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ASIEN/695: Afghanistan - Flucht vor Männergewalt bringt Frauen ins Gefängnis (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. Dezember 2010

Afghanistan: Flucht vor Männergewalt bringt Frauen ins Gefängnis


Kabul, 3. Dezember (IPS) - In Afghanistan begehen Frauen, die ihren Partnern davonlaufen, eine Straftat, die mit einer Gefängnisstrafe geahndet wird. Das gilt auch in Fällen, in denen ihnen nur die Flucht das Leben rettet. Was an sich schon schlimm genug ist, kann noch ärger werden: So dürfen die betroffenen Frauen auch nach Verbüßung ihrer Haftstrafe die Anstalt erst verlassen, wenn ein männlicher Angehöriger bereitsteht, sich ihrer anzunehmen.

Zarghoona (Name von der Redaktion geändert) ist ein solcher Fall. "Meine ganze Familie hat mich verlassen. Für sie bin ich tot", erklärte sie in einem Telefongespräch mit dem UN-Nachrichtendienst IRIN. Sie hat ihre dreimonatige Haftstrafe inzwischen [...], und dennoch wollen sie die Gefängnisbehörden erst entlassen, wenn sich ein männlicher Verwandter einfindet, um sie nach Hause zu holen.

Zarghoona gehört zu den 43 Prozent aller Afghaninnen, die vor Vollendung ihres 18. Lebensjahres verheiratet wurden. Sie war 15 Jahre alt, als sie zur Zwangsehe mit einem deutlich älteren und gewalttätigen Mann gezwungen wurde. "Ich wäre lieber gestorben, als weiter bei diesem brutalen Menschen zu bleiben", erzählte sie.

Dass Frauen nach Ablauf ihrer Haftstrafe weiterhin festgehalten werden, wird von Frauenorganisationen bestätigt. "Das ist zwar illegal, passiert aber ziemlich oft", so Suraya Subhrang von der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission AIHRC in Kabul. "Was soll mit den Frauen geschehen? Sollen sie sich etwa umbringen, nur weil es keinen Mann gibt, der sich ihrer annimmt?"


Frauen mehrfach um ihre Rechte betrogen

Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) hat im letzten Jahr berichtet, dass Frauen ihrer fundamentalsten Rechte beraubt werden und obendrein mit noch mehr Gewalt rechnen müssen, sollten sie ihre Rechte einfordern. "Frauen werden von den Gerichten diskriminiert", kritisiert Wazhma Frogh vom Afghanischen Frauennetzwerk, einem Zusammenschluss von Frauenverbänden und Aktivistinnen.

Doch Bahawddin Baha, Leiter der Strafrechtsabteilung des Obersten Gerichtshofs, weist den Vorwurf zurück. Vor den Gerichten des Landes, die im Einklang mit dem islamischen Recht handelten, würden Frauen ebenso fair behandelt wie Männer, sagte er.

Da der Zugang zu den regulären und als korrupt verschrienen Gerichten in den ländlichen Regionen begrenzt ist, sind 80 Prozent der Afghanen gezwungen, sich in Streitfällen an die traditionellen Streitschlichtungsstellen zu wenden.

Juristen zufolge gibt es im afghanischen Strafrecht keine Richtlinien, wie mit Frauen und Mädchen zu verfahren ist, die von zu Hause ausreißen. Allerdings gilt ihre Flucht als Straftat, die Baha zufolge mit zwei bis drei Monaten Gefängnis geahndet wird. Menschenrechtsaktivisten finden das empörend. Sie fordern eine Entkriminalisierung von Frauen und Mädchen, die vor häuslicher Gewalt fliehen.

Nach Ansicht der Frauenrechtlerin Wazhma Frogh lässt sich der Islam gerade in dieser Frage unterschiedlich auslegen. "Flucht als Straftat zu behandeln, hat mehr mit patriarchalischen Strukturen zu tun, als mit dem Islam", sagte sie. In den meisten Fällen laufen Frauen davon, um ihr Leben zu retten.

Für Frauen, die von ihren Familien verlassen wurden oder vor häuslicher Gewalt geflohen sind, stehen landesweit 14 Frauenhäuser zur Verfügung. Auch in Kandahar soll es bald eine solche Einrichtung [...] - wenn genügend Spendengelder vorhanden sind. (Ende/IPS/kb/2010)

Links:
http://afghanwomensnetwork.org/wordpress/
http://unama.unmissions.org/default.aspx?/


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 3. Dezember 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2010