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AFRIKA/791: Milchwirtschaft in Kamerun (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 330 - Februar 2010,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Erzeugerpreise hängen an regionalen Bedingungen

Ein Gespräch mit Henry Njakoi aus Kamerun über den Zynismus von Agrarministerin Aigner beim Thema Welternährung und das Leben der Milchbauern in seinem Land


Exporte von Milchpulver aus Deutschland und der EU haben in Kamerun dazu geführt, dass vergangenes Jahr eine Molkerei schließen musste. Die Dumpingimporte haben das lokale Preisniveau unterboten. Damit ist für die Kleinbauern dieser Molkerei ein wichtiger Abnehmer für ihre Milch verloren gegangen. Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner scheute sich nicht, auf der Grünen Woche in Berlin vor einem Heer von Journalisten zu sagen: Diese Molkerei habe zu teuer produziert. Henry Njakoi von der Organisation Heifer International vertritt Milchproduzenten in Kamerun und war bei Aigners Presseauftritt dabei.


BAUERNSTIMME: Was sagen Sie zur Aussage der deutschen Landwirtschaftsministerin?

HENRY NJAKOI (er schüttelt den Kopf): Die Molkerei hat den Bauern 62 Cent pro Liter Milch gezahlt. Um die Notwendigkeit dieses Preises zu verstehen, muss man sich die Produktionsbedingungen vor Ort genau anschauen.

BAUERNSTIMME: In Deutschland geht man immer davon aus, dass die Landwirtschaft in Afrika eher von geringen Produktionskosten geprägt ist.

HENRY NJAKOI: Ja, das ist auch der Fall, wenn man allein die Produktion auf den Betrieben betrachtet. Der Faktor, der den Preis für die Milch nach oben treibt, sind die Transportkosten.

BAUERNSTIMME: Wie kann man sich das vorstellen. Fährt alle zwei Tage ein Tankwagen durch die Savanne und sammelt die Milch ein?

HENRY NJAKOI: Die Bauern bringen ihre Milch größtenteils selbst zur Molkerei, beziehungsweise vermarkten sie direkt. Das geschieht auf ganz unterschiedliche Weise. Entweder zu Fuß oder mit dem Fahrrad, aber auch mit dem Moped wird der Transport bewerkstelligt. Manchmal sogar mit dem Taxi, dann muss man aufpassen, dass der Fahrer nicht zu schnell fährt und einen Unfall baut.

BAUERNSTIMME: Über welche Entfernungen wird die Milch transportiert?

HENRY NJAKOI: Die meisten Bauern sind marginalisiert und leben weit weg von den Städten. Da kann man sagen, dass bis zu den großen Städten im Durchschnitt etwa 80 Kilometer zurückgelegt werden müssen. Im günstigen Fall sind es kleine Städte im Umkreis, in denen Bauern ihre Milch absetzen können. Dann betragen die Entfernungen zwei bis zehn Kilometer.

BAUERNSTIMME: Ist es für die Bauern ein Problem, Abnehmer für ihre Milch zu finden?

HENRY NJAKOI: In der Regel nicht. Die Nachfrage ist groß und steigt mit der wachsenden Produktion weiter an. Das Problem ist die Konkurrenz durch billiges, importiertes Milchpulver und billige Butterölimporte. Verarbeiter greifen auf diese Importwaren zurück, um Kosten einzusparen. Die daraus hergestellten Milchprodukte und die so entstandene "Milch" sind deutlich günstiger als die aus heimischer Produktion. Das drückt auf die Preise, die unsere Milchproduzenten am Markt erzielen.

BAUERNSTIMME: Was bedeutet das für die Armutsbekämpfung?

HENRY NJAKOI: Diese Entwicklung ist ein Signal an die heimischen Investoren, die Finger von der Milchwirtschaft zu lassen. Das wiederum hat fatale Folgen für einen wirtschaftlichen Aufbau in den ländlichen Räumen, für die Ernährunssouveränität und für die heimischen Milchbauern. Die Nachfrage nach Milchprodukten steigt in Kamerun. Da gibt es enorme Potentiale, diese Nachfrage durch eine eigene Milchwirtschaft zu decken.

BAUERNSTIMME: Noch mal zu den Betrieben und ihrer Tierhaltung. Wie muss man sich einen solchen Betrieb vorstellen.

HENRY NJAKOI: Über 40 Prozent der Milchbauern haben nur eine Kuh. Daneben bauen sie Nahrungsmittel für die Versorgung der Familie und für das Futter der Tiere an. Die Betriebe sind zwar klein, aber sehr vielfältig aufgebaut.

BAUERNSTIMME: Ihre Organisation hat sich zur Aufgabe gemacht, die Milchviehhaltung weiter voranzutreiben. Wie gehen Sie dabei vor?

HENRY NJAKOI: Wir haben eine Kampagne mit dem Namen "Pass on the gift". Dabei schenken wir Familien eine Kuh. Die Beschenkten kümmern sich um das Tier, lernen den Umgang und die Versorgung. Das erste Kalb der Kuh wird von den Besitzern aufgezogen und weiter verschenkt, wenn es in einem ähnlichen Alter ist wie die Kuh, die sie einst bekamen. Dadurch breiten sich die Tierhaltung aber auch das Wissen kontinuierlich aus.

BAUERNSTIMME: Warum gerade Kühe und Milchproduktion? Sie könnten auch Saatgut verteilen?

HENRY NJAKOI: Die Milchproduktion hat den Vorteil, dass sie für die Bauern eine kontinuierliche Einnahmequelle darstellt. Ihre Ernte können sie nur einmal im Jahr verkaufen. Nach einem Unwetter eventuell gar nicht.

BAUERNSTIMME: Sie haben erzählt, dass viele Familien nur eine Kuh besitzen. Aus wie vielen Personen besteht eine Familie?

HENRY NJAKOI: In der Regel sind es 8 bis 15 Personen, die als Familie von der Landwirtschaft leben. Nicht selten gibt es Waisen, deren Eltern an Aids gestorben sind. Dann werden diese Kinder über die Dorfgemeinschaft und eben aus der Landwirtschaft mit versorgt. Viele Erwachsene ziehen in die Stadt. Dort gibt es aber nicht genug Arbeit. Während die Männer zu Tagelöhnern werden oder ins kriminelle Milieu abrutschen, werden viele Frauen zu Prostituierten. Aids ist ein großes Problem.

BAUERNSTIMME: Kann Ihr Projekt diese Entwicklung stoppen?

HENRY NJAKOI: Wir sehen, dass unser Projekt den Menschen wieder eine Perspektive gibt. Sie kommen zurück in die Dörfer, weil sie hier ihren Lebensunterhalt erwirtschaften können. Sie lernen den Umgang mit den Tieren und verbessern ihre Wirtschaftsweise. Es entstehen Netzwerke und soziale sowie kulturelle Strukturen.

BAUERNSTIMME: Was verstehen Sie unter Netzwerken?

HENRY NJAKOI: Zum einen stellen wir fest, dass die Bauern, um die Leistung ihrer Tiere zu verbessern, gerne auch Reste aus der Reis- und Baumwollproduktion verfüttern. Damit schaffen sie für die Reisbauern und die Mühlen einen neuen Absatzmarkt, eine regionale Wertschöpfung. Die Bauern schließen sich zusammen und beginnen, ihre Vermarktung oder den Transport gemeinsam zu organisieren, damit die Kosten sinken. Zum anderen steigt die Bildung der Menschen vor Ort. Wenn die Familien genügend Geld haben, können sie ihre Kinder zur Schule schicken. Sie können selbst Bauern werden, die dann aber besser ausgebildet sind und ihr Wissen positiv nutzen.

BAUERNSTIMME: Was fordern Sie von der Agrarpolitik?

HENRY NJAKOI: Die Regierung muss den Aufbau und den Erhalt der Milchwirtschaft im Land unterstützen. Derzeit sieht die Regierung in Kamerun auch große Potentiale in der heimischen Milchwirtschaft. Das liegt mit an unserer Öffentlichkeitsarbeit. Gleichzeitig müssen die zerstörerischen Importe von billigen Milchmassenwaren unterbunden werden. Da spielt in unserem Land auch die Korruption eine Rolle. Diese verhindert, dass der bestehende, wenn auch geringe Zollschutz genutzt wird. Daran müssen wir noch arbeiten. Von der EU fordern wir, die Milchexporte in unser Land einzudämmen, damit wir eine eigene Milchwirtschaft aufbauen können.

BAUERNSTIMME: Vielen Dank.


Das Gespräch führten Marcus Nürnberger und Berit Thomsen


Heifer Project International hat ihren Hauptsitz in den USA und unterstützt in mehr als 40 Ländern weltweit ländliche Projekte.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 330 - Februar 2010, S. 6
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. März 2010