Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/965: Jenseits aller Kameras - auch südlich der Sahara proben die Menschen den Aufstand (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. Februar 2011

Afrika: Jenseits aller Kameras - Auch südlich der Sahara proben die Menschen den Aufstand

Von Azad Essa


Durban, Südafrika, 25. Februar (IPS/AJ*) - Die Weltgemeinschaft schaut derzeit gebannt auf die Entwicklungen in Nahost und Nordafrika. Doch fern vom Blitzgewitter der Kameras wird auch in anderen Teilen Afrikas der Ruf nach einem politischen Wandel immer lauter.

Seit es den Ägyptern nach 18-tägigen Protesten gelungen ist, den Despoten Husni Mubarak loszuwerden, ist das Land am Nil in aller Munde. Obwohl Ägypten Teil Afrikas ist, wird die Revolution als nahöstliche Angelegenheit behandelt. Diese geographische Zuordnung verkennt nach Ansicht politischer Analysten, dass auch die Länder südlich der Sahara von ähnlichen Problemen geplagt werden, die den Funken der Revolution in sich tragen.

"Ägypten liegt in Afrika. Wir sollten uns von den Abgrenzungsbemühungen des Nordens nicht täuschen lassen", meint dazu Firoze Manji von 'Pambazuka Online', einem Informationsdienst für soziale Gerechtigkeit in Afrika. "Einige Ägypter mögen sich zwar nicht als Afrikaner fühlen, doch tut dies nichts zur Sache. Sie sind Teil des kontinentalen Erbes."


Gleiche Sorgen im globalen Süden

Auch Afrikaner verfolgen die Vorgänge in Kairo und anderswo. "Es besteht kein Zweifel daran, dass die Menschen (in Afrika) mit Begeisterung die Entwicklungen in Nahost beobachten und sich von ihnen für ihren eigenen Kampf inspirieren lassen", betont Manji. Globalisierung und die Liberalisierung der Märkte hätten dafür gesorgt, dass die Menschen des globalen Südens mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hätten.

Zu diesen Problemen gehören die zunehmende Verarmung, der Anstieg der Arbeitslosigkeit und sinkende Einkommen aus der Landwirtschaft. Auch haben die Menschen immer weniger Möglichkeiten, die Regierungen für ihr Handeln zur Verantwortung zu ziehen. Hinzu komme die rasant fortschreitende "Akkumulation der Besitzlosen" und die zunehmende Bereitschaft der Regierungen, sich den politischen und wirtschaftlichen Wünschen des Nordens zu beugen, erläutert Manji.

"Die Ereignisse in Tunesien und Ägypten sind innerhalb Afrikas zu einer Parole für sämtliche Oppositionsführer, leidgeprüften Menschen und politischen Opportunisten geworden, die es gern sähen, dass ihre Länder von diesen Ben Alis (Tunesiens Ex-Präsident Zine El Abidine Ben Ali) oder Mubaraks befreit würden", meint Drew Hinshaw, ein US-amerikanischer Journalist, der in Westafrika lebt.

In vielen Fällen hält der Vergleich offenbar stand. Als Beispiel führt Hinshaw das unterentwickelte Ölexportland Gabun an. "Das Bruttoinlandsprodukt des westafrikanischen Landes ist zwar doppelt so hoch ist wie das Ägyptens, doch müssen die Menschen von Löhnen leben, die Ägypten als ein Land der Vollbeschäftigung dastehen lassen", berichtet der Journalist.


Fruchtbarer Boden für Proteste

Regiert wird Gabun seit vier Jahrzehnten von der Bongo-Familie. "Sie hat es schon gegeben, als Mubarak lediglich einen Luftwaffenstützpunkt leitete", erläutert Hinshaw. "Man kann sich also gut vorstellen, warum hier die Opposition zu ähnlichen Protesten aufruft wie in Ägypten, zumal sie gesehen hat, was Ägypten und Tunesien erreichen konnten."

Doch aufgrund ihrer geringen geopolitischen Bedeutung werden die Entwicklungen in den anderen afrikanischen Staaten weitgehend ignoriert. Dabei sind auch dort - etwa im sudanesischen Khartum - Proteste ausgebrochen. So demonstrierten sudanesische Studenten am 30. Januar gegen geplante Kürzungen der Benzin- und Zuckersubventionen. Danach berichtete das 'Committee to Project Journalists' in New York, dass Mitarbeiter der Wochenzeitung 'Al-Midan' festgenommen worden seien, weil sie über die Kundgebung berichtet hätten.

In Äthiopien wurde der bekannte Journalist Eskinder Nega von den Sicherheitskräften verwarnt, "die Menschen zu ähnlichen Protesten wie in Ägypten anzustacheln". In Kamerun warnte die Sozialdemokratische Front vor ähnlichen Unruhen wie in Nordafrika, sollte die Regierung nicht die Nahrungsmittelpreise senken.

"Es gibt eine Vielzahl junger und arbeitsloser Afrikaner, die keine Zukunftsperspektiven in den Ländern sehen, die seit 25, 30 oder 35 Jahren von den gleichen Herrschern regiert werden", kommentiert Scott Baldauf, der Afrika-Bürochef der US-amerikanischen Medienorganisation 'Christian Science Monitor' (CSM). "Die Probleme in Ägypten gleichen denen anderer Länder. Es gibt politische Führer, die seit Jahrzehnten an der Macht kleben und denken, dass ihre Länder ohne sie nicht auskommen. Ein junger Simbabwer kann somit den Frust eines jungen Ägypters sehr wohl nachvollziehen."


Teile und herrsche

So wie Selbstopferungen in Tunesien nicht neu sind, wo sich die Jasmin-Revolution an der Selbstverbrennung des verarmten Verkäufers Mohamed Bouazizi entzündete, sind Unmut und Unzufriedenheit in anderen afrikanischen Ländern verbreitet. Aktivitäten von Dissidenten und ihre Unterdrückung gehören in einigen repressiven afrikanischen Staaten zum Alltag. In den letzten drei Jahren kam es in Südafrika über hohe Preise im Dienstleistungsbereich zu gewaltsamen Protesten. In Kamerun, Madagaskar, Mosambik und Senegal brachen Brotrevolten aus.

"In vielen afrikanischen Staaten schichtet sich gleiche alte Holz der schlechten Regierungsführung aufeinander, das nur darauf wartet, durch ein einziges Zündholz in Flammen aufzugehen", ist Baldauf überzeugt. Doch damit es dazu kommen kann, bedarf es seiner Meinung nach der politischen Führung, etwa durch zivilgesellschaftliche Organisationen." Dem CSM-Journalisten zufolge könnten hier die schwarzafrikanischen Staaten gegenüber den Ländern Nordafrikas im Nachteil sein.

Emmanuel Kisiangani vom Afrikanischen Konfliktpräventionsprogramm des Instituts für Sicherheitsstudien in Südafrika sieht einen weiteren wichtigen Unterschied in der Vielfalt stark polarisierter Ethnien. "In Subsahara-Afrika, wo es Regierungen gelungen ist, Menschen entlang ethnisch-politischer Linien zu spalten, ist es anders als in Nordafrika viel leichter, einen Aufstand mit der Begründung ethnischer Differenzen zu kassieren", sagt Kisiangani.


Afrika steht wichtiges Jahr bevor

2011 ist für Afrika ein wichtiges Jahr. In mehr als 20 Ländern einschließlich in Simbabwe und Nigeria finden Wahlen statt. Angesichts steigender Nahrungsmittelpreise und wirtschaftlicher Schwierigkeiten ist es durchaus denkbar, dass Afrikaner über wirksamere Methoden als Wahlen nachzudenken werden, um [sich] sicher ihrer politischen Führer zu entledigen.

"Den Menschen geht es um die Demokratisierung der Gesellschaft, um die Produktivität der Wirtschaft und um alle Aspekte des Lebens. Doch das einzige, was man ihnen erlaubt, ist der Gang zur Wahlurne", bemängelt Firoze Manji.

Wahlen allein könnten die Probleme, mit denen sich die Menschen konfrontiert sehen, nicht lösen, betont auch der Konfliktforscher Kisiangani. Der Prozess der Demokratisierung sei somit in vielen afrikanischen Ländern illusorisch. "Die Proteste haben jedoch die Hoffnung geweckt, dass normale Menschen ihr politisches Schicksal selbst definieren können. "Sie schaffen das Bewusstsein für die Fähigkeiten der Menschen, ihr politisches Schicksal selbst zu bestimmen."(Ende/IPS/kb/2011)


* Der Beitrag wurde vom arabischen Nachrichtennetzwerk Al Jazeera veröffentlicht, einem Kooperationspartner von IPS International.

Links:
http://www.csmonitor.com/World
http://www.pambazuka.org/en/
http://www.iss.co.za/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=54608

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 25. Februar 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2011