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AFRIKA/1433: Simbabwe - Henry Munangatire, ein Stratege mit Visionen (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 4, Juli-August 2018

Simbabwe Wahlen
Henry Munangatire - ein Stratege mit Visionen

von Julia Müller


Henry Munangatire ist ein Realist, der bei den jüngsten Wahlen in Simbabwe für den Stadtrat in Harare kandidiert hat, wenn auch ohne Erfolg: "Die jungen Leute sind definitiv frustriert und das größte Zeichen der Frustration ist die Zahl der jungen Menschen, die die Grenze nach Südafrika überschreiten und das Land verlassen."


Wer heute in Simbabwe ein Unternehmen gründen möchte oder einfach nur etwas auf der Straße verkaufen, braucht dafür einen langen Atem. Es ist ein Unterfangen, das mit vielen bürokratischen Hürden und, im schlechtesten Fall, die ein oder anderen Korruptionsfalle für den oder die Jungunternehmer/-in bereit hält. Zudem besteht von Seiten der Regierung kaum ein Interesse daran, mehr Gewerbetreibende auf den Straßen zu sehen. Der Verkauf von Waren auf der Straße mindert die Geschäfte der angestammten Händler in den Geschäften und Verkaufsmalls. Da viele dieser angestammten Geschäftsinhaber Mitglieder der Zanu-PF sind, hat der Stadtrat von Harare - auf Druck der Partei - Straßenhändler brutal niederknüppeln lassen, ein Verkaufsverbot erlassen sowie die Waren zugunsten der Partei beschlagnahmt. Gleichzeitig ist es fast unmöglich, eine offizielle Genehmigung zu erhalten. Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen (ca. 95 Prozent) zwingt die Bevölkerung daher, sich im informellen Sektor zu engagieren.

Henry Munangatire hat eine Vision: "Wenn ich ein Unternehmen gründen will, muss ich niemanden sehen. Ich kann auf einer Webseite nachsehen, ob der (gewünschte) Name noch frei ist. Wenn dem so ist, dann wähle ich diesen aus und trage ihn ein. Das gleiche gilt für meine sonstigen Daten, und dann füge ich die notwendigen Dokumente hinzu, lade diese hoch und bezahle die Gebühr online. Ich muss dafür mit keiner Person interagieren. Und dann kann ich einfach meine Lizenz abholen gehen."

Eine für uns in Deutschland fast undenkbare Vorstellung, aus einem Land, welches die Chance auf einen ganz großen politischen Umbruch hat. Henry Marshall Deyrick Munangatire ist ein Visionär, der dies für Simbabwe in die Realität umsetzen möchte. Mit 33 ist er erstaunlich jung für einen afrikanischen Politiker, spielt dies jedoch gekonnt als Stärke aus. Sein Alter verschafft ihm Vorteile bei einem Kernthema wie Digitalisierung und auch in einem authentischen Social-Media-Auftritt. Hierbei weiß er auch klassische Problemfelder in diese Stärken einzubetten: Korruptionsbekämpfung durch Technologie - wo zur Beantragung von Genehmigungen Papier nicht mehr von einer Stelle zur anderen getragen werden muss, schließen sich Lücken, in denen sonst die Korruption florieren kann. Zudem werden die Hürden für die Bürger niedriger, ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Laut Munangatire ein Grundstein für ein florierendes Simbabwe.


Demokratie und Freiheit schützen

Henry Munangatire ist in Harare im Bezirk Highlands geboren und aufgewachsen. Im Jahr 2004 zog er in die USA, um dort Politikwissenschaften zu studieren. Gleichzeitig bedeutet dies, dass er prägende Jahre außerhalb von Simbabwe zugebracht hat.

"Als ich Simbabwe verließ, ging es mit der Wirtschaft bergab. Für mich war es schwierig in dieser Situation, in ein völlig neues Land zu ziehen, mit wenigen Bekannten und Freunden. Dazu kam, dass ich arbeiten musste, um mich selbst zu finanzieren, und gleichzeitig besuchte ich die Hochschule. Alle diese Umstände haben es sehr schwierig gemacht. Stellen Sie sich einen afrikanischen Jungen vor, der aus Simbabwe mitten nach Wisconsin kommt, wo Schwarze nur zwei Prozent der Bevölkerung ausmachen." Als er nach seinem Studium wieder nach Simbabwe zurückkehrte, fand er ein verändertes Land vor. Besonders Probleme mit Infrastruktur und der Bereitstellung grundlegender Dienstleistungen hatten in der Zeit seiner Abwesenheit stark zugenommen.

"Wenn ich an meine Kindheit denke, wie gesagt, ich wuchs hier (in Harare) auf und sah schöne Wohnviertel, schöne Schulen, Dinge, die gut funktionierten, und dann kam ich aus Amerika zurück, nachdem ich acht Jahre dort draußen war, und es war nun ein gänzlich anderes Land."

Das Politikverständnis, das er aus den USA mitgebracht hatte, sollte ihm dabei helfen, seine Vision auszubilden. "Um die Wirtschaft eines Landes aufzubauen, reicht es nicht unbedingt aus, dass die Menschen einfach klug sind. Natürlich müssen sie gut ausgebildet sein (...) und hart arbeiten, aber es ist die Atmosphäre der Freiheit, die den Unterschied macht. Eine Atmosphäre der Freiheit ist ein Katalysator für Wachstum und Entwicklung. Das ist eines der Erkenntnisse, die mich angetrieben und mein politisches Denken verändert haben. Jetzt glaube ich so sehr daran, dass wir in Simbabwe um jeden Preis eine Demokratie brauchen. Wir dürfen niemals die Demokratie gefährden. Wir dürfen niemals die Freiheit gefährden."

Henry versteht sich als jemand, der gerne im Hintergrund Inhalte und Strategien ausarbeitet. 2016 war er der Stratege hinter der Internet-Bewegung #Thisflag und war beteiligt an der Organisation der zwei großen Generalstreiks und der Courthouse-Demonstration. Stratege sein heißt jedoch auch abzuschätzen, wie Kampagnen strukturiert werden sollen, und persönliche Ambitionen dem größeren Ziel unterzuordnen.

"Pastor Evan (Mawarire) hat einen starken Auftritt in den Sozialen Medien. Schon von Anfang an sahen wir, dass er die einflussreichste Person war. Seine Videos stellten die faszinierendste Stimme der Bewegung dar. Obwohl wir viel der Strategie und des Inhalts erstellt haben, haben wir diese trotzdem über seine Kanäle verbreitet. Weil wir wussten, dass es dadurch noch weiter verbreitet werden würde. Ein anderer Aspekt, den wir schnell erkannt haben, war, dass drei, vier oder fünf Stimmen unter #Thisflag die Menschen verwirrt hätten. Eine einzige Stimme zu haben, gab uns und der Bewegung also mehr Zugkraft. (...) Also haben wir auch unsere eigene Fähigkeit zu sprechen geopfert, um ihn in den Mittelpunkt zu stellen."

Soziale Medien wie Facebook, Youtube, Twitter und WhatsApp stellen in Simbabwe die größten Verbreitungskanäle für Regierungskritik und alternative Ideen dar, denn die Regime unter Ian Smith und Robert Mugabe haben eine freie Presse unterdrückt. Im heutigen Simbabwe gibt es, trotz neuer Verfassung, noch immer keine wirklich unabhängige Presse. Die journalistische Qualität der Regierungsmedien ist desolat und hält keinem internationalen Vergleich stand. Andere Zeitungen unterliegen Zensur und sind fern von unabhängig. Mindestens die Herausgeber müssen Mitglied der Regierungspartei Zanu-PF sein.


"Wir wollen etwas anderes"

Nach dem großen Erfolg von #Thisflag stellte sich die Gruppe die Frage, wie es nun mit der Bewegung weitergehen sollte. Aus dem kollektiven "wir" der Bewegung sollte das "über" der Politik entstehen. Denn für die Gründung einer Partei fehlten sowohl die Ressourcen als auch die Kapazitäten und die Zeit vor den Wahlen. So entstand die Idee hinter "POVO" - People's Own Voice, einem Zusammenschluss von unabhängigen Kandidaten, der für den Stadtrat in Harare kandidiert.

"Es war nicht so, als hätten wir den Leuten gesagt, dass wir für den Stadtrat kandidieren. Wir haben unsere Kampagne ähnlich einer Präsidentschaftskampagne aufgezogen. Wir haben es größer inszeniert und dadurch absichtlich ein antiklimatisches Klima geschaffen. (...) Weil wir wollten, dass dieser spezielle Fokus nicht nur auf dem Stadtrat von Harare liegt. Wir wollten auch nicht den klassischen Wahlkampf führen, bei dem die Menschen mit den Gesichtern der Politiker auf ihren T-Shirts herumlaufen und sich alles nur um den großen Mann dreht. Wir wollten etwas anderes. Etwas, das es intelligenten und innovativen Menschen, die eine Leidenschaft für ihre Gemeinschaft haben, ermöglicht, zusammenzukommen und ein Band über ihre gemeinsamen Werte und Ideen und nicht über bestimmte Personen zu knüpfen. Deshalb sind wir eine Koalition von Unabhängigen. Es geht um Ideen und Werte und nicht um Persönlichkeiten, nicht darum, wer Präsident ist, an wen ich mich wenden muss, wenn ich die Karriereleiter hochklettern und mich in Position bringen will. Es ist kein Kampf um Positionen, es ist ein Kampf um die Lösung der Probleme."

Probleme gibt es im Land ausreichend. Dies beginnt bereits auf lokaler Verwaltungsebene und zieht sich bis zur Staatsspitze. Die Stadtverwaltung von Harare finanziert aktuell mit einem Jahresbudget von sechs Mio. US-Dollar eine Fußballmannschaft. Darüber hinaus sind Nepotismus und Ämterschacherei die Regel. Etwa 80 Prozent des Budgets der Stadt Harare wird für die Besoldung der Angestellten und weitere Boni wie Autos aufgewendet. Hätten Henry und seine Kollegen von POVO es am 31. Juli in den Stadtrat von Harare geschafft, es wären Zeiten "schwieriger Entscheidungen" angebrochen. Überflüssigen Ausgaben und faulen Beamten soll es an den Kragen gehen. Es ist daher nur natürlich, dass das Establishment, welches sich durch diese Maßnahmen über Jahre sein Auskommen gesichert hat, die POVO mehr als nur argwöhnisch beäugt.

Es sei nicht die Absicht gewesen, in den Stadtrat zu gehen, "um einfach nur dort zu sitzen und fünf Jahre lang in der Politik zu sein und diese großartige Position zu haben. Wir gehen dorthin, um Dinge zu erledigen", meinte Henry vor den Wahlen. "Wenn das nicht deine Ambition ist, dann ist es sinnlos. Wenn wir nicht hingehen und Veränderung bringen, gibt es für uns keinen Grund zu kandidieren. (...) Wir brauchen eine neue Kultur der Rechenschaftspflicht, von Politikern, die gute Entscheidungen treffen."

Noch hat Henry keine Ambitionen, nach der Präsidentschaft zu greifen, er glaubt daran, dass man das Land von unten heraus auf- und umbauen muss. "Wenn die Leute morgens aufwachen, dann beschäftigt sie die Wasserversorgung, die Straßen und die Schulen für ihre Kinder, das Gesundheitswesen, die großen Fragen der Devisenkontrolle betrifft sie nicht direkt. (...) Das ist ihre tägliche Realität. Also die praktischen Dinge, mit denen die Menschen zu tun haben. Worauf sie sich konzentrieren, und nicht auf die großen Dinge. Diese Dinge sind wichtig, aber ich denke, dass sich die Menschen in unserer Gesellschaft mehr um praktische Alltagsfragen kümmern."

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
46. Jahrgang, Nr. 4, Juli-August 2018, S. 15-16
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2018

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