartheid berücksichtigt.
Deshalb gab es gute Gründe, warum der Chor als Projekt des Cape Cultural Collective anfänglich vom Institute for Justice and Reconciliation in Kapstadt unterstützt wurde, denn die gesellschaftliche Versöhnung war keineswegs mit dem offiziellen Ende der Wahrheits- und Versöhnungskommission 1998 abgeschlossen. Sie mußte lokal weiter getragen werden, um die historisch begründeten, sozialen Trennlinien in der Stadt zu überwinden. So fördern das Cape Cultural Collective und insbesondere der Rosa Chor durch die gemeinsame musikalische Arbeit, die verschiedene kulturelle Traditionen würdigt und mündliche Überlieferungen wachhält, durch Dialoge und Bildungsprogramme eine integrierte Gesellschaft.
Einzelne Musiker, die den Chor begleiten, und einige Chormitglieder trugen im Lauf der Jahre zur Entwicklung des schauspielerischen Könnens bei, das sich bei Soloeinlagen und Liedpräsentationen entfaltet und das Publikum mitreißt. Vor allem der Chorleiter Fand Adams, Komponist und ein Urgestein aus der Coloured-Musikszene, gibt mit einzigartiger Gestik und Leidenschaft den Ton an und zeigt den Sängerinnen und Sängern ihre Einsätze. Der Rosa Chor bietet eine Plattform zum kreativen und sozialen Austausch und gemeinsamen Lernen, auf diese Weise verwirklicht er die Ideale einer nicht-rassischen Gesellschaft im Kleinen. Er tritt bei verschiedenen Musik- und Kulturfestivals in Kapstadt und an anderen Orten in Südafrika auf. Sein Enthusiasmus überträgt sich in Windeseile auf das jeweilige Publikum.
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GELEUGNETE GENOZIDE
Die Debatte zum Völkermord an den Armeniern ruft auch den Genozid an
den Nama und Herero wieder in Erinnerung. Christian Bommarius
kommentiert.
AKTUELL
NYUSI, GUEBUZA UND EIN MORD
Mosambiks Präsident Filipe Nyusi überrascht mit einem neuen
Politikstil, doch der Mord an dem Verfassungsrechtler Gilles Cistac
belastet seine erste Amtszeit, meint Lothar Berger.
INS EIGENE BEIN GESCHOSSEN
Beim Trauermarsch für Cistac ließ die regierende Frelimo jegliche
Solidarität vermissen, wundert sich Fion de Vletter.
JOURNALISTEN IM VISIER
Die Übergriffe auf Journalisten und weitere schwere
Menschenrechtsverletzungen in Simbabwe beschreibt Rita Schäfer.
GRACE LAND
Die First Lady von Simbabwe zieht geschickt die Fäden für ihre
politische Karriere. Itai Mushekwe über Grace Mugabe.
IN TREUE FEST
Namibia ist ein gefestigter Staat - in doppelter Hinsicht, wie Henning
Melber meint. Er zeigt die Grenzen einer Befreiungsbewegung an der
Macht auf.
VOM BOHREN DICKER BRETTER
Frauen in Namibia sind den Männern nach der Verfassung gleichgestellt.
Die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Frauenpolitik
veranschaulicht Liz Frank.
NAMIBIAS WEG ZUR UNABHÄNGIGKEIT IN BILDERN
Mit seiner Kamera dokumentiert Guenay Ulutuncok den Wandel im Land -
vom Kolonialismus über die Befreiung zur Unabhängigkeit.
DIE AUTORITÄRE DEMOKRATIE ETABLIERT SICH
Heribert Weiland zeigt auf, wie sich die autoritäre Demokratie in
Namibia etabliert hat.
JUNGE FRAUEN UND ALTE RITUALE
Liz Frank kritisiert die Wiederbelebung des Olufuko-Rituals im Norden
Namibias.
VIELE GESCHICHTEN
Das Literaturschaffen Namibias ist von seiner wechselvollen Geschichte
geprägt. Manfred Loimeier stellt es vor.
THE PURPLE VIOLET OF OSHAANTU
Auszug aus Neshani Andreas gleichnamigem Roman.
KEINESWEGS EIN LUXUS
Der Film in Namibia wird von der Gesellschaft wenig gewürdigt, wie
Hans-Christian Mahnke kritisiert.
EIN PIONIER DER NAMIBISCHEN MUSIKWELT
Ein Nachruf auf den Musik-Veteran Willie Mbuende von Christoph
Ludszuweit.
ENTSCHULDIGUNG ÜBERFÄLLIG
In der Entschädigungsfrage bewegt sich wenig, aber Völkermord verjährt
nicht. Andreas Bohne beleuchtet die Hintergründe.
EINE GLATTE SECHSMINUS
Überfüllte Klassen, Lehrer ohne Arbeit und ein verdeckter Rassismus.
Diese Missstände im Bildungssystem Südafrikas prangert Anna Majavu an.
IM BILDUNGSRANKING GANZ HINTEN
Hein Möllers bezieht sich auf Erhebungen des Weltwirtschaftsforums.
SINGEND GRENZEN ÜBERSCHREITEN
Der Rosa Chor des Cape Cultural Collective leistet kulturelle
Versöhnungsarbeit. Rita Schäfer hörte ihm zu.
ALLES AUF ANFANG
Die vorgezogenen Wahlen in Lesotho haben keine klaren
Mehrheitsverhältnisse geschaffen, erläutert Brigitte Reinhardt.
CHRISTLICHE NATION PER DEKRET
Religion prägt nationalistische Ideologien. Adriaan van Klinken zeigt
den Einfluss von Pfingstkirchen auf Politik und Gesellschaft in
Sambia.
KOMMT AFRIKA UNTER DIE RÄDER?
Mega-Regionalabkommen wir das TTIP werden gravierende Auswirkungen auf
Afrika haben. Benjamin William Mkapa, früherer Staatspräsident von
Tansania, kennt die Gründe.
REZENSIONEN
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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
44. Jahrgang, Nr. 2, März/April 2015, S. 45
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
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"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2015
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