afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 4, Juli/August 2015
Von Kapstadt nach Kairo
von Odomaro Mubangizi
Afrikas Aufstieg mit dem neuen Freihandelsabkommen. Es wurde am 10. Juni 2015 gegründet und ist der größte Handelsblock auf dem Kontinent: In Ägypten wurde das Abkommen zur Freihandelszone "Tripartite Free Trade Area" (TFTA) unterzeichnet.
Diese Freihandelszone besteht aus 26 Ländern der
Wirtschaftsgemeinschaften im südlichen Afrika (SADC), in Ostafrika
(EAC) und dem gemeinsamen Markt für das südliche und östliche Afrika
(Comesa). Im Gebiet der Dreier-Freihandelszone TFTA leben etwa 600
Millionen Menschen. Das Abkommen birgt große Chancen in den Bereichen:
Informationstechnologie, Landwirtschaft und soziales sowie geistiges
Kapital. Allerdings hängt sein Erfolg - wie auch bei vorherigen und
zukünftigen Verträgen - stark vom politischen Willen und der
Stabilität der beteiligten Länder ab. Die TFTA wird die
wirtschaftliche Entwicklung in diesem riesigen regionalen
Zusammenschluss, dem größten auf dem afrikanischen Kontinent,
ankurbeln.
Was muss richtig gemacht werden, damit Afrika von dieser Entwicklung profitiert? Afrika hatte bereits in der Vergangenheit vergleichbare Neuerungen erlebt, die sich dennoch in "weiße Elefanten" verwandelten, also in Projekte, die mehr Arbeit und Unkosten verursachten, als sie tatsächlich Wert waren: die Organisation für afrikanische Einheit (OAU), der Lagos-Aktionsplan und die neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung (Nepad). Mir erscheint die TFTA jedoch als eine völlig andere Sache. Sie könnte Afrikas Schicksal umkehren, solange die richtigen Schritte unternommen werden.
In den Regionen des südlichen, östlichen und nördlichen Afrika fließen die längsten und größten Flüsse des Kontinents: Limpopo, Sambesi, Nil und Kongo. Darüber hinaus gibt es hier zahlreiche Seen, die ein enormes Potenzial für den Transport auf dem Wasser und für die Wasserkraft in sich bergen. Und Transport und Elektrizität bilden bereits die Grundlagen für die Industrialisierung.
Eine damit verbundene, weitere wichtige infrastrukturelle Basis ist das Straßennetz vom Kap nach Kairo. Es existiert bereits die berühmte "Great North Road", die das südliche Afrika mit den östlichen und nördlichen Regionen verbindet. Wenn dieses Straßennetz von der Luftfahrt und den hervorragenden Fluggesellschaften Südafrikas, Kenias und Äthiopiens ergänzt wird, gibt es keinen Grund, warum diese Freihandelszone keinen uneingeschränkten wirtschaftlichen Aufschwung erleben könnte. Arbeitsplätze und Märkte werden im Überfluss entstehen.
Infrastruktur ist heutzutage nicht auf Transport und Elektrizität beschränkt, sie beinhaltet Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT): Mobiltelefone und Internet. In einigen Ländern des östlichen, südlichen und nördlichen Afrika wurden bereits Glasfaserleitungen verlegt. Der Internetzugang ermöglicht die elektronische Abwicklung von Zahlungsgeschäften und Verwaltungsabläufen. Außerdem ist die Region die Heimat großartiger IKT-Neuerungen, wie M-Pesa in Kenia. Spezielle Apps ermöglichen Solarstromenergie, so dass Schüler abends bei Licht lernen können. Nachts halten die Geräte die Löwen von Rindern fern, Bauern werden per Apps über die Preise für ihre Agrarprodukte informiert. Die E-Medizin beginnt, sich ebenfalls zu etablieren: Ein Chirurg kann ohne Umstände eine Operation in Nairobi durchführen, während er sich an einem Computerbildschirm in Kampala oder Mumbai befindet.
Leider zögern einige eher konservative Zeitgenossen, die neuen Technologien anzunehmen. Während manche unter Informanie (exzessive Beschäftigung mit IKT und seinen faszinierenden Geräten) leiden, leiden andere unter Technophobie (übermäßige und irrationale Angst vor IKT und seinen erstaunlichen Geräten). Beide Extreme lassen sich vermeiden. Durch Freihandel werden diese Innovationen ihren Weg auch in einige der weniger innovativen und konservativen Länder der Region finden.
IKT hat außerdem Online-Medien ermöglicht, dadurch sind Nachrichten zugänglich und erschwinglich. Social Media ist im Aufschwung und Geschäftsverhandlungen werden durch Twitter, Facebook, Youtube und Whatsapp abgewickelt. In den letzten fünf Jahren ist Afrika südlich der Sahara die am schnellsten wachsende Mobilfunkregion weltweit. Während mobile Dienstleistungen immer zugänglicher werden und ärmere Menschen sich diese leisten können, stieg die Zahl der Mobilfunkteilnehmer auf über eine halbe Milliarde. 2013 arbeiteten 2,5 Millionen Menschen direkt in der Mobilfunkindustrie. Im gleichen Jahr wurden 5,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts von diesem Industriezweig erwirtschaftet. 2020 soll der Anteil auf 6,2 Prozent gestiegen sein, denn man prognostiziert zwischen 2015 und 2020 Investitionen in Höhe von 84 Mrd. US-Dollar in die Mobilfunkindustrie. Damit diese aufregenden Entwicklungen in der Region gleich verteilt werden, müssen die betreffenden Regierungen Rechtsvorschriften und Richtlinien schaffen, welche die Telekommunikationsindustrie liberalisieren.
In Südafrika befinden sich die zehn besten Universitäten Afrikas. Ostafrika erlebt einen Aufschwung an Universitäten in Ländern wie Kenia und Uganda, wo sich jeweils über vierzig Universitäten befinden. Hier wird viel Humankapital ausgebildet, das die Region in ein intellektuelles Zentrum Afrikas verwandeln könnte, vorausgesetzt, Visa-Beschränkungen wären kein Hindernis.
Damit dieses geistige Kapital den maximalen Nutzen bringt, müssen die Bildungsstrategien in der Region harmonisiert werden. Es sollte Studierenden und Lehrenden möglich sein, sich frei in der Region zu bewegen. Die Bildungsstandards sollten angeglichen und die Bürokratie bei der Anerkennung akademischer Dokumente sollte abgebaut werden. Die Debatte um die regionale Integration bezieht sich normalerweise eher auf Waren und Güter, aber auch dem intellektuellen Eigentum und Kapital sollte die gleiche Aufmerksamkeit gelten.
Im östlichen, südlichen und nördlichen Afrika gibt es höchst unterschiedliche Kulturen, Religionen und Touristenattraktionen. Sie könnten eine Quelle des Reichtums sein, wenn sie für den Tourismus erschlossen würden.
Die Landwirtschaft ist Afrikas am stärksten vernachlässigter Sektor und dennoch sind hier über 70 Prozent der Bevölkerung des Kontinents beschäftigt. Ernährungssicherheit ist noch immer ein Wunschtraum, obwohl das südliche und östliche Afrika exzellentes Klima und reichhaltige Böden besitzen, sodass die Region mit zusätzlicher Bewässerung und verbesserter Bodenfruchtbarkeit ein Brotkorb für den ganzen Kontinent wäre und ein Exportüberschuss entstünde. Bislang haben afrikanische Regierungen landwirtschaftliche Innovationen aber noch nicht ausreichend gefördert.
All diese guten Voraussetzungen werden keine nachhaltige Entwicklung in der TFTA bringen, wenn sie nicht von guter Regierungsführung und Frieden begleitet werden. Ein Minimum an demokratischen Werten, Pressefreiheit, Koalitions- und Versammlungsfreiheit sowie Rechtsstaatlichkeit sind notwendig, um Grenzen für regionalen Handel zu öffnen. Denn warum sollte jemand in ein Land investieren, das anfällig ist für bewaffnete Konflikte?
Zurzeit ist der afrikanische Kontinent in eine Debatte über dritte Amtszeiten von Präsidenten verwickelt. Manche Verfassungen, die präsidiale Amtszeiten beschränken, sind kaum zwanzig Jahre alt. Warum passiert es, dass staatlich gelenkte Verfassungsreformen den demokratischen Freiraum ersticken, anstatt ihn zu erweitern? Die Behauptung, die Bürgerinnen und Bürger würden die Beseitigung von Amtszeitbeschränkungen verlangen, widerspricht dem Sinn, der ursprünglich die Beschränkungen forderte. Der Ausspruch "nicht ich, sondern die Bürger wollen eine dritte Amtszeit", klingt nicht überzeugend. Würde eine Führungsperson klarstellen, dass er oder sie nicht für eine weitere Amtszeit kandidieren will, hätte der Druck von Seiten der Bevölkerung keinen Erfolg. Dafür sind Nelson Mandela in Südafrika und andere Präsidenten in Botswana, Sambia und Malawi Beispiele.
Es sind die Institutionen, die zukunftsfähige Staaten bilden, nicht einzelne Führungspersönlichkeiten mit all ihren guten Absichten. Wie kann eine revolutionäre Partei davon profitieren, über Jahrzehnte an der Macht zu sein, nur um am Ende zu zerfallen, nachdem der starke Mann, der sie zusammen gehalten hat, gegangen ist? Wir können nur hoffen, dass die TFTA nicht zu einem Gebiet für freie Tyrannen wird.
Gewiss gibt es Sicherheitsbedenken. Die Region ist auch Heimat militanter islamistischer Gruppen, die unaussprechliches Leid verursachen. Regionale Integrität kann eine Stärke sein und Unsicherheit reduzieren, wenn sich die betroffenen Länder auf eine bestimmte Sicherheitsarchitektur für die Region einigen. Die SADC besitzt solche Mechanismen. Militante Gruppen werden versuchen, die Bewegungsfreiheit von Menschen und Gütern auszunutzen. Aber die beste Sicherheit für die Bürger ist das Gefühl, in die Entwicklungsagenda miteinbezogen zu sein. Eine Möglichkeit, der Unsicherheit zu begegnen, ist die gleichmäßige Verteilung von Macht und Ressourcen. Wenn die Freihandelszone zum Spielball kleiner privilegierter Eliten wird, werden die vielen arbeitslosen Jugendlichen anfällig dafür sein, von militanten Gruppen rekrutiert zu werden.
Die TFTA ist ein willkommener Schritt für Afrika. Hoffentlich wird 2017 das Abkommen zur Freihandelszone unterzeichnet. Afrika erhebt sich und wird weiterhin aufsteigen, aber die Bedeutung von Infrastruktur, geistigem Kapital, Landwirtschaft, Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit muss beachtet werden.
Der Autor lehrt Philosophie und Theologie am philosophisch-theologischen
Institut in Addis Abeba.
Kurzfassung der englischen Version in Pambazuka, Issue 732, 25.6.2015 www.pambazuka.net
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REZENSIONEN - LESERBRIEFE
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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
44. Jahrgang, Nr. 4, Juli/August 2015, S. 36 - 37
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
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"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2015
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