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ASIEN/718: Afghanistan - Taliban 2002 versöhnungsbereit (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Februar 2011

Afghanistan: Taliban 2002 versöhnungsbereit - Bericht hinterfragt auch Beziehung zu Al Kaida

Von Gareth Porter


Washington, 9. Februar (IPS) - Mit der Zurückweisung von Versöhnungsangeboten führender Taliban hat die Regierung Karsai Ende 2002 auf Betreiben der USA eine frühe Friedenschance für Afghanistan verspielt. Zu diesem Schluss kommen zwei ausgewiesene Afghanistan-Experten in einem jetzt vom Zentrum für Internationale Kooperation der New Yorker Universität vorgelegten Bericht. Darin analysieren die Autoren auch die Beziehungen zwischen Taliban und Al Kaida.

Die USA hatten den mit NATO-Verbündeten geführten Krieg gegen Afghanistan vor allem damit gerechtfertigt, die Taliban hätten Afghanistan zu einem Zufluchtsort der islamistischen Terrororganisation Al-Kaida gemacht.

In ihrer Studie ('Separating Taliban from al-Quaida: The Core of Success in Afghanistan') zitieren die in der afghanischen Südprovinz Kandahar arbeiteten Autoren Alex Strick van Linschoten und Felix Kuehn einen ehemaligen Talibansprecher, der im November 2002 im pakistanischen Karatschi an einem Treffen der gesamten Talibanführung teilgenommen und berichtet hatte: "Wir diskutierten damals über eine mögliche Beteiligung am politischen Prozess in Afghanistan und stimmten ihr am Ende zu."

Die Autoren berufen sich auch auf einen Mittelsmann mit Kontakten zur nach Pakistan geflohenen Talibanführung. Er habe in einem Gespräch mit ihnen erklärt, die Taliban seien damals zur Rückkehr nach Afghanistan bereit gewesen, falls man ihnen zusichere, sie dort nicht festzunehmen. Auf eine solche Garantie wollten sich jedoch weder Staatspräsident Hamid Karsai noch die USA einlassen, denn mit der Macht der Taliban sei es vorbei, glaubten sie damals.

Robert Grenier, der damalige CIA-Büroleiter in Islamabad, berichtete am 31. Januar 2010 dem Fernsehsender Al Jazeera, Wakil Ahmed Muttawakil, Außenminister der früheren Talibanregierung, habe 2002 in Afghanistan über eine mögliche Rückkehr verhandeln wollen. Er sei in Bagram, dem Hauptquartier der US-Streitkräfte in Afghanistan, bis Oktober 2003 gefangen gehalten und misshandelt worden.


"Arroganz der Macht"

Als "Arroganz der Macht" hatte der in Kandahar für den 'Christian Science Monitor' arbeitende Journalist Anand Gopal im November 2010 die damals vertanen Friedenschancen ('Missed Opportunities') kritisiert. Die Talibanführer seien in Karachi "prinzipiell bereit gewesen, nach einer Rückkehrmöglichkeit nach Afghanistan zu suchen. Doch die mangelnde Bereitschaft der USA und der afghanischen Regierung, ihnen dort Freiheit zu garantieren, hat sie enttäuscht."

Dennoch hätten sich die Taliban weiter um eine mögliche Versöhnung mit der daran offensichtlich ebenfalls interessierten afghanischen Regierung bemüht, berichtete Gopal. Zwischen 2003 und 2004 seien Unterhändler wichtiger Talibanführer wiederholt nach Kabul gereist, um dort mit hochrangigen Regierungsbeamten zu sprechen.

Die Befürchtung der früheren US-Regierung, Al-Kaida könnte in Afghanistan von Taliban kontrolliertes Terrain als Rückzugsgebiete nutzen, wird auch von Barack Obamas Regierung geteilt. Doch die Afghanistan-Experten Strick van Linschoten und Felix Kuehn, die in ihrer Studie die Beziehungen zwischen den Taliban und der Terrororganisation analysieren und sich sowohl auf Dokumente von Taliban und Dschihadisten sowie auf Interviews mit Taliban stützen, sehen diese Beziehung eher als eine durch ausländische Militärpräsenz aufgezwungene 'Vernunftehe' als ein ideologisch begründetes Bündnis. Die Taliban wüssten genau, dass es in Afghanistan garantiert keinen Zufluchtsort für Al Kaida geben dürfe, falls sie dort an einer Regierung beteiligt würden.

"Wir werden nicht zulassen, dass es von unserem Boden aus Operationen gegen ein anderes Land gibt", zitieren die Autoren eine öffentliche Erklärung der Taliban, die auf der Aghanistan-Konferenz in London im Januar 2010 verbreitet worden war. Zuvor schon, am 4. Dezember 2009, hatten die Taliban in den Medien versichert: "Wir haben nicht die Absicht, uns in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen und sind zu Rechtsgarantien bereit, falls sich die ausländischen Streitkräfte aus Afghanistan zurückziehen."


Differenzen zwischen Taliban und Al Kaida nicht unterschätzen

Unabhängige Geschichtsexperten behaupten seit langem, die Talibanführung habe niemals besonders enge Beziehungen zu Al Kaida unterhalten. So betonte Leah Farrell, eine ehemalige Analystin der Terrorbekämpfung im Dienst der australischen Bundespolizei (2002-2008), vor den Terrorangriffen vom 11. September habe es immer unterschiedliche Interessen und ideologische Differenzen zwischen Al Kaida-Chef Osama bin-Laden und Mullah Mohammed Omar gegeben.

Das bestätigen auch die Autoren des aktuellen Afghanistan-Berichts. Darin ist von komplizierten und häufig gespannten Beziehungen zwischen Taliban und Al Kaida die Rede. So sei bin Ladens Verschwörung gegen die USA eine direkte Verletzung der Befehle Mullah Omars gewesen. Doch nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 hätten sich Mullah Omar und andere Talibanführer geweigert, bin Laden an die USA auszuliefern. Sie hätten dem Druck der USA widerstanden, um nicht zu riskieren, Pakistans Unterstützung zu verlieren.

Andere veröffentlichte Quellen bestätigten, dass Beamte des pakistanischen Gemeindienstes noch im Oktober 2001 den Taliban geraten hatten, bin Laden nicht auszuliefern. Sie hofften damals auf den anhaltenden Widerstand von Taliban und Al Kaida gegen den US-geführten Angriff auf Afghanistan.

Angesichts einer inzwischen heranwachsenden jungen und ideologisch radikaleren Generation von Taliban geben Kuehn und Strick von Linschoten einem nachhaltigen Friedensprozess in Afghanistan und dem Ende eines opferreichen, Milliarden Dollar verschlingenden Krieges nur dann eine Chance, wenn man mit den Taliban spricht und es gelingt, einen Keil zwischen Taliban und Al Kaida mit ihrem ideologisch und politisch verschiedenen Hintergrund zu treiben. (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2011