Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/823: Kultur und Führerschaft (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 5/2010

Kultur und Führerschaft

Von Ilona Eveleens


"Afrikanische Führer lieben die westliche Kultur und den Geschmack. Sie umarmen teure Weine, Autos und andere luxuriöse Lebensstile. Aber wenn es zum Beispiel um Menschenrechte geht, wird das westliche Konzept abgewiesen". Harte Worte von Mo Ibrahim, dem in Sudan geborenen britischen Millionär. Aber kann Kultur auch genutzt werden, um eine neue Politikergeneration zu entwickeln?


Mo Ibrahim ist der Gründer der Mo Ibrahim Stiftung, die jährlich fünf Millionen Dollar an einen ehemaligen afrikanischen Präsidenten überreicht, weil dieser wegen eines guten Regierungsstils auffiel. Der Gewinner bekommt zusätzlich bis zum Lebensende jährlich 200.000 Dollar. Damit hoffte der Millionär, afrikanische Präsidenten dazu zu bewegen, sich demokratischer zu verhalten, sich nicht an Korruption zu beteiligen und nicht Jahrzehnte lang verkrampft an der Macht festzuhalten. Seit 2007 gab es nur zwei Gewinner: den Mosambikaner Joaquim Chissano und den Botswaner Festus Mogae. Nelson Mandela aus Südafrika wurde zum Ehrengewinner ernannt. Voriges Jahr beschloss die Stiftung, keinen Preis auszuschreiben. Nicht ein einziger Ex-Präsident kam in Frage. Ob es dieses Jahr einen gibt, ist zweifelhaft.


Afrikas unterschiedliche Kulturen

Afrika hat ein paar gute Staatsoberhäupter hervorgebracht, aber es wimmelt weiter von schlechten Regierungschefs und Präsidenten, die nicht glauben, dass sie ihren Völkern, sondern dass ihre Landsleute ihnen zu Diensten stehen. Schlechte Herrschaft liegt Afrikanern nicht im Blut, aber die Kultur auf dem Kontinent, von einigen genutzt für gute Führerschaft, wird gleichzeitig von anderen missbraucht.

Kultur in Afrika ist ebenso unterschiedlich wie die in Europa oder Asien, aber in jedem Land herrscht ein beinahe göttlicher Respekt vor Führungspersonen. Auch brauchen Ältere kaum Rechenschaft abzulegen, und das männliche Geschlecht wird meist für klüger gehalten als das weibliche. Afrika kennt auch die Kultur, stundenlang, tagelang oder selbst monatelang zu diskutieren und nach Problemlösungen zu suchen. Das war früher so und hat sich in den meisten Ländern kaum geändert.

Vor kurzem zog sich ein ghanaischer Blogger den Zorn Vieler zu, als er in einem Artikel den König der Ashanti kritisierte. Ashanti sind eines der wichtigsten Völker in Ghana, und ihr König existiert neben dem nationalen Staatsoberhaupt. Ashanti glauben, dass ihr Herrscher über jede Kritik erhaben ist. Rechenschaft abzulegen, ist in vielen Teilen Afrikas oft keine Forderung für Könige, Präsidenten oder Stammesführer. Der junge Blogger meinte: "Wenn der König einen Fehler macht und die Presse darüber nicht berichten darf, dann wird die im Grundgesetz garantierte Meinungsfreiheit verletzt".

Ebenso tief verwurzelt ist der Respekt vor Älteren. Die Mehrheit der afrikanischen Staatschefs besteht aus älteren Männern wie Robert Mugabe (86) aus Simbabwe und Abdoulaye Wade (84) aus dem Senegal. Beide möchten bei den nächsten Wahlen in ihren Ländern noch einmal kandidieren. Älteren wird in der Gesellschaft Respekt gezollt, schon wegen ihrer grauen Haare und Lebenserfahrung. An ihren Taten wird selten gezweifelt. Wenn ein Führer gestohlen hat, undemokratisch war und Gegner foltern ließ, kann er noch immer mit Respekt rechnen. Nur wegen seines Alters.


Jung und Alt

Ein glänzendes Beispiel ist die Reaktion der Gattin eines Kollegen, als der ehemalige kenianische Präsident, Daniel arap Moi, pensioniert wurde. Die Frau hasste Moi und hatte sich aktiv für die Wahl seines Nachfolgers, Mwai Kibaki, eingesetzt. An dem Tag, an dem Moi seine Präsidentschaft an Kibaki abtrat, saß die Frau, damals noch keine 40 Jahre alt, weinend vor dem Fernseher. Dies waren keine Freudentränen, sondern Mitleid mit Moi, der von der Menge bei der offiziellen Vereidigung ausgejault wurde. "Das ist so traurig. Er ist ein alter Mann und verdient Respekt, obwohl er für die schlechte Lage von Kenia verantwortlich ist", seufzte sie.

Jüngere kriegen kaum eine Chance, an die Macht zu kommen. Die Kultur in den meisten afrikanischen Ländern verlangt von jungen Menschen, dass sie sich erst beweisen und dann geduldig hinter den Kulissen warten, bis sie graue Haaren haben. Ausnahmen waren Söhne von verstorbenen Präsidenten, die ihre Länder wie privates Eigentum betrachteten. Während ihrer oft langjährigen Präsidentschaft sorgten solche Führer dafür, dass die Macht innerhalb der Familie blieb. Meistens wurden der Armee große Versprechen gemacht, wenn sie dafür sorgte, dass der Lieblingssohn zum Nachfolger wurde. So geschah es in Togo, wo Faure Gnassingbé (44) der Nachfolger seines plötzlich verstorbenen Vaters Eyadéma wurde, der 38 Jahre an der Macht war. Auch Ali-Ben Bongo Ondimba (51), Präsident von Gabun, ging nach dem Tod seines Vaters Omar, der das Land 42 Jahre führte, als dessen Nachfolger hervor. Der kenianische Schriftsteller Ngugi wa Thiong'o schrieb zynisch in seinem Buch Wizard of the Crow: "Der Herrscher hatte so lange auf seinem Thron gesessen, dass er sich nicht mehr erinnern konnte, wann seine Herrschaft angefangen hatte". Als Teile der Bevölkerung in Togo und Gabun gegen die Familiennachfolgeschaften demonstrieren wollten, blieben sie machtlos vor schießbereiten Soldaten stehen.

Ob es weibliche Führungspersonen in Afrika besser machen würden als Männer, bleibt eine unbeantwortete Frage, weil auf dem Kontinent kaum Frauen an der Macht sind. Sicher ist aber, dass die einzige Präsidentin, Ellen Johnson-Sirleaf von Liberia, gute Arbeit leistet.


Ethnische Gruppen

Beinahe jedes afrikanische Land ist ein ethnischer Flickenteppich. Zumeist fühlen die Menschen sich in erster Linie als Teil ihres Volkes, Stammes oder Clans, und erst an zweiter Stelle kommt ihre Nationalität. Die Homogenität in kleinen Gruppen ist noch immer stark ausgeprägt, und ein Teil der Probleme in Afrika entstand, als die Kolonialmächte ihr westliches Konzept einführten. Führer versprechen ihren eigenen ethnischen Gruppen, dass sie für bessere wirtschaftliche Bedingungen auf Kosten anderer Gruppen im Land sorgen würden. Daher ist es einigermaßen verständlich, dass radikale Afrika-Spezialisten vorschlagen, den Kontinent in Volksgebiete anstatt in Länder aufzuteilen.

Ein kompliziertes Beispiel ist Somalia. Das Land mit einem Volk, einer Religion, einer Sprache ist durch Clans tief gespalten. Als 1991 der autokratische Präsident Siad Barre vertrieben wurde, fiel das Land auseinander und die Macht ging an sich gegenseitig bekämpfende Clanführer. Somaliland, wo nur ein Clan lebt, trennte sich vom Rest des Landes ab. International ist die Unabhängigkeit dieser nördlichen Region aber nicht anerkannt. Für die Bildung einer stabilen Regierung wurden die Clan-Ältesten von Somaliland drei Monate mehr oder weniger eingesperrt, um zu einem Ergebnis zu kommen. Somaliland ist relativ friedlich und sicher im Vergleich zu Somalia, das in blutiger Anarchie versank. Heutzutage findet der Kampf dort zwischen gemäßigten und radikalen Muslimen statt, aber auch dabei spielt die Clankultur eine große Rolle.

Während sie in Somalia für große Probleme sorgt, vergrößert sie gleichzeitig die Überlebenschancen der Menschen. Mitglieder von einem Clan helfen einander, wenn es Schwierigkeiten gibt. Sie sind eng miteinander verbunden. Wenn jemand in Somalia Geld braucht und ein Clanmitglied in Kanada etwas übrig hat, wird es sofort weitergegeben. Im Nachbarland Kenia sind viele somalische Geschäftsleute tätig und sorgen für Arbeit und Einkommen für geflohene Clanmitglieder.

Dasselbe spielt sich in der afrikanischen Familie ab. Ungefähr die Hälfte der Menschen auf dem Kontinent lebt unter der Armutsgrenze von einem Euro pro Tag. Man muss ein Lebenskünstler sein, um damit zu überleben. Die große afrikanische Familie ist ein Rettungsanker; Onkel, Neffen und Kusinen können mit Hilfe rechnen.

Die lebhafte Kultur in Afrika wird positiv und negativ verwendet. Führungskräfte auf dem Kontinent nutzten sie in den letzten 50 Jahren oft für ihren eigenen Gewinn. Mo Ibrahim hofft, dass Kultur genutzt wird, um eine neue Generation von Politikern zu entwickeln, die bald die Macht übernimmt von den Dinosauriern. "Wir müssen wirklich eine neue Generation Menschen erziehen und unterrichten, die in Afrika das machen, was ihnen bis jetzt untersagt wurde".


Ilona Eveleens (* 1954) ist Nachrichtenkorrespondentin für die taz und die holländische Zeitung Trouw. 2010 erschien ihr neues Buch Kenia.
ilonaeveleens@gmail.com


*


Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 5/2010, S. 39-41
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
Redaktion: c/o Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin
Hiroshimastraße 17, 10785 Berlin
Telefon: 030/26 935-71 51, -52, -53
Telefax: 030/26 935-92 38
ng-fh@fes.de
www.ng-fh.de

Die NG/FH erscheint monatlich, wobei die Hefte 1+2
und 7+8 im Januar bzw. Juli als Doppelheft erscheinen.
Einzelheft: 5,50 Euro zzgl. Versand
Doppelheft: 10,80 Euro zzgl. Versand
Jahresabonnement: 50,60 Euro frei Haus


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2010