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AFRIKA/887: Afrikas Böden als Beute (medico international)


medico international - rundschreiben 03/10

Sierra Leone
Afrikas Böden als Beute

Wie Rohstoffabbau und fortgesetzte Landnahme einen
gerechten Frieden in dem ehemaligen Bürgerkriegsland verhindern.

Von Anne Jund und Judith Kopp


Im Sommer dieses Jahres brachte das britische Topmodel Naomi Campbell den beendeten Bürgerkrieg in Sierra Leone zurück ins Scheinwerferlicht. Vor dem Kriegsverbrechertribunal für Sierra Leone in Den Haag bestätigte die internationale Laufsteggröße, nach einem Abendessen im September 1997 von dem angeklagten liberianischen Kriegsherrn und Ex-Präsidenten Charles Taylor mehrere "schmutzig aussehende Steine" - ungeschliffene Rohdiamanten - bekommen zu haben. Ende der 1990er Jahre steuerte Charles Taylor den Handel mit sogenannten Konfliktdiamanten und damit den Krieg in dem Nachbarland Liberias. Aber in Sierra Leone geht es nicht mehr nur um seltene Mineralien. Jetzt sind die Ackerböden selbst das Ziel.


Das Tribunal gegen Charles Taylor und andere Kriegsverbrecher darf nicht darüber hinweg täuschen, dass am Schauplatz des Geschehens eine Kultur der Straflosigkeit herrscht. In Sierra Leone leiden bis heute Tausende Überlebende unter den erlittenen Kriegstraumata, meist ohne medizinsche oder psychosoziale Hilfe, aber auch ohne jedwede materielle Entschädigung. Der Krieg endete im Jahr 2002, auf Druck der UN wurde vorschnell eine Generalamnestie verfügt, sodass die Täter völlig unbehelligt in unmittelbarer Nähe zu den Überlebenden der Gräueltaten wohnen können; sie sind nicht nur die Gewinner des Krieges, sondern aufgrund staatlicher Reintegrationsmaßnahmen auch die Sieger im Frieden - die Opfer gingen weitgehend leer aus.

Rebellen und Regierungstruppen finanzierten ihren Krieg durch den Handel mit Konfliktdiamanten. Im Rahmen der internationalen Kampagne Fatal Transactions macht medico seit Ende der 1990er Jahre öffentlich mobil dagegen, dass die großen Diamantenfirmen billig Rohdiamanten erwerben und die Warlords aus ihren Profiten jene Waffen kaufen konnten, die den Krieg in diesem Ausmaß erst ermöglichten. Bis heute wurde weder ein Unternehmen angeklagt noch ein Opferfonds eingerichtet, um zumindest den Kriegsversehrten angemessene Hilfe zukommen zu lassen.


Von Konfliktdiamanten zu Diamantenkonflikten

Acht Jahre nach Kriegsende liegt Sierra Leone im UN-Index über menschliche Entwicklung weiterhin an drittletzter Stelle von 181 Ländern. Dahinter kommen nur noch Afghanistan und Niger. Über 70% seiner annähernd fünf Millionen Einwohner leben in absoluter Armut, obwohl das Land reich ist. Es gibt Diamanten, Gold und Bauxit, dazu seltene Metalle wie Platin, Rutil (Titanoxid) und Rhodium. Für den Diamantenabbau werden riesige Landflächen verpachtet oder verkauft, während die betroffenen bäuerlichen Dorfgemeinschaften lediglich mit niedrigen Kompensationszahlungen abgespeist werden. Viele wandern in die Städte ab, wie etwa die Hauptstadt Freetown, aber auch in die Nachbarländer, insbesondere die Elfenbeinküste.

Andere versuchen in einer Diamantenmine zu arbeiten oder beginnen selbst zu graben. In Sierra Leone schürfen etwa 100.000 Menschen nach dem teuren Mineral. Aber der Bedarf an Arbeitern sinkt. Viele Minen sind erschöpft und die zunehmende Mechanisierung sorgt dafür, dass auch trotz Tiefensprengungen immer weniger Schürfer für die gleiche Produktionsmenge benötigt werden. Diamanten finanzieren heute keine Waffenkäufe mehr, aber die Art und Weise ihrer Exploration verhindert Entwicklungsprozesse und damit auch einen nachhaltigen Frieden im einstigen Bürgerkriegsland. Allein in der Region Kono wurden 2007 nach friedlichen Protesten gegen schlechte Arbeitsbedingungen in den Minen zwei Demonstranten von Sicherheitskräften getötet. Sierra Leones Situation zeigt, dass die offizielle Definition von Konfliktdiamanten, wie sie mit dem Zertifizierungssystem im Rahmen des Kimberley-Prozesses 2003 festgelegt wurde, zu kurz greift: Wer sich nur auf die Handelsstrukturen beschränkt, thematisiert nicht die Produktionsbedingungen, unter denen die wertvollen Steine außerhalb von Kriegsregionen abgebaut werden.


Beratung im Konfliktfall

Der medico-Partner in Sierra Leone, das Network Movement for Justice and Development (NMJD), setzt sich seit Jahren dafür ein, dass die Einnahmen aus dem Rohstoffabbau auch der Bevölkerung zugute kommen. Es steht beispielsweise in der Region Kono Ratsuchenden mit Laienjuristen und Beratungsbüros zur Seite, die in Landfragen und Schürfrechten, aber auch bei häuslicher Gewalt und Unterhaltsverpflichtungen Hilfe brauchen. "Denn", so ein Sprecher von NMJD, "die Kontrolle über den Besitz natürlicher Ressourcen war und bleibt eine Konfliktquelle in Sierra Leone. Aufgrund der Unfähigkeit der Regierung, neue Minenpolitiken einzuführen, umzusetzen und zu koordinieren, können die Gemeinden in Diamantenregionen nicht von ihrem Reichtum profitieren." Gemeinsam mit vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen und der UN hat NMJD einen Abkommensentwurf entwickelt, der die internationalen Unternehmen verpflichten soll, für eine gerechtere Verteilung der Gewinne zu sorgen. Die Regierung Sierra Leones indes verscherbelt ihr Land.


Die neue Landnahme

Dies ist durchaus wörtlich zu verstehen: die größte landwirtschaftliche Investition in Sierra Leone tätigte in diesem Jahr die Schweizer Firma Addax Bioenergy. Sie pachtete mit Unterstützung des sierra-leonischen Präsidenten Ernest Bai Koroma 15.000 Hektar Land, auf dem für mindestens 50 Jahre Zuckerrohr angebaut werden soll, um Ethanol zu produzieren und nach Europa zu exportieren. Die Kosten trägt Addax Bioenergy gemeinsam mit der Europäischen Entwicklungsbank und der African Development Bank. Es handelt sich um Ackerboden, auf dem bisher Reis, Maniok und Gemüse angebaut wurden und von dem mehr als 17.000 Menschen leben. Mit dem Kauf der Landnutzungsrechte wird auch der Zugang zum nahegelegenen Rokel River gesichert. Die betroffenen Bauern verlieren zusätzlich die Wasserrechte und werden gegen eine geringe Entschädigungssumme "umgesiedelt". So sind nicht mehr die diamantenreichen Regionen Sierra Leones allein im Fokus international agierender Unternehmen, sondern die afrikanischen Böden selbst werden zu profitablen Ressourcen. Befördert wird dieser Prozess durch die aktuellen EU-Richtlinien zur Förderung von Biosprit, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen abzubauen.


Biosprit als Katalysator

Nach elf Jahren Bürgerkrieg hat Sierra Leone weder die Opfer angemessen entschädigt, noch seine Ernährungsautonomie zurück gewonnen. Statt sich um eine bedarfsorientierte landwirtschaftliche Entwicklung zu bemühen, baut das internationale Agrarbusiness mit europäischen Fördermitteln Pflanzen zur Gewinnung erneuerbarer Treibstoffe an. Das Ergebnis sind nicht nur Boden- und Wasserkonflikte, sondern auch eine verstärkte Migration in den städtischen Raum. Nach dem Verlust ihrer kleinbäuerlichen Landwirtschaft wird damit ein wachsender Bevölkerungsanteil der globalen Nahrungsmittelkrise ausgesetzt. Als 2008 die Weltmarktpreise für Lebensmittel plötzlich anstiegen, war dies zum Teil eben jenen Spekulationskäufen geschuldet, die EU und USA mit ihren neuen Biosprit-Richtlinien ausgelöst hatten. Nicht nur Diamanten, auch Afrikas Böden versprechen weiter fette Dividenden.


Projektstichwort:

Der medico-Projektpartner in Sierra Leone kämpft darum, dass die natürlichen Reichtümer des Landes der Bevölkerung zugute kommen. Das Network Movement for Justice and Development setzt sich für gerechte Löhne, menschenwürdige Arbeitsbedingungen und den Bau von Schulen und Gesundheitsstationen ein. Laienjuristen informieren die Menschen über ihre Rechte, um sich der Willkür und Macht der Diamantenminenbesitzer zu erwehren. Jetzt, wo vermehrt der Boden zum Spekulationsprojekt wird, ist die Unterstützung der Zivilgesellschaft Sierra Leones dringender denn je. Stichwort: Sierra Leone.


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Quelle:
medico international - rundschreiben 03/10, Seite 24-26
Herausgeber: medico international, Burgstraße 106
60389 Frankfurt am Main
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2010