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ASIEN/664: China - Häusliche Gewalt gehört zum Alltag (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Oktober 2010

China:
Häusliche Gewalt gehört zum Alltag - Viele Frauen in den Selbstmord getrieben

Von Mitch Moxley


Peking, 6. Oktober (IPS) - Trotz erfolgreicher Kampagnen für die Gleichstellung von Frauen ist häusliche Gewalt in China weit verbreitet. In 90 Prozent der Fälle sind Männer die Täter. Beobachter sehen dadurch nicht nur Familien, sondern die gesamte Gesellschaft gefährdet.

Wie die größte nichtstaatliche chinesische Frauenorganisation ACWF in einer landesweiten Studie ermittelte, kommt es in einem Drittel aller Haushalte zu körperlichen und psychischen Misshandlungen. Betroffen sind vor allem Familien in ländlichen Regionen, junge Paare und Angehörige bildungsferner Schichten.

Das Chinesische Rechtsinstitut führte eine weitere Untersuchung in den Provinzen Gansu, Hunan und Zhejiang durch. Daraus geht hervor, dass 85 Prozent aller Gewaltopfer weiblich sind. Die Übergriffe seien gesellschaftlich soweit akzeptiert, dass Männer und Frauen sie gleichermaßen als Teil eines normalen Familienlebens betrachteten, hieß es. Lediglich fünf Prozent der Befragten hätten angegeben, dass sie in einer unglücklichen Ehe lebten.

Menschenrechtler warnen vor weit reichenden Folgen solcher Übergriffe. Sie "haben einen schädlichen Einfluss auf Familien und die Gesellschaft als Ganzes", erklärte Xu Rong, Projektleiter des in Peking ansässigen Kulturellen Entwicklungszentrums für Frauen in ländlichen Regionen. "Die Gewalt bedroht die soziale Stabilität, Ehen und das Wohlergehen von Kindern."

Außerhalb der Städte ist die Überzeugung, dass Frauen eine untergeordnete Rolle zu spielen haben, nach wie vor stark verwurzelt. Experten sehen dies als maßgeblichen Grund für die hohe Gewaltrate. Nicht nur in China, sondern auch in vielen anderen Ländern gelten Schläge in den eigenen vier Wänden als reine Privatangelegenheit. Frauen finden daher in einer solchen Notlage nicht immer Hilfe.


Hohe Suizidrate auf dem Land

Für viele Opfer wird die Situation so unerträglich, dass sie sich das Leben nehmen. Laut einem von dem Nachrichtenportal 'Da Ai Net' verbreiteten Bericht begehen jedes Jahr etwa 157.000 Chinesinnen Selbstmord. In ländlichen Gegenden ist die Rate drei bis fünf Mal höher als in den Städten.

Untersucht wurden 260 Suizide von Frauen, die in Dörfern lebten. Mehr als 60 Prozent von ihnen waren zu Hause misshandelt worden. Traditionell würden bereits im Kindesalter Jungen als wertvoller erachtet als Mädchen, zitierte 'Da Ai Net' die Generalsekretärin des Entwicklungszentrums für Frauen auf dem Land, Xie Lihua.

Eine weitere Umfrage der Frauenvereinigung in der südchinesischen Stadt belegt indes, dass auch in besser situierten Familien Männer des Öfteren zuschlagen. In 111 von 548 betroffenen Haushalten leben demnach Leute mit Hochschulabschluss. Auch in 72 Beamtenfamilien wurden gewaltsame Vorfälle registriert.

In der chinesischen Staatsverfassung werden Frauen zwar in allen Lebensbereichen die gleichen Rechte wie Männern zugesichert. "Bis vor wenigen Jahren gab es aber nicht einmal Gesetze, um häusliche Gewalt zu ahnden", kritisierte Li Yinhe, die als erste Soziologin in der Volksrepublik bekannt geworden ist. Die Forscherin betreut Doktoranden an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften.

2001 war bei einer Reform des Ehegesetzes der Terminus 'häusliche Gewalt' erstmals im chinesischen Recht berücksichtigt worden. Inzwischen gibt es mehrere Gesetze, die Gewalt gegen Frauen und Kinder verbieten. Die Regierung in Peking hat außerdem die Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (CEDAW) unterzeichnet.


Erstes Urteil gegen häusliche Gewalt vor zwei Jahren ergangen

Im August 2008 fällte ein Gericht in Wuxi in der Provinz Jiangsu ein bahnbrechendes Urteil. Erstmals wurde einem Ehemann gerichtlich untersagt, seine Frau zu schlagen und zu demütigen.

Xu Rong schaut trotz der zahlreichen Misshandlungsfälle zuversichtlich in die Zukunft. In den vergangenen Jahren seien erhebliche Fortschritte erreicht worden, meinte er. Die Tatsache, dass die Einkommen in ländlichen Regionen gestiegen seien, habe dazu beigetragen, die Lage zu mildern. Dennoch bleibe noch viel zu tun, um Frauen nachhaltig vor Gewalt zu schützen.

Die Soziologin Li Yinhe forderte eine weitere Verschärfung der Gesetze gegen häusliche Gewalt und höhere Finanzmittel für Frauenhäuser und Kampagnen, die die Gesellschaft für Frauenrechte sensibilisieren sollen. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.women.org.cn/english/english/newsletter/ACWF%20brochure.htm
http://www.un.org/womenwatch/daw/cedaw/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=53071


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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2010