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AFRIKA/1336: Südafrika - Xenophobie in Durban (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 3, Mai/Juni 2015

Xenophobie in Durban

von Jorim Gerrard


Zwei schockierende Attacken gegen afrikanische Ausländer im März 2015 in Durban waren keine einmaligen Ereignisse. Die Metropole am Indischen Ozean ist Anziehungspunkt für Flüchtlinge und Migranten. Die Gewalt gegen sie dauert seit Langem an und hat viele Ursachen.


Der Kongolese Noel Beya Dinshistia wurde in der Nacht zum 15. März 2015 in der Innenstadt von Durban hinterhältig attackiert und in Flammen gesetzt. Einige Tage später berichtet die Somali Association of South Africa (SASA), dass auch ein Somali in Brand gesteckt wurde. Dem waren im Januar 2015 Plünderungen und Vertreibungen in Durban und Soweto vorausgegangen (afrika süd berichtete). Die Vorfälle erinnerten an das Bild des sogenannten "burning man", Ernesto Alfabeto Nhamuave aus Mosambik. Er wurde 2008 während xenophober Gewaltattacken in Reiger Park, nahe Johannesburg, in Brand gesetzt und verstarb vor den Augen der Polizei und Fotoreporter.


Keine Einzelfälle

Doch die Vorfälle blieben nicht die einzigen. Einige Tage nach einer Rede des Zulu-Königs Goodwill Zwelithini Mitte März 2015 suchten mehrere hundert Ausländer - zumeist aus afrikanischen Ländern - Zuflucht in der Polizeistation von Isipingo, 19 km außerhalb Durbans. Die hauptsächlich kongolesischen Bewohner der Region flohen, nachdem ihre lokalen Läden geplündert und teilweise in Brand gesteckt worden waren. China Ngubane, ein somalischer Menschenrechtsaktivist, der Zeuge der Vorfälle wurde, sprach von schwarzen Ostertagen für Ausländer in KwaZulu-Natal. Die Attacken wurden schnell in Verbindung mit Zwelithinis Rede gebracht. Er hatte gesagt, dass "Ausländer ihre Sachen packen und nach Hause zurückkehren sollen".

Shako Kuminga, ein Vertreter der kongolesischen Gemeinschaft in Durban, warnte gleich danach: "Die Aussagen des Königs werden in der aktuellen Situation nicht sehr hilfreich sein." Der Vorsitzende der SASA, Ismail Ahmed, vermutete, die Aussagen des Königs könnten Gewalttaten motivieren und die Beziehungen zwischen Südafrikanern und anderen afrikanischen Ländern schwer beschädigen. Weiter betonte er, Somalis in Südafrika würden sich dem König eigentlich zugehörig fühlen: "Er ist auch unser König und er sollte uns beschützen." Zwei Wochen später wurde klar, dass insbesondere die Medien zur Eskalation beitrugen, indem sie die Zitate aus dem Kontext der Rede rissen. Im Fortlauf der Ereignisse vermissten viele Südafrikaner klare Strategien der politischen Führung. Der südafrikanischen Regierung kamen Nationen wie Malawi und Mosambik zuvor, indem sie ihren Bürgern in Südafrika sicheres Geleit in die Heimat anboten. Drei Wochen nach den Attacken seien - dem Generalkonsulat Malawis zufolge - mehr als 2000 Menschen nach Malawi zurückgekehrt. Ende Mai hatten laut offizieller Angaben über 5.000 Menschen Südafrika freiwillig Richtung Heimat verlassen.


"Angst seit 2008"

In den diesjährigen Attacken wurden wie in 2008 zuerst vornehmlich Kleinstunternehmen von Einwanderern attackiert und geplündert. Einige Tage später wurden Migrantinnen und Migranten gezielt von Mobs gejagt. Der xenophoben Gewalt fielen damals landesweit 62 Menschen zum Opfer. Mehr als 100.000 wurden aus ihren Häusern vertrieben.

Laut offiziellen Quellen wurden nun sieben Menschen bei fremdenfeindlichen Attacken umgebracht. Manche Beobachter sprechen aber von deutlich mehr Opfern. Als Reaktion mussten in Durban vier Notfallcamps für etwa 10.000 Vertriebene und Flüchtende eingerichtet werden. Nachdem staatliche Sicherheitskräfte die Krawalle und Attacken in der Innenstadt Durbans schwer unter Kontrolle bringen konnten, erlangte die Eskalation internationale Aufmerksamkeit.

So schockierend die Ereignisse waren, die Zivilgesellschaft reagierte rasch. An einer Friedensdemonstration Mitte April in der Innenstadt Durbans nahmen über 7.000 Menschen teil. Verschiedene Bürgergruppen organisierten Unterstützung für die Geflohenen in den Notfallcamps. Von diesen war Anfang Mai nur noch eins geöffnet, da die Politik eine schnelle Reintegration forcierte. Viele meinten, diese war übereilt. Zivilgesellschaftliche Akteure kritisierten auch die anschließenden Äußerungen des Innenministeriums, das ankündigte, die Kontrollen und die Suche nach Menschen ohne Papiere zu verstärken, "Operation Fiela" genannt. Auch 2008 wurden die Attacken von offizieller Seite schnell als kriminelles und vorübergehendes Problem eingestuft, eine rasche Reintegration der Vertriebenen wurde ebenfalls forciert. Es wurde nicht thematisiert, wie verbreitet Xenophobie im Alltag ist.

Schon zwei Wochen vor den diesjährigen Attacken berichtete eine Frau, die aus Goma in der Demokratischen Republik Kongo nach Durban geflohen war: "Seit 2008 habe ich jeden Tag Angst. Täglich muss ich aufpassen." Durban verzeichnete in der Zeit zwischen 2008 bis 2010 zwar weniger fremdenfeindliche Attacken als Johannesburg und Kapstadt, trotzdem steht die Hafenstadt an dritter Stelle der gewalttätigen Zwischenfälle gegen afrikanische Einwanderer.


Tor zur Welt

Durban ist - wie Johannesburg - ein Anziehungspunkt für Flüchtlinge und Migranten. In der Innenstadt werden weit mehr als die elf Landessprachen Südafrikas gesprochen. Auf den lokalen informellen und formellen Märkten wird jede Nische genutzt, Interessen eingewanderter Händler und lokaler Geschäftsleute prallen aufeinander. Dunkle Hautfarbe gilt als Angriffsfläche, deshalb bekommen sogar südafrikanische Staatsbürger Probleme, die einen dunklen Teint haben oder eine Sprache sprechen, die beispielsweise auch in Nachbarländern wie Mosambik verbreitet ist. Von dort kommen seit Jahrzehnten zahlreiche Wanderarbeiter.

Ein Sozialarbeiter erklärte die Zusammensetzung der Innenstadt Durbans: "St. Georgia ist zu 80 Prozent von Menschen aus Tansania bewohnt. In South Beach leben hauptsächlich Menschen aus Nigeria." Die Kindertagesstätte Children Care Centre CCC liegt in South Beach, sie wurde von der Union of Refugees Women gegründet. Dort kümmern sich Erzieherinnen, die mehrheitlich aus Burundi, Kongo und Ruanda geflohen waren, um 120 Kinder. Sie kommen aus unterschiedlichen Kulturen und bringen sich hier gegenseitig spielerisch ihre Muttersprachen bei.

Während eines Workshops, den die Nichtregierungsorganisation "Where Do Refugees Come From?" 2013 mit den Erzieherinnen organisierte, meinte eine Teilnehmerin: "Südafrika ist eine Blase, abgegrenzt vom restlichen Afrika. Viele Südafrikaner interessieren sich nicht für Nachbarländer, sie reisen nicht dorthin." Zwar verzeichnet der Tourismusbericht 2012 seit 2000 einen Anstieg südafrikanischer Touristen um 25 Prozent, aber die meisten verbringen ihren Urlaub im eigenen Land.

Die Ursachen für die Ablehnung gegen Ausländer sind vielschichtig. Patrick Bond vom Zentrum für zivilgesellschaftliche Forschung der Universität in Durban nennt vor allem strukturelle Probleme: "Im Kontext einer allgemeinen ökonomischen Krise, steigender Ungleichheit und urbaner Armut beinhalten diese Prozesse einen übersättigten Arbeitsmarkt, Wohnungsmangel, hohen Einzelhandelswettbewerb in den Townships, hohe gender-spezifische kulturelle Unterschiede und anscheinend hartnäckige geopolitische Spannungen." Die Rechtlosigkeit der Flüchtlinge verbunden mit ihrer strukturellen Exklusion verstärken die Probleme. Ähnliche Entwicklungen sehen wir in Deutschland, Frankreich und in den USA. In Südafrika kommen Gewaltmuster aus der Apartheid und Kolonialzeit hinzu. 20 Jahre nach dem Ende der Apartheid sind große ökonomische Ungleichheiten in der Gesellschaft sowie ethnische Segregation und Tribalismus weitere Ursachen für Fremdenangst und brutale Attacken.


Einwanderungsland

Südafrika ist seit vielen Jahren eines der größten Einwandererländer der Welt. Es hat einen der höchsten Ausländeranteile. Die Zahl der nicht erfassten Ausländer schwankt zwischen 2,5 und acht Millionen Menschen. Die meisten Schätzungen gehen von mindestens fünf Millionen nicht registrierten Immigranten aus. Laut UNHCR verzeichnete Südafrika zwischen 2004 und 2010 im internationalen Vergleich die meisten neuen Asylanträge pro Jahr. Lange war es für viele Menschen einfacher, in Südafrika Schutz und Zukunft zu suchen, als in Europa, doch mittlerweile wird auch die südafrikanische Grenze aufgerüstet. Diese ist noch nicht vergleichbar mit der hoch militarisierten und nicht ohne Risiko zu überquerenden EU-Grenze, es zeigt jedoch den globalen, besorgniserregenden Trend der Abschottung. Weltweit wird es immer schwieriger, Asyl zu beantragen.

Dennoch gibt es keine typische Lebensgeschichte eines Flüchtlings, jeder Einzelfall liegt anders. Deshalb sollten diese Menschen nicht in Zahlen erfasst werden, die keine Antworten bieten auf die Fragen: Woher kommt ein Flüchtling? Was ist ihm auf der Reise widerfahren? Welche Expertise bringt dieser Mensch mit, nachdem er oder sie mit Organisationstalent dem Tod entgangen ist und Grenzen überquert hat? Doch in Durban und anderswo dominieren Fragen wie: Welche Nachteile bringt dieser Mensch meinem Land? Was möchte er mir wegnehmen? Neben den strukturellen Faktoren, die als Ursachen für Xenophobie gelten, verstärken solche Einstellungen auch in Durban den Druck auf die Gesamtsituation.


Der Autor ist Mitglied der Gruppe Where do Refugees come from (WDRCF), die in Durban im März und April 2015 über Xenophobie recherchierte. Sie eint Aktivist/-innen aus dem südlichen Afrika und Europa.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
44. Jahrgang, Nr. 3, Mai/Juni 2015, S. 11-12
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2015

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