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AFRIKA/796: Südafrika - Das Löwenherz schlägt nicht mehr (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 6, Dezember 2009 / Januar 2010

Das Löwenherz schlägt nicht mehr

Von Monika Idehen


Dennis Brutus ist tot. Der weltweit anerkannte politische Aktivist und gefeierte Poet starb im Alter von 85 Jahren am 26. Dezember 2009 in Kapstadt. Nach über dreißig Jahren im Exil verbrachte er die letzten Lebensjahre in seiner südafrikanischen Heimat, wo die Professur am "Centre for Civil Society" der Universität KwaZulu-Natal in Durban seine letzte akademische Aufgabe war.


Dennis Brutus hat dreizehn Gedichtbände veröffentlicht. Seine Gedichte sind energische Dokumente des Aufruhrs und der Polizeigewalt, die das Leben der Schwarzen in Südafrika unter dem Apartheidregime bestimmten. Das Anprangern von Ungerechtigkeit, Rassismus, Verletzung der Menschenrechte, die ihm Gefängnis, Folter, Schussverletzungen, Bann und Exil einbrachten, führte er in seinen Gedichten fort. Einige der ehrlichsten und aufrüttelndsten Gedichte über das Leben im Gefängnis, die je in englischer Sprache verfasst wurden, sind von Dennis Brutus. Die englische Zeitung The Guardian schrieb in einer Besprechung seiner Bücher: "In der gewandten Einfachheit seiner Gefängnisgedichte hat er eine Grazie und Wirkung, die selbst ein Solzhenitsyn nicht erreicht."

Trotz seiner bitteren Erfahrungen gilt Dennis Brutus als ein sanfter Lyriker, seine "Letters to Martha and Other Poems from a South African Prison" tragen Zeichen von Liebe und Zärtlichkeit. In vielen seiner Gedichte kommt, neben Anklage und Verurteilung von Rassismus und Unterdrückung, die starke Hoffnung auf Befreiung zum Ausdruck.

Dennoch war für Dennis Brutus sein dichterisches Werk nicht das Wichtigstes. Anfang der 90er-Jahre in Dakar sagte er in einem Interview. "Ich schreibe sehr wenig und ich schreibe sehr selten und ich werfe vieles wieder weg, weil ich mich nicht als professionellen Poeten verstehe. Ich bin Professor, ich bin Akademiker, ich bin politischer Aktivist..... Ich würde mich nie als professionellen Dichter sehen. Ich bin ein gelegentlicher Poet und ich bin zufrieden damit."

Brutus wurde 1924 in Harare geboren, aber seine südafrikanischen Eltern kehrten bald nach Port Elizabeth zurück, wo er aufwuchs. Er studierte an der Fort Hare-Universität Englisch und Psychologie; weiterführende Studien der Rechtswissenschaft an der Universität Witwatersrand wurden jedoch durch seine Verhaftung vorzeitig beendet. Als aktiver Sportler gründete er 1963 SANROC (South African Non-Racial Olympic Committee), nahm an Demonstrationen gegen die Rassentrennung im Sport teil, wurde wiederholt verhaftet und flüchtete nach seiner Freilassung nach Swasiland, wo er politisches Asyl beantragte. Während er auf eine Entscheidung wartete, reiste er nach Mosambik, wurde dort von der portugiesischen Geheimpolizei (PIDE) verhaftet und an das Apartheidregime in Südafrika ausgeliefert. Noch am selben Tag (17.09.63) wurde er mit schweren Schussverletzungen, die er bei einem Fluchtversuch erlitt, in ein Gefängniskrankenhaus eingeliefert. Sein politisches Engagement brachte ihm 18 Monate Gefangenschaft auf Robben Island ein. Nach seiner Freilassung wurde er gebannt, d.h. unter Hausarrest gestellt, mit Berufsverbot, Redeverbot und Publizierungsverbot belegt.

So jeder Möglichkeit beruflicher und politischer Aktivität beraubt ging er 1966 ins Exil, zuerst nach England, dann in die USA, wo er an verschiedenen Universitäten lehrte und seine politische Arbeit fortsetzte. Er war für den International Defense and Aid Fund aktiv und maßgeblich am Ausschluss des Apartheidregimes von den Olympischen Spielen beteiligt; er lieh seine Stimme dem Projekt Jubilee 2000, dessen Anliegen es war, die Schulden der ärmsten Länder zu tilgen; er unterstützte NRO-Aktivitäten, die die aggressive Globalisierungspolitik anprangern, und betrachtete kritisch die Einflüsse von IWF und Weltbank auf die Länder der so genannten Dritten Welt.

Viele seiner jüngeren Gedichte sprechen von den Opfern, die Kriege, Umweltverschmutzung und die Gier der Multinationalen Konzerne den Menschen noch immer abverlangen. Exil war nie eine Zuflucht für ihn, sondern eine Startrampe für den Kampf. Dieser "eloquente Advokat der Benachteiligten", wie ihn Desmond Tutu nannte, hat durch sein Werk und seine Erfolge der Kraft des Wortes ein dauerndes Denkmal gesetzt. Was ein Verlag vor mehr als 20 Jahren auf den Schutzumschlag eines seiner Gedichtbände schrieb, galt bis zu seiner letzten Stunde: "Er ist noch immer entschlossen, bärtig und leidenschaftlich, noch immer hält er fest an seiner Vision und besteht auf der Rolle des Künstlers als Revolutionär und als Bewahrer, der die alten Werte von Liebe, Patriotismus und Freundschaft verkündet." Sichtlich von seiner Krebserkrankung geschwächt, die ihn an der geplanten Reise nach Kopenhagen hinderte, schrieb er noch im November einen offenen Brief an die Klimakonferenz, in dem er vor einem Abkommen warnte, das es den Unternehmen der Ölindustrie erlauben würde, die Erde weiterhin zu missbrauchen.

Dennis Brutus hatte neben seinem kreativen Talent, seinem dichterischen Können und seinem politischen Engagement eine Eigenschaft, die ihn besonders auszeichnete: sein tiefes Verständnis für seine Mitmenschen und Mitstreiter. In zahlreichen Gedichten würdigte er die Arbeit dieser Mitstreiter. Er war intelligent ohne Arroganz, besaß Genialität ohne Stolz. Viele, nicht nur seine Studenten, sahen zu ihm auf; er aber hat nie auf jemanden herabgesehen. Nie dozierte er, sondern teilte sein überragendes Wissen und seine Erfahrungen bereitwillig mit jedem in einem freundlichen Ton, der den Zuhörer zum Gesprächspartner erhob. Doch wo es angebracht war, fand er direkte, auch zornige Worte. Er erhielt im Laufe seines Lebens unzählige Preise, Ehrendoktorwürden und Auszeichnungen und, der er stets seine Unabhängigkeit vom ANC bewahrte, wurde schließlich für sein Lebenswerk von der ANC-Regierung ausgezeichnet. Aber die Ehre, in Südafrikas Sports Hall of Fame aufgenommen zu werden, lehnte er mit einer zornigen Rede vor allen versammelten Würdenträgern ab: "Ich kann nicht teilhaben an einem Ereignis, wo unapologetische Rassisten ebenfalls geehrt werden, oder in einer Ruhmeshalle neben denen stehen, die unter dem rassistischen Sportsystem Erfolge hatten. Es ist Zeit - in der Tat schon lange überfällig - für Wahrheit, Entschuldigung und Aussöhnung im Sport."

Brutus gehörte zu den mutigen Poeten, die sich dem fortwährenden Kampf für die Freiheit verschrieben haben. Seine Lyrik ist Beweis seines steten Engagements, ist auch beredtes Zeugnis für den Triumph des kreativen Geistes über die Beschwernisse der Gefangenschaft und des Exils, die vergeblich sich mühten, ihn zum Schweigen zu bringen.

Ende April 1987 in London gefragt, ob er Hoffnung habe, je wieder nach Südafrika zurückkehren zu können, ob Apartheid je besiegt und Nelson Mandela frei sein würde, war seine Antwort seinerzeit ein Lächeln und: ich weiß es nicht, aber ich werde nicht nachlassen, dafür zu kämpfen. Der "unermüdliche Kämpfer", wie ihn der amerikanische Dichter Lamont Steptoe in einer Widmung nennt, hat nicht nachgelassen, für das zu kämpfen, woran er glaubte, bis eine stärkere Macht seinem Löwenherzen Frieden brachte. Hamba Kahle Dennis Brutus.


Stubborn Hope

Endurance is a passive quality
transforms nothing, contests nothing
can change no state to something better
and is worthy of no high esteem;
and so it seems to me my own persistence
deserves, if not contempt, impatience.

Yet somewhere lingers the stubborn hope
thus to endure can be a kind of fight,
preserve same value, assert some faith,
and even have a kind of worth.

Beharrliche Hoffnung

Standhalten ist passive Eigenschaft
verändert nichts, stellt nichts infrage
kann keinen Zustand in einen besseren verwandeln
und verdient unsere hohe Achtung nicht,
und so scheint mir, meine eigne Beharrlichkeit
verdient, wenn nicht Verachtung, so Unwillen

Doch irgendwo lebt beharrlich die Hoffnung fort
dass so Standhalten eine Art des Kampfes ist
gewisse Werte erhält, gewissen Glauben verteidigt
und gar eine gewisse Würde hat.

[Dieses Gedicht ist ca. 1978 entstanden]
Autorisierte Übersetzung ins Deutsche: Monika Idehen


Poetry, fleeing

Now a new greasy-black
smoke spirals evidence
of our new century's horror:
among other obscenities
poetry's image, winged horse
Pegasus is pretext for atrocity:
children's charred corpses smoulder
near puddle oilfields; compassion
has vanished, swirled away in fumes,
Earth's son, Poesy, has fled, is fleeing:
Surely some hearts have turned to stone,
must be already dead.

Poesie, fliehend

Nun windet sich neuer fettig-schwarzer
Rauch auf zum Beweis
des Horrors unseres neuen Jahrhunderts:
unter all den anderen Obszönitäten
ist das Abbild der Poesie, der geflügelte Pegasus,
Vorwand für Greueltaten:
verkohlte Kinderleichen schwelen
neben Ölfeldpfützen; Mitgefühl
ist verschwunden, hinweg gewirbelt im Dunst,
der Erde Sohn, Poesie, floh, flieht noch:
sicher sind einige Herzen zu Stein erstarrt,
sind bereits tot.


(Dies ist ein neueres Gedicht, ca. 2003, Pegasus bezieht sich auf das Logo von Exxon Mobile, die vor allem im Süden Nigerias große Umweltverschmutzungen anrichten, dort den Menschen durch, die Verseuchung von Boden und Grundwasser die Lebensgrundlage entziehen, ohne dass sie am Ölreichtum teilhaben könnten. Hier war auch Ken Saro-Wiwo, den Brutus sehr schätzte, aktiv.)


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
38. Jahrgang, Nr. 6, Dezember 2009/Januar 2010, S. 25-26
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2010