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ASIEN/853: Afghanistan - NATO-Mission noch nicht völlig zu Ende (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. Juli 2013

Afghanistan: NATO-Mission noch nicht völlig zu Ende

von Paul Weinberg



Toronto, 24. Juli (IPS) - NATO-Mitgliedsstaaten wie Kanada werden auch weiterhin die Bürde einer festgefahrenen Militärmission in Afghanistan zu tragen haben, da die Regierung in Kabul nach wie vor angreifbar ist. Obwohl Ottawa angekündigt hat, etwa 900 kanadische Ausbilder der afghanischen Sicherheitskräfte im nächsten Jahr nach Hause zurückzuholen, erwarten politische Beobachter, dass der Einsatz länger dauern wird.

Erwartet wird, dass die USA von 2014 an die meisten Truppen aus dem zentralasiatischen Land abziehen werden. Etwa 9.000 Soldaten sollen aber zur Unterstützung der afghanischen Streitkräfte im Land bleiben, wie Graeme Smith vom Konfliktforschungsinstitut 'International Crisis Group', erläutert. Smith ist Autor des Buchs 'The Dogs Are Eating Them Now: Our War in Afghanistan'.

"Die USA haben sich nicht konkret geäußert, daher warten andere NATO-Länder ab, bevor sie sich in der Frage einer weiteren Beteiligung äußern. Kanada wird mit Druck zu rechnen haben, sich zu beteiligen", sagt Smith.

Offiziell hatte Kanada bereits 2011 seine 2.500 Mann starke Kampftruppe aus der Provinz Kandahar abgezogen, wo die Soldaten zehn Jahre lang eine NATO-geführte Einheit unterstützten. Das Land kann aber nicht so einfach seine Verbindungen zu der Regierung in Kabul kappen, die nach Einschätzung vieler Experten den kompletten Rückzug westlicher Truppen nicht überleben würde.

Die afghanischen Sicherheits- und Polizeitruppen stützen sich maßgeblich auf die US- und NATO-Truppen. Vor allem die Luftwaffe und die logistische Unterstützung werden gebraucht. Die USA seien in erster Linie nur deshalb in Afghanistan geblieben, weil sie eine Wiederholung des Albtraums verhindern wollten, sagte Anatol Lieven vom King's College in London in Anspielung auf den Fall von Saigon 1975 und auf den Sieg des kommunistischen Nord-Vietnams über die südvietnamesischen Truppen nach dem Abzug von hunderttausenden US-Soldaten. Vorausgegangen waren umstrittene und ein Jahrzehnt währende Kämpfe.


Angst vor neuer Niederlage

"Das Dilemma besteht darin, den starken Wunsch nach einem Rückzug aus Afghanistan und die ebenso große Angst vor einer erniedrigenden Niederlage miteinander ins Lot zu bringen", sagte Lieven.

Die USA halten sich bedeckt, was ihr künftiges Engagement in Afghanistan angeht. Denn das eigene Budget ist knapp und es gibt Schwierigkeiten mit der afghanischen Regierung, die jüngste Bemühungen von Präsident Barack Obama um einen Dialog mit den islamistischen Taliban unterlaufen hat, wie Mark Sedra von der Universität Waterloo in Ontario erklärte.

In einem Bericht der US-amerikanischen Aufsichtsbehörde GAO vom Februar heißt es, dass die USA und die NATO-Staaten nicht genügend finanzielle Mittel bereitstellten, um die afghanischen Sicherheitskräfte auf lange Sicht zu erhalten.

Afghanistan selbst verfügt nicht über die erforderlichen Steuereinnahmen, um seine rund 350.000 Mann starken Truppen zu unterhalten, und ist somit darauf angewiesen, dass die USA mehr als vier Milliarden Dollar jährlich an den Staat am Hindukusch überweisen. Sedra bezweifelt jedoch, dass diese Summe ausreichen wird, um der Regierung und der afghanischen Bevölkerung ausreichenden Schutz zu gewähren. "Das afghanische Militär ist in seinem bisherigen Umfang keinesfalls bestandsfähig. Sollten die Gelder also nicht über eine unbestimmte Zeit weiterfließen, ist es sehr wahrscheinlich, dass die afghanischen Sicherheitskräfte zusammenbrechen."

Zu den von Sedra entworfenen möglichen Szenarien gehört eine Machtübernahme durch die radikalislamischen Taliban, die das Land vor den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001 mit eiserner Faust beherrscht hatten. Denkbar wären auch Konflikte zwischen den Warlords der früheren Nordallianz, die sich zusammengeschlossen hatten, um die Einsetzung der derzeitigen Regierung von Präsident Hamid Karsai Ende 2001 zu unterstützen.

Das größte Problem für die afghanischen Truppen sei nicht der Erhalt ihrer Kampfkraft oder die Höhe des Soldatensolds, sondern die Schwäche des logistischen Nachschubs und der zivilen Verwaltung des Verteidigungsministeriums, sagte David Perry vom 'Conference of Defense Associations Institute' in Ottawa, der die von Kanada ermöglichte Ausbildung afghanischer Truppen beobachtet hat.


Zukunft von Bildung und Gesundheit fraglich

Zudem sei zu befürchten, dass der Erhalt der afghanischen Sicherheitskräfte auf Kosten von Gesundheit und Bildung ginge. In diese Bereiche hätten NATO-Staaten wie Kanada erhebliche Summen investiert, so der kanadische Oppositionsabgeordnete Matthew Kellway von den Neuen Demokraten. "Es ist sehr fraglich, inwieweit der afghanische Staat Bildung und Gesundheit fördert und unabhängig davon seine Truppen unterhalten kann."

Die kanadische Regierung hat bislang etwa 13 bis 18 Milliarden Dollar für Afghanistan bereitgestellt. Neun Milliarden flossen davon in den Kampf und der Rest in die Entwicklung, wie aus internen Regierungsschätzungen hervorgeht. Die Asiatische Entwicklungsbank investierte indes 17 Milliarden Dollar in den Bau von 7.000 Kilometern Straßen und Schienenstrecken in Zentralasien, von denen alle mit Ausnahme von sechs Routen durch Afghanistan verlaufen. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.kcl.ac.uk/sspp/departments/warstudies/people/professors/lieven.aspx
http://www.cdainstitute.ca/en/
http://www.crisisgroup.org/
http://www.ipsnews.net/2013/07/afghan-mission-not-quite-ending/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 24. Juli 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2013